Donnerstag, 02. Mai 2024

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25 Jahre Zukunftsfonds
Vom Versöhnungsprojekt zum Spiegel der deutsch-tschechischen Beziehungen

Als vor 25 Jahren der deutsch-tschechische Zukunftsfonds gegründet wurde, sollten tschechische Opfer des NS-Regimes entschädigt werden. Heute werden grenzüberschreitende Projekte von wissenschaftlichem Austausch bis zu Schüler-Begegnungen gefördert.

Von Kilian Kirchgeßner | 29.12.2022
Außenminister Klaus Kinkel (M), Verwaltungsrats-Chef Anton Rossbach (l), Verwaltungsratsmitglied Dagmar Buresovo (2.v.l), der Co-Vorsitzende des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums, Pavel Tigrit (2.v.r), und Verwaltungsratsmitglied Milos Pojar (r) am 04.02.1998
Deutsch-tschechischer Zukunftsfonds vergibt erste Mittel: Außenminister Klaus Kinkel (M), Verwaltungsrats-Chef Anton Rossbach (l), Verwaltungsratsmitglied Dagmar Buresovo (2.v.l), der Co-Vorsitzende des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums, Pavel Tigrit (2.v.r), und Verwaltungsratsmitglied Milos Pojar (r) am 4.2.1998 (picture-alliance / dpa / Torsten Silz)
Die Bühne steht mitten in der Dresdner Fußgängerzone, das Konzert hat gerade begonnen. Prazsky vyber heißt die Band. In Tschechien ist sie seit Jahrzehnten eine Legende: Punkrock spielen die Musiker, zu kommunistischen Zeiten gehörten sie zu den Symbolen des Widerstands.
Ein paar Tage lang war die Prager Kulturszene im August 2022 in Dresden zu Gast, Schauspieler, Artisten, Musiker, Autoren – eingeladen vom deutsch-tschechischen Zukunftsfonds.
„Das war unsere Oase der Imaginationen in Dresden ...“ Tomas Jelinek ist einer der beiden Geschäftsführer des Zukunftsfonds. „… wo wir mit der Kultur dieses Schöne an der Zusammenarbeit vermitteln konnten, diese attraktive, diese bunte deutsch-tschechische Welt.“

Staatschef Havel: „Erklärung von großer Bedeutung“

Die bunte deutsch-tschechische Welt, die Vielfalt der Beziehungen – sie will Tomas Jelinek in den Mittelpunkt stellen. Bonn im Jahr 1997. Bunt war sie damals noch nicht, die deutsch-tschechische Welt. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth steht am Rednerpult.
Vaclav Havel wird im Bundestag sprechen – er, der Dichter, Dissident und erste demokratisch gewählte tschechische Präsident. Ein feierlicher Anlass war es, der ihn nach Deutschland führte: die Unterzeichnung der deutsch-tschechischen Erklärung.
„Sehr geehrter Herr Präsident Havel, sehr verehrte Frau Havlova, Herr Bundespräsident … Niemand von uns ist natürlich so naiv, zu glauben, die Erklärung sei ein Zauberstab, der all‘ die bitteren Erfahrungen, die im 20. Jahrhundert unser Zusammenleben beeinträchtigten und all‘ den traditionellen und traditionsgemäß genährten Irrglauben, der über dieses Zusammenleben und diese Erfahrungen auf beiden Seiten besteht, auf einmal verschwinden lassen wird. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Erklärung von großer Bedeutung ist, vielleicht von größerer Bedeutung, als manchen von uns bewusst ist.“
Der Tenor der deutsch-tschechischen Erklärung: In ihrer Beziehung wollen die beiden Nachbarländer nicht mehr die Vergangenheit in den Vordergrund stellen mit den Gräueltaten der Deutschen während des Zweiten Weltkriegs und der anschließenden Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen. Nein, man wolle in die Zukunft schauen.

Noch lebende tschechische NS-Opfer entschädigen

Absatz 7 der seitenlangen Vereinbarung, an der Diplomaten und Völkerrechtler mehrere Jahre hinweg über jedes Wort verhandelten:
„Die deutsche Seite erklärt sich bereit, für diesen Fonds den Betrag von 140 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Die tschechische Seite erklärt sich bereit, ihrerseits für diesen Fonds den Betrag von 440 Millionen tschechischer Kronen zur Verfügung zu stellen. Über die gemeinsame Verwaltung dieses Fonds werden beide Seiten eine gesonderte Vereinbarung treffen.“
Eins der Ziele stand von Anfang an fest: Aus den Mitteln sollen die noch lebenden tschechischen NS-Opfer entschädigt werden. Der tschechische Botschafter Tomas Kafka, einer der Pioniere der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit, war 1997 an den Verhandlungen beteiligt, dann wurde er zum Co-Geschäftsführer des Zukunftsfonds.

Gemeinsame Projekte für die Zukunft unterstützen

Dass ein Tscheche und ein Deutscher gemeinsam das Sagen haben, gehört zum Prinzip. Für ein weiteres Prinzip setzte Kafka sich in der Anfangszeit selbst ein:
„Es ging darum, mehr Appetit auf die deutsch-tschechischen Beziehungen unter den Menschen zu erwecken und nicht bloß etwas zu tun, was eine Art Schlussstrich hinter die Geschichte machen wird. Der damalige Botschafter Jiri Grusa war sowieso von Anfang an davon überzeugt, dass wir anstatt eines Schlussstrichs oder eines Punkts eine Art Doppelpunkt anstreben sollten.“
Und so gibt es neben den Entschädigungen für die Opfer aus der Vergangenheit noch eine zweite Säule: die Unterstützung von Projekten für die Zukunft.

Viele tausend Projekte wurden in den vergangenen Jahren gefördert - Jugendaustauch, musikalische Begegnungen, Buchübersetzungen, Theaterfestivals, Forschungsvorhaben. Wichtigste Voraussetzung: An jedem einzelnen von ihnen arbeiten Tschechen und Deutsche gemeinsam. Der Kontakt über die Grenze hinweg soll selbstverständlich und ein Teil des Alltags werden. Und das klappt gut: Heute arbeiten freiwillige Feuerwehren zusammen, Bürgermeister kooperieren und Volksfeste locken Besucher aus beiden Ländern – vor 25 Jahren war das noch undenkbar.