Dienstag, 19. März 2024

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Tschechiens Europaminister Mikuláš Bek
„Mehr Rationalität in der tschechischen Europapolitik“

Die neue tschechische Regierung setze bei ihrer künftigen Europa-Politik stärker auf die Zusammenarbeit mit dem Westen, sagte der tschechische Europaminister Mikuláš Bek im Dlf. Beim Klimaschutz liege sein Land aber noch zurück. Tschechien werde für die Transformation daher mehr Zeit brauchen als andere.

Mikuláš Bek im Gespräch mit Peter Lange | 06.02.2022
Tschechiens neuer Europaminister Mikuláš Bek bei seiner Amtseinführung am 18.12.2021
Mikuláš Bek, neuer tschechischer Europaminister, sieht sich in der Tradition von Václav Havel (dpa / CTK / Michaela Rihova)
Seit dem 17. Dezember 2021 hat Tschechien eine neue Regierung. Die liberalkonservative Koalition unter Führung von Petr Fiala grenzt sich von ihrer populistischen Vorgängerregierung unter Andrej Babiš deutlich ab.
Weniger Emotionen, dafür mehr Argumente – das soll laut Mikuláš Bek die Leitlinie für die künftige Europa-Politik Tschechiens sein. Im Interview der Woche des Deutschlandfunks sagte der neue tschechische Europaminister, die Regierung sei sich einig, dass sie die europäische Politik ruhiger betreiben wolle als ihre Vorgänger. „Meine Aufgabe ist es, die Positionen der Tschechischen Republik besser vorzubereiten, als es früher der Fall war", so Bek. Man habe in Tschechien oft geklagt, dass es mit den europäischen Vorschlägen zum Beispiel beim Klimaschutz zu schnell gehe. „Aber man hatte keine Argumente oder alternative Szenarien, wie es eigentlich aus tschechischer Sicht gehen sollte. Also wir möchten mehr mit Daten und Analysen arbeiten.“
Tschechien trägt „Fit for 55“ grundsätzlich mit
Nach Angaben von Mikuláš Bek wird die neue Fünf-Parteien-Regierung unter Petr Fiala demnächst die bisherige Position Tschechiens zum EU-Programm „Fit for 55“ überarbeiten. Man werde das EU-Konzept nicht mehr grundsätzlich infrage stellen. Der Europaminister nannte in diesem Zusammenhang den Vorschlag, ab 2035 keine mehr Autos mit Verbrennungsmotoren zu produzieren. Diese Frist sei für Tschechien zu kurz. „Wir brauchen eigentlich Ausnahmen für Autos mit weniger CO2-Ausstoß, die billiger sind mit Benzin für die ärmeren Schichten der Bevölkerung. Das ist legitim, denke ich, weil natürlich das Niveau vom Einkommen her hier ein bisschen anders ist als in Deutschland.“
Tschechischer Energiemix sollte akzeptiert werden
Was die Europäische Klima- und Energiepolitik angeht, warb Bek um Respekt für den tschechischen Energiemix und unterstützte den Taxonomie-Entwurf der Europäischen Kommission. „Wir brauchen nicht nur das Gas wie Deutschland, sondern für die nächste Zeit auch die Kernenergie. In dieser Hinsicht sind wir in einer Koalition mit Deutschland in Richtung Gas und in einer anderen Koalition mit Frankreich Richtung Kernenergie.“

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Bek bemängelte allerdings eine zu starke Konzentration der tschechischen Energiedebatte auf die Atomkraft. Alternative Energiequellen wie Fotovoltaik und Windkraft seien vernachlässigt worden und sollten nun mit den Geldern des Corona-Wiederaufbaufonds rasch ausgebaut werden. Diese sollten zusammen mit Gas den rascheren Kohleausstieg ermöglichen. Der Bau neuer AKW-Meiler zielt laut Bek auf die Zeit nach 2040. Es sei nicht beabsichtigt und auch nie diskutiert worden, betonte der Minister, europäisches Geld in die Kernenergie in Tschechien zu investieren.
Europapolitik in der Tradition von Václav Havel
Für den tschechischen Europaminister bedeutet die Ratspräsidentschaft seines Landes im zweiten Halbjahr 2022 die Chance, „in Europa strengere Bindungen“ zu bauen. „Tschechien hat sich ziemlich lange zu viel auf die Zusammenarbeit mit der Visegrad-Gruppe konzentriert. Und wir sehen die Präsidentschaft als Gelegenheit, endlich auch im Westen eine normale Zusammenarbeit auszubauen“, sagte Bek. Die Mehrheit der Politiker, die heute in der Regierung in Prag seien, sei in den 1990er-Jahren von den Idealen von Václav Havel ausgegangen. Mit Blick auf den Konflikt in der EU um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn, meinte der Europaminister, es sei klar, dass beide Länder in den letzten Jahren eine Orientierung genommen hätten, die für die Slowakei und Tschechien nicht akzeptierbar sei. Seinem Land komme hier eine Vermittlerrolle zu.
Intensiver Dialog mit Berlin
Die neue Regierung in Prag geht laut Mikuláš Bek davon aus, dass die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung in Berlin so gut und vertrauensvoll bleibt wie bisher. Auch in der Beteiligung der Grünen mit ihren anderen Vorstellungen zur Klima- und Energiepolitik sieht er kein Problem. „In einigen Themen wie Russland und Nord Stream sind die deutschen Grünen der tschechischen Regierung sehr nahe“, erklärte Bek. „Ich hoffe, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen weiter sehr freundlich sein werden, obwohl wir Unterschiede haben im Bereich Kernenergie. Aber wir müssen sehr aufrichtig sein und erklären, warum eigentlich die tschechische Position in einigen Punkten anders ist als die deutsche oder die österreichische.

Das Interview im Wortlaut:

Peter Lange:  Herr Minister Bek, wie wird sich die Europapolitik Tschechiens unter der neuen Regierung verändern? Was ist aus Prag künftig zu erwarten?
Mikuláš Bek:   Ich denke, die Regierung ist ganz einig in der Sache, dass wir eigentlich die europäische Politik irgendwie ruhiger betreiben sollten als die frühere Regierung, dass wir in die Debatte mehr Argumente und weniger Emotionen bringen sollten. Das ist die Grundstimmung in der Regierung, und meine Aufgabe ist eigentlich, die Positionen der Tschechischen Republik besser vorzubereiten, als es früher der Fall war, weil man hatte in Tschechien oftmals geklagt, dass die europäischen Vorschläge zum Beispiel im Bereich Klimaschutz zu schnell gehen, aber man hatte keine Argumente oder alternative Szenarien dafür, wie es eigentlich von der tschechischen Sicht passieren sollte. Also, wir möchten mehr mit Daten und Analysen arbeiten. Ich bin ursprünglich ein Akademiker, und der Premierminister ist auch ein Rektor Emeritus, also, für uns ist diese Art der Politik natürlich. Also, wir möchten mehr Rationalität in die tschechische Politik bringen, was vielleicht ein Traum ist, aber wir glauben, wir können doch was machen.
Lange:   Aber das hört sich für mich, dass das mehr eine Stilfrage ist, weniger eine Substanz, oder?
Bek:   Aber es kann natürlich auch die Positionen schrittweise ändern. Wenn wir zum Beispiel über das Klima sprechen, dann gab es in Tschechien offensichtlich Befürchtungen, dass eigentlich für die Autoindustrie diese Politik schwere Folgen haben wird, und man kann vielleicht mit besseren Analysen der Folgen für die Industrie zeigen, dass es nicht so ernst ist und dass wir es einfach schaffen können, kompliziert schaffen können, wenn wir gezielt das Geld jetzt von europäischen Fonds besser investieren.
Lange:   Aber den Ton der Sorge höre ich beim Premierminister schon raus, dass es alles doch unter Zeitdruck ist und dass das mit den Autos und so weiter schwierig wird.
Bek:   Es gibt bei uns eine Debatte in der Regierung. Es ist ganz klar, dass die Parteien verschiedene Ansichten haben in dieser Hinsicht. Unser Industrieminister hat sich viel positiver geäußert in dieser Hinsicht. Die Debatte wird ganz bald stattfinden, weil wir müssen eigentlich die Positionen der Regierung revidieren. Die waren im letzten Jahr formuliert, und wir müssen das Fit-for-55-Paket eigentlich neu formulieren. Die Debatte wird sicher schwierig sein, aber ich hoffe, dass die Resultate doch viel offener sein könnten als die früheren.

Ausnahmen bei Klimaschutzregelungen

Lange:   Das heißt, dieses Programm 55 wird nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt?
Bek:   Genau und ich glaube, man kann natürlich zu Folgen kommen, dass zum Beispiel für uns die Frist bis 35 zu kurz ist, dass wir eigentlich Ausnahmen brauchen für die Autos mit weniger Kohlenstoffproduktion, die billiger sind mit Benzin für die ärmeren Schichten der Bevölkerung, das ist legitim, denke ich, weil natürlich das Niveau vom Einkommen hier ein bisschen anders ist als in Deutschland. Also, wir müssen auch an die sozialen Folgen denken, aber das ist schon eine andere Debatte als ein prinzipielles Nein.

Rolle der Kernenergie in Tschechien

Lange:   Jetzt haben Sie das Thema Klima schon selbst genannt. Welche Position hat die Tschechische Republik jetzt unter der Regierung Fiala bei dieser europäischen Klima- oder Energiepolitik?
Bek:   Wir brauchen natürlich eine Lösung zum Beispiel in Fragen der Taxonomie und der Unterstützung von energetischen Quellen, die eigentlich den tschechischen energetischen Mix respektiert, und Tschechien ist sicher in einer unikaten oder speziellen Position. Wir brauchen nicht nur Gas wie Deutschland, aber für die nächste Zeit brauchen wir auch die Kernenergie. Es gibt einen Konsensus darüber, und in dieser Hinsicht sind wir eigentlich in einer Koalition mit Deutschland in Richtung Gas und in einer anderen Koalition mit Frankreich Richtung Kernenergie, aber das ist legitim. Man muss sagen, dass Tschechien einfach in den letzten zehn Jahren in eine Sackgasse ging, dass wir eigentlich keine Kernenergiequelle gebaut hatten. Wir haben leider die erneuerbaren Quellen vernachlässigt, und Wasserstofftechnologien sind auch unentwickelt im Moment. Also, wir müssen ganz klug jetzt investieren und eine Lösung finden. Das wird nicht einfach sein, das ist sicher, aber ich hoffe, dass wir eine Lösung finden, die uns ermöglicht, mit der neuen Taxonomie zu leben.
Lange:   Die Taxonomie geht ja in Ihre Richtung, wenn ich das richtig sehe, aber Sie haben trotzdem Einwände, warum?
Bek:   Na ja, das ist eigentlich so, was Gas betrifft, ist es ganz ähnlich wie in Deutschland, weil 30 Prozent von Wasserstoff oder Erneuerbaren bis zum Jahr 26, das ist wahrscheinlich sehr anspruchsvoll mindestens, nicht unmöglich, aber sicher sehr anspruchsvoll, und das ist eigentlich der Wunsch der tschechischen Regierung, aber ich muss sagen, ich bin ganz realistisch. Ich bin mir dessen bewusst, dass es eigentlich verschiedene Ansichten in Europa gibt und schon der Vorschlag ist ein Kompromiss, und es kann sehr einfach passieren, dass es zu keiner Veränderung kommt. Also, dann müssen wir damit einfach leben.
Lange:   Aber bei Kernenergie gibt es ja drei Punkte, die Frage, wann ein Endlager fertig sein muss, die Frage, darf man in die alten Meiler noch investieren und die Frist, bis zu der noch neue Meiler genehmigt werden, die eine Baugenehmigung haben müssen. Warum ist das für Sie so ein Problem?
Bek:   Es gibt in der Frage der Lagerung technische Einwände, die eigentlich sagen, man braucht eine kritische Masse, die sich lohnt, langfristig zu lagern. Es gibt Meinungen, die sagen, dass wenn wir jetzt die Frist schon auf das Jahr 50 setzen, dann ist es eigentlich für die finanzielle Planung schon ungünstig. Also die tschechische Regierung hat eine Position formuliert, die eigentlich ähnlich ist in einigen Hinsichten wie von anderen nuklearen Ländern, aber wie schon gesagt, realistisch gesehen sehe ich keine große Chance, dass man damit Erfolg hat, weil wir verstehen, dass Österreich und Luxemburg zum Beispiel sehr negative Stellungnahmen dazu nehmen.

Die Bedeutung der EU-Taxonomie

Lange:   Aber ich habe es noch nicht so ganz verstanden. Das ist ja nur ein Label der EU-Kommission, um privaten Investoren ein Signal zu geben. Warum ist das so wichtig?
Bek:   Weil natürlich die Taxonomie die finanziellen Bedingungen für die Investierungen beeinflusst, und wenn die Bedingungen in der Taxonomie zu streng sind, dann werden die Investitionen teurer und teurer. Es ist eine Frage des Geldes eigentlich. Die Taxonomie beeinflusst eigentlich die Möglichkeiten der Finanzierung von Privatquellen, und wenn die Bedingungen nicht günstig genug sind, dann muss eigentlich wahrscheinlich der Staat einspringen, weil zum Beispiel, das ist schon der Fall in Deutschland mit der strategischen Reserve von Kohlkraftwerken, müssen wir etwas Ähnliches tun wahrscheinlich, weil man sonst die Kraftwerke ganz privat wahrscheinlich nicht mehr betreiben und in der Reserve halten kann. Also, der Staat wird sich wahrscheinlich mehr engagieren in der Energetik als früher.
Lange:   Der frühere Ministerpräsident Babiš hat sich darüber beklagt, dass man CEZ, den Atomkraftbetreiber hier in Tschechien, besser nicht hätte privatisieren sollen, weil die privaten Miteigentümer doch Probleme haben mit der Langfristigkeit, mit Risiken und den Kosten. Herr Bek, ist der Bau von Atomkraftwerken überhaupt von privaten Investoren zu stemmen oder muss das der Staat machen?
Bek:   Ich denke, in dieser Transitionszeit in den nächsten 10, 15 Jahren kann man erwarten, dass die Staaten sich mehr in der Energetik engagieren, in Europa generell, weil aus Privatquellen kann man diese Phase ziemlich kompliziert finanzieren.
Lange:   Das heißt, als Investor wird am Ende der tschechische Staat eintreten?
Bek:   Ja, kann sein, entweder als der, der eigentlich die Investitionen garantiert oder direkt investiert, beide Möglichkeiten sind wahrscheinlich meiner Meinung nach.

EU-Gelder in erneuerbare Energien stecken

Lange:   Gibt es aus Ihrer Sicht einen Zusammenhang zwischen diesen Taxonomiefragen und diesem Corona-Wiederaufbaufonds? Da gibt es ja ein Drittel der Gelder, die in klimafreundlichere Maßnahmen eingesetzt werden sollen. Ist das eine Überlegung bei Ihnen?
Bek:   Sicher, das ist eine Chance. Leider, wenn man guckt, wie eigentlich die Produktion von zum Beispiel erneuerbaren Quellen funktioniert, dann ist die tschechische Industrie nicht besonders stark. Also, man braucht neue Investierungen, um eigentlich die Gelegenheit zu nutzen.
Lange:   Das heißt, das Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds soll eher in die erneuerbaren Energien gehen als in die Atomkraft?
Bek:   Meiner Meinung nach ja, weil die Investierungen in die Kernenergie bringen die Resultate in 15 oder 20 Jahren. Also meiner Meinung nach brauchen wir jetzt die Lösungen für diese Dekade, für die 20er Jahre, weil, das wird sicher die schwierigste Periode sein. Wenn wir jetzt mit einer Investierung im Kraftwerk Dukovany beginnen, dann kommt die Energie um das Jahr 40 praktisch. Also, das ist keine Lösung für die heutige Situation und für die nächsten 10 Jahre.
Das Kohlekraftwerk Melnik III wurde bereits im August letzten Jahres geschlossen und soll auf erneuerbare Energien umgerüstet werden
Das Kohlekraftwerk Melnik III wurde bereits im August letzten Jahres geschlossen und soll auf erneuerbare Energien umgerüstet werden (dpa / CTK / Roman Vondrous)

Tschechiens kurzfristige Lösung ist Gas

Lange:   Bisher war ja der Ausstieg aus der Kohle gekoppelt an Dukovany, wenn Sie sagen, Energie kommt im Jahr 2040
Bek:   Und das ist sicher falsch. Ich protestiere immer, ich war der Senator, der auch im Senat eigentlich den Vorschlag für die Abneigung des Werks Dukovany vorgelegt hatte, und ich denke, dass wir realistisch sein müssen. Kernenergie in Tschechien funktioniert, aber es sind nur 15 Prozent von der Produktion, und eigentlich bedeuten alle Pläne nur einen Ersatz für die alten nuklearen Quellen, aber das ist keine Expansion von dem Sektor, und wenn wir jetzt beginnen, dann kommen eigentlich die Ergebnisse ganz spät. Wir brauchen jetzt eine Lösung für den Ausstieg aus der Kohleenergie, und die Situation ist sehr ähnlich zu Deutschland. Die einzige Lösung für die nächsten Jahre ist Gas, das ist völlig klar, für mich zumindest. Man hat im öffentlichen Raum zu viel über die Kernenergie gesprochen, aber das ist eine mittelfristige oder langfristige Lösung, aber die kurzfristige Lösung ist Gas.

"Jetzt sehr schnell in Photovoltaik und Wind investieren"

Lange:   Und das, was wir unter erneuerbaren Energien verstehen, das kommt hier auch zu spät?
Bek:   Nein, es ist sicher so, dass es leider bei uns um 2010 zu einem Skandal kam mit der zu hohen Unterstützung für die Photovoltaik, und man hat für viele Jahre eigentlich den Ausbau gestoppt, und man muss jetzt sehr schnell in Photovoltaik und Wind investieren. Man sagt manchmal, dass die geografischen Bedingungen in Tschechien nicht günstig sind, aber das ist meiner Meinung nach auch falsch, weil wir sind sehr weit von dem Maximum, das durch die Natur gegeben wurde. Also, wir müssen jetzt so schnell wie möglich eigentlich die erneuerbaren Quellen bauen, aber das genügt nicht. Wir brauchen auch Gas als Ersatz für Kohle.
Lange:   Ich habe oft das Argument gehört, in Tschechien gibt es nicht genug Wind, hatte auch immer den Eindruck, man will sich die Landschaft nicht mit diesen Windrädern zubauen…
Bek:   Das ist problematisch in der Hinsicht, es ist schwierig, die Möglichkeiten zu finden zu bauen, weil die Gemeinden protestieren natürlich, weil es zu laut ist und so weiter. Sie kennen wahrscheinlich dieselbe Diskussion in Bayern. Also, das ist nicht einfach, also mit Wind ist das komplizierter als mit Sonne. Natürlich gibt es eine natürlich gegebene Grenze, aber wir sind so weit von der Grenze, dass wir einfach investieren müssen und dann können wir nach zehn Jahren gucken, ob es neue Technologien gibt und ob es sich lohnt, auch irgendwo anders zu bauen, aber ich meine, wir müssen wirklich sehr schnell die erneuerbaren Quellen bauen.

Keine EU-Gelder in die Kernenergie investieren

Lange:   Darf ich noch mal ganz kurz zurückkommen auf diesen Zusammenhang von Taxonomie und Corona-Wiederaufbaufonds, Sie haben gesagt, das ist zumindest eine Möglichkeit, drüber nachzudenken, dass man Geld aus diesem Fonds auch in Kernenergie hineingibt. Ist das rechtlich zulässig?
Bek:   Ich denke, das ist keine Möglichkeit.
Lange:   Keine Möglichkeit.
Bek:   Keine Möglichkeit, das wird sicher nicht passieren. Man hat in Tschechien nie ernst eine Möglichkeit debattiert, das Europageld in die Kernenergie zu investieren. Die Debatte war immer über die tschechischen Quellen, nicht über die europäischen.

Erwartungen an die EU-Ratspräsidentschaft

Lange:   Sie haben jetzt demnächst die EU-Ratspräsidentschaft. Ihre Vorgänger haben immer den Eindruck erweckt, dass das wieder so eine ungeliebte Pflichtnummer ist, man hätte es am liebsten abgegeben. Welchen Stellenwert hat diese Ratspräsidentschaft jetzt für die neue Regierung?
Bek:   Für uns ist es sicher eine Priorität, weil, wir sehen das als eine Gelegenheit eigentlich, in Europa strengere Bindungen zu bauen. Tschechien hat sich ziemlich lange Zeit zu viel auf die Zusammenarbeit mit der Visegrád-Gruppe konzentriert, und wir sehen sicher die Präsidentschaft als eine Gelegenheit, endlich auch im Westen normale Zusammenarbeit auszubauen. Die neue Regierung hat natürlich relativ begrenzte Möglichkeiten jetzt, das Budget zum Beispiel zu verändern. Wir werden es doch machen, aber viele Ereignisse oder Tagungen sind schon geplant, und eigentlich ist es jetzt sehr schwierig, diese Lokation zu ändern. Also, wir werden versuchen, einige Möglichkeiten zu finden, einige Tagungen in die Regionen zu bringen, um eigentlich auch für die Öffentlichkeit die Präsidentschaft sichtbar zu machen, weil, bisher ist alles nur in Prag geplant, und das macht auch für die Medien wenig Sinn, weil es einfach schon eine Routine sein wird nach ein paar Tagungen. Also, wir verhandeln mit Regionen über die Möglichkeit, doch etwas auch nach Aussig oder Brünn oder Ostrava zu bringen.

"Wir sind eigentlich die Studenten des Jahres 89"

Lange:   Gibt es ein Motto, ein übergeordnetes Thema?
Bek:   Ich habe was im Kopf. Ich habe jetzt von dem Chef der Bibliothek ein Buch von Václav Havel gekriegt mit Essays. Es ist genannt Europe as Task, Europa als Aufgabe, und das scheint mir ein schönes Motto zu sein. Ich muss es noch mit meinen Kollegen diskutieren, aber das könnte vielleicht für uns ganz nützlich sein.
Lange:   Es heißt, über Europapolitik wird sich ja auch ein bisschen an dem Erbe von Václav Havel orientiert.
Bek:   Das wird sicher sein. Die Mehrheit von Politikern, die heute in der Regierung sitzen oder in der Koalition, ist eigentlich meistens von diesen Idealen ausgegangen in den 90er-Jahren, auch was das Alter von mehreren von uns betrifft. Wir sind eigentlich die Studenten des Jahres 89, viele von uns, ziemlich viele.
Lange:   Mit der Vergangenheit eines Herrn Babiš nicht mehr belastet oder anderer.
Bek:   Die werden natürlich irgendwie noch immer, aber wir repräsentieren eigentlich meistens die Leute, die in der Veränderung, in der Wende eine Gelegenheit sahen, eine unerfüllte Aufgabe noch immer, und dazu melden wir uns ganz, ganz klar.

Orienterung von Polen und Ungarn für Tschechien nicht akzeptierbar

Lange:   Da werden Sie über kurz oder lang in der Visegrád-Gruppe ein bisschen Schwierigkeiten haben mit den Partnern …
Bek:   Nein, nein, nicht Schwierigkeiten, das ist völlig klar, dass eigentlich die Visegrád-Gruppe eine gut institutionalisierte Gruppe und Zusammenarbeit repräsentiert, und es gibt bessere und schwächere Zeiten für alle solche Gruppierungen. Alles ist davon abhängig, wie viel gemeinsame Punkte wir finden, und in den letzten Jahren ist es klar, dass eigentlich Polen und Ungarn eine Orientierung genommen haben, die für Slowakei und Tschechien nicht identisch oder akzeptierbar ist. Jetzt haben wir irgendwie eine Zwei-und-zwei-Gruppe in mehreren Themen. Das bedeutet nicht, dass es doch Themen sind, in denen wir sehr gut zusammenarbeiten können, aber das ist eine Realität.
Polens Premierminister Mateusz Morawiecki (L) und Ungarns Premierminister Viktor Orban (R) beim Handschlag während einer Pressekonferenz im ungarischen Parlament in Budapest am 3. Januar 2018.
Die Premierminister Polens Mateusz Morawiecki (L) und Ungarns Viktor Orban (R) (AFP/Attila Kisbenedek)
Lange:   Aber das heikelste Thema bleibt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Bek:   Rechtsstaatlichkeit, genau.
Lange:   Da kommen Sie jetzt in die Rolle der EU-Ratspräsidentschaft und die zuständige Kommissarin ist eine Tschechin. Also, heikler kann es kaum werden, oder?
Bek:   Na ja, wir müssen aufrichtig sein und unseren Kollegen sagen, das haben wir schon in der Geschichte mitgemacht. Ich war Mitglied des Europaausschusses des Senats, und wir haben uns regelmäßig im Format Visegrád-Gruppe getroffen mit Europaausschüssen von Parlamenten, und schon damals war es völlig klar, dass eigentlich in einigen Themen die Tschechen und Slowaken andere Ansichten haben, und das werden wir weitermachen, freundlich, aber ganz klar, und wir sollten nicht die Richter sein, das ist auch klar. Das ist wahrscheinlich nicht die Aufgabe von Tschechien während der Präsidentschaft, aber wir müssen versuchen, einige Lösungen zu finden. Vielleicht passiert es schon während der französischen Präsidentschaft, aber es kann auch sein, dass die Wahlen in Ungarn eine Beruhigung der Situation bringen. Wir werden sehen.

Tschechien will Vermittler sein

Lange:   Also, Ihre Rolle ist auf jeden Fall mehr ein Vermittler?
Bek:   Genau, das ist die Aufgabe der Präsidentschaft.
Lange:   Jetzt haben wir in Berlin gerade auch eine neue Regierung, die auch dabei ist, sich zu finden. Wird das Verhältnis jetzt mit grüner Beteiligung und unter dem, was wir vorhin besprochen haben, Energiepolitik, etwas komplizierter oder sehen Sie das entspannt?
Bek:   Ich habe schon mit meiner Kollegin Frau Lührmann gesprochen bei einer Videokonferenz, und ich denke, in einigen Themen sind die deutschen Grünen der tschechischen Regierung ziemlich nahe.
Lange:   Zum Beispiel?
Bek:   Zu Russland und Nord Stream, und wir müssen einfach normal weiter diskutieren mit Kollegen in Berlin. Wir sind uns dessen bewusst, dass der Weg aus Prag nach Berlin politisch über Dresden und München führt, noch immer, obwohl die Koalitionen anders aussehen, aber die Interessen, die sind nah, und wir müssen darauf aufbauen und mit der deutschen Regierung einen intensiven Dialog betreiben. Das wollen wir machen, und ich hoffe, dass ich in kurzer Zeit nach Berlin fahre, um weiter auch über das Thema der Präsidentschaft zu sprechen. Wir möchten ein bisschen lernen von deutschen Kollegen, die damit beauftragt waren, und ich hoffe, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen weiter sehr freundlich sein werden, obwohl wir Unterschiede haben im Bereich Kernenergie, aber wir müssen sehr aufrichtig sein und erklären, warum eigentlich die tschechischen Positionen zu Energetik in einigen Hinsichten anders sind als die deutschen oder österreichischen.
Lange:   Ich habe ja im letzten Halbjahr oft gehört, wir werden Frau Merkel noch vermissen, weil die neue Regierung nicht mehr diesen direkten Bezug zu dem Land hat. Glauben Sie das?
Bek:   Ich glaube an solche Momente nicht. Ich denke, wir sind alle professionell und ob die Politiker irgendeine persönliche Bindung zu einem anderen Land haben oder nicht, das kann keine große Rolle spielen. Es wird überschätzt, meine ich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.