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Diätenerhöhung
"Was ist das für ein Signal?"

Zum 1. Juli sollten die Diäten der Bundestagsabgeordneten von 8252 Euro auf 8667 Euro monatlich erhöht werden. Doch das könnte ausfallen, denn Bundespräsident Joachim Gauck zögert mit seiner Unterschrift unter das Gesetz. Der Bundespräsident wolle das Vorhaben noch weiter "juristisch prüfen", wie eine Sprecherin gegenüber der "Bild"-Zeitung sagte.

Britta Haßelmann im Gespräch mit Friedbert Meurer | 30.06.2014
    Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, spricht bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags im Reichstagsgebäude in Berlin.
    Britta Haßelmann kritisiert die vom Bundestag beschlossenen Diätenerhöhungen. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Grünen-Geschäftsführerin Britta Haßelmann begrüßt das ausdrücklich, denn das Gesetz sei von der Großen Koalition geradezu "durchgepeitscht" worden. Wie beim EEG-Gesetz und dem Mindestlohn mangele es an Sorgfalt bei der Umsetzung.
    Die Hauptkritik sehen die Grünen aber am "grundsätzlichen Signal" einer solchen Erhöhung. Auf gar keinen Fall dürfe es eine Erhöhung von zehn Prozent innerhalb von sieben Monaten geben, sagte Haßelmann im DLF. Damit könne man in der Bevölkerung keine Akzeptanz für die grundsätzliche Höhe der Abgeordnetendiäten gewinnen.
    "Wir vollziehen keinen Systemwechsel," kritisierte Haßelmann weiter. Die umfangreichen Vorschläge einer unabhängigen Expertenkommission hätten in der kurzen Zeit nicht geprüft werden können. Auch die grundsätzliche Frage, ob die Abgeordneten selbst ihre Diäten festlegen könnten und sollten, sei nicht behandelt worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Es ist immer wieder ein unerfreuliches Thema. Wenn es um die Diäten der bundestagsabgeordneten geht, dann sehen viele im Land rot. Von gierigen Berufspolitikern ist die Rede, die nur an ihr Einkommen dächten, und von Selbstbedienung der Abgeordneten. Jetzt sollen die Diäten angehoben und dann an die normale Lohnentwicklung gekoppelt werden, weil das doch die beste und einfachste Lösung sei.
    O-Ton Thomas Oppermann: "Die Abgeordneten nehmen teil an der Lohnentwicklung normaler Arbeitnehmer in Deutschland. Ich glaube, das ist gut, das ist nur gerecht."
    O-Ton Gregor Gysi: "Das ist eine gigantische Steigerung der Diäten, die zur Entwicklung der Löhne, der Renten, der Sozialleistungen in Deutschland überhaupt nicht passen will."
    O-Ton Katrin Göring-Eckardt: "Dass hier ein Gesetz innerhalb von faktisch einer guten Woche durchgepeitscht werden soll, das halte ich im demokratischen Verfahren nicht für akzeptabel."
    Meurer: Das waren Stimmen aus der Bundestagsdebatte vom Februar. – Eigentlich sollen morgen die Diäten der Bundestagsabgeordneten um etwa 400 Euro ansteigen, nächstes Jahr dann noch einmal um 400 Euro. Aber daraus wird wohl nichts, zumindest zunächst einmal nicht. Bundespräsident Joachim Gauck hat das Gesetz noch nicht unterschrieben. Die Juristen prüften noch. Es riecht nach einem Einspruch durch den Bundespräsidenten.
    Eine Prüfung der Diäten ist noch keine Blockade, heißt es im Bundespräsidialamt. Aber zumindest werden nicht wie geplant jetzt zum 1. Juli die Diäten der Abgeordneten angehoben. – Britta Haßelmann ist die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, die das Diätengesetz im Februar abgelehnt haben. Guten Morgen, Frau Haßelmann.
    Britta Haßelmann: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Wollen Sie nicht mehr Geld verdienen?
    Haßelmann: Ich habe mich seit dieser Zeit, in der das vorgelegt wurde – das war im Februar -, dafür eingesetzt, dass wir das sorgfältig prüfen. Natürlich haben die Abgeordneten wegen der Freiheit des Mandates, der Unabhängigkeit, der Frage der Bestechlichkeit das Recht auf eine angemessene Ausstattung. Aber wie hoch die ist, darüber wird ja seit Jahren gestritten, und auch über die Frage, müssen Abgeordnete, dürfen Abgeordnete dies selbst festlegen.
    Deshalb hatten wir als Fraktion, als Grüne so eine hohe Erwartung an den Bericht der Expertenkommission, externe Experten, Verfassungsjuristen, die anderthalb Jahre lang getagt haben in 17 Sitzungen. Die haben uns einen Bericht vorgelegt und sehr viele Vorschläge gemacht. Da ist eine grundsätzliche Orientierung an einem Richtergehalt, wie es auch in Ihrem Beitrag gerade vorkam, zwar vorgesehen. Aber die Eile, mit der das jetzt wieder durch den Bundestag gepeitscht wurde von Seiten der Großen Koalition, ist natürlich völlig unangemessen gewesen. Wir hatten zu wenig Beratungszeit. Anscheinend ist nicht gründlich geprüft worden, genau.
    "Auf keinen Fall eine Erhöhung von zehn Prozent in sieben Monaten"
    Meurer: Man wollte das vielleicht direkt am Anfang der Legislaturperiode abräumen. – Wir reden hier über verschiedene Dinge. Reden wir mal übers Geld: 400 Euro mehr. Was hätten Sie denn für angemessen gehalten?
    Haßelmann: Wir haben gesagt, eine grundsätzliche Orientierung an R6 geht, an diesem Richtergehalt, an dieser Einstufung, da wir einen großen Entscheidungsrahmen bei Gesetzgebungskompetenzen haben, aber auf gar keinen Fall eine Erhöhung von zehn Prozent innerhalb von sieben Monaten. Das ist nämlich Bestandteil des Gesetzes.
    Meurer: 400 Euro wäre okay gewesen, aber nicht zweimal 400 Euro, nämlich nächstes Jahr auch noch?
    Haßelmann: Wir haben uns nicht auf eine Summe festgelegt, aber wir haben gesagt, man kann das anstreben im Laufe der Legislaturperiode, aber nicht innerhalb von sieben Monaten zehn Prozent. Was ist das für ein Signal an die normale Arbeitnehmerschaft, an die Frage von Lohnentwicklung? Das haben wir für falsch gehalten, genau.
    Meurer: Union und SPD, Frau Haßelmann, sagen, es hat ja mehrere Jahre Nullrunden gegeben, das holen wir jetzt nach.
    Haßelmann: Ja, gut, das holen wir jetzt nach. Zehn Prozent innerhalb von sechs oder sieben Monaten haben wir als Grüne für falsch gehalten, weil wir gesagt haben, das ist nicht vermittelbar. Wir koppeln uns mit so einem Schritt davon ab und gewinnen keine Akzeptanz für die grundsätzliche Höhe der Abgeordnetenentschädigung. Unser Hauptkritikpunkt zielte aber vor allen Dingen auf die Altersversorgung, die Altersentschädigung, und hier hatten wir in der Kürze der Beratungszeit überhaupt keine Gelegenheit, auch diesen Bericht der Expertenkommission in Ruhe zu diskutieren, denn da gab es unterschiedliche Auffassungen, ob wir uns nicht viel stärker anpassen müssen an die gesetzliche Rentenversicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dieser Schritt ist versäumt worden.
    "Wir vollziehen keinen Systemwechsel"
    Meurer: Damit waren Sie nicht einverstanden. Jetzt sagt die Große Koalition, zehn Prozent mehr Diäten, aber dafür machen wir ja Abstriche bei der Altersversorgung.
    Haßelmann: Ja, wir gehen nicht in ein anderes System. Wir vollziehen keinen Systemwechsel. Wir orientieren uns nicht an der gesetzlichen Rente. Wir prüfen nicht einmal, ob nicht ein Systemwechsel möglich wäre in die gesetzliche Rentenversicherung, so wie das auch zum Teil vorgeschlagen wurde von Expertinnen und Experten. Es gibt eine ganz kleine Veränderung, dass Altersbezüge in Bezug auf die Frage, gehen die schon mit 57 oder mit 73 abschlagsfrei, da ist eine Kleinigkeit geändert worden. Das hat uns überhaupt nicht gereicht in der Sache. Wir wollten, dass dieses Bausteinmodell aus der Expertenkommission, Annäherung an die gesetzliche Rentenversicherung, geprüft wird. Auch dafür hatten wir keine Zeit, denn innerhalb von einer Woche ist das Gesetz im Hau-Ruck-Verfahren durchgezogen worden, und das ist im Kern, glaube ich, eines der zentralen Probleme, was jetzt die Große Koalition einholt, diese Hau-Ruck-Verfahren, das Parlament nicht ausreichend zu beteiligen, die mangelnde Sorgfalt. Das zeigt sich nicht nur beim Abgeordnetengesetz, das zeigt sich auch jetzt wieder beim EEG und beim Mindestlohn, und das ist einfach ein Problem.
    Meurer: Geht es Ihnen darum, der Großen Koalition zu zeigen, wir lassen uns hier nicht einfach abbügeln und von der großen Mehrheit unterwerfen?
    Haßelmann: Wir hatten zentrale inhaltliche Kritikpunkte: die Erhöhung zehn Prozent innerhalb von sieben Monaten, die Frage der Altersversorgung, die Frage des Beratungsverfahrens im Hau-Ruck-Verfahren durchgezogen. Das waren die drei kritischen Punkte, weshalb wir dem Gesetz nicht zugestimmt haben, und das ist ein generelles Problem der Großen Koalition, die Ignoranz und die zu wenig Sorgfalt, die hier aufgeboten wird, wenn es um komplexe Gesetzgebungsverfahren geht, und das holt die Große Koalition jetzt an diesem Punkt Abgeordnetengesetz ein, denn anscheinend ist ja eine verfassungsrechtliche Prüfung auf der Strecke geblieben. Hier galt der Grundsatz ...
    Meurer: Das wird ja bestritten. Es geht jetzt immer um diesen Punkt Anpassung der Diäten an die Lohnentwicklung. Gerade haben Sie die zehn Prozent gebrandmarkt. Dann müssten Sie doch sagen, das ist doch eine gute Idee, Anpassung an die Lohnentwicklung; dann sind es nicht zehn Prozent, sondern 1,2, 1,5 Prozent, das bleibt im Rahmen.
    Keine Klärung grundsätzlicher Fragen
    Haßelmann: Ja, gut. Aber die Frage ist, die wirft sich ja jetzt anscheinend auf: Ist das verfassungsrechtlich so in Ordnung und vereinbar mit dem Grundsatz, dass wir als einzelne Abgeordnete jeder Zeit im Parlament geradezustehen haben und transparent machen müssen, welche Entscheidungen wir treffen? Und das ist natürlich gerade im Bezug auf die Frage der Diäten, der Abgeordnetenentschädigung ganz wichtig. Ich will da einer Prüfung nicht vorweggreifen. Ich habe es verfassungsrechtlich nicht geprüft, aber es ist anscheinend nicht mit aller Sorgfalt erfolgt, und das ist das Problem der Großen Koalition, vor dem wir jetzt gerade stehen.
    Meurer: Die Bundestagsabgeordneten müssen, sie sind sozusagen dazu verdammt, selber über ihre Diätenanhebung zu entscheiden. Man hat ja den Eindruck, geradezu verzweifelt sucht man da nach einem Ausweg. Haben Sie denn einen Gegenvorschlag, wie man das machen kann, dass sie nicht selbst entscheiden, damit ihnen nicht vorgeworfen wird, wir bedienen uns selbst?
    Haßelmann: Nein. Wir fanden die Idee, eine Expertenkommission einzusetzen, wie das in der 17. DP erfolgt ist, richtig, haben gesagt, die Ergebnisse, die in einem umfangreichen Bericht vorliegen, prüfen wir sorgfältig, am Ende müssen wir als Abgeordnete entscheiden und das Parlament muss das transparent gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern machen. Das war unser Grundsatz, mit dem wir in die Beratung gegangen sind.
    Meurer: Die Diäten der Bundestagsabgeordneten werden erst einmal nicht angehoben. Bundespräsident Joachim Gauck hat das Gesetz noch nicht unterschrieben, und das ist gut so, sagt Britta Haßelmann, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Frau Haßelmann, danke und auf Wiederhören!
    Haßelmann: Ja, auf Wiederhören.