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"Eine reine Verhandlungslösung im Norden" von Mali ist unrealistisch

Das militärische Vorgehen durch französische Truppen in Mali war notwendig, sagt Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dieses Eingreifen müsse aber in einen politischen Prozess eingebettet sein. Es werde eine Regierung in der Hauptstadt Bamako benötigt, die mit den Gruppen im Norden verhandele.

Wolfram Lacher im Gespräch mit Silvia Engels | 15.01.2013
    Silvia Engels: Seit dem Eingreifen der französischen Truppen beschäftigt der Konflikt in Mali die Europäer wieder intensiver. Dem Vernehmen nach ist die deutsche Seite bereit, die französischen Truppen unter anderem mit Transall-Transportmaschinen zu unterstützen. Was an weiteren Schritten geplant ist, ist offen. Über ein gemeinsames Vorgehen der EU werden unter anderem die Außenminister noch in dieser Woche beraten, wahrscheinlich am Donnerstag. Doch wohin dieser Konflikt in der Sahelzone am Ende militärisch und politisch treiben wird, das ist schwer einzuschätzen. In der Nacht flog die französische Luftwaffe weitere Angriffe.

    Mitgehört hat Wolfram Lacher, er ist Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik für genau diese Region im nördlichen Afrika. Guten Tag, Herr Lacher!

    Wolfram Lacher: Guten Tag!

    Engels: Welche Erkenntnisse haben Sie zur militärischen Lage in Mali?

    Lacher: Sie haben ja im Norden Malis im Wesentlichen drei bewaffnete Gruppen. Zwei davon können Sie klar als Extremisten bezeichnen. Eine gibt sich einen islamistischen Anschein und ist eng mit den beiden anderen verbündet. Und diese Gruppen haben seit dem Militärputsch im letzten März weite Teile des Nordens kontrolliert, teilweise mit der Unterstützung lokaler Verbündeter.

    Engels: Können denn diese französischen Luftschläge dauerhaft die islamistischen Rebellen zurückdrängen, die ja versuchen, vom Norden in den Süden vorzudringen?

    Lacher: Ich glaube, dass die islamistischen Gruppen in den Süden vordrängen und den Süden, Teile des Südens, wichtige Städte dauerhaft kontrollieren, das ist ausgeschlossen. Sie besitzen dort keine Basis und sie haben auch nicht ausreichende militärische Macht, um das durchzuführen. Allerdings ist die Frage: Was geschieht dann hinterher, wenn der französische Einsatz und was dem folgt an Truppenstationierungen erfolgreich war darin, die extremistischen Gruppen zu bekämpfen? Denn damit ist natürlich die staatliche Kontrolle über den Norden Malis noch längst nicht hergestellt.

    Engels: Aber höre ich da heraus, dass Sie dieses französische Vorgehen möglicherweise für voreilig hielten, wenn Sie sagen, die Rebellen hätten sich ohnehin nicht dauerhaft im Süden festsetzen können?

    Lacher: Nein, natürlich bestand eine akute Bedrohung. Wenn man nicht gegen diese Offensive nach Süden vorgegangen wäre, dann wären möglicherweise eine oder mehrere größere Städte in Zentral-Mali zeitweise in die Hände dieser Gruppen gefallen, und das hätte natürlich große Probleme und noch stärkere Konflikte hervorgerufen. Insofern war das Eingreifen nötig zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

    Engels: Dann schauen wir einmal näher nach Mali hinein. Wir sprachen gerade über die Situation im Süden. Wenn nun dort französische Truppen in größerer Zahl vielleicht auch stationiert werden, wird das dann auf den Rückhalt der Bevölkerung treffen, oder muss Frankreich in irgendeiner Form fürchten, dass irgendwann die Stimmung gegen das Land kippt?

    Lacher: Die Bevölkerung scheint, bisher den Eingriff der Franzosen mit großer Mehrheit zu unterstützen. Ich glaube, man muss sich eher Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen diese Intervention auf den politischen Prozess in Bamako haben wird, denn Sie haben ja praktisch seit dem Militärputsch im März kaum Fortschritt in der Rückkehr zur konstitutionellen Ordnung in Bamako, in der Hauptstadt, auch keine Einigkeit, wie diese Rückkehr aussehen sollte. Die Putschisten greifen weiter direkt in den politischen Prozess ein, die Armee ist weiter intern gespalten. Wenn jetzt eine internationale Intervention die Hand der Putschisten, die ja die Armee weitgehend kontrollieren, weiter stärkt, dann könnte sich das möglicherweise negativ auf den Übergangsprozess hin zu einer Rückkehr zur konstitutionellen Ordnung auswirken.

    Engels: Mit welcher Folge, ein dauerhafter Bürgerkrieg?

    Lacher: Mit der Folge, dass wir im Süden, in Bamako eine dauerhafte politische Pattsituation haben und die Macht der Putschisten zementiert haben. Im Norden wiederum könnte sich eben ein möglicherweise sehr langer Konflikt entwickeln, und beides, die Krise im Süden und der Konflikt im Norden, hängt eng miteinander zusammen.

    Engels: Dann schauen wir jetzt einmal genauer in den Norden. Islamistische Gruppen haben ja dort zum Teil weltberühmte Grabesstätten zerstört. Menschen flüchten vor Drangsalierungen und der zum Teil brutalen Durchsetzung der Scharia. Gibt es denn daneben auch Gruppen von Unterstützern in der Bevölkerung, die zahlenmäßig ernst zu nehmen sind?

    Lacher: Die Extremisten haben keine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Aber für die Kontrolle der jeweiligen Städte und Regionen stützen sie sich auf lokale Verbündete und an zwei Gruppen, nämlich an Ansar Dine und Mujao, sind die Eliten bestimmter Stammesgruppen beteiligt. Das heißt, es handelt sich da um taktische Allianzen zwischen teils ausländischen Extremisten und lokalen Eliten, und diese Allianzen bestehen weniger auf ideologischen Gemeinsamkeiten, sondern vor allem auf dem gemeinsamen Profit an Schmuggel, an Entführungen und auf der finanziellen Macht und der Militärmacht der Extremisten, die von lokalen Eliten zu ihrem Zweck genutzt wird. Das heißt, es sind teilweise sehr mächtige lokale Interessen daran beteiligt, die in der Minderheit sind im Norden, aber trotzdem sehr einflussreich sind.

    Engels: Wie stehen denn die Chancen, dass dieses Bündnis zwischen lokalen Gruppen und islamistischen Gruppen auch auf Dauer besteht?

    Lacher: Das ist in der Tat eine der zentralen Fragen, die jetzt den Verlauf des Konfliktes entscheiden werden, ob sich jetzt die extremistischen Gruppen in ihre einzelnen ethnischen Bestandteile auflösen werden, und dann ist zu befürchten, dass sich der Konflikt im Norden als das entpuppen wird, was er eigentlich ist, nämlich ein Konflikt zwischen rivalisierenden Eliten im Norden. Und diesen Konflikt zu lösen, wird weitaus schwieriger und langwieriger werden, als den harten Kern der Extremisten zu bekämpfen.

    Engels: Aus all dem abgeleitet, welches Vorgehen empfehlen Sie da den Franzosen und den Europäern generell?

    Lacher: Eine reine Verhandlungslösung im Norden war und ist unrealistisch. Mit einigen der extremistischen Elemente kann man schlecht verhandeln. Aber das militärische Vorgehen, das jetzt doch sehr überraschend, möglicherweise überstürzt begonnen wurde, muss in einem politischen Prozess eingebettet sein, politischen Prozess zunächst einmal in Bamako. Sie brauchen eine Regierung in Bamako, die mit Gruppen im Norden verhandeln kann. Das ist momentan nicht gegeben und ohne das wird es kaum Fortschritte in der Wiederherstellung der Kontrolle der Regierung über den Norden geben.

    Engels: Wolfram Lacher, Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik für den Nahen Osten und das nördliche Afrika. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag.

    Lacher: Danke schön.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.