Mittwoch, 01. Mai 2024

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Kuba-Krise vor 60 Jahren
Als John F. Kennedy eine Seeblockade über Kuba verhängte

Es hätte ein Dritter Weltkrieg werden können: Als die Geheimdienste der USA sowjetische Nuklearwaffen auf Kuba nachgewiesen hatten, wandte sich US-Präsident John F. Kennedy am 22. Oktober 1962 via Fernsehansprache an seine Nation und die Welt.

Von Matthias Bertsch | 22.10.2022
US-Präsident John F. Kennedy kündigt am 22. Oktober 1962 in einer Fernseh- und Radioansprache eine Seeblockade Kubas an.
US-Präsident John F. Kennedy kündigt am 22. Oktober 1962 in einer Fernseh- und Radioansprache eine Seeblockade Kubas an. (AP Archiv)
“Good evening my fellow citizens: This Government, as promised, has maintained the closest surveillance of the Soviet Military buildup on the island of Cuba …”

Als sich US-Präsident John F. Kennedy am Abend des 22. Oktober 1962 über das Fernsehen an seine Mitbürger wandte, war ihm nicht nur die Aufmerksamkeit der
US-Amerikaner gewiss. Die Rede hatte zwei Ziele, betont der Kennedy-Experte
Andreas Etges:
„Das eine war eine Warnung an die Sowjetunion und an Kuba, keine weiteren Aggressionen zu versuchen, weder in der Karibik noch beispielsweise in Berlin, und der zweite wichtige Punkt der Rede war der Versuch, die Weltöffentlichkeit auf die amerikanische Seite zu ziehen. Und das machte John F. Kennedy, indem er Nikita Chruschtschow beschuldigte, die Welt vor einen Atomkrieg zu stellen.“

Missglückte CIA-Invasion in der Schweinebucht

Wenige Tage zuvor hatte ihm der Geheimdienst Beweise geliefert, dass die Sowjetunion dabei war, Atomwaffen auf Kuba zu stationieren. Die Insel südlich von Florida war der US-Regierung ein Dorn im Auge, seit die Revolutionäre unter Fidel Castro den kubanischen Diktator Batista gestürzt, US-Unternehmen enteignet und sich Moskau zugewandt hatten. Die missglückte Invasion der CIA in der Schweinebucht im April 1961 hatte die Verbindungen zwischen Kuba und der Sowjetunion noch verstärkt – und Kennedys Ansehen geschwächt. Um seine Glaubwürdigkeit zu beweisen, musste er handeln:
”Um diesem offensiven Aufbau Einhalt zu gebieten, wird eine strenge Blockade eingeführt. Sämtliche Schiffe nach Kuba, die Teile von Angriffswaffen enthalten, werden zurückgeschickt.“
Der eigentliche Adressat der Botschaft aber war nicht Kuba, sondern die Sowjetunion:
“It shall be the policy of this Nation …“: Jeder Abschuss einer Atomrakete von Kuba gegen irgendeine Nation der westlichen Hemisphäre wird als Angriff der Sowjetunion auf die Vereinigten Staaten betrachtet, der einen Vergeltungsschlag gegen die Sowjetunion erforderlich macht.“
Zwei Tage später trat die See-Blockade in Kraft. Aus Washington berichtete ARD-Korrespondent Lothar Loewe:
„Sollte etwa ein sowjetischer Frachterkapitän ablehnen, sein Schiff zu stoppen, werden die amerikanischen Marineeinheiten Schüsse vor den Bug feuern. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums fügte hinzu: ‚Wir werden, falls das notwendig ist, russische Schiffe versenken.‘“

Beiderseits fordern Hardliner Krieg

Aber dazu kam es nicht. Der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow verkündete zwar öffentlich, die Blockade nicht zu akzeptieren, doch die russischen Frachter drehten bei. Obwohl Hardliner auf beiden Seiten forderten, Krieg zu führen – notfalls auch unter Einsatz atomarer Waffen – versuchten die Staatschefs, die militärische Eskalation zu verhindern, so Andreas Etges:
„Kennedy und Chruschtschow haben sich fast täglich Briefe und Telegramme geschrieben, manche vertraulich, manche öffentlich. Sie kritisieren sich, sie nennen den anderen den eigentlichen Aggressor, aber sie fangen auch an miteinander zu ringen und an die Rationalität der anderen Seite zu appellieren, zu sagen, du willst doch auch keinen Krieg, und wie kommen wir da beide wieder raus, und es ist völlig klar, keiner von beiden will einen Krieg.“
Keinen Nuklearkrieg zumindest. Die Früchte eines Sieges wären „Asche auf unseren Lippen“, hatte Kennedy in seiner Fernsehansprache gesagt, und als Fidel Castro von Chruschtschow forderte, im Falle eines US-Angriffs auf Kuba mit einem atomaren Erstschlag zu reagieren, wies dieser den Vorschlag strikt zurück.

Warum Moskau einlenkte

Nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates, in der die USA Fotos von den sowjetischen Raketenstellungen präsentierten, erklärte sich Chruschtschow bereit, die Raketen zu entfernen. Im Gegenzug versicherten die USA, keine Invasion auf Kuba vorzunehmen. „Sieg - Moskau baut Raketen ab“, titelte die „Bild“-Zeitung. Doch heute, so Andreas Etges:
„Wissen wir, dass es noch ein geheimes Zusatzabkommen gab, übrigens nur mündlich abgesprochen: der Bruder des Präsidenten, Robert Kennedy, hat mit dem russischen Botschafter abgesprochen, wir ziehen auch unsere Waffen aus der Türkei ab, aber wir machen das nicht sofort, und dieser Deal muss geheim bleiben. Warum sollte der geheim bleiben? Weil es John F. Kennedys ganze Argumentation zerstört hätte und seine Glaubwürdigkeit, dass die russische Seite der alleinige Aggressor in der Krise war.“
Ende der 50er-Jahre hatten die USA in der Türkei nuklear bestückte Mittelstreckenraketen stationiert, die bis Moskau fliegen konnten. Sie wurden genauso abgebaut wie die sowjetischen Raketen auf Kuba. Die Logik des Kalten Krieges, mit Atomwaffen zu drohen, sie aber nicht einzusetzen, hatte funktioniert. 60 Jahre später stehen sich die Atommächte USA und Russland erneut feindlich gegenüber – mit ungewissem Ausgang.