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Kujat: Kein Tribunal für de Maizière inszenieren

Warum wurden die Probleme beim Drohnenprojekt Euro Hawk sechs Jahre lang nicht gelöst? Die Antwort sei nicht allein der Verteidigungsminister schuldig, betont der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat. Wenn jetzt schnell eine Ersatzlösung gefunden werde, sei "nicht das ganze Geld verloren".

Harald Kujat im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: 500 Millionen Euro hatte der Euro Hawk bereits gekostet, als Verteidigungsminister Thomas de Maizière das Projekt im Mai stoppte. Denn fliegen hätte die teure Überwachungsdrohne niemals dürfen. Unter anderem fehlt ihr nämlich ein Kollisionswarnsystem und damit die Zulassung für den zivilen Luftraum. Viel Geld für wenig Drohne sozusagen nach sechs Jahren Projekt. Heute beginnt der Untersuchungsausschuss des Bundestages mit der Befragung von Zeugen.

    Und eben diese Frage wollen wir aufgreifen mit Harald Kujat, den ich am Telefon begrüße. Auch er war Generalinspekteur und damit oberster Offizier der Bundeswehr. Zudem stand er bis 2005 dem Militärausschuss der NATO vor. Guten Tag, Herr Kujat!

    Harald Kujat: Ich grüße Sie. Hallo!

    Dobovisek: Wird auch der A400M scheitern und damit genauso gefährlich werden für die Politik?

    Kujat: Nein, der wird nicht scheitern, und die Drohne hätte auch nicht scheitern müssen. Lassen Sie mich vielleicht noch eine Bemerkung zu Ihren einleitenden Bemerkungen sagen. Es geht nicht um ein Kollisionswarngerät. Kollisionswarngeräte gibt es bisher nur für bemannte Flugzeuge, denn das Gerät warnt nur und der Pilot muss dann die notwendigen Ausweichbewegungen einleiten. Ein unbemanntes Fluggerät hat keinen Piloten und für unbemannte Fluggeräte gibt es überhaupt noch nicht so etwas, so eine Technologie.

    Dobovisek: Was ist also schief gelaufen in den sechs Jahren der Entwicklung?

    Kujat: Das wüsste ich auch gerne. Das ist ja genau mein Punkt. Ich persönlich bin der Auffassung, dass sicherlich das Informationsmanagement des Verteidigungsministeriums nicht glücklich war, aber das ist eigentlich gar nicht der Punkt. Der Punkt ist: Wie kann es passieren, dass innerhalb von sechs Jahren ein solches Problem nicht gelöst werden kann? Und das Zweite ist: Es ist unbestritten, dass hier eine dramatische Fähigkeitslücke besteht und dann praktisch ad infinitum offensichtlich weiter bestehen wird. Es ist ja keine Lösung bekannt. Das heißt, der Untersuchungsausschuss sollte wirklich der Versuchung widerstehen, hier ein Tribunal für Herrn de Maizière zu inszenieren oder eine Politshow, sondern er sollte sich wirklich auf diese beiden für mich entscheidenden Fragen konzentrieren.

    Dobovisek: Wird er das tun können bis zu den Wahlen?

    Kujat: Das hoffe ich sehr. Es ist eine Frage, welchen Schwerpunkt er setzt. Natürlich ist es so, das wissen wir alle: Vor den Bundestagswahlen ist es natürlich auch immer eine politisch sehr geladene Atmosphäre und der Verteidigungsminister ist ein Kernmitglied der Regierungsmannschaft von Frau Merkel und da spielt natürlich der Wahlkampf hinein. Aber der Untersuchungsausschuss …

    Dobovisek: Spielt der Wahlkampf bloß hinein oder ist das reiner Wahlkampf, den wir da erleben?

    Kujat: Na ja, gut. Ich will das noch nicht beurteilen. Wir müssen da einfach die Entwicklung abwarten. Ich kann nur appellieren an die Abgeordneten, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden gegenüber den Bürgern, auch vor allen Dingen gegenüber den Soldaten. Es sind schließlich 180.000 Soldaten und ihre Familien und Freunde, die wissen, dass es hier ein Problem gibt, mit dem diese Soldaten konfrontiert werden, wenn sie in den Einsatz gehen. Und dieser Verantwortung muss gerade ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss gerecht werden, denn das sind die gleichen Leute, die unsere Soldaten in einen Einsatz schicken.

    Dobovisek: Wie weit reicht denn die Verantwortung eines Ministers, wenn Sie Worte in den Mund nehmen wie "unglückliches Informationsmanagement"?

    Kujat: Nun, ich will das bewusst nicht nur auf den Minister fixieren, die ganze Diskussion. Ich sagte ja, der Vertrag wurde 2007 unterschrieben, das sind jetzt sechs Jahre. De Maizière ist noch nicht sechs Jahre Minister. Es wurde aber sechs Jahre lang versäumt, das Problem zu lösen. Das heißt, es ist nicht nur seine Verantwortung, die hier zu prüfen ist. Es ist nicht nur ihm der Vorwurf zu machen, dass man hier keine Lösung für dieses Problem gefunden hat. Aber es ist richtig: Als dann das Problem auch in der Öffentlichkeit hoch kam, war die Argumentation des Verteidigungsministeriums, die wechselnde Argumentation, muss ich sagen, natürlich nicht besonders hilfreich.

    Dobovisek: Warum wechselt das aus Ihrer Sicht? Machen da die Spitzenbeamten im Prinzip was sie wollen und lassen den Minister selbst im Regen stehen?

    Kujat: Nein, nein. Das ist so ein Eindruck, der in der Öffentlichkeit immer entsteht.

    Dobovisek: Aber warum entsteht dieser Eindruck denn über Jahre hinweg, über Minister hinweg?

    Kujat: Ich kann Ihnen das selbst nicht sagen. Aber es ist wirklich nicht so, Sie können es mir glauben, ich habe lange Zeit im Ministerium verbracht. Es ist eher so, dass man Verantwortung nach oben hin abwälzt, und das heißt, dass man auch die Führung, die militärische und die politische Führung, immer informiert hält. Aber natürlich ist es auf der anderen Seite auch so, dass, wenn solche Signale kommen, sich alle Beteiligten darum kümmern müssen. Das Verteidigungsministerium ist kein Ministerium wie jedes andere. Man kann das Ministerium nicht nur leiten, wie jetzt das Gesundheitsministerium, sondern hier ist der wirkliche Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt gefordert, also jemand, der führt von vorne. Und ich beschränke das wiederum nicht nur auf den Minister, sondern auch auf den erweiterten Führungskreis, sage ich einmal, und schließe die Staatssekretäre, den Generalinspekteur und auch die Abteilungsleiter da mit ein.

    Dobovisek: Hat man sich in diesem erweiterten Führungskreis vielleicht zu sehr auf die Informationen aus der Wirtschaft verlassen, das wird schon alles gut gehen, wir werden schon eine Lösung finden?

    Kujat: Das weiß ich nicht. Das hoffe ich auch nicht, dass man so vertrauensselig ist. Das entspricht auch nicht meiner Erfahrung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man eigentlich sehr kritisch gegenüber dem ist, was von der Wirtschaft gesagt wird. Dass man auch normalerweise sehr stringente Kontrollen in der Entwicklungsphase ausübt. Und das zeigt eigentlich auch das, was wir bisher an Veröffentlichungen gesehen haben, dass es ja Warnungen gab, aus dem Ministerium heraus, von Attachés und von verschiedenen Seiten, also hier ist schon ein Problembewusstsein gewesen eigentlich auf allen Ebenen.

    Dobovisek: Sie waren, Herr Kujat, ja lange auch intensiv mit NATO-Fragen beschäftigt. Wie reagieren denn die NATO-Partner auf die Drohnen- und auch auf die A400M-Diskussion in Deutschland?

    Kujat: Nun ist es ja so, dass wir hier zwei sehr ähnlich gelagerte Komplexe haben. Wir haben den Euro Hawk in Deutschland und wir haben das sogenannte AGS-System, also Alliance Ground Surveillance System, in der NATO. Das sind sehr ähnliche Projekte, auch hier wird ein Hawk, ein unbemanntes Flugzeug, in diesem Fall ein Global Hawk eingesetzt, und da beobachtet man das natürlich sehr genau, was hier in Deutschland geschieht. Hinzu kommt ja, dass es in Europa keine allgemein verbindlichen Regelungen für eine Musterzulassung gibt, sondern es ist den einzelnen Staaten überlassen, das zu regeln.

    Dobovisek: Aber verliert die Bundeswehr, verliert Deutschland an Ansehen in der NATO mit einer solchen Diskussion?

    Kujat: Na ja, gut. Ich denke schon, dass die Frage, ob man in der Lage ist, ein solches Problem zu lösen, nicht gerade auf große Begeisterung stößt in der NATO, wenn sich also herausstellt, dass wir wirklich über Jahre dahindümpeln und dass wir nicht in der Lage sind, diese Fähigkeit, die wirklich dringend benötigt wird, zu beschaffen und die Probleme aus dem Weg zu räumen, die dem entgegenstehen.

    Dobovisek: Wie kommen wir aus der Sache raus?

    Kujat: Wir kommen aus der Sache raus, indem wir jetzt schnellstens überlegen, wie man die entwickelte Technologie, also die Sensoren, die ja offensichtlich funktionieren – die Erprobung läuft ja noch bis Ende September. Aber die Erprobung wird ergeben, dass sie funktionieren, dass sie gute Leistungen bringen. Und dann müssen wir sehr schnell eine Ersatzlösung schaffen, damit eben nicht das ganze Geld verloren ist, sondern wir zumindest aus der Sensorik die Fähigkeit schöpfen, die wir brauchen. Ich denke, man kann auch eine Lösung finden für den Prototypen, der ja auch eingesetzt werden kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass er eingesetzt werden kann. Und dann reduziert sich sehr schnell das, was dort an finanziellen Verlusten bisher jedenfalls kolportiert wird.

    Dobovisek: Der General außer Diensten Harald Kujat, ehemals Generalinspekteur der Bundeswehr. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kujat.

    Kujat: Ich danke Ihnen!


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