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Lebensversicherungen
Ein Klassiker in der Krise

Sie war lange die beliebteste Sparanlage der Deutschen, doch inzwischen steckt die Lebensversicherung in der Krise. Sparern wirft sie zu wenig Zinsen ab, und auch für viele Versicherer ist sie nicht mehr lukrativ genug. Dennoch will die Politik sie retten.

Von Caspar Dohmen |
    Ein Taschenrechner und Münzen liegen auf einem Blatt Papier, auf dem Lebensversicherung steht
    Die Verzinsung von Lebensversicherungen ist für Sparer derzeit unattraktiv. (dpa/picture alliance/Arno Burgi)
    Ob Baby oder Greis: Rein rechnerisch besitzt jeder Bundesbürger mindestens eine Lebensversicherung. Mit 95 Millionen Policen ist die Lebensversicherung eines der beliebtesten Sparprodukte. Entsprechend groß ist die Aufregung, wenn die Politik die Bedingungen ändern will.
    Jetzt ist es wieder einmal soweit. Die (*) Bundesregierung plant eine Reform mit neuen Vorgaben, Beschränkungen und Sicherheitsvorkehrungen für die Lebensversicherung. Ziel ist die Stabilisierung der Branche, die die Folgen der Finanzkrise spürt, insbesondere die niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten. Es wird immer schwieriger für die Unternehmen, ihre Versprechen zu halten.
    "Dann habe ich noch ein, zwei, drei Fragen zur Diskussion um die Lebensversicherungen."
    Die Unternehmen bekommen in diesen Wochen bei den alljährlichen Bilanzpressekonferenzen viele Fragen zur Lebensversicherung gestellt. Auch Anfang April bei der R+V-Versicherung in Wiesbaden. Die zentrale Frage lautet: Können sich die Versicherten auf die Garantien ihrer Gesellschaft verlassen?
    Auch bei der Hauptversammlung der Münchener Rück kommende Woche dürfte die Lebensversicherung Thema sein. Schließlich ist die Konzerntochter Ergo der zweitgrößte Anbieter in Deutschland. Der Verkauf von klassischen Verträgen ist generell eingebrochen. Viele Verbraucher finden die derzeitige Mindestverzinsung von 1,75 Prozent unattraktiv. Außerdem verheddern sich Anbieter zwischen niedrigen Marktzinsen und höheren Renditeversprechen an die Kunden.
    Hoch umstrittene Gesetzesänderung im Gespräch
    Die Versicherungslobby wünscht sich schon länger eine Gesetzesänderung. Jetzt eilt die Bundesregierung der Branche zur Hilfe. Sie will vor allem die Vorgaben für die Versicherer bei der Ausschüttung von Gewinnen an die Kunden lockern. Den Versicherten, deren Verträge bald auslaufen, drohen dadurch deutliche Abstriche bei den Auszahlungen.
    Auch die Versicherer sollen zwei bittere Pillen schlucken: Im Gespräch ist eine Deckelung der Provisionen für die Versicherungsverkäufer. Außerdem sollen Aktionäre keine Dividende mehr erhalten, wenn die Unternehmen ihre Garantien gegenüber den Kunden nicht mehr erfüllen können.
    "Das Ding ist hoch umstritten. 2012 gab es schon einmal einen Versuch, der ist gescheitert an der CDU. Es gab einen CDU-Parteitagsbeschluss gegen dieses Gesetz, darf man nicht vergessen,"
    erinnert sich Herbert Fromme, Wirtschaftsjournalist und Versicherungskorrespondent der Süddeutschen Zeitung. Damals schien schon alles unter Dach und Fach zu sein: Der Bundestag hatte mit der schwarz-gelben Mehrheit der Gesetzesänderung zugestimmt. Doch dann gab es Widerstand an der CDU-Basis und es standen wichtige Landtagswahlen an. Das Vorhaben wurde auf dem CDU-Parteitag 2012 gekippt. Holprig verläuft auch der zweite Anlauf.
    "Das sollte in einem Schnellschuss schon im März vollzogen werden, glücklicherweise ist es aber gelungen, hier die Diskussion etwas weiter aufzumachen. (...), sodass wir damit rechnen, dass im Juli der Referentenentwurf vorliegt, sodass wir im Herbst dann letztlich die echte politische Diskussion dann führen können,"
    erwartet Axel Kleinlein, Vorstand beim Bund der Versicherten, BDV. Das Finanzministerium selbst hält sich auf Anfrage bedeckt, was den zeitlichen Ablauf der Reform anbelangt. Die Diskussion darüber läuft vor allem hinter den Kulissen weiter. Die Versicherer kämpfen gegen eine Paketlösung. Sie wollen die Reform am liebsten auf Änderungen bei den Bewertungsreserven beschränken.
    Bewertungsreserven von rund 70 Milliarden Euro
    Wie entstehen Bewertungsreserven und warum sind sie plötzlich so wichtig? Lebensversicherte überweisen gewöhnlich jeden Monat eine Prämie an ihre Gesellschaft. Das Unternehmen kauft mit dem Geld vor allem Anleihen, Aktien und Immobilien. Deren genauer Wert steht jedoch erst beim Verkauf fest. Vorher existieren Gewinne nur auf dem Papier. Deswegen spricht man von Bewertungsreserven. Ausscheidende Kunden haben trotzdem einen Anspruch darauf, erklärt Frank-Henning Florian, im Vorstand der R+V für Lebensversicherung zuständig:
    "Es gab ein Urteil des Verfassungsgerichts, was abstrakt gesagt hat, man soll die Kunden an den Bewertungsreserven beteiligen, das wurde dann 2008 mit Regelungen so umgesetzt, dass man gesagt hat, etwa fünfzig Prozent der Bewertungsreserven, die da sind, sollen an die Kunden weitergegeben werden, Bewertungsreserven auf Festverzinsliche."
    Es geht um viel Geld. Ende 2012 beliefen sich die Bewertungsreserven auf über hundert Milliarden Euro und Ende 2013 waren es immer noch rund 70 Milliarden Euro. Drastisch gestiegen sind die Reserven auf Anleihen in den Büchern der Versicherer. Das ist eine Folge der Geldpolitik der Zentralbanken nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2008. Die EZB und die amerikanische Fed fluten die Märkte bis heute mit Geld. Sie wollen so die Wirtschaft ankurbeln und die Banken stabilisieren. Die Zinsen rutschten auf historische Tiefstände.
    Höherverzinsliche Anleihen früherer Jahre sind auf den Kapitalmärkten nun sehr gefragt und ihre Kurse entsprechend gestiegen. Weil die Lebensversicherer viele hochverzinsliche Papiere besitzen, sind deren Bewertungsreserven stark angeschwollen. Versicherungsvorstand Frank-Henning Florian:
    "Jetzt ist Lebensversicherung ein Modell, wo wir uns über lange Zeitabläufe uns eigentlich so ein Stück von den Kapitalmärkten versuchen zu trennen und den Kunden eine berechenbare langfristige Verzinsung zu geben, nicht so wie Aktienmärkte, die eben wirklich nahezu täglich mit den Börsenentwicklungen schwanken. Und um diese Entwicklung dauerhaft darstellen zu können, ist es für Lebensversicherer ganz wichtig, dass man Reserven aufbaut, Puffer, mit denen man in Niedrigzinsphasen bei Marktveränderungen einfach Kapitalströme glätten kann, das ist eigentlich die Grundidee der Lebensversicherung."
    Warnung vor zuviel Freiheit bei der Gewinnverteilung
    Aus den Bewertungsreserven fließt nach Ansicht der Branche zu viel Geld an die Kunden ab. 2013 waren es dem Branchenverband GDV zufolge rund drei Milliarden Euro. Jeder Kunde erhielt bei Vertragsende oder Kündigung einen Zuschlag von durchschnittlich 1200 Euro. Davon entfielen 270 Euro auf Reserven aus Aktien und Immobilien, der Löwenanteil von 930 Euro jedoch auf Reserven auf festverzinsliche Papiere.
    Die wegen der Verwerfungen an den Finanzmärkten niedrigen Zinsen steigen irgendwann wieder. Dann werden die Bewertungsreserven in den Büchern der Versicherer automatisch sinken. Vom derzeitigen Recht profitieren Versicherte, deren Verträge heute auslaufen, zu Lasten von Versicherten mit noch länger laufenden Verträgen. Diese Kritik der Branche teilt die Bundesregierung. Sie will die Kundenbeteiligung an den Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere deswegen streichen. Es bliebe dann aber wenig übrig, sagte Hermann Weinmann, Professor an der Hochschule Ludwigshafen, vor Kurzem bei einer Anhörung der Grünen Bundestagsfraktion:
    "Wenn ein Wegfall der Beteiligung an den Bewertungsreserven auf Anleihen käme, dann würden wir über kümmerliche Aktienreserven sprechen, ein bisschen was noch über Immobilienreserven."
    Der Betriebswirt und Experte für Finanzdienstleistungen warnte davor, den Unternehmen zu viel Freiheit bei der Verteilung der Gewinne zu geben, die sie mit den Versichertengeldern erwirtschaften. Zum Beispiel können die Versicherer bis zum Vertragsende entscheiden, wie viel Geld sie einem Versicherten aus dem sogenannten Schlussgewinntopf zuteilen. Entsprechend wenig hätten die Kunden davon, wenn dieser Topf infolge der Reform aufgestockt würde.
    "Bei der Schlussgewinnbeteiligung wären die Versicherungsnehmer auf Gedeih und Verderb dem Management ausgeliefert. Für mich zwingende Konsequenz aus Verbrauchersicht, ich bin kein organisierter Verbraucherschützer, aber ich bin auch Verbraucher und auch Lebensversicherungsverbraucher, es muss eine größere Verbindlichkeit in der Schlussgewinnbeteiligung geben."
    Ein Rentnerpaar genießt die Sonne vor dem Parlament.
    Im Alter das Geld genießen:Vom derzeitigen Recht profitieren Versicherte, deren Verträge heute auslaufen, zu Lasten von Versicherten mit noch länger laufenden Verträgen. (dpa/picture alliance/Stephan Scheuer)
    Der Wissenschaftler untersuchte kürzlich die Kapitalanlageergebnisse der zwölf größten Lebensversicherer in Deutschland. Er fand kein Anzeichen dafür, dass diese Gesellschaften durch die Beteiligung ihrer Kunden an den Bewertungsreserven besonders unter Druck geraten sind. Genau so aber argumentiert der Branchenverband GDV für eine Reform der Ausschüttungspraxis.
    Interessenausgleich der Alt- und Neukunden
    Das nährt den Verdacht, dass die Versicherungslobbyisten die Politiker bearbeiten, um zulasten der Versicherten mehr für die Unternehmen herauszuholen. "Falsch", sagt Reiner Will, Geschäftsführer der auf Versicherungen spezialisierten Ratingagentur Assekurata.
    "Im Wesentlichen geht es um einen Interessenausgleich der versicherten Kunden, nämlich einmal der Altkunden, die jetzt hohe Garantien haben, dann der Kunden, die ablaufende Verträge haben, Bewertungsreserven dann ausgeschüttet bekommen, und der jüngeren Kunden, die im Grunde genommen ja in die Zukunft auch eine attraktive Gewinnbeteiligung und eine Überschussdeklaration haben möchten. Und da ist eben im Grunde eine Schieflage entstanden. Und der Gesetzgeber ist jetzt aufgefordert, im Grunde genommen dieses kollektive Interesse der unterschiedlichen Versicherten wieder in ein Lot zu bringen."
    Insgesamt solle gar nicht weniger ausgeschüttet werden. Die geplante Reform sei richtig, gerade aus Sicht der Versicherten, sagt Reiner Will:
    "Wenn das langfristig so weitergeht und wir eine langfristige Niedrigzinsperiode auch behalten sollten, dann wird eben letztendlich auch die Stabilität der Gesellschaften insgesamt gefährdet, und ich glaube, das liegt überhaupt nicht im Interesse der Kunden, denn alle Kunden haben ja ein Interesse daran, dass ihre Lebensversicherungsverträge stabil bespart bleiben können und dass die Gesellschaften dahinter eben auch in einer stabilen Situation bleiben."
    Zuletzt erzielten die Versicherer laut Assekurata auf das angelegte Geld ihrer Kunden am Kapitalmarkt im Schnitt noch eine Rendite von vier Prozent. Weil sie die Ersparnisse ihrer Versicherten nur mit durchschnittlich 3,1 Prozent verzinsen, gibt es noch einen Puffer. Das ist die gute Nachricht. Doch die schlechte Nachricht ist: Der Puffer schrumpft. Denn immer mehr höher verzinsliche Papiere laufen aus. Neu einkaufen können die Versicherer nur noch niedrig verzinsliche Papiere.
    Deswegen werden die Garantiezinsen für Lebensversicherungen fallen. Das Verfahren hat der Gesetzgeber weitgehend automatisiert. Entsprechend erhalten Kunden wohl ab Anfang 2015 beim Abschluss einer neuen Lebensversicherung statt 1,75 Prozent nur noch 1,25 Prozent Zinsen garantiert, also 0,5 Prozentpunkte weniger als jetzt.
    Versicherer müssen Sicherheitspolster anlegen
    Die Unternehmen haben ihre Misere selbst verschlimmert, weil sie in den neunziger Jahren Kunden freiwillig dauerhafte Zinsgarantien von vier Prozent zusagten. Das geschah vor allem aus Werbezwecken im Konkurrenzkampf mit anderen Anlageformen wie Investmentfonds, Aktien oder Bausparverträgen. Versicherungsexperte Reiner Will:
    "Zu den Zeiten hat man sich sicherlich nicht vorstellen können, dass wir in eine solche Niedrigzinsphase kamen.
    Gleichzeitig gaben die Versicherer immer länger laufende Garantien ab. Seit dem Ende der steuerlichen Vorteile für Kapitallebensversicherungen 2004 kaufen viele Kunden nämlich öfter private Rentenversicherungen. Die Garantien gelten für die Anspar- und Auszahlungsphase, also gut und gerne für ein halbes Jahrhundert.
    "Es ist gar nicht mal so sehr das Problem der Versicherer, dass die Garantien relativ hoch sind, sondern das sie extrem lang sind."
    Für die Einhaltung ihrer Garantien müssen die Versicherer seit 2011 bereits ein zusätzliches Sicherheitspolster bilden, die sogenannte Zinszusatzreserve. Das legte die schwarz-gelbe Bundesregierung fest. Versicherungsexperte Reiner Will:
    "Das sind erhebliche Mittel. In den letzten drei Jahren wurden über 13 Milliarden Euro dafür aufgewandt. Das ist sehr viel Geld. Und wir rechnen auch damit, dass in diesem Jahr noch einmal acht bis zehn Milliarden Euro zurückgestellt werden, um eben diese Garantielasten schon mal abzufedern."
    Die Versicherer können jeden Euro nur einmal ausschütten. Damit die Kunden mit hohen Garantien sicher ihre vier Prozent oder 3,5 Prozent erhalten, bekommen alle Kunden eine geringere Beteiligung an den Überschüssen der Unternehmen - auch die, denen die Versicherer bei Neuabschlüssen nur eine Garantie von gerade mal 1,75 Prozent zugesagt haben. Wenn dieser Sicherheitspuffer benötigt wird, käme es zu einer Umverteilung in der privaten Lebensversicherung.
    "Krise frisst sich in ökonomische Lage der Versicherer"
    Über der Branche ziehen Gewitterwolken auf. Im Herbst warnte die Bundesbank in ihrem Finanzstabilitätsbericht:
    "Ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld birgt somit ein beachtliches Gefährdungspotenzial für die Stabilität von Lebensversicherern."
    Jeder dritte Versicherer könnte möglicherweise bis zum Jahr 2023 seine Kapitalanforderungen verfehlen. Der Journalist und Versicherungsexperte Herbert Fromme:
    "Die Krise frisst sich langsam aber unaufhaltsam in die ökonomische Lage der Versicherer rein. Und ich erwarte schon, dass von den 93 Lebensversicherern in Deutschland ungefähr zwischen zehn und 20 demnächst große ökonomische Probleme haben werden."
    Niemand sollte sich seiner Meinung nach vom Zustand der Branche täuschen lassen.
    "Sie sieht besser aus, als sie dran ist. Krisen wirken sich bei Lebensversicherungen sehr langsam und sehr spät aus, die leben heute noch von hochverzinsten Papieren, die sie 2005, 2004, 2007 gekauft haben, die bringen heute die Zinsen. Heute kaufen sie Papiere, mit denen sie zwei Prozent verdienen oder noch weniger, die haben sie in fünf Jahren aber auch noch."
    Der Albtraum der Lebensversicherer ist Japan. Dort gingen Anfang des Jahrtausends sieben Gesellschaften in Konkurs.
    "Japanisches Szenario meint man ja, dass dauerhafte Niedrigzinsphase kommt, dauerhaft, die nächsten zehn, 15, 20, 25 Jahre. Das haben wir in Japan erlebt und das können wir leider nicht ausschließen, und es gibt eine Reihe von Stimmen, die sagen, das könnte so kommen,"
    sagt Versicherungsvorstand Frank-Henning Florian. Unternehmenspleiten halten jedoch selbst kritische Beobachter hierzulande für unwahrscheinlich.
    "In Deutschland gilt das Prinzip, dass kein Versicherer Pleite gehen darf, also werden die vorher schon was tun."
    Neue Produkte mit altem Etikett
    Die Lebensversicherer kommen mit ihren garantierten Produkten den sicherheitsliebenden deutschen Anlegern sehr entgegen. Die Leute greifen zu den Policen, obwohl Verbraucherschützer immer wieder davon abraten, auch weil die Erfahrung lehrt, dass viele Kunden ihre Verträge über die vielen Jahre nicht aufrechterhalten können. Jeder zweite Verbraucher kündigt vorzeitig mit hohen finanziellen Einbußen.
    Überhaupt läuft einiges falsch in der Branche: Hohe Verwaltungskosten und üppige Vertriebsprovisionen für 244.000 Versicherungsvermittler in Deutschland schmälern den Sparanteil jedes Versicherten. Schrumpfen die Garantiezinsen weiter, dann wird neuen Versicherten bei den klassischen Verträgen wohl bald nicht einmal mehr der Erhalt der eingezahlten Beiträge garantiert werden. Das wäre das Aus für den einzigartigen Ruf der Lebensversicherung in puncto Sicherheit.
    Womöglich gibt es bald aber ohnehin kaum noch klassische Policen im Angebot. Schon jetzt verlieren die Versicherer die Lust an dem Geschäft. Sieben der 93 Lebensversicherer in Deutschland wollen nach Angaben der Finanzaufsicht keine oder kaum noch neue Kunden aufnehmen. Der Rückzug hat einen Grund: Die Versicherer brauchen für das Geschäft viel Eigenkapital und erzielen nur magere Gewinne.
    Mehr und mehr verkaufen Gesellschaften deswegen neuartige Produkte unter dem Etikett Lebensversicherung. Verglichen mit traditionellen Policen enthalten sie keine oder nur ausgedünnte Garantien. Die Risiken sind höher, die Renditechancen ebenfalls. Verbraucheranwalt Axel Kleinlein ist skeptisch.
    "Die neuartigen Produkte, die sind unter dem Strich auf jeden Fall schlechter. An erster Stelle natürlich derart intransparent, dass kaum noch jemand verstehen kann, worum es sich dabei handelt. Bei einer variable annuity oder einem doppelt gedeckten Dreitopfhybrid nach CPPI, da kann sich keiner mehr was darunter vorstellen. Unter dem Strich, diese neuartigen Produkte helfen nur den Unternehmen."
    Warnung vor überstürzter Kündigung
    Was also bedeuten die Reformpläne der Bundesregierung für einen Versicherten?
    "Also, wenn ich in den nächsten ein, zwei Jahren einen Vertrag habe, der dann fällig wird, lohnt es sich schon nachzufragen. Wie hoch sind denn die Bewertungsreserven heute? Ich habe Fälle gesehen, da waren sie 15.000 Euro,"
    sagt der Wirtschaftsjournalist Herbert Fromme. Auch Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten warnt vor einer überstürzten Kündigung.
    "Derjenige, der im Moment mit dem Gedanken spielt, seinen Vertrag zu kündigen, der sollte erst mal die wichtigsten Fragen wie bei jeder Kündigung sich selber stellen: Nämlich brauche ich womöglich den Risikoschutz noch? Steckt da zum Beispiel eine Berufsunfähigkeitsabsicherung mit dahinter, die ich sonst nicht bekommen kann? Dann sollte man den Kündigungsgedanken unbedingt hinterfragen. An zweiter Stelle ist dann die Frage, wenn ich kündige, was kann ich denn mit dem Geld anstellen, was ich bekomme? Kann ich dieses Geld besser anlegen? Das wird oft nicht möglich sein. Aber wer große Schulden hat und dafür hohe Schuldzinsen zu zahlen hat, der kann mit einer Kündigung erheblich besser fahren, als wenn er den Vertrag weiterführt."
    Kunden mit noch länger laufenden Verträgen empfehlen die Verbraucherschützer eine Überprüfung der Policen. Bisweilen kann es zum Beispiel ratsam sein, einen Vertrag ruhen zu lassen - also keine weiteren Beiträge einzuzahlen.
    Es wäre kurzsichtig, wenn die Politik nur die Stabilisierung der Lebensversicherung in Angriff nehmen würde. Schließlich steckt das gesamte System der privaten Altersvorsorge angesichts künstlich niedrig gehaltener Zinsen in der Krise. Man kann kaum noch die Renditen erzielen, die zur Deckung der Rentenlücke nötig wären. Sichtbar wird dies erst in Zukunft.
    Davon werden weniger die Armen betroffen sein, denen heute ohnehin oft das Geld für die private Altersvorsorge fehlt. Es wird vor allem viele Menschen in der Mittelschicht treffen, die eigentlich dachten, sie hätten alles richtig gemacht. Es gibt also Handlungsbedarf. Sinnvoll wäre es, über eine Stärkung der gesetzlichen Rente und eine Verbesserung der privaten Versicherungen nachzudenken. Bei allen Eingriffen in das System der Altersvorsorge muss sich die Politik schließlich fragen lassen, ob sie die Reformen vorrangig für die Bürger macht, oder aber für eine milliardenschwere Branche und ihre Eigentümer.
    (*) Fehler in der Originalfassung korrigiert.