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Avantgarde-Dachverband (IGNM)
100 Jahre Internationale Gesellschaft für Neue Musik

Namhafte Komponisten wie Bartók, Schönberg, Strawinsky gründeten vor hundert Jahren in Salzburg die „Internationale Gesellschaft für Neue Musik“ - und noch immer kämpft die IGNM mit ihrem alljährlichen Festival "Weltmusiktage" gegen den Traditionalismus in der klassischen Musik.

Von Wolfgang Schreiber | 11.08.2022
 23. Juni 1951: Eröffnung des Musikfests der Internationalen Gesellschaft für neue Musik (IGNM) im Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt
Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik 1951 in Frankfurt: von links - Karl Birger Blomdahl, Lex van Delden, Glasser, Willy Burkhard, Roberto Gerhard, Mathias Scheibler, Jan Mul, Alberto Ginastera (picture-alliance / dpa)
Nein, Mozarts „Kleine Nachtmusik“ war nicht die Begrüßungsfanfare der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. In der Mozartstadt Salzburg aber wurde sie gegründet - im Café „Bazar“ während der noch neuen Festspiele. Am 11. August 1922 riefen dort Komponisten den Verein ins Leben, eine Art Hilferuf für die allgemein als sperrig oder gar abwegig geltende moderne, dissonante Musik. Im Gründungskomitee befand sich immerhin der Komponist Richard Strauss, prominente Kollegen von ihm unterstützten das musikalische Fortschrittsprojekt, so Béla Bartók, Igor Strawinsky und Paul Hindemith. Und Arnold Schönberg.

Musikpolitischer Kampf für die Gegenwartsmusik

Schönbergs atonales Monodram „Erwartung“, die Vision einer Psychopathin der Liebe, wurde 1924 in Prag uraufgeführt, beim zweiten Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. Im Jahr davor hatte sich die Salzburger Gesellschaft zum Dachverband der International Society of Contemporary Music entwickelt, mit Sitz in London. Man gründete Fach-Sektionen in Dutzenden von Ländern. Die Novität damals war: Komponisten sind es, die musikpolitisch aktiv werden, um für die Gegenwartsmusik zu kämpfen. Man wusste, dass die Vormachtstellung der älteren klassischen Musik den gesuchten Fortschritt in der Tonkunst behinderte. Arnold Schönberg führte die Debatten an.
„Was ist Neue Musik? Offensichtlich muss das eine Musik sein, die, obwohl sie immer noch Musik ist, sich in allem Wesentlichen von früher komponierter Musik unterscheidet.“

Schönbergs Frage nach dem Wesen der Neuen Musik

Arnold Schönberg stellte Fragen nach Inhalt und Anspruch der Neuen Kunstmusik, fragte nach ihrem Wesen.
„Offensichtlich muss sie etwas ausdrücken, was bisher noch nicht in der Musik ausgedrückt worden ist. Offensichtlich ist in der höheren Kunst nur dasjenige darstellenswert, was nie zuvor dargestellt worden ist.“

Von den "World Music Days“ zu den "Weltmusiktagen"

Das nationalsozialistische Deutschland zerstörte gewachsene Traditionen. Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik verlegte ihr Festival 1936 nach Barcelona. Und dort erklang Alban Bergs bewegendes Violinkonzert zum ersten Mal. Bis heute finden die „World Music Days“ in jährlich wechselnden Metropolen statt, wo sich ihre Mitglieder regelmäßig treffen. Wo sie die Situation der zeitgenössischen Musik ins Visier nehmen.
Bei den „Weltmusiktagen“ 1960 in Köln wurde György Ligetis Orchesterstück „Apparitions“uraufgeführt. Die Juroren der Festivalprogramme waren und sind bis heute die Komponisten selbst, das waren zu Beginn damals Maurice Ravel oder Olivier Messiaen, später Pierre Boulez oder Iannis Xenakis, war der junge Wolfgang Rihm. Sein tobendes Stück „Jagden und Formen“ erklang im Jahr 2000 bei den „World Music Days“ in Luxemburg. Auch für Rihm ist die Emanzipation der Dissonanz ein Motor des Komponierens, ebenso die Befreiung des Rhythmus, der melodischen Klangbewegungen, der Klangfarben, der Formsprachen.
Alles in allem: Das globale Netzwerk der Komponisten Neuer Musik konnte bis heute ein Dilemma nicht beheben – die Abseitsposition der Streiter für den experimentellen Fortschritt in der Tonkunst. Die Rettung kam vom Rundfunk: Das Engagement der Sender und ihrer Orchester, ihrer Radio-Aufnahmen und Festivals, hat die zeitgenössische Musik durch die Jahrzehnte lebendig erhalten.