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Präsidentin der Welthungerhilfe
"Corona hat im Brennglas die Probleme deutlich gemacht"

Ungleichheit, Konflikte und Klimawandel sieht die Präsidentin der Welthungerhilfe Marlehn Thieme als Hauptursachen für Hunger. Corona habe die bekannten Probleme verschärft, sagte sie im Dlf. Wir müssten nun genauer hingucken - und der Nobelpreis für das Welternährungsprogramm der UN ermögliche diese Perspektive.

Marlehn Thieme im Gespräch mit Benedikt Schulz |
Die Präsidentin der Welthungerhilfe Marlehn Thieme stellt bei einer Pressekonferenz in Berlin den Jahresbericht 2019 der Hilfsorganisation vor
"Die Entscheidung des Komitees wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, was sich im Stillen immer weiter vor sich hin entwickelt", sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe Marlehn Thieme im Dlf (picture alliance/dpa/Lennart Stock)
Die COVID-19-Pandemie hat ein Schlaglicht geworfen auf Probleme, die schon vorher existiert haben, die aber nicht im öffentlichen Fokus waren oder die durch Corona verschärft worden sind - häufig auch beides zusammen. Der Hunger in der Welt ist ein solches Problem, das offenbar durch Corona verschärft wird. Am Freitag (09.10.2020) wurde das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen nun mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dafür gibt es nicht nur Zustimmung, sondern es wurden auch Vorwürfe laut, dies sei eine unpolitische, etwas mutlose Entscheidung in politisch schwierigen Zeiten. Die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme, widerspricht: "Der Hunger braucht Frieden, denn wir wissen, dass viele Hungernde gerade dadurch Hungernde werden, dass sie in Krisengebieten, in Konflikten leben. Und daher ist der Blick des Nobelpreiskomitees auf die Hungersituation in der Welt mit über 690 Millionen Menschen, die aktuell hungern auf der Welt, ein ganz wichtiger", sagte sie im Dlf.
23. Juni 2019: Ein Sack mit Hilfsgütern des Welternährungsprogramms in Sanaa, Jemen, und ein Mann
Friedensnobelpreis für Welternährungsprogramm - Wie die Pandemie den Hunger in der Welt verschärft Während jahrelang immer weniger Menschen hungern mussten, steigt ihre Zahl nun wieder. Die Corona-Pandemie und die Wirtschaftskrise sind auch Auslöser. Das Welternährungsprogramm, gerade mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, braucht zusätzliche Milliarden, um die Not zu lindern.
"COVID-19 ist Brandbeschleuniger"
Zu Krieg und Konflikten als Ursache von Hunger komme der Klimawandel als Verstärker hinzu: Klimabedingte Überschwemmungen und Dürren, die gerade im Sudan die Menschen erneut in die Hungersituation drängten, belegten, dass auch der Klimawandel als ernst zu nehmende Hungerursache stärker bekämpft werden müsse, so Marlehn Thieme. Und nun komme auch noch COVID-19 als Brandbeschleuniger hinzu. Die Pandemie werfe ein Schlaglicht auf die strukturellen Probleme: Es gebe Menschen, die lebten von der Hand in den Mund und könnten abends nur das essen, was sie tagsüber bei der Arbeit verdient hätten. Durch den Lockdown sei ihnen dieser Arbeitsmarkt verschlossen gewesen und sie hatten plötzlich nichts mehr zu essen gehabt.
Das 14-jährige Mädchen Purity Kamonya und ihr siebenjähriger Bruder John Kisare in Nairobi / Kenia
Welthungerhilfe
COVID-19 bringt den Tod auf Umwegen
Zwischen 80 bis 130 Millionen Menschen würden durch die Auswirkungen von COVID-19 zusätzlich in den Hunger getrieben, bilanzierte Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, im Dlf. Besonders in Ländern südlich der Sahara und in Südasien würde die Pandemie bereits vorhandene Probleme verstärken.
Corona treibe jetzt noch mal deutlich mehr Menschen in den Hunger: So habe die UNO-Landwirtschaftsorganisation berechnet, dass zusätzlich 83 bis 132 Millionen Menschen mehr von Hunger betroffen seien. "Das zeigt im Grunde nur, dass wir da weggeguckt haben bisher und wir müssen genauer hingucken. Und der Nobelpreis ermöglicht diese Perspektive auch für die Medien und die Journalisten, dass sie dort noch einmal genauer hingucken, denn wir müssen weiter die Unterernährung der Menschen bekämpfen. Sie brauchen ein Dach überm Kopf, sie brauchen Saatgut, sie brauchen bessere Anbaumethoden gerade für klimawandelbedingte Ernährungsprobleme. Wir müssen mehr hingucken, wo Mütter mit Kleinkindern Mangelernährung bekommen, weil sie einfach nicht genügend haben", sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe.
"Arbeit unter Coronabedingungen weitermachen"
Marlehn Thieme begrüßte die Solidarität auch und gerade in Zeiten der Pandemie durch Spenderinnen und Spendern, aber auch durch den Bundestag: Er habe deutliche Maßnahmen zur Aufstockung der Entwicklungsarbeit beschlossen. Sie hoffe, dass das auch so bleibe und die Arbeit auch unter Coronabedingungen weitergeführt werden könne. Die zusätzlichen Mittel würden tatsächlich gebraucht, um Abstände einhalten zu können, um desinfizieren zu können, um den Menschen auch beizubringen, was eine Pandemie für sie bedeute. Es würden Infosendungen ausgestrahlt und Comics verteilt, damit die Menschen wüssten: Hände waschen, Abstand halten und Mund-Nasen-Schutz sind auch für sie wichtig.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2