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Querelen bei CDU und SPD
"Keine guten Zeiten für eine stabile Regierung"

Unmut über den Verlust des Finanzministeriums bei der CDU, führungslose SPD - sind die Volksparteien nach den Koalitionsverhandlungen im Sinkflug begriffen? Ja, glaubt der Politikwissenschaftler Tilman Mayer. Er sagte im Dlf, die aktuellen Querelen in den Parteien seien schlecht für die politische Kultur.

Tilman Mayer im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz kommen nach den Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD auf einer Pressekonferenz auf die Bühne.
    Schulz geht - wie lange bleibt Merkel noch? (dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld)
    Christoph Heinemann: Bei der SPD soll es schnell gehen beim Wechsel an der Spitze der Partei. Morgen berät das Präsidium. Nicht ausgeschlossen, dass Andrea Nahles dann kommissarisch die Führung der Partei von Martin Schulz übernehmen wird. Auch das passt nicht allen, deshalb der Vorschlag einer Urwahl, hieße, dass die Parteimitglieder die Frontperson küren würden. "Weiter so" können sich unterdessen auch viele Christdemokraten nicht mehr vorstellen. Jüngere Politikerinnen und Politiker sollen Aufgaben übernehmen. Dass Angela Merkel abtreten solle, sagt keiner laut, aber dass die Partei die Zeit nach ihrer Partei- und Regierungsführung in den Blick nimmt, ist unübersehbar und nicht zu überhören.
    Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Professor Tilman Meyer von der Universität Bonn. Guten Tag!
    Tilman Mayer: Guten Tag, Herr Heinemann!
    "Man muss mit der Konstellation auskommen"
    Heinemann: Herr Mayer, Merkel unverändert stark – können Sie Herrn Oettinger folgen?
    Mayer: Na ja, sie ist unter diesen Umständen natürlich jetzt in einer schwierigen Position, und sie ist sicherlich geschwächt, und in dieser Schwächephase tritt sie dann doch stark auf, könnte man so sehen.
    Heinemann: Der Unmut der CDU konzentriert sich ja jetzt auf die Vergabe der Ressorts. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" hat gestern ausführlich beschrieben, dass Merkel einfach wirklich nur vor der Alternative stand, CDU unter Wert verkaufen oder Verhandlungen scheitern lassen. Hat sie Ihrer Einschätzung nach richtig entschieden?
    Mayer: Also die Zumutung der drei maßgeblichen Ministerien, die von der SPD veranschlagt wurden und vereinnahmt wurden, ich hätte das an ihrer Stelle publik gemacht, dass eine Verhandlungsunterbrechung hätte stattfinden können. Und man hätte sagen können, das wird erwartet - soll man hier weitermachen, das hätte auch die SPD unter Druck gesetzt. Aber wie auch immer, jedenfalls ist es so, und man muss mit dieser Konstellation jetzt auskommen, auch als CDU, auch als Kanzlerin eine schwierige Phase, weil natürlich die Unruhe ja sehr groß ist, und alles, was man tut, ist jetzt in der Kritik.
    Heinemann: Unruhe nicht zuletzt bei der SPD. Die Antwort auf ein mögliches Nein der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag wäre für Angela Merkel der Artikel 63 des Grundgesetzes, der ja die Wahl der Kanzlerin regelt. Sie sagte gestern dazu im ZDF:
    Angela Merkel: Dann gehe ich zum Bundespräsidenten, und dann kommt wieder Artikel 63 unserer Verfassung ins Spiel, und dann muss er jemanden vorschlagen, und dafür stünde ich zwar zur Verfügung, aber wir haben jetzt gearbeitet, um eine Regierung zu bilden.
    "Tolle Tage" nicht durch eine Minderheitsregierung fortsetzen
    Heinemann: Das war ja interessant, dieses "stünde ich zur Verfügung". Deuten Sie das als Bereitschaft der Kanzlerin, eine Minderheitsregierung zu führen?
    Mayer: Nicht unbedingt. Also sie ist ja sozusagen gewarnt davor, eine derartige Situation sich einzuhandeln, denn schon jetzt haben wir ja genügend Turbulenzen in der eigenen Partei der CDU als auch bei der SPD. Diese tollen Tage jetzt noch mal fortzusetzen durch eine Minderheitsregierung, wäre ihr eigentlich nicht zuzumuten. Und ich glaube nicht, dass sie das favorisiert, aber wir erfahren stündlich Neues, insofern muss man sich natürlich auch auf so eine Situation einstellen.
    Heinemann: Die Turbulenzen sind allerdings in der CDU doch relativ verhalten. Wieso ist die CDU so brav?
    Mayer: Na ja, also wir diskutieren über die Nachfolge der Kanzlerin. Das ist natürlich schon eine starke Herausforderung für die Volkspartei, dass man öffentlich sich den Kopf zerbricht und das Ganze ja nicht nur auf freundschaftliche Weise unternimmt, wenn wir das Interview mit Roland Koch anschauen. Das heißt also, sie muss versuchen, hier aus dieser Konstellation irgendetwas zu machen und hat da eben Zugeständnisse gemacht in Gestalt der Ankündigung, dass jüngere Semester auch zum Zug kommen, aber Erfahrene hatte sie auch ins Spiel gebracht. Man muss ja sehen, auf de Maizière verzichtete sie, und es wird natürlich spannend sein, auf wen von den Erfahrenen denn doch auch noch zusätzlich, denn das steht ja im Raum.
    CDU wird nach Merkel wieder konservativer werden
    Heinemann: Sie haben Roland Koch erwähnt, den früheren hessischen Ministerpräsidenten von der CDU, der in der "FAZ" gesagt hat, die CDU habe alles mit sich machen lassen, damit es zur Regierung kommt. Wohin wird sich die Union, wird sich die CDU inhaltlich nach der Ära Merkel voraussichtlich bewegen, womit rechnen Sie?
    Mayer: Also nachdem es eigentlich unstrittig ist, dass die CDU nach links gerückt ist in der Ära Merkel, kann es nicht anders sein, als dass man sich natürlich auf die Bestände und die Substanz des großen Spektrums der Unionsparteien zurückbesinnt und natürlich ein Stück weit konservativer aufzutreten versucht, um auch gegenüber Leuten, die am Rande davon profitieren möchten, AfD und so weiter, hier sich besser abgrenzen zu können. Das heißt also, hier wird es eine Verschiebung geben, nicht aus der Mitte heraus, aber immerhin eine Korrektur steht natürlich an. Aber das hängt natürlich alles mit Personen zusammen, und wir haben diese Personen noch nicht vor Augen, denn die Frage der Nachfolge wird ja schon seit Langem gestellt, aber eine einfache Antwort darauf zu geben, das ist ja immer die Schwierigkeit, und insofern wird die Zusammensetzung des Kabinetts dann vielleicht eine Antwort geben können, wer in diese Positionen sich begeben kann.
    Heinemann: Halten Sie CDU und SPD, die beide über Kurs und Köpfe diskutieren, gegenwärtig für regierungsfähig?
    Mayer: Also in diesen tollen Tagen jedenfalls nicht, aber danach kommt ein Aschermittwoch, und natürlich sind die Volksparteien absolut in der Pflicht, Führungsaufgaben wahrzunehmen. Im Moment sieht es nicht danach aus, und sich da zu festigen und zu fangen, ist das Gebot der Stunde. Man kann nur hoffen, dass Vernunft wieder einkehrt und man versucht, Bodenhaftung zu bekommen.
    SPD: Urwahl "Schwächezeichen" für eine Volkspartei
    Heinemann: Bodenhaftung – schauen wir auf die SPD. Wer sollte die künftige Führungspersönlichkeit küren?
    Mayer: An sich ein Parteitag, aber im Moment ist eben einfach die Konstellation so, dass man die Rochade hin zu Frau Nahles eigentlich unterstützen kann. Man hat ja eigentlich in diese Richtung auch die ganze Zeit gedacht, dass man erkannt hat, der Parteivorsitzende Schulz ist sehr schwach, Frau Nahles ist in der Fraktionsführung, hat eigentlich eine starke Position und Anerkennung. Insofern auf diese Karte zu setzen war sicherlich richtig, auch wenn das typischerweise für die SPD dann wieder zu entsprechendem Unbehagen gegenüber der Spitze geführt hat. Also hier wird es darauf ankommen, dass man auch hier Bodenhaftung bekommt, und Frau Nahles, glaube ich, ist jetzt in der Poleposition und muss diese Position tatsächlich dann auch wirklich stark machen.
    Heinemann: Nun gibt es ja auch den Ruf nach einer Urwahl. Könnte die oder der Vorsitzende nach geltendem Parteiengesetz von den Mitgliedern gewählt werden?
    Mayer: Wir erleben ja eine Entwicklung, eine plebiszitäre Wende, so könnte man sagen, in den Parteien beziehungsweise in der SPD, dass man enorm stark auf die Mitglieder setzt, und das zeigt aber zugleich eigentlich – man hat es im Fall Schulz jetzt gesehen – … zu einer Schwächung der Parteiführung geführt hat. Insofern kann man eigentlich nicht empfehlen, dass die große Volkspartei SPD von der Führung her nicht in der Lage ist, ihr Führungspersonal selbst zu bilden. Natürlich braucht man irgendwann einen Parteitag, der das absegnet, aber da mit einer Urwahl entsprechend argumentieren zu wollen, ist typisch ein Schwächezeichen eigentlich der Volkspartei SPD und kein gutes Zeichen für die politische Kultur der Bundesrepublik.
    "Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus"
    Heinemann: Erleben wir insgesamt gerade die Sinkflutphase der Volksparteien – Plural?
    Mayer: Ja, das ist zu befürchten. Auch ich kenne noch keine Umfragen, aber es ist zu befürchten, dass die beiden Volksparteien unter diesen Querelen, die wir da erleben, leiden werden, und das ist, wie gesagt, für die politische Kultur eigentlich nicht gut, denn zumindest eine der Volksparteien muss in der Lage sein, entsprechend gut dazustehen, Anerkennung zu finden, und das ist im Moment eben sehr strittig, weil man aus dem Staunen gar nicht herauskommt, wenn man die Führungsfiguren beobachtet, und das sind keine guten Zeiten für eine stabile Regierung.
    Heinemann: Emmanuel Macron hat eine sehr persönliche politische Gruppierung geschaffen, die ihn in den Élysée getragen hat. Könnte dieses Modell die Volkspartei ablösen?
    Mayer: Ja, da kommt es eben auf die entsprechenden Figuren an, die wir eigentlich in der Bundesrepublik so auch im Moment, auch mit Blick auf Gabriel, nicht haben, und man muss auch sehen, in Frankreich ist es viel mehr üblich, dass sich die Parteien neu erfinden, auch die Sozialisten beziehungsweise auch die jetzigen Republikaner und Gaullisten hatten ja viele Veränderungen in ihrem Parteienspektrum erlebt, sodass En Marche nicht die ganz neue Erfindung des Parteiwesens in Frankreich ist. Insofern ist also der Transfer von Frankreich auf Deutschland hier mit Skepsis zu sehen.
    Heinemann: Der Politikwissenschaftler Professor Tilman Mayer von der Universität Bonn. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Mayer: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.