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4.000 Jahre alte Riesen-Eisplatte
Vor 20 Jahren zerbrach das Larsen-B-Schelfeis in der Antarktis

200 Meter mächtig und etwa so groß wie das Saarland war das Larsen-B-Schelfeis. Am 7. März 2002 brach die Eisplatte unerwartet von der antarktischen Halbinsel ab und zerschellte in tausende Eisberge - ein düsterer Gruß des Klimawandels.

Von Dagmar Röhrlich | 07.03.2022
Eisberge und -schollen treiben nach dem  am  8. März 2002 im Meer der Antarktis, nachdem sich dort eine gigantische Eisfläche von mehr als der vierfachen Größe  Hamburgs gelöst hat und  in mehrere tausend Teile zerbrochen istDie
Das antarktische Meer am 8. März 2002: Eisberge und -Schollen treiben nach dem Abbruch des Larsen-B-Schelfeises (picture-alliance / dpa/dpaweb)
Es sollte eine normale Mess-Saison werden für das Team des argentinischen Glaziologen Pedro Skvarca. Sie hatten ihre Zelte auf "Larsen B" aufgebaut, einem Schelfeis vor der Ostküste der Antarktischen Halbinsel, das von drei Gletschern gespeist wird. Wenn es das Wetter zuließ, luden die Forscher ihre Instrumente auf die Schneemobile. Ihre Aufgabe: Sie sollten selbst kleinste Veränderungen in Größe und in Bewegungen des 200 Meter mächtigen, schwimmenden Eispanzers messen. Alles schien wie immer – doch das war es ganz und gar nicht.
„Es war etwas neblig, und wir fuhren mit GPS, als ich plötzlich bremsen musste, weil sich vor mir eine etwa hundert Meter breite Spalte öffnete, die 30 Meter tief ins Meer abbrach", erinnert sich Pedro Skvarca in einem Interview mit der BBC. Etwas stimmte nicht. 12.000 Jahre hatte das Larsen-B-Schelfeis stabil vor der Küste gelegen. Doch nun entdeckten die Forscher überall besorgniserregende Zeichen des Zerfalls. Risse bildeten sich, auf der Eisfläche sammelten sich Seen aus Schmelzwasser, es gurgelte durch Spalten hinab, stürzte in Wasserfällen über die Riffkante ins Meer, von der ein Eisberg nach dem anderen abbrach.

Ein Menetekel für den Klimawandel?

Nur sieben Jahre zuvor war das benachbarte Schelfeis Larsen A nach 4.000 Jahren seiner Existenz spektakulär zerborsten. War auch das Schicksal von Larsen B besiegelt? Dann ging alles sehr schnell: Wenige Wochen später, am 7. März 2002, war von Larsen B nicht viel mehr übrig als unzählige Eisberge, die aufs Meer trieben und zwischen denen Wale schwammen.
Hatte der Kollaps von "Larsen A" international wenig Aufsehen erregt, wurde das rasante Bersten von Larsen B zum Menetekel für den Klimawandel. Doch inzwischen ist klar: Die
35 Tage, die dieser aktive Zerfall gedauert hatte, sie waren nur der letzte Akt: "Wenn Schelfeis auseinanderbricht, läuft das über drei Stadien", erläutert der Glaziologe Bernd Kulessa von der Swansea University:
"Zuerst löste sich 1986 der gesamte vordere Teil des Larsen-B-Schelfeises als Eisberg ab. Dieser Teil hat jedoch das ganze Schelfeis zusammengehalten, so dass sich danach die Art, wie Eisberge kollabieren, vollkommen verändert: In dieser zweiten Phase bröckelt das Schelfeis zurück, fällt ins Meer, bis es einen kritischen Punkt erreicht, bei dem es so schwach wird, dass es einfach nicht mehr existieren kann. Bei Larsen B fand dieses erste Kalben 1986 statt, dann bröckelte es 16 Jahre lang bis zum Jahr 2002 zurück.“

Abschied von Larsen B im Januar 2022

Es begann Phase drei. An der Oberfläche sammelte sich Schmelzwasser in zahllosen Seen, wurde immer schwerer, bis es schließlich das Eis durchbrach und es regelrecht sprengte. Nur ein paar letzte Reste blieben noch von Larsen B – und selbst die sind seit Mitte Januar 2022 Geschichte.

Derzeit läuft der Zerfall am benachbarten und sehr viel größeren Schelfeisareal "Larsen C". Dort konnten Forscher den Auslöser eines Kollapses erforschen. Denn es geht um mehr als steigende Temperaturen. Ein weiterer Faktor: starke Föhnwinde, erklärt Jenny Turton vom British Antarctic Survey:
"Die Antarktische Halbinsel ist ein in Nord-Süd-Richtung verlaufender Gebirgszug, über den Westwind weht. Die Luft ist also gezwungen, über das Gebirge aufzusteigen, kühlt dabei ab, kondensiert, bildet Wolken, regnet und setzt latente Wärme frei. Auf der anderen Seite steigt sie ab und erwärmt sich dabei. Die Erwärmung kann 15 Grad betragen, manchmal sogar 18."

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In Frühling und Sommer können so Plus-Grade auftreten. Dann nagt der warme Wind am gesamten Schelfeis: Schmelzwasserseen bilden sich und beschleunigen den Zerfall, sobald sich der große Tafeleisberg an der Meerfront gelöst hat. Das Problem: Schelfeis wirkt wie ein Stopfen für die Gletscher im Hinterland und hält sie zurück. Verschwindet es, fließen sie umso schneller ab – mit Folgen für den Meeresspiegel.
Die Gletscher im Hinterland von Larsen B sind seit 2002 deutlich schneller geworden – und damit fließt auch mehr Eis in den Ozean ab. Doch das dürfte nur ein Vorgeschmack sein. Denn in den Gletschern, die Larsen C speisen, steckt genug gefrorenes Wasser, um den globalen Meeresspiegel um schätzungsweise zehn Zentimeter ansteigen zu lassen.