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Vor 125 Jahren geboren
Ludwig Erhard - vom Wundermacher zum Kanzler von trauriger Gestalt

Der am 4. Februar 1897 in Fürth geborene Wirtschaftswissenschaftler Ludwig Erhard ging als "Vater des bundesdeutschen Wirtschaftswunders" in die Nachkriegsgeschichte ein. Doch als Nachfolger Konrad Adenauers im Kanzleramt erwies sich der große Ökonom als wenig begabter Politiker.

Von Norbert Seitz | 04.02.2022
Ludwig Erhard in einer Aufnahme von 1966
Ludwig Erhard in einer Aufnahme von 1966 (picture-alliance / Sven Simon)
"Herr Präsident, meine Damen und Herren, Sie haben mir durch Ihre Entscheidung das höchste Regierungsamt übertragen. Ich werde aus christlicher Gesinnung und Verantwortung handeln. Ich fühle mich der Demokratie und der tragenden Kraft des Geistes verpflichtet."
Ludwig Erhard ist am Ziel. Als Nachfolger Konrad Adenauers wird er im Oktober 1963 zum zweiten Bundeskanzler der Bundesrepublik gewählt. Der Vater des bundesdeutschen Wirtschaftswunders gilt als Erfolgsgarant der deutschen Politik. Erhard selbst kündigt, "eine Politik der Mitte und der Verständigung", an – und verspricht: "der Weg in die Zukunft wird uns weiter aufwärtsführen.“

Schon 1944 ein Konzept für den Nachkriegs-Aufschwung vorgelegt

Ludwig Erhard wurde am 4. Februar 1897 im fränkischen Fürth geboren. Seine Eltern betreiben ein Textilgeschäft, der Junge lernt früh kaufmännisch zu denken. Nach seinem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften steigt Erhard während der NS-Zeit zum Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung auf. 1944 verfasst er eine geheime Denkschrift „Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung“, die einer Blaupause der Reformen für den wirtschaftlichen Aufschwung im Nachkriegsdeutschland gleichkommt:
„Ich habe seinerzeit schon die Gedanken niedergelegt, die die Politik kennzeichnen, die notwendig ist, um auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet das ganze Elend zu überwinden und wieder einen neuen fruchtbaren Beginn überhaupt zu wagen."
Die Alliierten setzen Erhard im März 1948 als Direktor im Vereinigten Wirtschaftsgebiet der Westzonen ein und betrauen ihn mit der Vorbereitung der Währungsreform. Dabei setzt sich der überzeugte Marktwirtschaftler gegen die Preiskontrollen der Alliierten und die rationierte Verteilung von Waren durch. Am Tag der Geldausgabe zur Währungsreform im Juni 1948 verkündet Erhard: „Aus diesem Grunde soll nach meinem festen Willen die Geißel des Bezugsscheins ein für alle Mal aus unserer Wirtschaft und dem gequälten Dasein des Normalverbrauchers verschwinden.“

Dissens mit Adenauer beim Thema Rente

Konrad Adenauer nimmt den Glücksritter Erhard im September 1949 als Wirtschaftsminister in sein erstes Kabinett auf und setzt dabei auf das richtige Pferd. Die Industrieproduktion läuft alsbald auf Hochtouren. Erhards Publikation „Wohlstand für alle“ avanciert zum Bestseller, das Label „Soziale Marktwirtschaft“ zum langlebigen Markenzeichen der Unionsparteien.
Doch bei Einführung der dynamischen Altersrente 1957 gerät Vizekanzler Erhard mit seinem Kanzler überkreuz. Adenauer feiert die den Löhnen und Gehältern angepasste und umlagenfinanzierte Rente: „Das neue Gesetz ist ein sozialer Fortschritt allerersten Ranges." - Erhard dagegen hält die Dynamisierung der Rente für auf Dauer nicht finanzierbar:
„Wir haben offenkundig das Gefühl für das Mögliche verloren und schicken uns an, eine Sozialpolitik zu betreiben, die vielleicht das Gute will, aber mit Sicherheit das Böse, nämlich die Zerstörung einer guten Ordnung, schafft."

Die Rezession kratzt am Image

1959 will Adenauer seinen Kabinettsvize als Nachfolger von Bundespräsident Heuss ins höchste Staatsamt wegloben, doch der ehrgeizige Franke beharrt auf seinen Kanzleransprüchen. Aber die Glücksträhne hält nicht lange. Erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Rezession kratzen am Wunderimage des einstigen Erfolgsministers. Als im Oktober 1966 in der christlich-liberalen Koalition Haushaltslücken durch Steuererhöhungen finanziert werden sollen, erklärt der Parteichef der Liberalen, Erich Mende:
"Dass die vier Minister der FDP ihren Rücktritt erklären, nachdem auch gestern Abend die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Koalitionsfraktionen über die Finanz- und Haushaltspolitik nicht überbrückt werden konnten.“

Der bislang glückloseste Bundeskanzler

Ludwig Erhard ist am Ende, gestürzt vom Koalitionspartner und seinen Parteifreunden. Während er als Wirtschaftsminister in die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik eingeht, gilt er dagegen als bislang glücklosester Bundeskanzler. 1977 stirbt Ludwig Erhard 80-jährig in Bonn. Politisch war es schon lange einsam um ihm.