Bund und Länder haben eine Verlängerung des Teil-Lockdowns beschlossen. Gastronomie- und Kulturbetriebe müssen weiterhin geschlossen bleiben, Kontaktbeschränkungen werden verschärft. Trotzdem beharrt die AfD auf einem Präsenzparteitag und kommt mit 600 Delegierten plus Mitarbeitern und Journalisten in der nordrhein-westfälischen Stadt Kalkar zusammen.
Möglich wird dies durch die Corona-Schutzverordnung des Landes NRW. Dort heißt es, dass Veranstaltungen von Parteien, "insbesondere Aufstellungsversammlungen von Parteien zu Wahlen und Vorbereitungsversammlungen" unter Beachtung bestimmter Regelungen zulässig seien. Dazu zählen Hygiene-Maßnahmen, ein Lüftungskonzept sowie die Maskenpflicht auch am Sitzplatz, gegen die die AfD aber im Vorfeld dennoch juristisch vorging.
Präsenz statt digital
AfD-Justiziar Stephan Brandner hält die Maskenpflicht für eine eine "Gängelung", der Abgeordnete Thomas Seitz bezeichnete sie als "Burka für alle". Meuthen sieht die Wortwahl kritisch, betonte aber: "Es ist aber völlig egal, ob die Herren Brandner, Seitz oder andere die Maske kritisch sehen oder gar völlig ablehnen. Wir sind hier gehalten, uns alle an diese Maskenpflicht zu halten, und wir werden akribisch darauf achten, dass jeder einzelne sie auch einhält."
Dass Treffen in geschlossenen Räumen generell ein hohes Risiko darstellen, zweifelt auch AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen nicht an. "Das ist schon alles richtig und hat seinen guten Sinn in der Pandemie, die wir haben, und es ist gut, dass dagegen mit entsprechenden Maßnahmen vorgegangen wird", stellte Meuthen im Deutschlandfunk klar. Dass seine Partei im Gegensatz zur CDU, die ihren Parteitag verschob, oder zu den Grünen, die ihren digital stattfinden ließen, dennoch als Präsenzveranstaltung abhalten möchte, begründete Meuthen so: "Weil man in Präsenz Dinge ganz anders diskutieren kann."
Meuthen äußerte zudem, dass er die Maßnahmen der Bundesregierung "für unsinnig, für unangemessen, unausgegoren und auch ganz schlecht abgestimmt" hält. Plakate seines Landesverbands mit dem Aufdruck "Die Corona-Dikatatur muss beendet werden" seien eine Position, die er nicht teile. Vom Begriff Corona-Diktatur, den auch der AfD-Ehrenvorsitze Alexander Gauland verwendet, distanzierte sich Meuthen: "Ich zum Beispiel halte von dem Begriff – dazu werde ich morgen auch sprechen – Corona-Diktatur überhaupt nichts."
__________________
Das Interview im Wortlaut
Heinlein: Warum trifft sich Ihre Partei an diesem Wochenende analog und nicht digital? Haben Sie keine Angst vor dem Virus?
Meuthen: Lassen Sie mich zunächst sagen: Wir treffen wirklich alle, alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen, um diesen Parteitag ohne irgendwelche Risiken abzuhalten, und das werden wir auch schaffen. Wir werden sehr diszipliniert alle Vorschriften einhalten, übrigens auch die Maskenpflicht am Platz, denn mittlerweile gibt es dazu einen gerichtlichen Beschluss, dass es auch am Platz uns auferlegt ist, Maske zu tragen (*). Dagegen und nur dagegen hatten wir geklagt, weil wir das für nicht notwendig hielten. Das haben wir aber untersagt bekommen, es anders zu halten, und daran werden wir uns strikt halten und das wird gehen. Wir werden das in großer Disziplin abhalten.
"In Präsenz kann man Dinge ganz anders diskutieren"
Heinlein: Warum Präsenz und nicht digital?
Meuthen: Weil man in Präsenz Dinge ganz anders diskutieren kann. Das hat Ihre Anmoderation ja schon gezeigt. Wir haben da einiges miteinander zu besprechen. Und das weiß nun jeder, der soziale Kontakte pflegt, dass es im direkten Kontakt zueinander besser geht und man Dinge besser diskutieren kann, als wenn man zum Beispiel telefoniert oder virtuell zugeschaltet ist in Videokonferenzen, namentlich in einer sehr großen Gruppe. Das heißt, wir können so besser arbeiten, und wir wollen diese offene Flanke, die wir noch immer hatten in unserem Parteiprogramm, die wollen wir schließen. Wir waren damit eigentlich schon Anfang des Jahres fertig, dann kam Corona dazwischen, und wir sind sehr froh, dass wir das jetzt machen können, denn an diesem Punkt hat unser Parteiprogramm noch einen offenen Punkt und den werden wir an diesem Wochenende schließen.
Heinlein: Über diesen offenen Punkt in der Rentenpolitik werden wir gleich noch sprechen. Aber, Herr Meuthen, Sie wissen auch, wenn man die Nachrichten verfolgt, wenn man den Kopf nicht zumacht, dann weiß man, Treffen in geschlossenen Räumen, das ist ein hohes Risiko. Das sagen durch die Bank alle ernst zu nehmenden Virologen weltweit. Zweifeln Sie an diesen Erkenntnissen der Wissenschaft?
Meuthen: Nein! – Nein, nein! Das ist schon alles richtig und hat seinen guten Sinn in der Pandemie, die wir haben, und es ist gut, dass dagegen mit entsprechenden Maßnahmen vorgegangen wird. Und noch einmal: Wir werden uns akribisch daran halten. Wir werden zum Beispiel immer wieder durchlüften. Wir haben eine ganz klare Durchlüftungskonzeption. Das heißt, es wird immer wieder unterbrochen werden, um wirklich durchlüften zu können. Wir werden die Abstandsgebote vollständig einhalten. Wir werden Maskenpflicht haben überall. Wir werden Hygienemöglichkeiten noch und nöcher an jeder Ecke bereitstehen haben, so wie in diesen Zeiten der Pandemie man miteinander lebt, wenn man sich begegnet.
"Wir sind hier gehalten, uns alle an diese Maskenpflicht zu halten"
Heinlein: Aber für Ihren Justiziar Stephan Brandner ist diese Maskenpflicht eine "Gängelung". Oder der Abgeordnete Thomas Seitz hat das als "Burka für alle" bezeichnet. Teilen Sie diese Wortwahl?
Meuthen: Ich teile die Wortwahl nicht, aber die dürfen sie haben. Da kann nun jeder seine eigene Meinung zu haben. In der Tat gibt es durchaus auch plausible Gründe, die Maske als solche kritisch zu sehen. Ich selbst halte sie aber in Abwägung aller Argumente pro und kontra für sinnvoll. Es ist aber völlig egal, ob die Herren Brandner, Seitz oder andere die Maske kritisch sehen oder gar völlig ablehnen. Wir sind hier gehalten, uns alle an diese Maskenpflicht zu halten, und wir werden akribisch darauf achten, dass jeder einzelne sie auch einhält.
Heinlein: Ist Ihre Präsenzveranstaltung in Kalkar auch als Signal gedacht an die Szene der Corona-Skeptiker, an die Querdenken-Bewegung? Einige Ihrer Parteifreunde, Sie wissen es, sind ja ganz vorne mit dabei bei deren Kundgebungen.
Meuthen: Ich denke, es ist eher ein Signal an die Gesellschaft: Schaut her, es ist durchaus möglich, wenn man sich diszipliniert verhält, sich auch in größeren Gruppen zu treffen und soziale Kontakte – auch ein Parteitag ist ein sozialer Kontakt – tatsächlich unterhalten zu können, wenn man es nur richtig macht.
Heinlein: Ihr Landesverband Niedersachsen hat aber zuletzt Plakate gedruckt mit dem Slogan "Die Corona-Diktatur muss beendet werden". Wo sind da noch die Unterschiede zur Querdenken-Bewegung?
Meuthen: Das ist eine Position, die einige haben. Ich zum Beispiel halte von dem Begriff – dazu werde ich morgen auch sprechen – Corona-Diktatur überhaupt nichts. Auch ich halte – und das tun, glaube ich, alle in meiner Partei – viele der Maßnahmen der Bundesregierung für unsinnig, für unangemessen, unausgegoren und auch ganz schlecht abgestimmt. Das heißt, Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung ist richtig, ist notwendig, ist Aufgabe der Opposition. Gleich von einer Corona-Diktatur zu sprechen, halte ich aber für deutlich übers Ziel hinausgeschossen.
Heinlein: Wie schwer wird es denn für Sie als Parteivorsitzender, sich von dieser Querdenken-Szene, von dieser Corona-Skeptiker-Szene abzugrenzen, wenn jetzt ja einzelne AfD-Bundestagsabgeordnete Corona-Leugner und Anhänger der Querdenken-Bewegung in den Bundestag eingeladen haben, wie zuletzt geschehen? Sie wissen es.
Meuthen: Ja, das war ein sehr unglücklicher Vorgang. Aber der wird ja nun nicht nur von mir verurteilt, sondern der ist auch von der Fraktion im Ganzen verurteilt worden und es hat sogar Sanktionen gegen die Abgeordneten gegeben, die das ermöglicht haben. Daran können Sie sehen, dass das nicht schwerfällt, sich dagegen abzugrenzen, sondern wir haben einen Meinungspluralismus und einige sind auch so, dass sie sagen, die Positionen, die da bei Querdenken vertreten werden, die auch nicht alle verrückt sind – da sind ja ganz vernünftige Menschen dabei wie auch weniger vernünftige -, da bin ich dem durchaus nahe. Das ist legitim. Aber die Gesamtposition muss sehr, sehr klar sein. Wir tragen selbstverständlich mit Maßnahmen gegen die Pandemie. Wir wollen sie nur vernünftig haben. Wir wollen sie wirklich angemessen haben und wir wollen sie wirklich auch verhältnismäßig haben. Vieles von dem, was die Bundesregierung macht, ist einfach unverhältnismäßig. Ich könnte da mit dem Schulalltag meiner Kinder anfangen. Da ist vieles wirklich alles andere als durchgedacht.
Heinlein: Herr Meuthen, ist denn in Ihrer Partei, der AfD, Platz für diese weniger vernünftigen, wie Sie sagen, für die Verschwörungsideologen und Corona-Leugner?
Meuthen: Ich bin grundsätzlich überhaupt kein Freund von Verschwörungstheorien. In Meiner Partei ist Platz für Meinungspluralismus. Aber es muss dann auch klar sein, dass man sich hinter einer gemeinsamen Position schart, und diese Position muss immer eine Position der bürgerlichen Vernunft sein.
Heinlein: Eine gemeinsame Position suchen Sie auch seit Jahren in der Renten- und Sozialpolitik – eine offene Flanke, Sie haben es angesprochen. Warum haben Sie es in sieben Jahren nicht geschafft, auf diesem zentralen Politikfeld Antworten zu finden?
Meuthen: Fragen Sie doch mal die regierenden Parteien, warum sie es 40 Jahre nicht geschafft haben. Das Problem in der Rentenpolitik ist seit Ende der 70er-Jahre, mithin bald 50 Jahre bekannt, und sie haben es nicht geschafft, dieses Problem zu lösen. Sie haben auch jetzt kein vernünftiges Papier. Die CDU legt jetzt ein Papier vor, von dem Herr Raffelhüschen, der Rentenexperte in unserem Land, sagt, das sei völlig unausgewogen.
Heinlein: Herr Meuthen, können wir über Ihre Partei reden und nicht über andere?
Meuthen: Können wir gerne machen.
Heinlein: Bei Ihnen im Programm fehlt bisher ein Konzept zur Renten- und Sozialpolitik – seit sieben Jahren. Warum?
Das Ringen um ein Renten-Konzept
Meuthen: Das ist eines der komplexesten Themen, das wir in der Politik haben. Wir haben uns als junge Partei gegründet. Wir sind sehr, sehr diskussionsintensiv und wir haben uns damit wirklich intensiv auseinandergesetzt, und ich meine, dass dieser Zeitraum auch völlig angemessen ist, um Antworten auf diese komplexen Fragen zu finden. Noch einmal: Andere haben das in Jahrzehnten nicht geschafft. Und es gibt auch keine einfachen Antworten darauf. Es gibt darauf auch keine Formel, die alle Probleme der Rentenversicherung ad hoc lösen könnte. Das ist ein Ding der mathematischen Unmöglichkeit. Das weiß jeder, der sich mit der Materie je tiefer befasst hat.
Heinlein: An welchen inhaltlichen Punkten, Herr Meuthen, gab es denn bislang Streit innerhalb der AfD beim Thema Rente? Können Sie uns das so erklären, dass man das als nicht Wirtschaftsprofessor, als Laie auch versteht?
Meuthen: Ich denke, ja. Die inhaltliche Diskussion ging im Wesentlichen zwischen Albrecht Glaser, den Sie auch in der Anmoderation hatten, und mir. Es ist die Frage, ob wir innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung, wie wir sie kennen, solche Modifikationen vornehmen können, dass das gerichtsfest ist, oder ob man das versucht, außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung. Hier war ich der Radikale, weil ich den Vorschlag gemacht habe, dass wir uns in einer langen Übergangsphase von der gesetzlichen Rentenversicherung verabschieden, weil ich sie für nicht zukunftsfestmachbar halte. Das hat aber eine Mehrheit anders gesehen und dann haben wir uns gemeinsam hinter der anderen Position geschart, die ich auch mittrage, die man – das muss man der Lauterkeit halber sagen – auch durchaus vertreten kann. Hier hatte eher ich die deutlich radikalere Position zu sagen, lasst uns das grundsätzlich anders gestalten, es geht innerhalb des bestehenden Systems nicht. Aber Sie können in allen Reformvorschlägen sehen, dass es kaum rechenhaft ist.
Heinlein: Sie haben als Marktliberaler die Auseinandersetzung mit dem Glaser-Flügel, mit dem sozial-nationalistischen Flügel verloren?
Meuthen: Nee, und zwar ganz und gar nicht, weil Glaser ist nicht sozial-nationalistisch. Glaser selbst, fragen Sie ihn, hält von dem Papier, das da aus Thüringen kam, das sich verbindet mit dem Namen des thüringischen Landesvorsitzenden Höcke, herzlich wenig, wie ich im Übrigen auch. Dieses Papier war gar nicht Gegenstand der Diskussion, sondern Gegenstand der Diskussion war die mittige Auffassung von Glaser, die nun alles andere ist, aber nicht sozial-nationalistisch im Sinne der Thüringer, und der doch etwas radikaleren Position, die ich vertrat. Da ging die Diskussion und in dieser Diskussion war doch eine Mehrheit in der Bundesprogrammkommission, in der wir intensiv gerungen haben, der Auffassung, eine Verabschiedung von der gesetzlichen Rentenversicherung anzustreben, das ginge denn doch zu weit. Das ist eine Position, die man haben kann.
Heinlein: Herr Meuthen, in Kalkar geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch um Personalien, unter anderem um die Nachfolge von Andreas Kalbitz. Er hat im Streit Ihre Partei verlassen müssen. Wie wichtig ist diese Personalentscheidung für den künftigen Kurs Ihrer Partei?
Meuthen: Kalbitz war Beisitzer im Bundesvorstand und wir müssen eine Beisitzerposition nachwählen. Wir müssen auch den Posten des Schatzmeisters nachwählen. Das sind zwei Position von 14 im Bundesvorstand, die derzeit unbesetzt sind und die wir nachwählen müssen. Damit verkomplettieren wir den Bundesvorstand wieder. Das ist insoweit ein ganz normaler Vorgang, weil innerhalb einer Amtsperiode immer mal einzelne ausfallen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
(*) Anmerkung der Redaktion: Zum Zeitpunkt des Interviews hat das OVG Münster noch nicht über die Maskenpflicht am Platz beim AfD Parteitag entschieden.