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Afghanistan wählt neues Staatsoberhaupt
Wahlen im Schatten der Taliban

Der Krieg in Afghanistan ist nach dem Abbruch der Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban erneut eskaliert. Am Samstag finden Präsidentschaftswahlen statt. Doch heißt das, dass in Afghanistan nun Demokratie und Rechtsstaat triumphieren?

Von Marc Thörner | 27.09.2019
Wahlplakat in Afghanistan
Wahlwerbung in Afghanistan (dpa / MAXPPP)
Von einem Hügel aus lässt sich ganz Kabul überblicken. Eine Flut beigefarbener, flacher Gebäude. Hier und da steigt zwischen ihnen das Glas-und Stahl-Gestänge eines Hochhauses auf. An diesem Aussichtspunkt steht Achtar. Der 60-Jährige mit dem grau melierten Vollbart und dem wettergegerbten Zügen ist heute pensioniert. In den 1990er-Jahren, nach dem Abzug der Roten Armee, saß er hier als Polizeibeamter auf verlorenem Posten. Hilflos musste er mitansehen, wie sich nach ihrem Sieg über die Sowjets die afghanischen "Gotteskrieger", die Mudschaheddin, gegenseitig zerfleischten.
Vom Hügel gegenüber, zeigt Achtar, schoss die Truppe von Abdullah Abdullah und Ahmed Wali Masoud. Dort ließ die Artillerie von Gulbuddin Hekmatyar ihre Granaten regnen. Alle Konfliktparteien plünderten und massakrierten rücksichtslos - auch Zivilisten. Und von Kabul blieb nur ein Trümmerfeld.
Afghanische Studenten in Kabul bei der Abschlussfeier
Bildungssystem in Afghanistan - "Eine Machtteilung mit den Taliban würde das Rad zurückdrehen"
Seit 40 Jahren herrscht Krieg in Afghanistan. Viele Schulen und Universitäten sind zerstört, zahlreiche Lehrer und Dozenten haben das Land verlassen. Sollte es nun zu einer Machtteilung mit den Taliban kommen, hätte dies für die Bildung von Mädchen und Frauen gravierende Folgen, so Martin Gerner im Dlf.
Unten im Stadtzentrum hängen die Wände voll mit Wahlplakaten. Auf ihnen sind die Gesichter der Männer zu sehen, deren Truppen Kabul damals in Schutt und Asche schossen: Gulbuddin Hekmatyar, Abdullah Abdullah, Ahmed Wali Masoud.
"Die Religionsstudenten"
Wie in den 1990er-Jahren gibt es jetzt eine Bewegung, die das Ende der Zersplitterung verkündet, sich als Garant der Einheit und des Friedens präsentiert. Und wie damals nennt sich diese Bewegung noch immer: "Taliban". Übersetzt: "Die Religionsstudenten".
Nachdem die Verhandlungen mit ihnen vorläufig gescheitert sind, scheint ein Aufatmen durch die Reihen der einstigen Warlords und heutigen Politiker zu gehen. Präsidentschaftskandidat Ahmed Wali Masoud:
"Natürlich sind die Menschen in Afghanistan absolut kriegsmüde und sehnen sich nach Frieden. Aber wir wissen nicht, wie wir bei solchen Verhandlungen den Frieden schaffen sollen. Die afghanische Regierung tappt völlig im Dunkeln, die Bevölkerung hat keine Ahnung, was da vor sich geht. Der Einzige, der etwas weiß, ist der US-Verhandlungsführer, Doktor Khalilzad.
Alle andern haben keine Ahnung. Und wir wissen auch nicht, worüber eigentlich verhandelt wurde. Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt. Die afghanische Bevölkerung bekommt darüber keine Informationen, das ist für uns das Hauptproblem."
Wahlen wieder ganz oben auf der nationalen Agenda
Nach dem gescheiterten Friedensabkommen stehen die Wahlen wieder ganz oben auf der nationalen Agenda. Am 28. September sollen die Afghanen sich zwischen dem amtierenden Präsidenten Ashraf Ghani, einigen neuen und unabhängige Kandidaten, und den bekannten alten - und noch immer aussichtsreichsten Persönlichkeiten entscheiden. Zu ihnen gehört auch Abdullah Abdullah, unter Präsident Ashraf Ghani ist er derzeit noch Regierungschef. Er hatte sich bereit erklärt, im Falle eines Friedensschlusses mit den Aufständischen, die Wahlen erst einmal hintan zu stellen. Nun scheint er zufrieden, dass gewählt wird. Die Afghanen, unterstreicht er, müssten schließlich selber über ihre Zukunft entscheiden. Und das könne ihnen niemand von außerhalb des Landes abnehmen.
"Inzwischen setzt sich im Westen mehr und mehr die Ansicht durch: Demokratie funktioniert in Afghanistan sowieso nicht. Das ist doch die latente Stimmung, oder? Nur, so etwas anzunehmen, ist ein schwerer Fehler. Wenn es in den ersten vier Jahren nach 2001 eine relative Ruhe gab, wenn sich die Dinge in die richtige Richtung bewegten, dann lag das daran, dass man den Afghanen das Versprechen gegeben hat, sie würden ihr Schicksal selbst bestimmen können. Kein Zweifel: Demokratie ist für uns eine neue Erfahrung. Aber auf den Geist der Demokratie hatten die Afghanen stets ihre Hoffnungen gesetzt."
Beide, Abdullah wie Masoud, treten zwar gegeneinander an, gehören aber gemeinsam zur selben Gruppe der ehemaligen Mudschaheddin-Fraktionen, zur Nordallianz. Diese überwiegend tadschikischen und usbekischen Ethnien wurden am Ende von den paschtunisch dominierten Taliban aus Kabul vertrieben. Und während die Taliban unter dem Banner von Einheit und Religion fast das ganze Land besetzten, klammerten sich die bewaffneten Tadschiken und Usbeken in einer letzten Enklave fest.
Was sie damals rettete, war der 11. September 2001 - genauer: die Entscheidung der US-Regierung, die Nordallianz zu ihren Bodentruppen zu machen. Mit ihrer Hilfe wurden die Taliban besiegt und wieder aus Kabul vertrieben.
Mutation von Mudschaheddin zu Politikern
2001, auf der Bonner Petersberg-Konferenz, mutierten Abdullah Abdullah, Ahmed Wali Masoud und andere Nordallianz-Anführer von Mudschaheddin zu Politikern. Als es darum ging, ein neues Afghanistan aufzubauen, wurden sie die bevorzugten Ansprechpartner des Westens.
Und so viel sie 2001 durch ihre Mutation gewannen, so viel könnten sie heute wieder verlieren, sollten die Taliban zurückkommen. Millionen und Milliarden, oft aus internationalen Hilfsgeldern abgezwackt, wandern seit langem ins Ausland, bevorzugt nach Dubai. Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghan Analysts Network, einem unabhängigen Think Tank mit Sitz in Kabul und Berlin:
"Wenn man zwischen Kabul und Dubai hin- und herfliegt, trifft man halt immer wieder Politiker und Geschäftsleute, die da rüber fahren, die da Besitz haben, die da wohnen, die da investiert haben."
Afghanische Sicherheitskräfte und Helfer durchsuchen die Trümmer nach einem Anschlag vor einem Krankenhaus in der Provinz Sabul. 
Jürgen Hardt, CDU - "Taliban sitzen am längeren Hebel"
Nach dem Abbruch der Friedensgespräche in Afghanistan sollte der US-Präsident nun seine militärischen Abzugspläne vertagen, sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt im Dlf. Der Zeitdruck der USA sei eines der Probleme beim Friedensprozess gewesen.
Zum Beispiel die Familie Masoud. Der heutige Präsidentschaftskandidat Ahmed Wali Masoud fungierte nach dem Sturz der Taliban als afghanischer Botschafter in London und hatte noch mehrere andere Regierungsämter inne. Sein Bruder Ahmed Zia wurde afghanischer Vizepräsident. Daneben sammelte er dank westlicher Hilfen ein Millionenvermögen an. So wie andere Kommandeure der Nordallianz brachte er das Geld außer Landes, ins krisensichere Dubai.
"Es ist bekannt, dass einige von denen, unter anderen ein früherer Vizepräsident, Zia Masoud, Grundstücke auf dieser Palmen-Jumeirah, künstlichen Inselgruppe dort besitzen. Und das ist nun wirklich das absolute Top-End-Quartier in Dubai. Da haben Leute wie der Fußballer Beckham und so Wohnungen. Und wenn die auch Besitz da haben, dann ist klar, dass das nicht aus ihren offiziellen staatlichen Funktionen herrühren kann, weil, das könnten sie sich dann nicht leisten."
Alte Seilschaften
Statt einen Zentralstaat, eine zentrale Verwaltung, einen zentralen Sicherheitsapparat aufzubauen, mehrten die alten Mudschaheddin und neuen Ansprechpartner des Westens eher ihren Reichtum. Und dabei setzten sie auf ihre alten Seilschaften und Unterkommandeure. Die Folgen zeigen sich überall im Landesinneren.
Nordafghanistan, die Balkh-Provinz. Wir treffen einen Kommandeur der Hilfspolizei unweit von Mazar-e-Sharif - der Stadt, in der die Bundeswehr afghanische Sicherheitskräfte ausbildet. Er nimmt uns mit zu einem Außenposten, in dem er eine Handvoll seiner Männer stationiert hat.
"Der letzte Angriff der Aufständischen kam gestern Abend, gegen 21 Uhr. Sie haben versucht, einen Kontrollpunkt 30 Kilometer von hier zu stürmen. Sie konnten ihn aber nicht einnehmen und sind wieder abgezogen."
Die Frontlinie zu den Taliban verläuft nur wenige Dutzend Kilometer vom Ausbildungszentrum der Bundeswehr. Aber ausgebildete Kräfte stehen nicht an dieser Front gegen die Taliban. Die Männer, mit denen wir hier Patrouille gehen, dürfen sich zwar Lokalpolizei nennen, sie folgen aber nicht dem Staat, sondern gehorchen ihren Kommandeuren aus der alten Nordallianz. Man stammt aus derselben Ethnie; ist Tadschike oder Usbeke, so wie die meisten hier im Norden, während die Taliban Paschtunen sind, und hier im Norden die Minderheit ausmachen.
Afghanistan, 18 Jahre nachdem der Westen seine Aufbaumission hier begann. 18 Jahre, nachdem auch Deutschland seine Truppen entsandte. Anderthalb Fahrstunden vom Bundeswehrstützpunkt entfernt, gehen wir an den Lehmhäusern eines Dorfes vorbei, durch deren Fensterhöhlen der Blick in kahle Räume fällt. Die ersten Risse durchziehen schon die Wände. Die Menschen, die hier bis vor kurzem wohnten, haben Reißaus genommen.
"Wer es sich leisten konnte, der floh ins Ausland"
"Wegen des Krieges und der Kämpfe. Die hier wohnten, gerieten zwischen die Fronten. Wer es sich leisten konnte, der floh ins Ausland, wer nicht, zog erst mal in die Provinzhauptstadt, nach Mazar-e-Sharif. Aber jeder, der das Geld zusammenkratzen kann, versucht, Afghanistan zu verlassen."
Zu denen, die noch hier geblieben sind, gehören der Bauer Mohammed Anwar und seine Familie. Anwar bewirtschaftet eine kleine Fläche, inzwischen hauptsächlich zum eigenen Bedarf. Er gehört zur Gruppe der Paschtunen. In Afghanistan bilden sie insgesamt die Mehrheit, sind im Norden aber in der Minderheit. Um zu sagen, was er auf dem Herzen hat, wartet er, bis unsere Begleiter von der Hilfspolizei zu ihrem Fahrzeug gegangen sind. Dann klagt er darüber, dass er, weil er Paschtune sei, besonders drangsaliert werde.
"Beide, diese Milizen und die Taliban sind schlimm. Die Taliban bestrafen und belästigen die Menschen zwar. Aber die Milizen sind noch schlimmer als die Taliban. Sie töten grundlos. Deshalb sind sie schlimmer als schlimm."
Afghanische Sicherheitsleute  stehen am Rand des Kraters einer Explosion
Bei diesem Taliban-Anschlag wurden am 3. September 2019 16 Menschen getötet (AFP / STR)
Verantwortlich dafür ist ein System, in dem der Zentralstaat praktisch keine Rolle spielt und in der Ausbildung und Qualifikation wenig bedeuten. Was zählt, das ist die richtige Ethnie, die richtige Verwandtschaft oder geschäftliche Seilschaft. Der Arzt und Entwicklungshelfer Reinhold Erös drückt es so aus:
"Afghanistan ist nach Angaben von Transparency International das drittkorrupteste Land auf diesem Globus. Und das, nachdem wir 18 Jahre jetzt schon dort sind. Und Korruption heißt, es funktioniert alles nur, wenn man Geld hat. Und wenn man kein Geld hat, und die Masse der Afghanen hat nicht Geld, außer der zehn Prozent der Eliten, die von uns richtig gepämpert wurden, die zum Teil Milliardäre geworden sind durch unser Geld, die haben genügend Kohle. Aber der Großteil der Bevölkerung eben nicht, Und die sind darauf angewiesen, dass sie irgendwo Gerechtigkeit erfahren. Und wenn ich wiederum jetzt dort mit meinen afghanischen Mitarbeitern und Ingenieuren und Ärzten, die wir dort haben, spreche, dann sagen sie: Wenn wir ein juristisches Problem haben, dann gehen wir doch nicht zum afghanischen Polizisten oder Staatsanwalt oder zum Richter, dann gehen wir zu einem Taliban-Richter. Und der spricht dann Recht auch in unserem Sinne. Der ist nicht korrupt. Wenn ich zu einem staatlichen, in Anführungszeichen, also normalen Richter gehe, da gewinnt dann immer der den Prozess oder die Verhandlung mit dem Richter, der ihn am meisten schmiert."
Das Ziel, das 2001 auf der Bonner Petersberg-Konferenz anvisiert wurde: Der Aufbau eines modernen Staates mit Institutionen, die sich an internationalen Standards messen lassen, wurde aus heutiger Sicht nicht erreicht. Statt Aufbau scheint nun Schadensbegrenzung angesagt. Deshalb suchte US-Präsident Trump das Gespräch mit den Taliban. Die deutsche Bundesregierung assistierte. Durch ihren Sondergesandten half sie, Treffen zwischen den USA und den Taliban in Katar zu organisieren. Der Arzt und Entwicklungshelfer Reinhard Erös verhandelt schon seit langem immer wieder mit den Taliban, beziehungsweise mit den "Religiösen", wie sie vor Ort genannt werden.
"Alle unsere Projekte, die wir in den Hotspots der Taliban zum Teil dort betreiben, sind natürlich mit den Religiösen abgesprochen. Sonst würde das gar nicht funktionieren, sonst hätten die das gar nicht zugelassen. Und ich bin regelmäßig eingeladen und gehe auch meistens hin, in eine der Koranschulen, die im Westen Pakistans existieren, wo also praktisch das Endprodukt dieser Koranschulen entsteht, das was wir unter Religiösen und Taliban verstehen. Dort werde ich regelmäßig eingeladen, weil ich die Führer oder den Rektor der Haqqania in Akora Khattak sehr gut kenne. Da haben wir natürlich kein freundschaftliches, aber ein ganz normales praxisorientiertes Verhältnis."
Die Haqqania-Koran-Hochschule auf der anderen Seite der Grenze liegt auf pakistanischem Gebiet. Dort, unweit der Grenzstadt Peschawar, ist die "Wiege" der Taliban-Bewegung. Die Islamstudenten der Haqqania-Koranhochschule, junge Männer zwischen 16 und 25, stammen aus den unterschiedlichsten Gebieten diesseits und jenseits der afghanischen Grenze. Sie reagieren gereizt auf alle Fragen nach Gewaltaktionen, die die Taliban im Namen des Islam verüben. Der Islam sei eine Religion des Friedens, pflegen sie stets zu betonen. Und nach dem Ende ihrer Ausbildung würden sie in ihre Heimatregionen zurückgeschickt, um die Gesellschaft entsprechend zu erziehen.
"Terroristen bleiben immer Terroristen"
Genau das war auch stets die Botschaft von Sami ul Haq. Der über 80-jährige Rektor der Haqqania, bezeichnete sich als "Vater der Taliban". Als die Mudschaheddin-Warlords Afghanistan ins Chaos gestürzt hatten, schickte er seine Studenten über die Grenze. Auch Mullah Omar, der langjährige Führer der Taliban, gehörte zu ihnen. Auch wenn Rektor Sami ul Haq das aus politischer Rücksichtnahme stets im Unklaren ließ.
Der Grünen-Politiker Omid Nouripour
Der Grünen-Politiker Omid Nouripour (imago stock&people / Janine Schmitz)
"Ja, kann sein, dass Mullah Mohammed Omar bei mir Student gewesen ist. Ich erinnere mich nicht mehr, wann er hier den Abschluss gemacht hat. Aber als die Situation sich in Afghanistan zuspitzte, ernannte die Bevölkerung in Einklang mit den afghanischen Religionsgelehrten Mullah Omar zum ‚Führer der Gläubigen’. Leider hat der Westen ihm nicht genügend Zeit gelassen. Nur er und die Taliban haben Afghanistan Frieden gebracht. Als sie an die Macht gelangten, hatte Afghanistan 20 Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Sie waren es, die dem Land Frieden brachten! Sie haben sogar den Drogenhandel unter Kontrolle gebracht. Sie sollten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden! Stattdessen bekämpft der Westen sie jetzt! Ich habe keine Ahnung, warum. Aber eines weiß ich sicher: Dass die Taliban immer die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung genossen."
2013 starb Taliban-Anführer Mullah Omar, offenbar an Tuberkulose. Und Ende 2018 wurde Sami ul Haq erstochen, der Rektor der Haqqania-Koran-Hochschule erstochen. Seine geistigen Erben sehen in den Taliban auch heute wieder die Lösung für Afghanistan: Gottesfürchtige, bewaffneten Studenten als Retter vor ethnischem Streit, vor Warlords, Bandenkrieg, vor Korruption, Drogen und Chaos. Wird sich die Mehrheit der Afghanen im Jahr 2019 tatsächlich von dieser Botschaft überzeugen lassen?
"Wir reden über eine extremistische Gruppe mit einer Weltanschauung, die nichts zu tun hat mit Menschenrechten."
Omid Nouripour, der Außenpolitiker der Grünen:
"Aber es ist auch denkbar, dass sie Teil der Institution werden und dann tatsächlich an Wahlen teilnehmen und dann versuchen, diese zu gewinnen. Es ist die Gretchenfrage, was am Ende des Tages für eine Denkschule innerhalb der Taliban sich durchsetzt. Es gibt weiterhin diejenigen, die zurück in die 90er wollen. Es gibt Leute, die weit schlimmer sind als die, die wir in den 1990ern gesehen haben. Aber es gibt auch Leute, die sehr stark zumindest darauf achten, nicht internationale Aufmerksamkeit zu ziehen mit der sichtbaren zumindest Unterdrückung der Frauen, und Zerstörung von Weltkulturerbe und all den Dingen, die wir von früher kennen und all diese Barbareien."
Nachdem vor allem grausame Anschläge der Taliban zum Abbruch der Friedensverhandlungen geführt haben, gibt sich Präsidentschaftskandidat Ahmed Wali Masoud betont kompromisslos.
"Vor 18 Jahren kamen die westlichen Staaten zu uns, um den Terrorismus zu bekämpfen. Dabei sollte der Westen bleiben, statt mit den Terroristen Kompromisse auszuhandeln. Denn Terroristen bleiben immer Terroristen."
Am Ende aber dürfte es weniger um Ideale, Visionen, um Programme und um Wählerstimmen gehen. Dafür eher um die Frage: Wie sich die verschiedenen Volksgruppen die Befugnisse untereinander aufteilen. Bisher hat die tadschikisch-usbekische Nordallianz stets einen paschtunischen Präsidenten akzeptiert, jemanden wie den jetzigen Staatschef Ashraf Ghani. Der wiederum nutzte seine Schlüsselstellung höchst geschickt, um der eigenen ethnischen und wirtschaftlichen Klientel Ämter und Vorteile zuzuschanzen. Und auch bei diesen Wahlen dürfte dem amtierenden Präsidenten eines zugute kommen, so der Afghanistan-Analyst Thomas Ruttig, nämlich…
"…dass Wahlen in Afghanistan im Wesentlichen nicht über die Stimmen leider entschieden werden, sondern nachher, wer am besten die Wahlinstitutionen kontrolliert und auch am meisten Stimmenabgabe manipulieren kann. Also, der Amtsinhaber hat eigentlich immer die besten Chancen."