Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Asylkompromiss vor 30 Jahren
Als sich Union und SPD auf ein neues Asylrecht einigten

Anfang der 1990er-Jahre polemisierten CDU, CSU und Teile der Presse gegen das im Grundgesetz-Artikel 16 gewährte Grundrecht auf politisches Asyl. Nach scharfer Debatte gab die SPD nach. Am 6. Dezember 1992 kam es zum sogenannten Asylkompromiss.

Von Monika Köpcke | 06.12.2022
"Deutschland macht dicht" - mit solchen Transparenten protestieren am 26. Mai 1993 in Bonn Gegner der Ãnderung des Asylrechts. Rund 10.000 Demonstrierende blockieren den Zugang zum Regierungsviertel.
26. Mai 1993 - Tag der Abstimmung im Bundestag über die Ãnderung des Asylrechts. Etwa 10 000 Demonstranten blockieren den Zugang zum Bonner Regierungsviertel. (picture-alliance / dpa / Oliver Multhaup)
„Meine Landsleute hier im Haus sind total am Ende. Wir können das gar nicht begreifen.“ Ein Vietnamese erlebte im August  1992, wie sein Wohnheim drei Tage lang von einem ausländerfeindlichen Mob belagert wurde: „Also, die lustigen Zuschauer finde ich am schlimmsten“, so der Bewohner.

Rostock, Hoyerswerda, Hünxe, Mölln

Anfang der 1990er-Jahre gärte es in Deutschland: Rostock, Hoyerswerda, Hünxe, Mölln - Ortsnamen, die zum Synonym wurden für einen gewalttätigen Hass, der sich immer ungehemmter Bahn brach - „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ - schallte es immer wieder.
Seit Ende der 1980 Jahre stieg die Zahl der Flüchtlinge und Zuwanderer stark an: Die Menschen kamen aus der zerfallenden Sowjetunion oder dem Irak; der größte Teil von ihnen floh vor dem Krieg, der ab 1991 im damaligen Jugoslawien tobte. 1992 kamen fast 440.000 Flüchtende nach Deutschland. Kommunen stießen an ihre Grenzen. Der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose damals:
Ein Asylbewerber schaut am 23.9.1991 aus einem eingeschlagenen Fenster des Asylbewerberheims im sächsischen Hoyerswerda
Ein Asylbewerber schaut am 23.9.1991 aus einem eingeschlagenen Fenster des Asylbewerberheims im sächsischen Hoyerswerda (dpa)
„Es gibt keine Wohnungen mehr, keine leerstehenden Häuser, keine Hotel- oder Heimplätze. Auf Schiffen wohnen die Menschen auf engstem Raum und in Containerdörfern, für die es inzwischen kaum noch geeignete und erschlossene Flächen gibt.“
Für die CDU/CSU, die gemeinsam mit der FDP die Regierung stellte, war das Grundgesetz schuld an dieser Situation - genauer: Artikel 16, in dem es kurz und klar hieß: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ - Wolfgang Schäuble, damals Vorsitzender der Unionsfraktion, stellte fest:
 „Es gibt keine zweite Verfassung auf dieser Erde, die in ihrer verfassungsrechtlichen Schutzgewähr über die Genfer Konvention hinausgeht.“

Springer-Presse flankiert Kampagne der Union

Eine Einschränkung des Artikel 16 war für die CDU/CSU der Königsweg, um die steigenden Zahlen in den Griff zu bekommen - Doch für eine Grundgesetzänderung brauchte man eine Zweidrittelmehrheit und damit auch die Stimmen der SPD. Die aber wollte dieses Grundrecht nicht antasten.
Unterstützt von der Springer-Presse, startete die Union eine Kampagne. Ihre zentrale These: Die SPD sei mitverantwortlich für die ausländerfeindliche Gewalt, da sie am Artikel 16 festhalte, der massenhaft Betrüger ins Land locke.
Die "Welt am Sonntag" schrieb: „Die Sozialdemokraten wollen das Grundrecht auf Asyl zum Fetisch stempeln. Bei mehr als 90 Prozent Schwindlern kann sich das zur existentiellen Bedrohung unseres Sozialwesens auswachsen.“ Und die Bild-Zeitung titelte: „Das Boot ist voll! / Die Flut steigt! / Wann sinkt das Boot?“
Am 6. Dezember 1992 gab die SPD nach. Mit Vertretern der schwarz-gelben Koalition einigte sie sich nach zähen Verhandlungen auf den "Asylkompromiss". Björn Engholm, damals SPD-Vorsitzender, trat gegen Mitternacht vor die Presse: „Es ist entsprechend der Wünsche, die wir gehabt haben, eine Paketlösung, eine geeignete Grundlage für die weitere gesetzgeberische Arbeit in den Gremien des Deutschen Bundestages.“
 
Plakat der Republikaner am Rande des ersten Landesparteitages der Republikaner Mecklenburg-Vorpommerns am 28.09.1991 in Neubrandenburg
Wahlplakat der Republikaner 1991 in Neubrandenburg (dpa-Zentralbild / Peer Grimm)
Nach dem neuen Artikel 16a des Grundgesetzes sollte sich fortan niemand mehr auf das Asylrecht berufen können, der aus einem EU-Land oder einem sogenannten sicheren Drittstaat einreiste - also aus Ländern, die der Genfer Flüchtlings- und der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet sind. Außerdem vermutete man bei Flüchtlingen aus definierten ‚sicheren Herkunftsländern‘, dass sie per se nicht verfolgt werden.
Als Gegenleistung erklärten sich die Unionsparteien bereit, an der Gestaltung eines umfassenden Einwanderungsgesetzes mitzuwirken. Dafür ließen sie sich allerdings viel Zeit. Erst 2019 regelte das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zumindest Teilbereiche des Zuzugs. Am 26. Mai 1993 standen Debatte und Abstimmung über die Grundgesetzänderung auf der Tagesordnung des Bundestages - begleitet von lautstarken Protesten, in denen es etwa hieß:
„Der neue Artikel 16a, aus dem Kompromiss-Kauderwelsch ins Deutsche übersetzt, lautet: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, aber nicht in Deutschland.“ - "Vor der Abschiebung aus der Bundesrepublik wird dem Flüchtling jeder noch so minimale Rechtsschutz verweigert." - "Sagen Sie nein zur Liquidierung einer der wichtigsten Konsequenzen aus dem mörderischen Naziregime.“

Neues Asylrecht 1993 in Kraft getreten

Gegen die Stimmen der Grünen, einzelner FDP-Abgeordneter und der PDS nahm der Bundestag die Grundgesetzänderung an. Schon am 1. Juli 1993 traten die neuen Asylregelungen in Kraft. Im darauffolgenden Jahr sank die Zahl der Asylbewerber vorübergehend um mehr als die Hälfte. Zu einem dauerhaften Ende der fremdenfeindlichen Gewalt hat der Asylkompromiss allerdings nicht geführt.