Donnerstag, 25. April 2024

Nach den US-Zwischenwahlen
Was bedeutet der Ausgang der Midterms für Demokraten und Republikaner?

Die Republikaner haben bei den Midterms in den USA eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus erobert, doch die Demokraten behalten die Kontrolle über den Senat. Der Wahlausgang könnte auch Folgen für Donald Trumps Präsidentschaftsambitionen haben.

17.11.2022
    Am Dienstag, den 8. November 2022, gaben die Wähler in der Old Stone School in Hillsboro, Virginia, ihre Stimmen für die Zwischenwahlen 2022 ab
    Bei den US-Zwischenwahlen entschieden die Amerikaner über Sitze im Repräsentantenhaus und Senat sowie über Gouverneurs und andere wichtige Posten im Land. (picture alliance / newscom / BONNIE CASH)
    Es hat eine lange Tradition in den USA, dass die Partei des Präsidenten bei den Zwischenwahlen in der Mitte seiner Amtszeit abgestraft wird. Doch der erwartete deutliche Wahlsieg für die Republikaner blieb diesmal am 8. November 2022 aus. Die Demokraten büßten zwar im Repräsentantenhaus ihre Mehrheit ein - jedoch weniger drastisch als prognostiziert. Im US-Senat verteidigten die Demokraten sogar ihre knappe Mehrheit.
    Der Senat ist eine von zwei Kammern des US-Kongresses. Er kann neue Gesetze vorschlagen und spielt eine wichtige Rolle bei der Bestätigung oder Ablehnung wichtiger Personalien wie Kabinettmitgliedern oder Bundesrichtern. Mit einer Mehrheit im Repräsentantenhaus, der zweiten Kammer des US-Kongresses, können die Republikaner Gesetzesvorhaben der Demokraten empfindlich blockieren. Dennoch: Sollten sich die Fernseh-Hochrechnungen bestätigen, erzielten Bidens Demokraten das beste Ergebnis für die Partei eines amtierenden Präsidenten bei einer Zwischenwahl seit mehr als 20 Jahren.

    Wie lauten die Ergebnisse in Repräsentantenhaus und Senat?

    Im Repräsentantenhaus sicherten sich laut den Prognosen der großen US-Fernsehsender vom 17. November die Republikaner die nötigen 218 Sitze für die Übernahme der Kontrolle über die große Kongresskammer. Die Demokraten kamen auf 210 Sitze. Das Endergebnis für das Repräsentantenhaus steht allerdings noch nicht fest und dürfte noch Tage oder sogar Wochen auf sich warten lassen, da die Stimmenauszählung in etlichen engen Rennen um Abgeordnetensitze noch läuft.
    Präsident Joe Biden gratulierte dem bisherigen Minderheitsführer McCarthy und bot ihm seine Kooperation an. Die bisherige Vorsitzende des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, kündigte an, nicht wieder für die Führung der Demokratischen Fraktion kandidieren zu wollen.
    In der zweiten Kammer, dem Senat, konnten die Demokraten ihre knappe Mehrheit verteidigen. Mit der Wiederwahl der demokratischen Senatorin Catherine Cortez Masto in Nevada haben die Demokraten nun 50 von 100 Sitzen im Senat - in einer Patt-Situation darf die demokratische Präsidentin des Senats, US-Vizepräsidentin Kamala Harris, mitstimmen.
    Alle Blicke richten sich nun auf die Stichwahl Anfang Dezember in Georgia. Dort hatten weder der amtierende Senator Raphael Warnock (Demokraten) noch sein Herausforderer Herschel Walker (Republikaner) im ersten Anlauf mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen. Mit einem Wahlsieg am 6. Dezember könnten die Demokraten die absolute Mehrheit im Senat erringen; bei einem Sieg der Republikaner wären beide Parteien mit je 50 Sitzen gleichauf. Je knapper die Mehrheit im Senat, desto anfälliger ist sie für Ausreißer aus der eigenen Partei. Diese könnten Regierungsvorhaben blockieren.

    Was bedeutet der Wahlausgang für die Demokraten?

    Für Biden und seine Partei sind die politischen Aussichten nun alles andere als rosig. Durch einen Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus wird das Regieren für den Präsidenten und seine Demokraten sehr schwierig bis unmöglich – zumal in Washington ab sofort der Blick immer auch auf die nächsten Präsidentenwahlen in zwei Jahren gerichtet ist. Die Republikaner dürften ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus dazu nutzen, um sich zum Beispiel durch ein Blockieren von Gesetzesvorhaben, durch Einleiten parlamentarischer Untersuchungen oder durch Impeachment-Verfahren zu profilieren.
    Zudem offenbarten erste Wahlanalysen Ergebnisse, die die demokratischen Meinungsforscher beunruhigen: Die Partei verliert offenbar mehr und mehr den Rückhalt in der ethnisch vielfältigen Arbeiterbasis, die ihre Siege seit Jahren befeuert hatte. „Es ist schlicht eine Realität“, sagte der demokratische Meinungsforscher John Anzalone, zu dessen Kunden auch Biden gehört. „Es gibt ein Universum von Latinos und Afromerikanern, die auf einer höheren Ebene aus einer Vielfalt von Gründen republikanisch wählen.“
    Als zusätzliche Hypothek lasten auf Biden und seiner Partei eine von hoher Inflation geschädigte Wirtschaft, die kurz vor einer Rezession steht, sowie Sorgen wegen wachsender Kriminalität und zunehmender illegaler Migration über die mexikanische Grenze. Umfragen belegten, dass Wähler zutiefst pessimistisch über den Zustand der Wirtschaft und die Richtung denken, in die sich das Land bewegt. Die Zustimmungsraten Bidens waren bis kurz vor der Wahl kläglich.
    Der Blick in die Vergangenheit zeigt: Die Chancen für die Partei des amtierenden Präsidenten, die Kontrolle über das Repräsentantenhaus zu behalten, sind immer minimal. Seit 1906 gab es nur drei Fälle, bei denen die Partei des US-Präsidenten bei Kongresswahlen Sitze im Repräsentantenhaus dazu gewann: 1934, als die USA in einer Wirtschaftskrise steckten, 1998, als es der US-Wirtschaft sehr gut ging, und 2002, als die Unterstützung für den damaligen Präsidenten George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sehr hoch war.

    Wird Präsident Biden zur "Lame Duck"?

    Biden droht allein schon durch die neuen Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus zur „Lame Duck“, zur „lahmen Ente“, zu werden. Zumindest dürfte es für den Präsidenten schwierig werden, Vorlagen gegen die Stimmen der Republikaner durch den Kongress zu bringen. Der 79-Jährige hat bereits auf einer Pressekonferenz angekündigt, dass er mit den Republikanern zusammenarbeiten und sich um Mehrheiten im Kapitol bemühen will. Nach Ansicht des Amerikanisten Volker Depkat könnte Biden dies durchaus gelingen: „Wenn es einer kann, dann ist es sicher Joe Biden, der sein ganzes politisches Leben mehr oder weniger auf dem Capitol Hill verbracht hat“, sagte der Wissenschaftler von der Universität Regensburg im Dlf.
    Tatsächlich hat der Präsident bereits in den vergangenen zwei Jahren immer wieder mit den Republikanern kooperiert: Wichtige Gesetze wurden mit Beteiligung von republikanischen Politikern, also überparteiisch, verabschiedet. Amerikas Zukunft sei zu wertvoll, um gefangen zu bleiben in politischem Sperrfeuer, sagte Biden. Fraglich ist allerdings, ob es ihm gelingt, die tiefen ideologisch-moralischen Gräben durch Kompromisse auszugeichen und ob die Republikaner weiterhin zur Zusammenarbeit bereit sind – gerade vor dem Hintergrund der Präsidentenwahlen 2024.
    US-Präsident Joe Biden trifft im State Dining Room des Weißen Hauses in Washington ein, um zu sprechen.
    US-Präsident Joe Biden freut sich über das unerwartet gute Abschneiden der Demokraten bei den US-Zwischenwahlen (Susan Walsh / AP / dpa)
    Zu denen will Biden offenbar noch einmal antreten – trotz seines hohen Alters. Dass Vizepräsidentin Kamala Harris zur Nachfolgerin aufgebaut wird, wie zu Beginn von Bidens Amtszeit spekuliert worden war, scheint vom Tisch. Vielmehr erklärte Biden, dass er sich als jemand sehe, der Donald Trump noch einmal schlagen könnte. Er habe dies auch bereits mit seiner Frau besprochen. Offiziell ankündigen wolle er eine mögliche Kandidatur aber erst im kommenden Jahr.
    Allerdings sind nicht alle demokratischen Politiker und Wähler von den Plänen des Präsidenten überzeugt, der zu Beginn einer möglichen zweiten Amtszeit bereits 82 Jahre alt wäre. Doch noch respektieren offenbar alle in der Partei, dass die Entscheidung über eine Kandidatur zunächst bei Biden liegt.

    Was bedeutet der Wahlausgang für die Republikaner?

    Der erhoffte, aber ausgebliebene Erdrutschsieg der Republikaner hat die internen Querelen über die Rolle Donald Trumps erneut entfacht. Dieser hat inzwischen angekündigt, bei den Präsidentenwahlen 2024 erneut kandidieren zu wollen - er muss allerdings erst parteiintern zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gewählt werden.
    Für die Partei erwiesen sich der Ex-Präsident und seine verschwörungsschwangere Politik allerdings erneut als Problem - eines, das vermutlich verhinderte, dass die Republikanische Partei deutlich größere Zugewinne verzeichnete. Viele Beobachter sind der Ansicht, dass die Republikaner größere Siegchancen gehabt hätten, wenn sich bei den internen Vorwahlen die moderateren Kandidaten durchgesetzt hätten. „Wir haben eindeutig Rennen verloren, die wir hätten gewinnen sollen, weil Trump mangelhafte Kandidaten auswählte“, sagte etwa der republikanische Stratege Alex Conant.
    Am augenfälligsten wird das bei den Schlüsselwahlen in Pennsylvania und in Georgia. Im klassisch umkämpften Pennsylvania gewannen die Demokraten die Rennen um den Senat und das Gouverneursamt gegen ein Duo von Trump-Loyalisten, das seine Lügen über angeblichen Betrug bei der Wahl Bidens zum Präsidenten 2020 beförderte. Der Demokrat John Fettermann setzte sich über Bedenken um seine Gesundheit und seine linke Ausrichtung hinweg und schlug Mehmet Oz. Bei der Gouverneurswahl in Pennsylvania fuhr Trump-Verteidiger Doug Mastriano eine krachende Niederlage gegen den Demokraten Josh Shapiro ein.
    Tisch in einem Wahllokal bei den Midterms Elecltions 2022 in den USA
    Nach den US-Zwischenwahlen haben sich nicht nur die Mehrheitsverhältnisse in Washington verändert (picture alliance / Consolidated News Photos / Rod Lamkey - CNP)
    Ähnlich war es in Georgia, wo sich Trumps handverlesener Senatskandidat, der frühere Football-Star Herschel Walker, in einem engen Rennen mit dem demokratischen Senator Raphael Warnock duellierte, während der republikanische Gouverneur Brian Kemp, den Trump ablehnte, wiedergewählt wurde.
    Im US-Bundesstaat Arizona scheiterte eine weitere Kandidatin, die von Trump unterstützt wird. Die Republikanerin Kari Lake unterlag ihrer demokratischen Rivalin Katie Hobbs. Lake, früher Moderatorin des Senders Fox News, hatte im Wahlkampf Trumps Lüge von der gestohlenen Präsidentschaftswahl wiederholt und auch die Rechtmäßigkeit der Auszählungen in Arizona angezweifelt.
    Und auf der politischen Bühne von Washington könnten die neuen Mehrheitsverhältnisse für die Republikaner deutlich weniger vorteilhaft sein als erwartet. Das könnte unter anderem daran liegen, dass die Partei bislang eine klare Agenda für die kommenden zwei Jahre schuldig geblieben ist. Sowohl der Minderheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, als auch der republikanische Fraktionschef im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, hielten sich bislang mit klaren Äußerungen zurück.
    Lediglich angedeutet haben die Republikaner, wie sie mit einer Mehrheit im Rücken agieren wollen: parlamentarische Untersuchungen gegen Biden und seine Regierung einleiten, sich für eine Sparpolitik einsetzen, gegen illegale Einwanderung an der Grenze zu Mexiko vorgehen und mehr für die Energieproduktion im Land tun. Gegen vieles davon könnte Biden als Präsident jedoch sein Veto einlegen.

    Welche Folgen hat der Wahlausgang für Trumps Ambitionen?

    Donald Trump hat gut eine Woche nach den Midterms seine erneute Präsidentschaftskandidatur bekannt gegeben. Ob es so weit kommt, ist noch offen. Sein für eine Kandidatur benötigter Rückhalt in der Partei schwindet. Auch haben mehrere Republikaner angekündigt, sich ebenfalls um eine Nominierung zu bewerben. Immer mehr Parteimitglieder gehen auf Distanz zu dem 76-Jährigen - darunter auch bislang ausgewiesene Trump-Anhänger und sehr prominente Republikaner.
    Einige verwiesen darauf, dass die Partei zum dritten Mal in Folge bei Midterm-Wahlen unerwartet schwächelte - also bei sämtlichen Wahlen seit dem Amtsantritt Trumps als Präsident. Die republikanische Vizegouverneurin des US-Staats Virginia, Winsome Earle-Sears, einst eine lautstarke Unterstützerin Trumps, sagte, die Wähler hätten "eine sehr deutliche Botschaft" ausgesandt - "genug ist genug". Sie erklärte: "Die Wähler haben gesprochen, und sie haben gesagt, dass sie einen anderen Anführer wollen. Und ein echter Anführer versteht, wenn er zur Belastung geworden ist." Eine weitere Kampagne Trumps könne sie nicht unterstützen.
    Der frühere Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, nannte Trump eine "Belastung", die die Chancen der Partei bei den Präsidentschaftswahlen 2024 verschlechtern würde. "Wir wollen das Weiße Haus gewinnen und wir wissen, dass wir mit Trump viel wahrscheinlicher verlieren werden", sagte er.
    Der Amerikanist Volker Depkat von der Universität Regensburg sieht Trump dennoch weiterhin in einer guten Position, auch wenn viele seiner Kandidaten durchgefallen sind. „Er hat weiterhin eine große Gefolgschaft“, sagte Depkat. „Er hat einen großen Rückhalt in der Basis vieler republikanischer Wähler.“ Immerhin seien noch mehr als 200 der von ihm gestützten Kandidatinnen und Kandidaten gewählt worden. Viele von diesen propagieren weiterhin Trumps Lüge von der gestohlenen Präsidentenwahl im Jahr 2020.
    Derweil bringen sich Herausforderer in Position, zum Beispiel Floridas Gouverneur Ron DeSantis. Bei seiner mit breiter Mehrheit erfolgten Wiederwahl bewies er, dass er nicht nur die radikale und populistische Basis der Partei begeistern kann. DeSantis gewann unter anderem mit den Stimmen der lateinamerikanischen Bevölkerung und der Wechselwähler. Eine Beobachtung, die insbesondere in den moderateren Kreisen der Republikaner gut ankommen dürfte. Auch Trump hat DeSantis offenbar als seinen gefährlichsten Rivalen im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner ausgemacht und hat damit begonnen, den 44-Jährigen vor und hinter den Kulissen schlechtzureden.

    Welche Rückschlüsse auf das politische System liefern die Midterms?

    Vor den Zwischenwahlen warnten politische Beobachter in und außerhalb der USA vor Gefahren für das demokratische System der Vereinigten Staaten. Pessimistisch stimmte die von Trump und seinen Anhängern forcierte Radikalisierung, Ideologisierung und Aushöhlung demokratischer Gepflogenheiten und Normen. Die Midterms bestätigten die Befürchtungen jedoch nicht, im Gegenteil: Nicht wenige Experten werten die Wahlen als eine Trendwende und eine Rückbesinnung auf die Werte der US-Demokratie.
    Der Amerikanist Volker Depkat verweist in diesem Zusammenhang auf die republikanischen Wählerinnen und Wähler, die eben nicht jedem republikanischen Kandidaten gleichermaßen ihre Stimme gegeben hätten. Etwa in Georgia, wo der republikanische Gouverneur und Trump-Gegner Kemp im Amt bestätigt wurde, Trumps Senatskandidat Walker dagegen im ersten Wahlgang unterlag und in die Stcihwahl muss.
    Die Wähler hätten unterschieden „zwischen Kandidaten, die sie für kompetent, ehrlich und integer halten, und denjenigen, die da irgendwie als großsprecherische Schreihälse irgendeine populistische Politik fahren“, analysierte Depkat. „Und das geht eigentlich zurück auf eine Tradition in der amerikanischen Demokratie, wonach amerikanische Wählerinnen und Wähler hauptsächlich nach Kompetenz und persönlicher Integrität ihre Wahlentscheidung treffen.“
    Als weiteres Zeichen für eine Trendwende wertet Depkat, dass mehrere Republikaner „ganz ostentativ ihre Niederlage eingestanden haben und ihrem demokratischen Mitbewerber zur Wahl gratuliert haben“, darunter auch Kandidaten, die von Trump unterstützt worden waren. „Das könnte ein Zeichen sein, dass sich hier dann doch wieder etwas in Richtung auf amerikanische Normalität in der politischen Kultur bewegt“, so Depkat.
    Für ein wachsendes Bewusstsein für den besorgniserregenden Zustand der eigenen Demokratie spricht auch die hohe Wahlbeteiligung. Insbesondere viele Erstwähler machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Viele in der jungen Generation treibt wie auch in Europa vor allem eines um: die Klimakatastrophe und der Kampf gegen die fortschreitende Erderwärmung. Etwas, was von großen Teilen der Republikaner und insbesondere von Trump und seinen Anhängern geleugnet und lächerlich gemacht wird.
    Quellen: Doris Simon, Jasper Barenberg, dpa, afp, rtr, og