Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Grenzfall der Gesetzgebung
Bundestag entscheidet über Beihilfe zum Suizid

Kein Fraktionszwang, eine Gewissensentscheidung: Der Bundestag regelt die Beihilfe zum Suizid neu. Er muss eine ausgewogene Lösung finden, die einerseits die Autonomie des Einzelnen gewährleistet und andererseits das Leben schützt.

Von Peggy Fiebig | 17.01.2023
Thema Sterbehilfe.
Drei Gesetzentwürfe, die im Bundestag für Sterbewillige beraten werden, sehen unterschiedliche Verfahren vor, um sicherzustellen, dass tatsächlich ein freier Wille vorliegt (pa/HELMUT FOHRINGER/APA)
"Das Sterben zog sich über zwei Tage hin, sie ist dann ganz friedlich, auch nicht mehr aus dem Koma erwacht." Es war vor zehn Jahren, als der Hausarzt T. zum ersten Mal einer Patientin dabei half, ihrem Leben ein Ende zu setzen. T. will, dass sein Name anonym bleibt. Trotzdem ist er bereit zu schildern, was ihn seinerzeit bewogen hatte, die Frau in ihrem Todeswunsch zu unterstützen: "Eine Patientin von mir von 44 Jahren, die 28 Jahre schwerst gelitten hat unter schlimmen chronischen Bauchbeschwerden. Sämtliche Therapien versucht, schulmedizinischer und alternativmedizinischer Art ohne Erfolg absolviert hatte, inklusive Psychotherapien, Antidepressiva, und die ganze Latte, was man machen kann. Hatte schon mehrere Suizidversuche in ihrer 28-jährigen Krankengeschichte und hat mich gebeten um Sterbehilfe, weil sie anderenfalls sich auf die Schienen der S-Bahn legen würde."
Er sei damals überzeugt gewesen, dass sie diesen Weg auch gegangen wäre, sagt T.: "Das kann man schon aus Gewissensgründen und menschlichen Erwägungen nicht zulassen. Also, ich habe ihr Tabletten verschrieben. 150 Tabletten. Hat sie genommen und mir dann eine SMS geschrieben: 'Habe alles geschluckt, danke.' Und hatte mir natürlich den Auftrag erteilt, sie zu begleiten, bis zum letzten Atemzug."
Als T. seiner Patientin die Tabletten verschrieb, gab es das gesetzliche Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe noch nicht. Das wurde erst Ende 2015 nach einer intensiven Debatte eingeführt. Paragraf 217 Strafgesetzbuch sah nun eine Geld-, oder sogar eine bis zu dreijährige Haftstrafe für alle vor, die "in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt".

Die Freiheit, selbstbestimmt zu sterben

Im Fokus des Gesetzgebers standen damals vor allem Sterbehilfevereine, die Unterstützung bei der Umsetzung des Todeswunsches versprachen. Diese Vereine waren es dann auch, zusammen mit Ärzten und schwer erkrankten Sterbewilligen, die in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einlegten – mit Erfolg:
"Die Vorschrift ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig", so am 26. Februar 2020 der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Andreas Voßkuhle.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

Patientenverfügung, Palliativmedizin, Freitodbegleitung

Recht schnell, nachdem das Bundesverfassungsgericht das Sterbehilfeverbot für nichtig erklärt hatte, nahmen die Sterbehilfevereine ihre Arbeit wieder auf, berichtet Sandra Martino, die Vorsitzende von Dignitas Deutschland. Der Verein war 2005 nach Schweizer Vorbild gegründet worden, auch er hatte in Karlsruhe geklagt: "Nach der Entscheidung haben wir Strukturen geschaffen und so genannte 'Freitodbegleitungen' durchgeführt. Die ersten Mitglieder waren Menschen, die bereits das 'grüne Licht' aus der Schweiz erhalten hatten und somit von ihrem Recht Gebrauch gemacht hatten, bei sich zu Hause versterben zu dürfen, selbstbestimmt versterben zu dürfen."
Die Geschäftsstelle des Vereins berät Betroffene und deren Angehörige, aber auch Ärzte. Und diese Beratung sei offen, gehe in alle Richtungen, betont Martino: "Das heißt, es geht nicht darum, dem Menschen eine Freitodbegleitung schmackhaft zu machen, sondern es geht um Informationen zu Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, zu den Möglichkeiten der Palliativmedizin und aber auch zu den Möglichkeiten und vor allem zu den Kriterien der Freitodbegleitung."

Sterbehilfe nur für Vereinsmitglieder

Eine Sterbehilfe selbst können dann allerdings nur Mitglieder des Vereins in Anspruch nehmen. Derzeit sind das etwa 4.000 in Deutschland. Wer sich für den Tod entscheidet, muss das ausführlich begründen, Atteste vorlegen. Außerdem sind weitere Gespräche mit Ärzten und in bestimmten Fällen auch mit Psychiatern vorgesehen.
Auch der Arzt T. begleitet seit 2020 wieder Menschen beim Suizid. Er arbeitet mit einem anderen Verein zusammen, der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben. Viele Bundestagsabgeordnete beobachten die Aktivitäten der Vereine und von Ärzten wie T. mit Argusaugen. Ein vollständiges gesetzliches Verbot ist aber – nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes – nicht mehr möglich. Ganz ungeregelt soll die Suizidbeihilfe jedoch nicht bleiben, darüber sind sich die meisten Abgeordneten im Parlament einig. Auch Lukas Benner von Bündnis 90/Die Grünen will das. Im Juni machte er das im Bundestag deutlich:
"Machen wir uns nichts vor: Die Beihilfe zur Selbsttötung findet statt. Jetzt in diesem Moment, in rechtlichen Grauzonen, ohne nötige Klarheit, ohne die Klarheit darüber wie Betroffene und behandelnde Ärztinnen und Ärzte geschützt werden. Wenn wir uns anschauen, dass es im Sinne des Bundesverfassungsgerichtes die Entscheidung des Einzelnen ist, entsprechend dem eigenen Selbstverständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz dem Leben ein Ende zu setzen, dann können wir diesen Zustand so nicht belassen."

Regeln zur Suizidbeihilfe: "Selbstbestimmt" und "freiverantwortlich"

Deshalb werden derzeit drei Entwürfe diskutiert. Sie wurden von Abgeordneten verschiedener Parteien erarbeitet, um Regeln aufzustellen, wie eine Suizidbeihilfe ablaufen sollte. Was das neue Gesetz leisten muss, erläutert Helmut Frister, Rechtsprofessor in Düsseldorf: "Ja, es muss halt einerseits die Autonomie verwirklichen, das heißt, denjenigen, die sich freiverantwortlich dafür entscheiden, ihr Leben zu beenden, sollte dies dann auch ermöglicht werden. Und es muss auf der anderen Seite Leben schützen, nämlich davor, dass sich Menschen eben nicht freiverantwortlich töten. Das ist das Spannungsverhältnis, das auszutarieren ist."
"Selbstbestimmt" und "freiverantwortlich"– das sind die Kernbegriffe in dieser Debatte. Wie kann sichergestellt werden, dass jemand, der sich das Leben nehmen will, wirklich unabhängig aus eigenem Willen entscheidet? "Da haben wir uns sehr intensiv Gedanken darüber gemacht, zu den verschiedenen Aspekten der Freiverantwortlichkeit", sagt Rechtsprofessor Frister, der im Deutschen Ethikrat an einer entsprechenden Stellungnahme mitgearbeitet hat.
"Man kann die dahingehend zusammenfassen, dass es zunächst mal darum geht, dass derjenige alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte überhaupt kennt, das ist ganz wichtig. Dann muss er in der Lage sein abzuwägen. Da stellen sich Probleme, bei Menschen, die an einer psychischen Krankheit leiden, nicht jede psychische Krankheit führt zur Selbstbestimmungsunfähigkeit, aber da stellen sich Probleme."

Bundesärztekammerpräsident: Sterbewunsch "krankhaft bedingt"

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, er ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Hausarzt, sieht die Frage der Freiverantwortlichkeit rigoros. Für ihn gibt es, wenn es um den eigenen Tod geht, in aller Regel keinen freien Willen. "Aus meiner ganz persönlichen Sicht sind eben Wünsche nach Sterben primär krankhaft bedingt. Und in den allermeisten Fällen im Wesentlichen durch Depressionen oder auch vergleichbare Umstände erwirkt und ausgelöst."
Aber selbst, wenn man Reinhardts Meinung nicht teilt, denn immerhin geht ja auch das Bundesverfassungsgericht von einer möglichen Autonomie aus, so stellt sich doch die Frage, wie frei beispielsweise ein Schmerzpatient sein kann? Oder Menschen, die aus ganz anderen Gründen aus dem Leben scheiden wollen. Können äußere Umstände dazu führen, dass der persönliche Handlungsspielraum als so verengt wahrgenommen wird, dass es für den Betroffenen scheinbar gar keine andere Möglichkeit mehr gibt, man also deshalb nicht mehr von "Freiverantwortlichkeit" sprechen kann?

Jurist fordert das Hinterfragen der Freiverantwortlichkeit

"Nein", sagt der Jurist Helmut Frister: "Wir können jetzt nicht sagen, derjenige, der in einer Notlage ist, handelt nicht selbstbestimmt, denn es ist gerade das Recht der Menschen, die Notlage so zu beenden."
Wie aber kann dann praktisch festgestellt werden, ob ein Sterbewunsch tatsächlich auf dem freien Willen beruht? Dazu noch einmal Helmut Frister: "Natürlich kann niemand in den Kopf eines anderen schauen. Aber er kann schon überprüfen oder zu überprüfen versuchen, ob derjenige sich in einem Irrtum befindet, ob er zum Beispiel die Angebote, die die Palliativmedizin geben kann, kennt oder nicht. Oder ob er sonstige Angebote bei anderen Motivlagen, etwa bei finanziellen Notlagen, ob er da die entsprechenden Angebote kennt. Man kann als Mediziner auch beurteilen, ob da Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung sind, die die Freiverantwortlichkeit vielleicht ausschließen. Und man kann natürlich auch sehen, ob das jemand ist, der sich das Ganze überlegt hat, oder ob das sehr volatil hin und her geht. Das ist dann natürlich auch keine freiverantwortliche Entscheidung."
Aussenaufnahme des Bundesverfassungsgericht
Ein vollständiges gesetzliches Verbot der Sterbehilfe ist – nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes – nicht mehr möglich. Ganz ungeregelt soll die Suizidbeihilfe jedoch nicht bleiben. (pa/dpa/Uli Deck)

Sterbeverlangen "freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur"

Die drei Gesetzentwürfe, die im Bundestag beraten werden, sehen unterschiedliche Verfahren vor, um sicherzustellen, dass tatsächlich ein freier Wille vorliegt. Einer der Vorschläge – der strengste – firmiert unter dem Namen des sozialdemokratischen Abgeordneten Lars Castellucci. Er und andere Parlamentarier und Parlamentarierinnen wollen den Paragrafen 217 Strafgesetzbuch doch wieder einführen, und damit die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe auch künftig unter Strafe stellen. Allerdings mit einem wichtigen Unterschied zur früheren Regelung, einer Ausnahme: Die Suizidbeihilfe soll nicht rechtswidrig und damit auch nicht strafbar sein, wenn eine psychiatrische Prüfung ergeben hat, dass keine psychische Erkrankung vorliegt und das Sterbeverlangen "freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur" ist. Es muss ein umfassendes ergebnisoffenes Beratungsgespräch stattgefunden haben, in dem unter anderen Alternativen zur Selbsttötung, aber auch die möglichen sozialen Folgen eines Suizides thematisiert worden sind. Damit sichergestellt wird, dass der Suizidwunsch auch dauerhaft ist, sind bestimmte Wartefristen vorgesehen.
Patrick Schnieder von der CDU/CSU ist einer der Unterstützer dieses Vorschlages. In der Bundestagsdebatte im Juni vergangenen Jahres wurden die jetzt vorliegenden Entwürfe erstmals im Plenum diskutiert. Auch Schnieder nahm Stellung: "Angesichts des hohen Ranges, den unsere Verfassung dem Leben beimisst, ist es legitim, zu Mitteln des Strafrechts zu greifen, um das Leben zu schützen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt, um den Wert wirklich sichtbarer und deutlich zu machen."

Frister: "Grundrechtsausübung wird im Regelfall für strafbar erklärt"

Andere dagegen halten diesen Weg für verfassungswidrig. Zum Beispiel einige der Sachverständigen, die im Rechtsausschuss des Bundestags Ende November angehört wurden. Rechtsprofessor Helmut Frister war dabei. Er will zwar nicht von Verfassungswidrigkeit sprechen, denn immerhin sehe der Vorschlag ja ein Verfahren vor, nach dem die Suizidbeihilfe erlaubt ist. Dennoch hat er Bedenken: "Ich halte das, jedenfalls rechtspolitisch für sehr fragwürdig, weil hier im Grunde eine Grundrechtsausübung, das ist es ja, im Regelfall für strafbar erklärt wird. Und ich halte es auch für fragwürdig, dass man wieder den Begriff der Geschäftsmäßigkeit verwendet, bei dem ja die ganze Diskussion um den 217 gezeigt hat, dass der untauglich ist."
In den beiden anderen Vorschlägen wird deshalb auf eine Wiedereinführung des Paragrafen 217 verzichtet. Hier setzt man stärker auf eine Beratung von Sterbewilligen. Nach dem Vorschlag der FDP-Abgeordneten Katrin Helling-Plahr und anderen Parlamentariern soll ein neues eigenes Suizidhilfegesetz bestimmte Rechte ausdrücklich garantieren: Das Recht auf Hilfe bei einer Selbsttötung, das Recht, eine solche Hilfeleistung zu geben und ein Recht auf Beratung. Damit diese Beratung erfolgen kann, soll ein Netz von staatlich anerkannten Beratungsstellen entstehen.

Keine Staatsanwälte, sondern Angehörige und Ärzte am Sterbebett

Die Beratung dort sei ergebnisoffen zu führen und dürfe nicht bevormunden, heißt es im Entwurf. Den unterstützt auch Helge Lindh von der SPD. "Wir wollen, dass am Sterbebett nicht Staatsanwälte stehen, sondern Angehörige und Ärzte. Und wir wollen mit unserem Entwurf, dass Ärztinnen und Ärzte, dass Angehörige, dass Betroffene, die entschieden sind oder aber auch noch ringen mit ihrer Entscheidung, dass wir sie nicht allein lassen."
Auch der dritte Vorschlag, er stammt von der Grünen Abgeordneten Renate Künast und anderen, sieht vor, dass das Strafrecht bei der Regelung der Suizidbeihilfe nicht zur Anwendung kommt. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf Sterbewilligen, die nicht aus einer medizinischen Notlage heraus den Tod suchen. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit in seiner Entscheidung allen Menschen das Recht zugesprochen, Hilfe bei einer Selbsttötung zu erhalten – und zwar unabhängig von ihren Gründen.
Betreuerin mit einer Seniorin am Krankenbett
Beratungsgespräche sollen zweifelsfrei feststellen, ob eine Entscheidung für Suizidbeihilfe ohne äußeren Druck getroffen wurde. "Niemand soll früher aus dem Leben scheiden, weil er glaubt, anderen zur Last zu fallen", sagt SPD-Politiker Edgar Franke. (pa/dpa/Sebastian Kahnert)

Beratungspflichten und Wartefristen für Sterbewillige ohne Notlage

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, dazu in der Urteilsbegründung im Februar 2020. "Eine Einengung des Schutzbereiches auf bestimmte Ursachen und Motive liefe auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd ist." Und genau das will der Gesetzentwurf von der Gruppe um Renate Künast berücksichtigen. Für Sterbewillige in einer medizinischen Notlage soll ein eher schneller und einfacher Weg möglich sein. "Denn wer unerträgliche Schmerzen hat, wer keine Aussicht auf Heilung mehr hat, soll nicht übermäßig leiden müssen", erklärt Edgar Franke, SPD-Bundestagsabgeordneter, der zu dieser Gruppe gehört. Für diejenigen, die nicht unter einer solchen Notlage leiden, sollen Beratungspflichten und Wartefristen gelten. Durch: "Unabhängige Beratungsgespräche mit angemessenem zeitlichen Abstand wird die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches sichergestellt. Zudem müssen die Beratungsgespräche zweifelsfrei feststellen, dass eine solche stabile Entscheidung ohne äußeren Druck getroffen wurde. Dieser Aspekt ist mir besonders wichtig, denn niemand soll früher aus dem Leben scheiden, weil er glaubt, anderen zur Last zu fallen."

Zweifel an der Praxistauglichkeit der geplanten Beratungskonzepte

Bei allen Unterschieden zwischen den Gesetzentwürfen, stützen sich doch alle drei auf Beratungskonzepte. Aber genau diese Konzepte gehen aus Sicht des Hamburger Psychologen und Medizinethikers Michael Wunder an den Erfahrungen aus der Praxis vorbei. Es sei absurd anzunehmen, sagt Wunder, dass sich die Ernsthaftigkeit eines Sterbewunsches in einem oder zwei Beratungsgesprächen nach wenigen Wochen beurteilen lasse: "In den allermeisten Fällen brauche ich eine längere Zeit, eine längere Sequenz von Gesprächen. Und ich glaube übrigens persönlich, man kann das überhaupt nicht regulieren."
Auch Susanne Rehberg bezweifelt, dass die vorgeschlagenen Beratungskonzepte praxistauglich sind. Sie leitet in Berlin ein ambulantes Hospiz und hat tagtäglich mit alten, teilweise schwerkranken und oftmals auch sterbewilligen Menschen zu tun. Eine neutrale Beratung sei in diesem Bereich nicht möglich, meint sie. "Man kann gar nicht neutral sein, man ist entweder ein Befürworter oder man hat die Haltung, die sagt, ich möchte das eigentlich nicht. Ich kann vielleicht von Fall zu Fall mal meine Sichtweise ändern aber von der Haltung her bin ich so oder so, glaube ich. Und deshalb finde ich es so gefährlich, wenn jetzt diese Beratungsstellen kommen und sich explizit an die Suizidwilligen wenden. Da kann hundertmal 'neutral' draufstehen, wenn der Berater nicht die Haltung hat, dann ist das für mich nicht neutral."

Wunsch nach Suizidprävention für Suizidgefährdete

Susanne Rehberg wünscht sich vielmehr, dass an dieser Stelle die Suizidprävention mitgedacht wird. Die Beratungsstellen sollten sich nicht nur an jene wenden, die suizidwillig sind, sondern auch an jene, die suizidgefährdet sind. Nur dann sei tatsächlich eine "ergebnisoffene" Beratung möglich. "Wenn es Beratungsstellen flächendeckend gäbe, die sowohl für die einen als auch für die anderen Ansprechpartner sind, dann glaube ich, dass eine Neutralität gegeben wäre."

Gesellschaft braucht "stärkeres Bewusstsein für Alte und Kranke"

Noch mehr aber wünscht sie sich Susanne Rehberg, dass die Gesellschaft künftig mehr für Alte und Kranke tut. Mehr Wertschätzung und ein stärkeres Bewusstsein für die Bedürfnisse der Menschen, fordert sie. Es gebe in vielen Bereichen gute Angebote zur Unterstützung, nach wie vor aber auch noch viele Lücken. Hier sollte flächendeckend nachgebessert werden, damit ein Wunsch, sich selbst das Leben zu nehmen, überhaupt nicht entsteht. "Man sollte ja vorher überall so handeln und so agieren, dass das gar nicht erst erforderlich werden würde. Das wäre die beste Suizidprävention."
Welcher der drei Vorschläge im Bundestag letztendlich die Mehrheit erhalten wird, ist derzeit offen. Noch wird intensiv diskutiert. Auch ein Termin für eine endgültige Abstimmung steht noch nicht fest. Vorgenommen hatte man sich die Verabschiedung einer Neuregelung bevor sich die Entscheidung des Verfassungsgerichts am 26. Februar zum dritten Mal jährt. Es ist offen, ob dieser Zeitplan tatsächlich eingehalten werden kann.