Nach dem Misstrauensvotum
Wie geht es mit Boris Johnson weiter?

Beim Misstrauensvotum hat Boris Johnson schlechter abgeschnitten als seine Vorgängerin Theresa May. Der britische Premierminister sieht sich dennoch gestärkt und will unbeirrt weiter regieren. Aber es erscheint offen, wie lang sich der Regierungschef noch im Amt halten kann. Ein Überblick.

Von Friedbert Meurer |
    Der britische Premierminister Boris Johnson ist auf einem Plakat seiner Gegner abgebildet.
    Nach dem gescheiterten fraktionsinternen Misstrauensvotum gegen ihn darf der britische Premierminister Boris Johnson vorerst weiterregieren - doch die Luft ist immer dünner. (dpa / picture alliance / Rasid Necati Aslim)
    Der britische Premierminister Boris Johnson sieht sich nach dem gescheiterten Misstrauensvotum, das Teile seiner Konservativen Fraktion gegen ihn angestrengt hatten, gestärkt. Er sprach nach der fraktionsinternen Abstimmung im Unterhaus von einem überzeugenden Ergebnis.
    Johnson hatte erklärt, das Abstimmungsergebnis erlaube es ihm, nach vorne zu schauen und seine Arbeit fortzusetzen. Dem widersprach der Vorsitzende der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer. Er bezeichnete die Konservativen als gespalten. Die Tories seien damit beschäftigt, ihren Premierminister an der Macht zu halten, statt sich um die Menschen im Land zu kümmern. Wie geht es mit Johnson jetzt weiter?

    Das Ergebnis der Abstimmung

    148 von 359 Abgeordneten, das sind über 41 Prozent der konservativen Fraktion im Unterhaus, haben Premierminister Johnson das Misstrauen ausgesprochen und ihn damit zum Rücktritt aufgefordert. Formal ist das zwar ein Sieg für Johnson, aber die hohe Zahl der "Rebellen" stellt einen schweren Rückschlag für ihn dar.
    Auf der Insel sprechen viele deswegen von einem Pyrrhus-Sieg. Selbst Theresa May hatte Ende 2018 relativ gesehen mehr Rückhalt als jetzt ihr Nachfolger. Ein halbes Jahr später trat sie dennoch zurück.

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    Der konservative Publizist Tim Montgomerie schreibt deswegen in seinem Tweet „He`s finished. Just a matter of time“. Johnson aber will weitermachen und spricht von einem „überzeugenden Ergebnis“.

    Kann es jetzt ein Jahr lang kein Misstrauensvotum gegen Johnson mehr geben?

    Laut den derzeit geltenden parteiinternen Regeln ist ein Jahr lang keine weitere Abstimmung dieser Art mehr möglich und der Premier darf sein Amt nach den aktuellen Regeln auch für mindestens ein Jahr behalten. Doch da gibt es noch das „1922 Committee“, das sich aus allen konservativen Unterhausabgeordneten zusammensetzt, die nicht Mitglied der Regierung sind. Deswegen nennt man sie „Hinterbänkler“ ("Backbenchers"), von denen einige am Ende der Karriere stehen, andere aber am Anfang und auf Posten in der Regierung schielen.
    Dieses Committee kann jederzeit die Spielregeln ändern und wieder eine neue Abstimmung zulassen, wenn sie denn von 15 Prozent der Mitglieder der Fraktion beantragt wird. Vor allem, wenn das Committee zu der Überzeugung gelangt, dass ein Festhalten an Johnson zur Niederlage bei der nächsten Wahl führt und damit auch dazu, dass viele Unterhausabgeordnete ihr Mandat und ihren Wahlkreis deswegen verlieren würden.

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    Boris Johnson wird dagegen nachgesagt, nicht freiwillig gehen zu wollen. Vor der Abstimmung soll er einem Parteifreund gegenüber erklärt haben, „sie brauchen einen Flammenwerfer, um mich rauszuwerfen“. Johnson will die „Partygate“-Affäre hinter sich lassen und verspricht in der Fraktion zum Beispiel Steuersenkungen, auch um in den Umfragen wieder nach oben zu kommen.

    Warum steht Johnson in der eigenen Fraktion am Pranger?

    In erster Linie drehen sich die internen Vorwürfe gegen Boris Johnson um sein persönliches Verhalten. Nachweislich sind in der Downing Street Partys gefeiert worden, während für das Land ein strikter Lockdown verordnet war. Johnsons Glaubwürdigkeit hat darunter umso mehr gelitten, als er zunächst noch abstritt, dass es solche Partys mit Alkohol und ABBA-Musik überhaupt gegeben hat. Dann tauchten Fotos auf, die Johnson selbst mit einem Glas Wein oder Sekt zeigen. Die Polizei händigte ihm dafür eine Ordnungsstrafe aus.
    Johnson ist in seiner Fraktion auch unbeliebt wegen seiner berüchtigten „U-Turns“, also politischer Kehrtwenden. Zuletzt hatte er die Fraktion darauf eingeschworen, dass sie einen Antrag ablehnen soll, der vorsah, die Überschussgewinne der Ölkonzerne extra zu besteuern („Windfall Tax“).
    In ihren Wahlkreisen wurden die Abgeordneten dafür von der Basis angefeindet - um dann nur wenige Tage später von ihrem Premierminister zu erfahren, dass er seine Meinung geändert hat.

    Wer könnte die Nachfolge antreten?

    Es gibt keinen Favoriten oder großen Gegenspieler, der oder die sich als Alternative zu Boris Johnson aufdrängt. Der noch junge Schatzkanzler Rishi Sunak galt lange als Kronprinz, bis herauskam, dass seine millionenschwere Ehefrau ihren Steuerwohnsitz im Ausland hat.
    Jeremy Hunt, der frühere Gesundheits- und Außenminister, ist ein Kandidat - er war Johnson 2019 im Mitgliederentscheid unterlegen. Außenministerin Liz Truss wird für die Nachfolge gehandelt und als Geheimtipp gilt Penny Mordaunt, Staatssekretärin im Handelsministerin, die über ein moderneres Image verfügt.

    Was bedeutet das alles für den Brexit?

    Auf der einen Seite könnte Boris Johnson den Konflikt mit der EU suchen, um seine „Truppen“ wieder hinter sich zu scharen. Davor warnt auch die Vizepräsidentin des Europaparlaments Katharina Barley (SPD) im Deutschlandfunk.
    Offenbar will die britische Regierung ein Gesetz einbringen, das die Regierung ermächtigt, aus dem Nordirland-Protokoll auszusteigen. Dieser Teil des Brexit-Vertrags regelt, dass Nordirland einen Sonderstatus hat. London behauptet, das Nordirland-Protokoll erschwere über Gebühr den Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland.
    Auf der anderen Seite gibt es unter den Konservativen neuerdings Stimmen, die den Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Binnenmarkt für einen Fehler halten. Ausgerechnet Daniel Hannan, ein Vordenker des Brexit, schrieb im „Telegraph“, man hätte sich eine Menge Ärger sparen können, wenn man im Binnenmarkt geblieben wäre. Allerdings schränkt Hannan ein, jetzt sei es zu spät und wäre „verrückt“, wieder in den Binnenmarkt zurückzukehren.
    Tobias Ellwood, ein prominenter konservativer Unterhausabgeordneter, plädiert dagegen sogar dafür, den Anschluss an den Binnenmarkt wieder zu suchen.
    Sollte Johnson zurücktreten und es einen „Leadership Contest“ bei den Konservativen geben, wird man sehr genau beobachten, welcher Kandidat oder welche Kandidatin sich wie zum Brexit äußert. Denkbar und vielleicht sogar auch wahrscheinlicher ist aber umgekehrt, dass ein Anwärter oder Anwärterin auf die Nachfolge Johnsons sich hier als harte Brexit-Verfechterin profilieren könnte.
    Viele Abgeordnete kreiden Johnson nicht nur an, im Gegensatz zu Margaret Thatcher viel zu viele Schulden zu machen. Johnson müsse endlich liefern, dass der Brexit auch wie versprochen zu einem Wachstums- und Innovationsschub im Land führt.
    Quellen: Friedbert Meurer, Sky News, BBC News, BBC Radio 4 , The Telegraph