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Vor 75 Jahren verkündet
Die Urteile im KZ-Buchenwald-Hauptprozess

Im Hauptprozess gegen 31 Täter und Verantwortliche im NS-Konzentrationslager Buchenwald wurden am 14. August 1947 die Urteile verkündet. Vorausgegangen war eine straff geführte Verhandlung - unter für die Zeugen unerträglichen Zuständen.

Von Bernd Ulrich | 14.08.2022
Wusste angeblich von nichts - Ilse Koch - die wegen ihres Sadismus als „Hexe von Buchenwald“ gefürchtete Ehefrau von KZ-Buchenwald-Kommandant Karl Koch bei ihrer Aussage im Dachauer Buchenwald-Prozess am 8. Juli 1947
Wusste angeblich von nichts - Ilse Koch - die wegen ihres Sadismus gefürchtete Ehefrau von KZ-Buchenwald-Kommandant Karl Koch bei ihrer Aussage im Dachauer Buchenwald-Prozess. (picture alliance / akg-images)
„In Dachau begann vor einem amerikanischen Militärgerichtshof unter dem Vorsitz von General Kiel der Prozess gegen SS-Angehörige, Ärzte und das Personal des Konzentrationslagers Buchenwald.“

Vier Monate Verhandlung

So der Rundfunkbericht zum Beginn des Buchenwald-Hauptprozesses am 11. April 1947. Er fand im einstigen Konzentrationslager Dachau statt. Unter den 31 Angeklagten befand sich erstmals auch ein Höherer SS– und Polizeiführer. Der Prozess stieß auf ein starkes Medienecho. Bereits unmittelbar nach Ende der viermonatigen Verhandlungen bemerkte der sozialdemokratische, bayerische Staatsminister des Innern, Josef Seifried:
„Ich kann nur sagen, dass die viermonatliche Dauer dieses Verfahrens eindeutig und klar erwiesen hat, dass man mit allem Ernst und aller Vorsicht zu Werke gegangen ist, um ein gerechtes Urteil zu finden.“

Zeugen von angeklagten SS-Männern "betreut"

Zwar vermochte die Verhandlungsführung unter dem amerikanischen Ein-Sterne-General Emil C. Kiel zu überzeugen. Doch die zum Prozess geladenen Zeugen sahen sich mit unhaltbaren Zuständen konfrontiert. Der Zeuge Ludwig Gehm, sozialdemokratischer Widerstandskämpfer und Buchenwald-Häftling, berichtete, dass er und andere von in Dachau internierten SS Männern „betreut“ wurden:
„Mit mir ist ein Pole darin gekommen, wie der die Leute gesehen hat, hat der am ganzen Körper nur so gezittert. Der konnte überhaupt nicht mehr sprechen. Der hat doch gedacht, das sind doch dieselben wieder, das sind die Gleichen.“
So durften sich die Angeklagten zunächst wie die Herren im Haus fühlen, erinnerte Ludwig Gehm: 2Großspurig, die sind da reinmarschiert und haben den einen oder anderen gekannt von uns und haben den ganz frech angelacht. Die Lagerführer, Lagerkommandant, und aber auch solche, die besonders geprügelt und getötet haben.“
Und geprügelt und gemordet wurde viel in Buchenwald bei Weimar. Über 56.000 Menschen aus 30 Nationen waren ums Leben gekommen, darunter über 8.000 russische Kriegsgefangene in extra errichteten Genickschussanlagen. Hinzu kamen fast 12.000 Juden, politisch Verfolgte, meist Sozialdemokraten und Kommunisten, Roma und nicht zuletzt Schwule und Lesben.

Massenmord-Instrument Todesmärsche

Circa 27.000 Frauen aus aller Herren Länder wurden in Außenlagern gequält und ausgebeutet. Zigtausende wurden noch auf den von der SS organisierten Todesmärschen ermordet oder starben ermattet am Wegesrand. Dennoch war es schwierig, die Taten im Einzelnen nachzuweisen. Ludwig Gehm schilderte, wie er ins Kreuzverhör genommen wurde:
„Ich hab ausgesagt gegen den Lagerführer Schober. Da hab‘ ich zugesehen, wie er auf der Lagerstraße einen Juden totgeschlagen hat. Und dann soll man aussagen, wann war das, zu welchem Tag, zu welchem Zeitpunkt, wer war da dabei, wer hat das gesehen. Ich hab‘ sechs Stunden auf dem Podium gesessen, sechs Stunden im Kreuzverhör, ich war nachher fertig, ich wusste nachher beinah nicht mehr, wo ich wohn‘.“

Der Fall Ilse Koch

Dennoch gelang es den amerikanischen Anklagevertretern in vielen Fällen, einigen Tätern einen konkreten Tatbeitrag und persönliche Schuld nachzuweisen. Im Mittelpunkt standen indessen nur Straftaten, die seit Kriegsbeginn 1939 an Bürgern oder Angehörigen der alliierten Streitkräfte begangen worden waren. Deutsche Täter sollten von deutschen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden, so der Plan. Verwirklicht werden konnte das eher selten. Eine Ausnahme bildete der Fall Ilse Koch, deren Sadismus ihren Ruf als „Kommandeuse von Buchenwald“ begründet hatte. Als Ehefrau des ersten Buchenwald-Kommandanten Karl Otto Koch, der wegen erwiesener Korruption kurz vor der Befreiung in Buchenwald hingerichtet worden war, hatte sie sich aktiv an Verbrechen beteiligt - und wusste natürlich von nichts:
"Ich war Hausfrau und Mutter der Kinder und habe in dem Konzentrationslager nichts zu tun. Und mein Mann hat mir nie etwas erzählt.“
Am 14. August 1947 verkündete das Gericht die Urteile im Buchenwald Hauptprozess: Von den 31 Angeklagten wurden 22 zum Tode verurteilt und neun von ihnen kurz darauf gehängt. Vier Täter mussten für zehn bis 20 Jahre ins Gefängnis, fünf Angeklagte lebenslang. Darunter auch die einzige weibliche Angeklagte, Ilse Koch. Freilich wurde sie bereits kurz darauf schon wieder freigelassen, dann allerdings auf Anordnung der amerikanischen Behörden vor ein deutsches Gericht gestellt und 1951 zu lebenslanger Haft verurteilt – in der sie sich später das Leben nahm. Der durch den Prozess erhoffte Effekt der Aufklärung und Reflexion in der deutschen Bevölkerung endete freilich noch früher.