Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD)
"Es wird keine allgemeine Impfpflicht geben"

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) spricht sich im Dlf gegen eine allgemeine Impfpflicht aus - auch für bestimmte Berufsgruppen. Sie plädiert dafür, beim Grundsatz geimpft, genesen und getestet zu bleiben. Man könne aber darüber nachdenken, ob die Tests weiter kostenlos sein sollten.

Christine Lambrecht im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.07.2021
Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin, spricht im Bundesrat.
Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin, ist gegen eine Impfpflicht (imago / Future Image)
Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hat die Menschen dazu aufgerufen, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen und mögliche Einschränkungen im Herbst für Ungeimpfte angekündigt. Der "Bild am Sonntag" sagte der CDU-Politiker, dass eine Impfung zu 90 Prozent vor einer schweren Corona-Erkrankung schütze. "Und: Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte." Die Äußerungen von Braun haben eine Debatte entfacht.
Eine Mitarbeiterin eines Testcenters am Fähranleger nimmt einen Abstrich von einem Touristen.
Reicht ein Schnelltest bald noch aus?
Geimpft, getestet oder genesen – eines der drei Merkmale reicht aktuell aus, um Kulturveranstaltungen besuchen zu können. Weil Impftermine in Deutschland inzwischen leicht zu bekommen sind, wird allerdings diskutiert, ob Tests noch reichen. Ein Überblick.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) stellte sich im Deutschlandfunk gegen den Vorstoß von Kanzleramtschef Helge Braun: "Es wird keine allgemeine Impfpflicht geben, sondern wir müssen dafür werben, dass ich mich mit dieser Impfung selbst und vor allen Dingen auch andere schütze". Es gelte, diese Verantwortung, noch mehr in den Vordergrund zu stellen.
Lambrecht hält Impfpflicht rechtlich nicht für möglich
Auch eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen schließt sie aus: "Wir haben immer noch die Möglichkeit zu sagen, auch in den Heimen oder in den Krankenhäusern, wenn es wirklich Impfverweigerer gibt, dass die dann regelmäßig getestet werden müssen. Das ist beispielsweise ein Weg, wie man dem dann auch entgegentreten kann. Das muss dann allerdings auch akzeptiert werden, weil das ist unterhalb der Schwelle einer Impfung."
Auch rechtlich hält die Bundesjustizministerin eine Impfpflicht nicht für möglich. "Das hat zum einen was damit zu tun, dass diese Impfung auch noch nicht so lange auf dem Markt ist, und ich halte es auch nicht für geboten." Derzeit würden sich ja auch viele Menschen impfen lassen wollen.
Sie plädiert dafür, bei dem Grundsatz geimpft, genesen und auch getestet zu bleiben. Gleichzeitig könne sie sich aber vorstellen, dass Ungeimpfte in Zukunft ihre Tests selber zahlen müssen.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Christoph Heinemann Frau Lambrecht, was halten Sie von einer allgemeinen Impfpflicht?
Christine Lambrecht: Nichts! Und deswegen haben wir uns auch klar als Bundesregierung, aber auch aus den Fraktionen heraus klar positioniert. Es wird keine allgemeine Impfpflicht geben, sondern wir müssen dafür werben, dass ich mich mit dieser Impfung selbst und vor allen Dingen auch andere schütze, und diese Verantwortung gilt es, noch mehr in den Vordergrund zu stellen.
Weltärztebund-Vorstand - Montgomery kritisiert Merkels Nein zu Corona-Impfpflicht
Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hält das Nein von Bundeskanzlerin Merkel zu einer Corona-Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen für falsch. In Bereichen wie der Altenpflege sei die Impfquote beim Personal immer noch zu niedrig, kritisierte er im Dlf.

Heinemann: Ist Ihr Nein eine endgültige Absage, die auch für künftige Corona-Varianten gelten würde? Das hatte ja Winfried Kretschmann ins Spiel gebracht.
Lambrecht: Ich glaube, es macht nicht Sinn, jetzt irgendwelche Kaffeesatz-Lesereien zu betreiben, sondern wir beobachten die Situation, wie wir sie haben, und wir haben ja schon viele Varianten auch erlebt. Wir erleben, dass durch die Impfung viele, viele Menschen mittlerweile geschützt sind und auch dadurch andere schützen, und deswegen glaube ich nicht, dass wir jetzt über irgendwelche Szenarien reden sollten, die momentan nicht auf der Hand liegen.
Heinemann: Will sagen, Nein heißt Nein?
Lambrecht: Genau so ist das.

"Jetzt ist genug Impfstoff da"

Heinemann: Wäre eine Impfpflicht – jetzt bleiben wir doch ein bisschen in der Theorie -, wäre das Ihrer Einschätzung nach denn rechtlich möglich?
Lambrecht: Ich vertrete da die Auffassung, dass das nicht möglich wäre. Das hat zum einen was damit zu tun, dass diese Impfung auch noch nicht so lange auf dem Markt ist, und ich halte es auch nicht für geboten. Wir erleben ja, dass gerade viele Menschen sich impfen lassen wollen. Wir hatten lange Zeit eine Diskussion, dass zu wenig Impfstoff da ist. Jetzt endlich ist genug Impfstoff da und deswegen ist jetzt das Gebot der Stunde, lasst euch alle impfen, die ihr euch impfen lassen könnt, schützt euch und andere damit.

Mehr zum Thema Coronavirus und Corona-Impfung


Heinemann: Aber das scheint ja nicht richtig zu funktionieren. Wer sich nicht impfen lässt, der gefährdet sich und andere. Sollte der Staat dabei zuschauen?
Lambrecht: Nein und deswegen werben wir ja auch ganz intensiv für diese Impfung und weisen auch auf die Vorteile hin, nämlich sich und andere zu schützen. Und wir müssen uns schon überlegen, ob dann, wenn wirklich alle, die sich impfen lassen können – davon ausgenommen sind ja beispielsweise Kinder bis zwölf, für die es noch gar keine Impfung gibt, oder Schwangere oder auch schwer Erkrankte. Aber wenn alle, die sich impfen lassen können, das dann trotzdem nicht machen, dann muss man auch vielleicht darüber nachdenken, ob die Testmöglichkeiten dann auf deren Kosten gehen und nicht mehr auf Kosten der Allgemeinheit.

"Gerade nur mit Appellen arbeiten und nicht mit Pflicht"

Heinemann: Bleiben wir noch mal bei der Impfpflicht. Gilt Ihre Ablehnung auch für eine Impfpflicht für einzelne Berufsgruppen?
Lambrecht: Ja! Diese Ansage gilt auch dafür. Gerade in diesen Berufsgruppen ist die Verantwortung noch um ein Vielfaches größer. Wenn ich als Pfleger in einem Altenheim oder als Krankenschwester arbeite, dann weiß ich ja auch um die Bedeutung dieser Impfung und der Möglichkeiten, andere zu infizieren. Deswegen ist da, glaube ich, gerade nur mit Appellen zu arbeiten und nicht mit einer Pflicht.
Heinemann: Warum nicht und wie geht man mit denen um, die sich nicht impfen lassen möchten?
Lambrecht: Wir haben immer noch die Möglichkeit zu sagen, auch in den Heimen oder in den Krankenhäusern, wenn es wirklich Impfverweigerer gibt, dass die dann regelmäßig getestet werden müssen. Das ist beispielsweise ein Weg, wie man dem dann auch entgegentreten kann. Das muss dann allerdings auch akzeptiert werden, weil das ist unterhalb der Schwelle einer Impfung.
Heinemann: Könnte eine Impfung Voraussetzung für einen Arbeitsvertrag sein?
Lambrecht: Nein. Nicht in diesen Berufen. Das ist zumindest meine Einschätzung bei dieser Impfung.

"Geimpfte, Genesene und auch negativ Getestete"

Heinemann: Frau Lambrecht, anderer Vorschlag, schon länger auf dem Markt: Weniger Rechte für Impfunwillige. Das hat jetzt Kanzleramtsminister Helge Braun wieder vorgeschlagen, Alice Weidel, die Co-Spitzenkandidatin der AfD, hat dazu gesagt: "Sie können nicht die Menschen in eine erste und zweite Klasse einteilen, in Abhängigkeit, ob sie jetzt geimpft sind oder nicht. Das ist ein reiner Willkürakt, der auch völlig außer Acht lässt, dass auch Geimpfte ansteckend sind und wieder erkranken können." Stimmen Sie Frau Weidel zu? Wäre das grundgesetzwidrig?
Heinemann: Lambrecht: Wir haben heute schon die Vertragsfreiheit und die Vertragsfreiheit lässt beispielsweise einem Gastronomen selbstverständlich offen, ob er die Bewirtung in seinem Restaurant auf Geimpfte beispielsweise beschränkt. Das wäre wirtschaftlich nicht sehr sinnvoll, insbesondere zu den Zeiten, als noch nicht viele Menschen geimpft waren. Aber das lässt die Vertragsfreiheit schon heute zu.
Heinemann: Was heißt das jetzt für die Grundgesetzkonformität oder Widrigkeit?
Lambrecht: Das ist damit grundgesetzkonform, denn Sie können unterhalb der Diskriminierungsmerkmale, die wir ja über das Allgemeine Gleichstellungsgesetz haben, darunter können Sie durchaus sagen, ich möchte gerne einen sicheren Raum anbieten und bewirte deswegen beispielsweise nur Geimpfte. Aber noch mal: Ich glaube, wir sollten bei dem Verfahren bleiben, dass Geimpfte, Genesene und auch negativ Getestete die Zugänge haben, aber dann irgendwann die Frage stellen, wieso soll denn die Allgemeinheit diese Tests bezahlen, wenn jeder, der sich impfen lassen kann, diese Möglichkeit hätte.
Heinemann: Wäre das, was Sie gerade gesagt haben, nicht eine Impfpflicht durch die Hintertür, wenn man sagt, wir bauen einen gewissen Druck auf, wenn ihr euch nicht impfen lasst, dann habt ihr Nachteile?
Lambrecht: Ich kann ja die gleichen Zugänge erlangen. Das ist ganz wichtig. Das wäre eine Impfpflicht durch die Hintertür, wenn ich so etwas verschließe. Aber wenn ich den gleichen Zugang habe, aber ich muss dafür Sorge tragen, dass andere sich darauf verlassen können, dass ich nicht infektiös bin, dann ist das keine Impfpflicht durch die Hintertür, sondern ich muss die Verantwortung für mein Handeln tragen, nämlich mich impfen zu lassen.
Heinemann: Was sollte für Nichtgeimpfte gelten, die sich aber regelmäßig testen lassen?
Lambrecht: Ich glaube, wir sollten bei dem Grundsatz bleiben, geimpft, genesen und getestet. Und wenn das regelmäßig erfolgt und wenn dieser Nachweis vorgelegt wird, dann, finde ich, sollten wir auch nicht weiter einteilen oder weitere Einschränkungen vornehmen.
Heinemann: Das heißt, da würden Sie Herrn Braun widersprechen, der gesagt hat, nicht geimpfte, aber getestete Personen sollten möglicherweise auch nicht mehr Kinos, Stadienbesuche oder so was machen können?
Lambrecht: Ich habe Herrn Braun so verstanden, dass das in die Zukunft gedacht ist, wenn es eine exorbitant ansteigende Infektionszahl gäbe, und auch nicht ganz konkret auf einzelne Maßnahmen. Deswegen finde ich, wir sollten jetzt bei dem Verfahren bleiben, mit dem wir gut gefahren sind. Noch mehr appellieren, noch mehr Verantwortung zu übernehmen und nicht jetzt schon Szenarien aufmachen, die im Moment nicht aktuell sind.

"Weil ich geimpft bin, heißt das nicht, dass ich nicht mehr infektiös bin"

Heinemann: Frau Lambrecht, Stichwort Verantwortung. Am Samstag haben viele Menschen in Berlin auf engstem Raum den Christopher Street Day gefeiert, viele ohne Masken. Warum werden Demonstrationen von Corona-Leugnern ohne Masken aufgelöst, während der CSD von vielen ungeschützt gefeiert werden darf?
Lambrecht: Ich kann jetzt zu einer einzelnen Demonstration schlecht was sagen, weil ich war auch nicht dabei. Ich habe auch bewusst nicht teilgenommen. Wir haben andere Möglichkeiten, auch uns zu diesen Werten zu bekennen. Ich gehe aber davon aus und zumindest das, was mir auch gespiegelt wurde, dass es sehr wohl auch Ansagen gab von Ordnungskräften, von Polizei an Teilnehmer, Maske aufzusetzen und Abstand zu halten, sich auch an die vorgegebenen Maßgaben zu halten.
Dass das von einzelnen nicht eingehalten wurde, das finde ich sehr ärgerlich, aber es gab die Ansagen und es wurde dann auch darauf reagiert von Demonstrationsteilnehmern. Wir sollten alle auch an solchen Tagen die Verantwortung auch für andere übernehmen, denn nur weil ich geschützt bin, weil ich geimpft bin, heißt das ja nicht, dass ich überhaupt nicht mehr infektiös bin. Das in meinem Hinterkopf wäre auch bei solchen Demonstrationen sehr wichtig.
Heinemann: Mit wievielerlei Maß wird in Berlin gemessen?
Lambrecht: Das kann ich nicht einschätzen, weil ich hatte schon den Eindruck, wie gesagt, das ist das, was mir widergespiegelt wurde, dass sehr wohl auch auf die Demonstrationsteilnehmer zugegangen wurde und sie auch aufgefordert wurden und ansonsten auch die Ankündigung war, dass man es auflösen müsse, aber dass dann auch reagiert wurde. Von daher sehen Sie es mir nach; ich war nicht dabei und kann jetzt schlecht eine Ferndiagnose geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.