Sonntag, 24. September 2023

Reform des EU-Asylrechts
So soll das europäische Asylverfahren verschärft werden

Die EU-Staaten haben sich auf eine Verschärfung des europäischen Asylverfahrens geeinigt. Vorgesehen ist unter anderem ein restriktiverer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. Ein Überblick über die konkreten Pläne - und die Kritik daran.

29.06.2023

    Symbolbild EU-Außengrenze: Zaun mit einer blauen EU-Tür, die mit zwei Holzbalken verbarrikadiert ist
    Die EU will das europäische Asylrecht reformieren - über viele Jahre hinweg hat die Union es nicht geschafft, eine einheitliche Linie zu finden. (picture alliance / Shotshop / Ulf Neugebauer)
    Bei einem Treffen am 8. Juni 2023 in Luxemburg haben sich die EU-Innenminister auf eine grundlegende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verständigt. Die entsprechenden Pläne dafür hatte die EU-Kommission vorgelegt.
    Viele Jahre waren die Verhandlungen zum GEAS auf EU-Ebene kaum weitergekommen. Nun drängt die Zeit, denn die EU-Asylrechtsreform soll noch vor den Europawahlen 2024 beschlossen werden. Dazu muss eine Einigung mit dem Europaparlament gefunden werden. Das gilt als sehr schwierig.

    Wie wollen die EU-Staaten das europäische Asylrecht reformieren?

    Durch die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll es erstmals möglich werden, Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen durchzuführen. Dazu sollen Asylzentren in Grenznähe entstehen, in denen die Identität von Schutzsuchenden überprüft wird. Mit diesem sogenannten Screening soll erreicht werden, dass Migranten mit geringen Aufnahmechancen erst gar nicht in die EU gelangen.
    Zunächst soll dieses Außengrenzverfahren nur bei Menschen aus Ländern angewendet werden, die im EU-Schnitt eine Anerkennungsquote von unter 20 Prozent haben. Das trifft etwa auf Migranten aus der Türkei, Indien, Tunesien, Serbien oder Albanien zu. Ihr Asylantrag soll in den Zentren geprüft werden. Bis zu zwölf Wochen sollen sie dafür unter haftähnlichen Bedingungen dort festgehalten werden können. Bei wem festgestellt wird, dass keine Aussicht auf Asyl besteht, soll umgehend zurückgeschickt werden.

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    Der Mehrheit der Flüchtlinge, die versuchen, nach Europa zu gelangen - etwa aus Syrien, Afghanistan oder dem Sudan - soll weiter das Recht auf ein normales Verfahren in einem EU-Land gewährt werden. Allerdings soll bei den Asylverfahren an der EU-Außengrenze eine Drittstaatenregelung greifen. Das heißt, wer über einen sogenannten sicheren Drittstaat bis an die EU-Grenze gereist ist, kann sein Recht auf Asyl wegen politischer Verfolgung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geltend machen.
    Gleichzeitig sollen die Kriterien für sogenannte sichere Drittstaaten geändert und deutlich ausgeweitet werden. Damit gibt es deutlich mehr Länder, die als sicher eingestuft werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen auf der Flucht durch einen solchen Staat gekommen sind, ist groß.
    Nach der Redefinition der sogenannten sicheren Drittstaaten müssen diese die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht mehr unterzeichnet haben. Die jeweilige Situation vor Ort müsse nur im Wesentlichen den Standards der GFK entsprechen, heißt es. Sind nur Teile eines Landes nicht sicher, kann das Land trotzdem – mit Ausnahme des betreffenden Gebietes – als sicherer Drittstaat gelten.
     Ein voll besetztes, altes Flüchtlingsboot kommt im griechischen Chania an
    Weiterhin kommen Flüchtlinge in den Mittelmeer-Anrainerstaaten wie Griechenland an (picture alliance / ANE / Eurokinissi / Stefanos Rapanis / Eurokinissi)
    Zu den sogenannten sicheren Drittstaaten zählen Länder wie etwa Tunesien oder Albanien. Geplant sind in diesem Zusammenhang weitreichende Kooperationsprojekte mit Nicht-EU-Ländern.
    Einzige Voraussetzung für eine Abschiebung in sogenannte sichere Drittstaaten soll sein, dass die Menschen eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten liegen, die für das jeweilige Asylverfahren zuständig sind.
    Dies Bestimmung würde es beispielsweise Italien ermöglichen, über das Mittelmeer kommende Migranten etwa nach Tunesien zurückschicken, wenn sich die Regierung in Tunis damit einverstanden erklärt.

    Freiwillige, aber verbindliche Aufnahme von Flüchtlingen

    Ein weiterer Punkt der Reform ist die Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU. Die EU-Binnenländer sollen künftig freiwillig, aber verbindlich, im Rahmen eines „Solidaritätsmechanismus“ die Aufnahme von Migranten zusagen. Anhand einer Quote soll eine bestimmte Zahl von Schutzsuchenden festgelegt werden.
    Staaten, die keine oder weniger geflüchtete Menschen aufnehmen, sollen entweder Sachleistungen erbringen – etwa Hilfe im Verfahren – oder Geld zahlen. Die Kommission hatte ursprünglich 22.000 Euro pro nicht aufgenommenen Geflüchteten vorgeschlagen, in Luxemburg einigte man sich auf 20.000 Euro.
    Einen verpflichtenden Mechanismus zur Verteilung von Geflüchteten soll es nur im Krisenfall geben, denn in Brüssel hatte man im Zuge der Flüchtlingsbewegung 2015 schlechte Erfahrungen mit Quoten gemacht. Damals hatten die Mitgliedsstaaten beschlossen, bis zu 160.000 Asylbewerber innerhalb der EU zu verteilen. Damit sollten Griechenland und Italien entlastet werden. Ungarn, Tschechien und Polen weigerten sich jedoch, Schutzsuchende aufzunehmen. Sie werden absehbar bei ihrer Blockade bleiben.

    Warum soll das Asylrecht geändert werden?

    Migration ist in allen Mitgliedsstaaten ein wichtiges Thema. In Deutschland klagen die Kommunen, dass sie an ihre Grenzen stoßen, in Brüssel schlafen Asylsuchende auf der Straße, weil es nicht genug Unterkünfte gibt, und Italien hat Mitte April den Notstand ausgerufen, weil in diesem Jahr mehr Migranten ankamen als im Vorjahr. Für solche Fälle wird in der EU schon lange nach einer Lösung gesucht, um Mittelmeer-Anrainerstaaten wie Italien, Malta, Griechenland und Spanien besser zu unterstützen.
    Die EU-Kommission hat deswegen im September 2020 das Vorhaben für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem vorgelegt. Hinter den verschiedenen Gesetzesvorschlägen steht die Idee einer gerechteren Verteilung von Asylbewerbern in der gesamten EU und einer Verschärfung des Asylverfahrens angesichts der anhaltenden Migration in die EU.

    Welche Position zur EU-Asylrechtsreform vertritt die Bundesregierung?

    Die Bundesregierung hat den Verhandlungen über das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) von Beginn an eine hohe Bedeutung beigemessen. „Wir können es uns nach 2015/16 und nach den 90er-Jahren nicht leisten, erneut in der Europäischen Union zu scheitern“, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD). „Wenn das GEAS nicht kommt, und damit eine verlässliche Registrierung und Erfassung an den Außengrenzen, dann ist der Schengenraum mit offenen Binnengrenzen in großer Gefahr."
    Allerdings stand die Bundesregierung mit ihren humaneren Positionen im Asylrecht zuletzt zunehmend isoliert da in Europa. So konnte sie sich nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, dass Familien mit Kindern und Minderjährige vom Asylverfahren an den EU-Grenzen ausgenommen werden.
    Sie scheiterte auch mit dem Vorschlag, dass das Außengrenzverfahren nur bei Menschen aus Ländern angewendet wird, die im EU-Schnitt eine Anerkennungsquote von unter 15 Prozent haben. Durchgesetzt hat sich der Kommissionsvorschlag, dass das Verfahren bereits für Länder mit einer Quote von 20 Prozent gilt.
    Bundesinnenministerin Faeser kündigte nach der Entscheidung allerdings an, dass sich die Bundesregierung gemeinsam mit Portugal, Irland und Luxemburg weiter für Ausnahmen für Familien mit Kindern und Minderjährige einsetzen wird.
    Um eine Einigung auf die Pläne für die Asylreform zu ermöglichen, musste Faeser im Laufe der Verhandlungen eine weitere Position aufgeben: Die Bundesregierung hatte sich eigentlich dafür stark gemacht, einen reinen Transitaufenthalt in einem Drittstaat nicht als Voraussetzung für eine Abschiebung anzuerkennen. Nach der beschlossene Regelung soll dies künftig möglich sein.

    Welche Kritik gibt es an der Reform des europäischen Asylrechts?

    Es gibt eine ganze Reihe von Kritikpunkten, vor allem an der faktischen Haft während des Asylverfahrens. Kritiker erinnert dies an Zustände von Rechtlosigkeit wie in dem griechischen Flüchtlingslager Moria. Denn die Mitgliedstaaten sollen selbst für die Einhaltung der Verfahrensstandards zuständig sein. Befürchtet wird zudem, dass es keinen regulären Rechtsschutz geben wird, weil es an der EU-Außengrenze an spezialisierten Anwälten fehlt. Auch dies sind Erfahrungen von den griechischen Inseln.
    Der Migrationsforscher Bernd Kasparek bezeichnet es als beunruhigend, dass sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Grunde mit keiner der von ihr vorgeschlagenen Erleichterungen für Asylsuchende habe durchsetzen können. Das zeige, wie weit rechts sich der Konsens in der EU im Moment befinde. Auch in einer Demokratie gebe es aber ein paar rote Linien, die man nicht überschreiten sollte, so Kasparek.
    Der Migrationsforscher Ruud Koopmans ist überzeugt, dass das neue EU-Asylrecht nichts an den derzeit katastrophalen Zuständen ändern wird: "Die Menschen werden weiterhin im Mittelmeer sterben."
    Pro Asyl spricht in Bezug auf die geplante Reform von einem „Frontalangriff auf das Asylrecht“. Der Leiter der Europaabteilung der Menschenrechtsorganisation, Karl Kopp, kritisierte die Position der Bundesregierung als „historischen Fehler“. Die Ampel-Koalition nehme in Kauf, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ausverkauft würden, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Ähnlich äußerte sich Amnesty International.
    Kritik geäußert wird auch an der neuen Definition der sogenannten sicheren Drittstaaten, denn diese könnte den Schutz für viele Menschen aushebeln. Linken-Politikerin Clara Bünger befürchtet, dass Rechte ausgehöhlt werden, weil Menschen aus Staaten wie Syrien, Türkei, Afghanistan oder Iran "schnell in vermeintlich sichere Drittstaaten abgeschoben" werden. Für Bünger ist das eine Demontage des europäischen Asylrechtes und des Menschenrechtsschutzes.

    Kritik von den Kommunen

    Auch der Städte- und Gemeindebund ist nicht zufrieden mit der Einigung der EU-Länder. Davon sei keine kurzfristige Entlastung der deutschen Kommunen zu erwarten, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Dem Fernsehsender Phoenix sagte er, er rechne damit, dass die Einigung erst in zwei bis drei Jahren Wirkung zeige. Zudem forderte er in der "Bild"-Zeitung, dass auch in Deutschland Personen ohne Bleibeperspektive nicht auf die Kommunen verteilt werden, sondern in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben.
    Unmut an der Reform äußerten im Vorfeld auch Kirchen, Sozialverbände und weitere Menschenrechtsgruppen: In einem offenen Brief kritisieren zudem Prominente die Vorschläge, zuvor hatten das schon Juristen getan

    Kritik innerhalb der Grünen

    Auch innerhalb der Partei Bündnis90/Die Grünen reißt die Kritik an der Asylrechtsreform nicht ab und führt zu innerparteilichen Kontroversen. Der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour räumte im Deutschlandfunk ein, in der Gesamtabwägung sei man sich innerhalb der Partei nicht einig.
    Hintergrund ist, dass die Grünen in der Vergangenheit strikt gegen Asylverfahren an den EU-Außengrenzen waren. Auch im Koalitionsvertrag hatten FDP, SPD und Grüne Gegenteiliges vereinbart. Die Grünen Co-Vorsitzende Ricarda Lang erklärte, Deutschland hätte den Reformplänen nicht zustimmen dürfen. Die Co-Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, Terry Reintke, warnt vor "Lagern mit haftähnlichen Zuständen" an den EU-Außengrenzen und spricht von "massiven Asylrechtseinschränkungen".
    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verteidigte dagegen die Zustimmung der Bundesregierung. "Der Kompromiss ist ganz und gar kein einfacher. Zur Ehrlichkeit gehört: Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätte beschließen können, dann sähe sie anders aus", schrieb die Grünen-Politikerin in einer Erklärung. "Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird." Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) stellte sich hinter den Asylkompromiss, nannte ihn jedoch schmerzhaft.

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    Was sind die strittigen Punkte zwischen den EU-Ländern?

    Zwar stimmte bei dem Innenministertreffen in Luxemburg eine ausreichend große Mehrheit an Mitgliedstaaten für umfassende Reformpläne, Einigkeit herrscht aber weiterhin nicht innerhalb der EU. Die EU-Staaten haben höchst unterschiedliche Interessen. Diese hängen davon ab, ob die Länder an der EU-Außengrenze liegen, es sich wie bei Frankreich oder Deutschland um Aufnahmestaaten handelt oder sie wie Polen, Ungarn sowie Tschechien keine bindende Verteilung von Flüchtlingen akzeptieren wollen.
    Nicht unterstützt wurde die Reform bei dem Treffen in Luxemburg auch von Malta, der Slowakei und Bulgarien. Tschechien machte nach der Einigung deutlich, dass es sich nicht an dem Solidaritätsmechanismus beteiligen will. Aus dem gleichen Grund lehnen auch Polen und Ungarn die EU-Asylreform weiter kategorisch ab. Hauptgrund: Die Länder sollen künftig ein Zwangsgeld von 20.000 Euro für jeden Migranten zahlen, den sie nicht aufnehmen. Das Geld soll in einen Fonds fließen, aus dem Migrationsprojekte finanziert werden.  
    Die große Streitfrage auf EU-Ebene bleibt damit weiter die Verteilung von Schutzsuchenden auf die Mitgliedsländer und die Reform von Dublin III. Letztere Regelung legt fest, dass die Ersteinreiseländer für die Asylverfahren zuständig sind. Damit nehmen vor allem Mittelmeeranrainer wie Italien oder Griechenland die meisten Geflüchteten auf.

    Nur in Sachen Abschottung herrscht weitgehend Einigkeit

    Der Reformvorschlag sieht für sie nun zusätzliche Aufgaben wie die Registrierung der Geflüchteten vor. Für diese Länder ist es deswegen wichtig, dass ihnen Geflüchtete abgenommen werden. Denn sie fürchten, dass bei ihnen der Großteil der Asylsuchenden bleiben wird. Deswegen pochen sie auch darauf, dass alle Gesetze als Paket verabschiedet werden. Das macht eine Einigung schwierig.
    Es gibt zudem die Befürchtung, dass sich zu viele Staaten für die Zahlung statt eine Aufnahme von Geflüchteten entscheiden. Mit der Folge, dass andere Staaten mehr Menschen aufnehmen müssten.
    Nur in Sachen Abschottung herrscht weitgehend Einigkeit. Das hatte sich bereits bei der Sondersitzung des EU-Rats im Februar 2023 gezeigt. Damals einigten sich die Mitgliedsstaaten darauf, Mauern oder physische Grenzbarrieren aus EU-Mitteln zu finanzieren.

    Gudula Geuter, Carolin Born, Dirk-Oliver Heckmann, dpa, AFP, lkn