Dienstag, 16. April 2024

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Chinas Macht im Indopazifik
Investieren und drohen

China baut seinen Einfluss im Indopazifik immer weiter aus. Anrainerstaaten macht Peking mit Investitionen oder militärischen Drohungen gefügig. Doch eigentlich geht es hier um einen Machtkampf zwischen China und den USA.

Von Carina Rother und Andre Zantow | 09.11.2022
Ein chinesisches Kriegsschiff während einer Militärübung im Meer nahe Taiwan
Unter der Führung Xi Jinpings nahmen die Manöver der chinesischen Armee in der Taiwanstraße zuletzt zu. China beansprucht 80 Prozent des Südchinesischen Meeres als eigenes Territorium, einschließlich des Luftraums und der Bodenschätze (IMAGO / Xinhua / IMAGO / Lin Jian)
China wird im Indopazifik immer mächtiger. Seit Jahren baut das Land seine Militärpräsenz aus, und dabei allein dürfte es nicht bleiben. Es ist auch ein Ringen mit den USA um Einfluss. Anrainerstaaten bekommen die Spannungen zu spüren – etwa, wenn es um den Taiwan-Konflikt geht.

“Ein Krieg um Taiwan wäre ein Krieg zwischen China und den USA. Egal, wer so einen Krieg gewinnt, wir wären wieder einmal der Kollateralschaden. Wir wären im Schusswechsel jener großen Länder gefangen, die eigentlich als wohlwollende Hegemonen für die Pazifikregion und die Menschheit insgesamt auftreten sollten."

Das schreibt David Panuelo, Staatspräsident von Mikronesien, einem Inselstaat im westlichen Pazifischen Ozean an rund 20 Amtskollegen. Ende Mai warnt er andere Inselstaaten der Region vor einer Kooperation mit China. Zuvor waren Pläne der Volksrepublik über Sicherheitsabkommen mit zehn der geostrategisch wichtigsten Pazifik-Inselstaaten enthüllt worden. Mikronesiens Präsident befürchtet, dass diese Staaten zu einem chinesischen Machtwerkzeug im Pazifik werden könnten. Er spricht von einem möglichen “neuen Kalten Krieg” und sogar von einem “Weltkrieg”.
Ein paar Tage später kommen auch aus Washington deutliche Worte: “Auch während Putins Krieg in der Ukraine werden wir uns weiter auf die schwerwiegendste, langfristige Herausforderung für die internationale Ordnung konzentrieren: Die stellt die Volksrepublik China dar.”

USA möchten Chinas Aufstieg eindämmen

US-Außenminister Antony Blinken sieht in Pekings Strategie eine Gefahr für die Weltordnung, wie sie sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt hat. “China hat als einziges Land sowohl die Absicht, die internationale Ordnung neu zu gestalten, als auch zunehmend die wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht dazu.”

Die USA wollen Chinas Aufstieg eindämmen, das geht auch aus der kürzlich vorgelegten “Nationalen Verteidigungsstrategie” hervor. Hier heißt es wörtlich, “Chinas zunehmend aggressives Verhalten” im Indopazifik sei die zentrale strategische Herausforderung.

Es gibt auch Experten, die das anders sehen. Huang Chiung-chiu ist Professorin für Internationale Beziehungen an der Chengchi-Universität in Taipeh. Sie warnt davor, Chinas Aufstieg nur durch eine westliche Brille zu betrachten. Das heize die Konfrontation an und steigere die Kriegsgefahr.

Taiwan ist für die KP das letzte fehlende Stück des Territoriums. Alles, was die USA in Taiwan machen, provoziert Peking.

Huang Chiung, Professorin für Internationale Beziehungen in Taipeh
Peking wolle kein neuer Hegemon werden, sondern verfolge lediglich eine globale Entwicklungspolitik, die nicht an den Export westlicher Werte gekoppelt sei, sagt Huang: “Die chinesische Führung ist jetzt selbstbewusster im Konkurrenzkampf mit den USA. Aber wollen sie sie wirklich ersetzen? Ich bin mir nicht sicher. In Peking glaubt man immer noch, dass die zwei Projekte der globalen Integration koexistieren können: also Chinas Version und die westliche Version.”

Der Konflikt um Taiwan

Als Taiwanerin sitzt Huang Chiung-chiu im Epizentrum der Spannungen. Die Zukunft der Insel als eigenständige Demokratie ist gefährdet. Also bloß keine Eskalation, sagt das konservative Lager und setzt auf Beschwichtigung gegenüber China, um den Frieden möglichst lange zu erhalten. In diesem Spektrum lässt sich auch die Chinaforscherin Huang einordnen.

Aber auch sie weiß, dass die Kommunistische Partei Taiwan nie aufgeben wird: “Taiwan ist für die KP das letzte fehlende Stück des Territoriums. Alles, was die USA in Taiwan machen, provoziert Peking. Chinas Staatschef Xi Jinping nimmt die Taiwanfrage ernst und betrachtet sie als seine wichtigste Mission, die seine Position in der Geschichte der Kommunistischen Partei definieren wird.” 
Die Unabhängigkeit der Republik China – wie Taiwan immer noch offiziell heißt, erkennen nur noch 14 kleinere Staaten an. Der Rest der Welt unterhält Beziehungen zur Volksrepublik und akzeptiert das Ein-China-Prinzip. Darin ist offiziell kein Platz für eine taiwanische Demokratie mit 23 Millionen Bürgern, denen Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping regelmäßig droht: “Im Angesicht schwerwiegender Provokationen durch taiwanische Separatisten und die Einmischung externer Kräfte in der Taiwan-Frage hat die Kommunistische Partei Chinas der Spaltung und Einmischung den Kampf angesagt. Wir haben den Willen und die Fähigkeit bewiesen, die nationale Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen und Taiwans Abspaltung zu verhindern”, so Xi Jinping kürzlich beim 20. Parteitag, der seine dritte Amtszeit besiegelte. Nur noch von Loyalisten im neu besetzten Politbüro umgeben, kann Xi nun ungehindert seine politischen Ziele verfolgen – womöglich auf Lebenszeit.

Unter seiner Führung nahmen die Manöver der chinesischen Armee in der Taiwanstraße zuletzt zu. Andererseits liefern die USA verstärkt Waffen an Taiwan und haben Militärausbilder auf der Insel stationiert. Im Konfliktfall befürchten Nachbarstaaten wie die Philippinen, in den Krieg hineingezogen zu werden.

“Kaohsiung - Taiwans südlichster Hafen - ist 40 Minuten Flugstrecke vom Norden der Philippinen entfernt. Nach China sind es 600 Kilometer. Das können wir nicht umgehen. Unsere erste Priorität wird die Verteidigung unseres Landes sein, aber dafür sind wir militärisch nicht ausreichend gerüstet. Deswegen werden wir weiter in unsere Partnerschaften investieren”, sagt der neue Präsident der Philippinen, Ferdinand Marcos Jr.
Ferdinand Marcos Jr., Präsident der Philippinen
Ferdinand Marcos Jr., Präsident der Philippinen (Jamillah Sta Rosa/AFP POOL/dpa)
Er spielt im Interview mit dem US-Sender Bloomberg auf das Verteidigungsbündnis mit den USA an. Mindestens fünf amerikanische Militärbasen gibt es auf den Philippinen. In Japan sind es schätzungsweise 80 bis 120 US-Stützpunkte, in Südkorea 73. China wiederum hat seine künstlich aufgeschütteten Inseln im Südchinesischen Meer für die militärische Nutzung ausgebaut. Es unterhält eine Militärbasis im afrikanischen Dschibuti und zuletzt gab es außerdem Spekulationen über eine zweite chinesische Auslandsbasis in Kambodscha.

Die Rolle Kambodschas

Offiziell hilft China lediglich bei der Modernisierung der kambodschanischen Marinebasis in Ream am Golf von Thailand. Der Hafenausbau nütze China im Kriegsfall aber wenig, meint Rim Sokvy Gründer der Politik-Plattform “The Thinker Cambodia”. Unter der Rivalität der Großmächte USA und China litten vor allem die kleinen Staaten in der Region, sagt der kambodschanische Politikwissenschaftler. Sein Land will neutral bleiben, ist aber auf Chinas Investitionen angewiesen - nicht nur in Bezug auf die Militärbasis. Die USA drohen deshalb mit Sanktionen.

“Bisher hat Kambodscha versucht zu zeigen, dass es sich auf keine Seite stellt. Denn Kambodscha ist abhängig von China und von den USA. China investiert in Kambodscha, aber die USA sind Kambodschas größter Markt.”
Infrastrukturinvestitionen sind für China eine Möglichkeit, die Länder der Region abhängig zu machen – von chinesischer Technologie etwa.

Aber Peking nutze auch paramilitärisches Vorgehen, um die südostasiatischen Nachbarn auf Linie zu bringen, erklärt Huong Le Thu. Sie lebt in Brisbane, Australien, und forscht seit 15 Jahren zu Sicherheitspolitik im Indopazifikraum - derzeit für das amerikanische Center for Strategic and International Studies: “Es gibt schon seit Jahren und Jahrzehnten Probleme und Unstimmigkeiten mit China. Die Spannungen sind gewachsen durch die verstärkte Aktivität der Marinestreitkräfte und Meeresmilizen. Aber auch durch Chinas Aufschüttung und Bewaffnung von künstlichen Inseln und Chinas direkte Missachtung internationalen Rechts.”
China beansprucht 80 Prozent des Südchinesischen Meeres als eigenes Territorium, einschließlich des Luftraums und der Bodenschätze. Das sei nicht rechtmäßig, urteilte schon 2016 der Ständige Schiedshof in Den Haag. China änderte seine Politik aber nicht.

“Xi Jinping hat eine andere Vorstellung, wie die internationale Ordnung aufgebaut werden sollte, als sie gegenwärtig der Fall ist“, sagt May-Britt Stumbaum, sie leitet das Projekt “Asia Pacific Security” an der Bundeswehr Universität in München. „Ein großer Unterschied ist zum Beispiel, dass man aus chinesischer Sicht im Indopazifik Grenzlinien zieht, was chinesisches Hoheitsgebiet sein sollte, das ist die sogenannte “Nine-Dash-Line” - das ist so eine gestrichelte Linie. Während man hier das Verständnis hat, dass das internationale Gewässer sind, die jeder befahren kann.”

Willkürliche Grenzziehung nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Neun-Striche-Linie oder auch Elf-Striche-Linie geht auf eine willkürliche Grenzziehung durch die chinesische Führung nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Bis heute beharrt Peking auf diesem Territorium und setzt dafür neben der inzwischen größten Marineflotte der Welt eine sogenannte Meeresmiliz ein. Amerikanische Sicherheitsexperten des Center for Strategic and International Studies sprechen von mehr als 1.000 professionell ausgestatteten chinesischen Fischerbooten, die mit aggressiven Methoden Fischer anderer Länder aus ihren angestammten Gewässern drängen und sogar die Öl- und Gasexploration behindern. Betroffen sind vor allem Vietnam und die Philippinen. Anderswo versucht China, seine Ziele mit Investitionen und Sicherheitsdeals zu erreichen.

Die Salomonen - eine Inselgruppe im Pazifik mit 700.000 Einwohnern nordöstlich von Australien - schlossen im April ein umstrittenes Sicherheitsabkommen mit China ab. “Das Abkommen erlaubt es China, Polizisten und Soldaten auf die Salomonen zu schicken - als Sicherheitspartner - um unsere Leute auszubilden. Und China soll uns zur Seite stehen - wenn unsere Sicherheit gefährdet ist. So heißt es. Wobei niemand dieses geheime Abkommen je gesehen hat”, sagt die Journalistin Dorothy Wickham. Sie beobachtet seit 30 Jahren die Politik ihres Heimatlandes. Sie lebt in Honiara, der Hauptstadt der Salomonen.
Im dortigen Chinatown kam es im vergangenen Jahr zu heftigen Ausschreitungen: Aufgebrachte Demonstranten verlangten den Rücktritt des Premierministers, wohl auch, weil der die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen hatte und stattdessen das Ein-China-Prinzip Pekings akzeptierte. Offenbar spielten auch hier millionenschwere Investitionen in die Infrastruktur eine Rolle.

“Eines der Schlüsselprojekte ist das Nationalstadion - für die Pazifik-Spiele in den Salomonen 2023. Ein anderes Projekt war ein Krankenhaus. Die chinesische Regierung finanziert ein neues Herz-Zentrum hier in der Hauptstadt Honiara. Diese beiden Vorhaben wollte unsere Regierung schnell anschieben.”

Hinzu kommt, dass die Salomonen mit einem chinesischen Kredit rund 160 Mobilfunkmasten bauen lassen - durch den chinesischen Konzern Huawei. Abhängigkeiten, die der Journalistin allerdings keine Angst machen: “Wir haben hier seit den 1930er-Jahren Chinesen, der Umgang mit ihnen ist nicht neu. Unsere Wirtschaft wird kontrolliert von Chinesen. Schon seit einigen Jahrzehnten. China ist für die meisten Menschen nichts, worüber sie sich Sorgen machen, vielen geht es um ihr tägliches Überleben.”

Für internationales Aufsehen sorgte im August die Entscheidung der Salomonen, ausländischen Militärschiffen die Hafeneinfahrt zu verweigern. Ein britisches und ein US-amerikanisches Schiff mussten wieder abdrehen. Von Regierungsseite hieß es, die Regeln für die Gewässer der Salomonen würden derzeit umgestaltet, nur China könne weiterhin einfahren. Hier zahlen sich die Investitionen in Ozeanien offenbar aus. China ist mittlerweile der zweitgrößte Geldgeber für die pazifischen Inselstaaten - hinter Australien. Tonga und Vanuatu haben sogar mehr als die Hälfte ihrer Staatsschulden in China.

So wächst die Sorge bei Staaten wie Australien vor sogenannten “Dual Use”-Projekten: Im Konfliktfall könnten große chinesische Infrastrukturprojekte, wie Häfen und Flughäfen, auch militärisch genutzt werden: “Für Australien ist die Pazifikregion direkte Nachbarschaft. Die chinesische Präsenz lässt nun die Alarmglocken läuten. China hat globale Ambitionen.”
Indopazifik-Forscherin Huong Le Thu aus Brisbane verweist auf die pazifischen Inselstaaten - zwischen Japan und Neuseeland - die sogenannte “zweite Inselkette” vor Chinas Küste. Die gilt als geostrategische Pufferzone zwischen Ostasien und der amerikanischen Westflanke. Im Zweiten Weltkrieg schlugen Japan und die USA hier die entscheidenden Schlachten um die Vorherrschaft im Pazifik. Heute ist Australien der wichtigste Partner der Inselstaaten.

“Australien nimmt den Taiwankonflikt sehr ernst. Aus Sicht von Verteidigungspolitikern könnte ein Krieg nicht weit entfernt sein. Das hat Australien dazu veranlasst, seine Strategie zu verändern und mehr in Verteidigung zu investieren. Und die Bereitschaft Atom-U-Boote zu haben, eine bahnbrechende Entscheidung!” 
AUKUS ist ein Sicherheitspakt zwischen den USA, Australien und Großbritannien. Eine weitere Plattform der Sicherheitskooperation ist QUAD, dort sind neben den USA und Australien auch Indien und Japan dabei. Erklärtes Ziel ist ein „freier und offener Indopazifik“. Die Allianzen sollen Geschlossenheit signalisieren und auch der Abschreckung gegenüber China dienen.

China allerdings betrachtet die Bündnisse als Provokation. Dass auch die NATO in ihrem Strategiepapier neuerdings China als – so wörtlich - “systemische Herausforderung” bezeichnet, tut ein Übriges. Die chinesische Vertretung in Brüssel protestierte schriftlich:

“Wir fordern die NATO auf, keine weiteren Konfrontationen zu provozieren, indem sie ideologische Grenzen ziehen. Wir fordern sie auf, die Kalte-Kriegs-Mentalität und ihr Nullsummenspiel aufzugeben und keine weiteren Falschinformationen über China zu verbreiten.”

Fregatte Bayern im Raum Indopazifik

Beim NATO-Gipfel im Juni waren als Gäste erstmal auch Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland vertreten. Staaten aus Europa engagieren sich wiederum verstärkt im Indopazifik-Raum. Bis Februar war ein Schiff der Bundeswehr im Südchinesischen Meer unterwegs.

“Die Fregatte Bayern ist in den Raum Indopazifik gegangen, um dort an Übungen teilzunehmen, zur Aufrechterhaltung der internationalen regelbasierten Ordnung. Die haben an dem Embargo gegen Nordkorea teilgenommen. Die haben geübt mit anderen Marineflotten - mit Japan, mit Australien, und es ging darum ,mit Wertepartnern die Kooperation zu intensivieren.”

Australien und Neuseeland gehören zu den sogenannten Wertepartnern der Bundeswehr, liberale Demokratien, mit denen die Bundesregierung laut Indopazifik-Leitlinien eine gemeinsame Wertegrundlage teilt, die dem, so wörtlich, „Erhalt der regelbasierten internationalen Ordnung“ diene.

Stumbaum: "Deutschland ganz direkt betroffen"

China gehört nicht zu den Wertepartnern der Bundeswehr. Im Gegenteil: Das Land bedrohe mit dem Anspruch auf Taiwan auch die Interessen der EU und Deutschlands, so May-Britt Stumbaum: “Wenn es zu diesen kriegerischen Handlungen kommt, dann ist Deutschland ganz direkt betroffen, weil dann der größte Hafen dort im Pearl-Delta für uns unerreichbar wäre. Das heißt, dass unsere Handelswege dann unterbrochen sind. Auf der anderen Seite sind wir natürlich betroffen, weil es dann eine so gravierende Regelverletzung gäbe, weil sich dann auch die Regeln ändern würden, wie wir miteinander umgehen.”

Als Exportnation profitiert Deutschland von China und finanziert somit dessen Aufrüstung mit. Das Auswärtige Amt arbeitet derzeit an einer neuen China-Strategie, die wirtschaftliche Abhängigkeiten reduzieren soll. Ein Ziel, das innerhalb der Bundesregierung nicht unumstritten ist, wie man an dem Engagement von Bundeskanzler Olaf Scholz für die chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen erst kürzlich gesehen hat.