
“Ein Krieg um Taiwan wäre ein Krieg zwischen China und den USA. Egal, wer so einen Krieg gewinnt, wir wären wieder einmal der Kollateralschaden. Wir wären im Schusswechsel jener großen Länder gefangen, die eigentlich als wohlwollende Hegemonen für die Pazifikregion und die Menschheit insgesamt auftreten sollten."
Das schreibt David Panuelo, Staatspräsident von Mikronesien, einem Inselstaat im westlichen Pazifischen Ozean an rund 20 Amtskollegen. Ende Mai warnt er andere Inselstaaten der Region vor einer Kooperation mit China. Zuvor waren Pläne der Volksrepublik über Sicherheitsabkommen mit zehn der geostrategisch wichtigsten Pazifik-Inselstaaten enthüllt worden. Mikronesiens Präsident befürchtet, dass diese Staaten zu einem chinesischen Machtwerkzeug im Pazifik werden könnten. Er spricht von einem möglichen “neuen Kalten Krieg” und sogar von einem “Weltkrieg”.
USA möchten Chinas Aufstieg eindämmen
Die USA wollen Chinas Aufstieg eindämmen, das geht auch aus der kürzlich vorgelegten “Nationalen Verteidigungsstrategie” hervor. Hier heißt es wörtlich, “Chinas zunehmend aggressives Verhalten” im Indopazifik sei die zentrale strategische Herausforderung.
Es gibt auch Experten, die das anders sehen. Huang Chiung-chiu ist Professorin für Internationale Beziehungen an der Chengchi-Universität in Taipeh. Sie warnt davor, Chinas Aufstieg nur durch eine westliche Brille zu betrachten. Das heize die Konfrontation an und steigere die Kriegsgefahr.
Taiwan ist für die KP das letzte fehlende Stück des Territoriums. Alles, was die USA in Taiwan machen, provoziert Peking.
Der Konflikt um Taiwan
Aber auch sie weiß, dass die Kommunistische Partei Taiwan nie aufgeben wird: “Taiwan ist für die KP das letzte fehlende Stück des Territoriums. Alles, was die USA in Taiwan machen, provoziert Peking. Chinas Staatschef Xi Jinping nimmt die Taiwanfrage ernst und betrachtet sie als seine wichtigste Mission, die seine Position in der Geschichte der Kommunistischen Partei definieren wird.”
Unter seiner Führung nahmen die Manöver der chinesischen Armee in der Taiwanstraße zuletzt zu. Andererseits liefern die USA verstärkt Waffen an Taiwan und haben Militärausbilder auf der Insel stationiert. Im Konfliktfall befürchten Nachbarstaaten wie die Philippinen, in den Krieg hineingezogen zu werden.
“Kaohsiung - Taiwans südlichster Hafen - ist 40 Minuten Flugstrecke vom Norden der Philippinen entfernt. Nach China sind es 600 Kilometer. Das können wir nicht umgehen. Unsere erste Priorität wird die Verteidigung unseres Landes sein, aber dafür sind wir militärisch nicht ausreichend gerüstet. Deswegen werden wir weiter in unsere Partnerschaften investieren”, sagt der neue Präsident der Philippinen, Ferdinand Marcos Jr.

Die Rolle Kambodschas
“Bisher hat Kambodscha versucht zu zeigen, dass es sich auf keine Seite stellt. Denn Kambodscha ist abhängig von China und von den USA. China investiert in Kambodscha, aber die USA sind Kambodschas größter Markt.”
Aber Peking nutze auch paramilitärisches Vorgehen, um die südostasiatischen Nachbarn auf Linie zu bringen, erklärt Huong Le Thu. Sie lebt in Brisbane, Australien, und forscht seit 15 Jahren zu Sicherheitspolitik im Indopazifikraum - derzeit für das amerikanische Center for Strategic and International Studies: “Es gibt schon seit Jahren und Jahrzehnten Probleme und Unstimmigkeiten mit China. Die Spannungen sind gewachsen durch die verstärkte Aktivität der Marinestreitkräfte und Meeresmilizen. Aber auch durch Chinas Aufschüttung und Bewaffnung von künstlichen Inseln und Chinas direkte Missachtung internationalen Rechts.”
“Xi Jinping hat eine andere Vorstellung, wie die internationale Ordnung aufgebaut werden sollte, als sie gegenwärtig der Fall ist“, sagt May-Britt Stumbaum, sie leitet das Projekt “Asia Pacific Security” an der Bundeswehr Universität in München. „Ein großer Unterschied ist zum Beispiel, dass man aus chinesischer Sicht im Indopazifik Grenzlinien zieht, was chinesisches Hoheitsgebiet sein sollte, das ist die sogenannte “Nine-Dash-Line” - das ist so eine gestrichelte Linie. Während man hier das Verständnis hat, dass das internationale Gewässer sind, die jeder befahren kann.”
Willkürliche Grenzziehung nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Salomonen - eine Inselgruppe im Pazifik mit 700.000 Einwohnern nordöstlich von Australien - schlossen im April ein umstrittenes Sicherheitsabkommen mit China ab. “Das Abkommen erlaubt es China, Polizisten und Soldaten auf die Salomonen zu schicken - als Sicherheitspartner - um unsere Leute auszubilden. Und China soll uns zur Seite stehen - wenn unsere Sicherheit gefährdet ist. So heißt es. Wobei niemand dieses geheime Abkommen je gesehen hat”, sagt die Journalistin Dorothy Wickham. Sie beobachtet seit 30 Jahren die Politik ihres Heimatlandes. Sie lebt in Honiara, der Hauptstadt der Salomonen.
“Eines der Schlüsselprojekte ist das Nationalstadion - für die Pazifik-Spiele in den Salomonen 2023. Ein anderes Projekt war ein Krankenhaus. Die chinesische Regierung finanziert ein neues Herz-Zentrum hier in der Hauptstadt Honiara. Diese beiden Vorhaben wollte unsere Regierung schnell anschieben.”
Hinzu kommt, dass die Salomonen mit einem chinesischen Kredit rund 160 Mobilfunkmasten bauen lassen - durch den chinesischen Konzern Huawei. Abhängigkeiten, die der Journalistin allerdings keine Angst machen: “Wir haben hier seit den 1930er-Jahren Chinesen, der Umgang mit ihnen ist nicht neu. Unsere Wirtschaft wird kontrolliert von Chinesen. Schon seit einigen Jahrzehnten. China ist für die meisten Menschen nichts, worüber sie sich Sorgen machen, vielen geht es um ihr tägliches Überleben.”
Für internationales Aufsehen sorgte im August die Entscheidung der Salomonen, ausländischen Militärschiffen die Hafeneinfahrt zu verweigern. Ein britisches und ein US-amerikanisches Schiff mussten wieder abdrehen. Von Regierungsseite hieß es, die Regeln für die Gewässer der Salomonen würden derzeit umgestaltet, nur China könne weiterhin einfahren. Hier zahlen sich die Investitionen in Ozeanien offenbar aus. China ist mittlerweile der zweitgrößte Geldgeber für die pazifischen Inselstaaten - hinter Australien. Tonga und Vanuatu haben sogar mehr als die Hälfte ihrer Staatsschulden in China.
So wächst die Sorge bei Staaten wie Australien vor sogenannten “Dual Use”-Projekten: Im Konfliktfall könnten große chinesische Infrastrukturprojekte, wie Häfen und Flughäfen, auch militärisch genutzt werden: “Für Australien ist die Pazifikregion direkte Nachbarschaft. Die chinesische Präsenz lässt nun die Alarmglocken läuten. China hat globale Ambitionen.”
“Australien nimmt den Taiwankonflikt sehr ernst. Aus Sicht von Verteidigungspolitikern könnte ein Krieg nicht weit entfernt sein. Das hat Australien dazu veranlasst, seine Strategie zu verändern und mehr in Verteidigung zu investieren. Und die Bereitschaft Atom-U-Boote zu haben, eine bahnbrechende Entscheidung!”
China allerdings betrachtet die Bündnisse als Provokation. Dass auch die NATO in ihrem Strategiepapier neuerdings China als – so wörtlich - “systemische Herausforderung” bezeichnet, tut ein Übriges. Die chinesische Vertretung in Brüssel protestierte schriftlich:
“Wir fordern die NATO auf, keine weiteren Konfrontationen zu provozieren, indem sie ideologische Grenzen ziehen. Wir fordern sie auf, die Kalte-Kriegs-Mentalität und ihr Nullsummenspiel aufzugeben und keine weiteren Falschinformationen über China zu verbreiten.”
Fregatte Bayern im Raum Indopazifik
“Die Fregatte Bayern ist in den Raum Indopazifik gegangen, um dort an Übungen teilzunehmen, zur Aufrechterhaltung der internationalen regelbasierten Ordnung. Die haben an dem Embargo gegen Nordkorea teilgenommen. Die haben geübt mit anderen Marineflotten - mit Japan, mit Australien, und es ging darum ,mit Wertepartnern die Kooperation zu intensivieren.”
Australien und Neuseeland gehören zu den sogenannten Wertepartnern der Bundeswehr, liberale Demokratien, mit denen die Bundesregierung laut Indopazifik-Leitlinien eine gemeinsame Wertegrundlage teilt, die dem, so wörtlich, „Erhalt der regelbasierten internationalen Ordnung“ diene.
Stumbaum: "Deutschland ganz direkt betroffen"
Als Exportnation profitiert Deutschland von China und finanziert somit dessen Aufrüstung mit. Das Auswärtige Amt arbeitet derzeit an einer neuen China-Strategie, die wirtschaftliche Abhängigkeiten reduzieren soll. Ein Ziel, das innerhalb der Bundesregierung nicht unumstritten ist, wie man an dem Engagement von Bundeskanzler Olaf Scholz für die chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen erst kürzlich gesehen hat.