Freitag, 19. April 2024

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Corona-Maßnahmen in der 4. Welle
"Es braucht ein grundlegendes Gespräch von Bund und Ländern"

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) plädiert für national einheitliche Regeln, um die vierte Corona-Welle einzudämmen. Es bräuchte eine Regelung für 2G national, für 3G am Arbeitsplatz und eine Veränderung des Datenschutzes, sagte Söder im Dlf.

Markus Söder im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 08.11.2021
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fordert einheitliche Corona-Regeln auf nationaler Ebene. (dpa/picture alliance/photothek)
In Bayern gelten seit dem 7. November verschärfte Regeln zur Bekämpfung der Pandemie. Grund ist vor allem die hohe Zahl belegter Intensivbetten. Zutritt zu Gasthäusern und Veranstaltungen in geschlossenen Räumen haben gemäß der "3G-plus"-Regel nur noch Genesene, vollständig Geimpfte und Menschen mit negativem PCR-Resultat. Ein Antigen-Schnelltest reicht nicht mehr. In Diskotheken und Clubs gelten mit der "2G"-Regel noch strengere Kriterien, dort dürfen bis auf Weiteres nur noch Geimpfte und Genesene eingelassen werden. Außerdem muss generell wieder eine FFP2-Maske getragen werden. In Regionen, in denen die Zahl der Neuinfektionen und der Intensivpatienten besonders hoch ist, gelten zusätzliche Beschränkungen.
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte im Dlf, die Lage in den Krankenhäusern sei bedrohlich. Es müsse deshalb auch bundesweit mehr getan werden, als nur eine Testpflicht in Altenheimen einzuführen. "Ich verstehe nicht, warum das Gespräch mit den Ländern nicht gesucht wird", kritisiert Söder den Bund. Es bräuchte eine Regelung für 2G national, für 3G am Arbeitsplatz und eine Veränderung des Datenschutzes, um schneller und präziser ein Lagebild zu haben. Zudem forderte er eine Reaktivierung der Impfzentren. Auch die Durchführung von Antikörper-Tests sei gut, um ein Lagebild zu bekommen, um die Notwendigkeit der dritten Impfung besser einschätzen zu können.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Das Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Herr Söder, Rekord-Inzidenz in Deutschland. Wir haben es in den Nachrichten gehört. Wird auch die Politik erneut von Corona überrollt?
Markus Söder: Nicht unbedingt. Aber in der Tat ist es so, dass der eine oder andere sich vor dem Thema versucht wegzuducken. Wir haben es gerade schon in dem Beitrag gehört. Es ist natürlich jetzt völlig absurd, ein Ende einer epidemischen Lage auszurufen oder gar von Freedom Day zu reden. Das suggeriert ja, dass das Thema gar nicht präsent sei. Das Gegenteil ist der Fall. Die Inzidenz allein ist es aber nicht, sondern wir müssen auf die Krankenhäuser schauen, und dort ist tatsächlich die Lage in etlichen Regionen bedrohlich. Es droht auf Dauer eine ganz ungute Situation zwischen einem ja fast schon Wettbewerb um ein Bett zwischen Intensivbett, zwischen ungeimpften Covid-Patienten, denn tatsächlich sind 90 Prozent der Intensivbetten von ungeimpften belegt, und auch Menschen, die geimpft sind, die aber nach einer Krebserkrankung, Schlaganfall, Herzinfarkt ein Intensivbett brauchen. Das kann auf Dauer so nicht sein. Also muss mehr getan werden als ein bisschen Testpflicht in den Altenheimen. Das machen wir in Bayern sowieso schon. Es braucht da schon ein grundlegendes Gespräch von Bund und Ländern. Deswegen kann ich nur noch mal sagen: Ich verstehe nicht, warum man sich dem Gespräch mit den Ländern verweigert.

"Am Ende trifft es immer das ganze Land"

Münchenberg: Nun war es aber, Herr Söder, der CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, der sich dafür ausgesprochen hat, dass die epidemische Notlage aufgehoben werden soll, also ein Vertreter der Union.
Söder: Das war ein Fehler.
Münchenberg: Klare Worte. Man hat trotzdem den Eindruck, das ist eine Art Déjà-vu Erlebnis, dass es keine klare Strategie gibt. Jedes Bundesland macht am Ende doch wieder was es will. Sachsen zum Beispiel geht voran, führt die 2G-Regel ein. Andere sind da viel zurückhaltender.
Söder: Sie haben völlig recht. Deswegen wäre so eine einheitliche Abstimmung sinnvoll. Denn am Ende – das haben wir doch in der Pandemie gesehen – gibt es keine regionale Corona-Entwicklung, sondern am Ende trifft es immer das ganze Land. Und für viele Menschen ist das verwirrend, wenn unterschiedliche Regelungen gelten. Wir haben eine Krankenhaus-Ampel, die jetzt auf gelb springt und möglicherweise bald auf Rot – in einigen Regionen ist das so -, so dass auch wir weitgehend 2G bei allen Veranstaltungen einführen. Wir brauchen dafür auch eine Regelung, für 2G national. Wir brauchen eine Regelung für 3G am Arbeitsplatz, verbunden übrigens auch mit der rechtlichen Möglichkeit, A zu fragen, welches Testergebnis herauskommt, oder auch zu fragen, wie ist der jeweilige Impfstatus, denn das ist ja auch für die vielen Betriebe an den Arbeitsplätzen ganz, ganz wichtig. Wir brauchen nicht nur eine 2G-Regel-Möglichkeit, sondern wir brauchen zum zweiten dann auch klar 3G am Arbeitsplatz und auch eine Veränderung des Datenschutzes, um schneller und präziser ein Lagebild zu haben.
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"Wir haben jetzt 2G in den Hotspot-Regionen"

Münchenberg: Sie sagen, 2G-Regelung auf Bundesebene. Die Frage ist, Bayern könnte da auch mitmachen und den gleichen Weg gehen wie Sachsen.
Söder: Wir machen das ja. Wir haben jetzt 2G in den Hotspot-Regionen, die wir im Süden Bayerns haben, was übrigens ganz interessant ist. Wir haben eine direkte Verbindung zwischen hohen Infektionszahlen und unterdurchschnittlichen Impfzahlen. Das können Sie eins zu eins sehen. Das sind übrigens auch Gebiete, in denen es entweder, ich sage jetzt mal, viele Reichsbürger oder Querdenker gibt, auch viele, viele Esoteriker, wenn ich das so sagen darf, und wo wir auch mit guten Argumenten und unglaublichen Angeboten - - Die Landräte vor Ort – das gilt in Sachsen wie bei uns auch in Bayern -, die reißen sich ein Bein aus dafür, muss man wirklich sagen, und laufen den Leuten quasi mit der Impfdose hinterher. Aber da gibt es nach wie vor große Zurückhaltung, die am Ende in Gefahren mündet, nämlich tatsächlich in eine Belastung der Krankenhäuser.
Wir tun das bei uns, indem wir jetzt 2G weitgehend einführen. In der Schule gibt es übrigens wieder eine Maskenpflicht. Es ist mir unverständlich, dass wir in der Schule keine Maskenpflicht haben. Dort in der Schule werden wir – tägliches Testen ist sowieso klar – insbesondere dann testen, wenn ein Infektionsfall stattfindet. Dann muss die Klasse die ganze Woche getestet werden, weil wir haben ja zwei Prioritäten. Die eine ist, Erhalt der Schule und des Schulunterrichts, und die zweite ist der Schutz der Krankenhäuser vor Überlastung.
Wenn ich das noch sagen darf: Das eigentliche Problem ist, dass wir im letzten Jahr Pflegebetten nicht verloren haben als Betten, sondern Pflegepersonal hat sich stillschweigend verabschiedet. Dies droht jetzt wieder, weil viele in der Pflege oder auch in der Medizin sagen, warum soll ich jemand pflegen oder betreuen, der erkennbarer Weise sich hätte impfen lassen können und jetzt in schwerste Situationen kommt. Das ist wirklich eine ungute und schwierige Situation.

Impfpflicht in bestimmten Bereichen sinnvoll

Münchenberg: Herr Söder, Sie haben schon angesprochen, man erreicht viele Menschen nicht. Das ist ein großes Problem in Bayern, in Baden-Württemberg aber zum Beispiel auch. War es im Rückblick nicht doch ein Kardinalfehler der Politik, dass man eine Impfpflicht sehr frühzeitig ausgeschlossen hat, dass man jetzt überhaupt keinen Handlungsspielraum mehr hat?
Söder: Sie wissen, dass ich vor über einem Jahr der allererste und, ich glaube, auch bis heute fast der einzige war, der damals gesagt hat, für bestimmte Bereiche, zum Beispiel in den Alten- und Pflegeheimen, die, wie wir ja gemerkt haben, unsere größte Achillesverse sind. In all diesen Entwicklungen bei Corona habe ich damals schon gesagt, man müsste über so was nachdenken, und habe den Ethikrat gebeten, da eine Stellungnahme abzugeben. Damals hat es einen riesen Shitstorm gegeben. Alle haben sich verweigert. Wenn parallel dazu der eine oder andere von der FDP davon redet, dass wir einen Freedom Day haben, dann merken Sie, wie zerrissen auch das Land an der Stelle ist.
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Münchenberg: Aber Sie lehnen trotzdem eine allgemeine Impfpflicht ab?
Söder: Ich glaube, dass das zu einer noch weiteren aggressiven Spaltung der Gesellschaft führen kann. Auch da kann sich der Ethikrat mit beschäftigen. Ich habe gestern eine Fernsehsendung bei Frau Will gehabt. Dort hat die Vorsitzende des Ethikrats sich zur allgemeinen Impfpflicht zurückhaltend, aber zu einer für bestimmte Berufsgruppen doch sehr offen geäußert. Ich glaube, das sollte man auch bald weiterdiskutieren.
Schauen Sie, es gibt ja auch bei uns jetzt schon Impfpflichten, zum Beispiel Masern. Die gibt es ja und das funktioniert auch ganz gut. Ich kann mich erinnern, als ich ein Kind war, da ist man so ziemlich gegen alles geimpft worden und da gab es keine endlosen Diskussionen und keine Schwierigkeiten. Ganz im Gegenteil! Das hat beispielsweise dazu geführt, dass Kinderlähmung in Deutschland praktisch keine Rolle spielt. Ich würde dringend raten, darüber zu reden. Was mich im Moment beschwert ist die Tatsache, dass die Gespräche nicht stattfinden können. Wenn dann gesagt wird, wir bringen jetzt mal einen Vorschlag in den Bundestag ein, der übrigens an vielen Stellen, jedenfalls von dem, was bekannt ist, wenn ich das sagen darf, hinter der Lage ist. Wir brauchen zum Beispiel bei den Drittimpfungen jetzt nicht nur das Ärzte über 60 anschreiben. Wir brauchen eine Reaktivierung und Finanzierung und Finanzierung der Impfzentren, um den ganzen Prozess so schnell wie möglich voranzubringen, und zwar am Ende auch nicht nur die Drittimpfung für jeden, der eine bestimmte Altersgrenze erreicht, sondern für jeden, der wenig Antikörper hat. Wir brauchen nicht nur Tests wieder kostenlos, sondern auch Antikörper-Tests, die kostenlos sind, damit jeder seine aktuelle Situation abfragen kann, um dann wirklich ein Lagebild zu haben, um dann die Drittimpfung für alle, die es brauchen, nicht nur für diejenigen, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, zu machen.

Nicht ständig der Lage hinterherhecheln

Münchenberg: Herr Söder, Stichwort Tempo. Die Gesundheitsminister haben sich ja grundsätzlich für eine allgemeine Booster-Impfung ausgesprochen. Die Empfehlung der zuständigen Impfkommission steht dazu noch aus. Da heißt es, man muss noch weiter Daten prüfen. Ist die Politik zu vorschnell oder die Stiko zu langsam?
Söder: Das müssen Sie am Ende beurteilen. Wir hatten die Diskussion ja schon einmal mit den Schulen. Sie erinnern sich. Ich bin dann auch sehr gescholten worden, weil ich gebeten habe, dass die Stiko noch mal genau überlegt, ob wir nicht schon vor den Ferien mit dem Impfen hätten beginnen können. Das hätte uns möglicherweise einige Monate gebracht, die wir jetzt bei den hohen Inzidenzen von Schülern und Jugendlichen vielleicht uns gewünscht hätten. Jetzt sind wir bei der Drittimpfung wieder genau. Ich verstehe natürlich die Sorgfalt in der Arbeit. Das verstehe ich alles. Aber noch ein ergänzendes Beispiel: In Österreich beginnt man jetzt, die Kinderimpfungen zu machen. In England und den USA werden neue Medikamente zugelassen, die offenkundig Erfolg versprechen auch in der Behandlung, was eine interessante Variante und Alternative sein kann für diejenigen, die sich mit Händen und Füßen gegen das Impfen wehren. Wir müssen an einigen Stellen – das ist der dringende Wunsch – noch mal überlegen, ob wir mit bestimmten Verfahren mit mehr Intensität wieder vor die Lage kommen, als ständig der Lage hinterherzuhecheln.

CDU muss selbstbewusst und selbständig ihren Weg finden

Münchenberg: Herr Söder, wir müssen noch ganz kurz über ein anderes Thema sprechen, das ja doch sehr wichtig ist. Bei der CDU ist das Bewerbungsverfahren für den Parteivorsitz angelaufen. Noch hat sich aber niemand beworben. Aus Ihrer Sicht: Ist das eher ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Söder: Erstens bin ich ziemlich sicher, dass sich noch jemand bewerben wird. Darauf würde ich jetzt mal setzen. Das zweite: Nach all den schwierigen Wochen, die CDU/CSU nach der Wahl hatten, ist, glaube ich, wichtig, dass wir uns heraushalten und dass die CDU jetzt sehr selbstbewusst und selbständig ihren Weg findet. Wir freuen uns dann auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Vorsitzenden, oder vielleicht kandidiert auch noch jemand anders, und dem gesamten Vorstand. Wir brauchen da auch wieder ein neues Mehr an Miteinander.
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Münchenberg: Haben Sie noch Kontakt zum Noch-Parteichef Armin Laschet?
Söder: Wir hatten uns erst letztlich gesehen auf der gemeinsam MPK, die Armin Laschet übernommen hat.
Münchenberg: Nun hat ja Armin Laschet in den letzten Wochen in einem Fernseh-Interview, ich sage mal salopp, mit Ihnen abgerechnet. Im Kern geht es um illoyales Verhalten beim Kampf ums Kanzleramt. Er kritisierte die wiederholten Querschüsse aus München. Ist da nicht aus Ihrer Sicht auch schon ein bisschen was dran an dieser Kritik?

"Wir müssen nach vorne schauen"

Söder: Ich glaube, es hilft wenig zu versuchen, nach einem Wahlergebnis die Verantwortung neu zu verteilen. Wir müssen nach vorne schauen. Jeder hat da seinen Anteil, jeder hat da sicher seine Verantwortung. Das ist doch völlig klar, in unterschiedlicher Bedeutung. Ich schaue, ehrlich gesagt, nach vorne. Es ist für die Union jetzt eine schwierige Zeit und wir müssen erstens auch diese neue Rolle annehmen. Die Ampel wird auf jeden Fall kommen. Ich war gestern sehr beeindruckt bei der Sendung, wie Frau Göring-Eckardt leidenschaftlich die FDP verteidigt. Man spürt, die Ampel ist da. Ich glaube allerdings, dass sich die neue Ampel sehr schwertun wird, sich den Realitäten zu stellen, aber das warten wir einfach ab.
Das ist der eine Teil und der zweite Teil: Natürlich muss die Union auch neue Kraft wiederfinden. Das geht aber nicht über Nacht und das wird, darf man, glaube ich, schon sagen, ein steiniger und langer Weg, der auch nur gemeinsam geht. Darauf sollte man sich einstellen und sich darauf zu konzentrieren, denn Attraktivität bei Wählerinnen und Wählern findet man vor allem mit Zukunftsbegeisterung und weniger damit, indem man ständig im Gestern diskutiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.