Sandra Schulz: Eine flache, karge Öde, die Luft riecht moderig, das Meer ist hinterm Horizont verschwunden. Richtig trocken wird der Boden nie, denn zweimal am Tag ist hier Hochwasser. Das Wattenmeer, Feuchtgebiet unter dem Einfluss der Gezeiten Biotop. Das Wattenmeer der Nordsee ist seit dem vergangenen Jahr offiziell Teil des Unesco-Weltnaturerbes und es gilt als eines der in Europa noch verbliebenen Großökosysteme und ist hoch sensibel. Seit mehr als 25 Jahren bemühen sich die Anrainerstaaten Dänemark, die Niederlande und Deutschland um seinen Schutz, Thema ab heute auch auf der 11. Wattenmeerkonferenz auf der Insel Sylt. Rund 130 Experten werden auf der Nordseeinsel erwartet, mit dabei auch der Leiter der Wattenmeerstation Sylt, Professor Karsten Reise vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Er ist jetzt am Telefon, guten Morgen!
Karsten Reise: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Warum ist es überhaupt so wichtig, das Wattenmeer zu schützen?
Reise: Weil es so einmalig ist auf der Welt. Nirgendwo sonst gibt es so große zusammenhängende Wattflächen wie zwischen Dänemark, Deutschland und den Niederlanden mit zehn bis zwölf Millionen Küstenvögeln, die dort pro Jahr einfallen, um ihre Nahrung zu finden. Das ist ein fantastisches Schauspiel und damit auch eine Attraktion, die diese Küste darstellt, und Attraktionen sind ja zugleich auch eine wirtschaftliche Grundlage.
Schulz: Wie groß ist Ihre Sorge um dieses Naturschutzgebiet?
Reise: Durch den konsequenten Schutz so in den letzten 30 Jahren steht es sehr gut um das ökologische Gefüge des Wattenmeeres. Was uns Sorge bereitet ist eher die langfristige Perspektive, bedingt durch die globale Erwärmung. Das bedeutet hier an der Küste vor allen Dingen ansteigenden Meeresspiegel. Das geht zwar langsam, aber es geht auch unerbittlich, denn wir haben uns mit der stattgefundenen Erwärmung schon so viel eingebrockt und das Wattenmeer daran anzupassen, das wird schwierig.
Schulz: Wird es das Watt in 50 Jahren noch geben?
Reise: Ja, ich denke das schon. Wir rechnen damit, dass es so in der Größenordnung von ein Meter Meeresspiegelanstieg bis Ende unseres Jahrhunderts kommen wird. Das bedeutet großflächige Sedimentumlagerung, Strandverlagerung und natürlich auch höhere Wasserstände vor den Deichen. Wir brauchen einerseits diese weiten Wattflächen als ein Sicherheitspolster, damit die Wellen sich schon brechen können, bevor sie auf unsere Küstenschutzstrukturen treffen, aber eben auch wir wollen die ökonomische Grundlage dieses attraktiven Naturgebietes versuchen zu erhalten. Und wahrscheinlich müssen wir unsere gegenwärtigen Szenarien schon bald anfangen, nach und nach Sediment aus der Nordsee uns auszuborgen und damit dem Watt ein Mitwachsen zu ermöglichen.
Schulz: Sediment auszuborgen, das klingt danach, als würde man Schutzwälle errichten. Wäre es nicht richtig oder richtiger, der Natur da auch ihren Lauf zu lassen?
Reise: Ja, wir denken dabei an so einen Mittelweg. Man kann Sand aus der Nordsee in die Lebensadern, die tiefen Gezeitenrinnen des Wattenmeeres geben und es damit der Strömung und den Wellen selber überlassen, diesen Sand zu verteilen. Wir müssen jetzt nicht große Depots von Sand über Muschelbänke und Seegraswiesen schütten, das wäre ja wirklich ein Desaster, sondern können uns da die Naturprozesse zunutze machen.
Schulz: Wann wäre die Konferenz, die heute ja beginnt, aus Ihrer Sicht ein Erfolg?
Reise: Ein Erfolg ist sie sicherlich einmal von der politischen Seite her, wenn Dänemark einwilligt, auch dem Weltnaturerbe beizutreten, und der Hamburger Nationalpark. Da ist es ja schon zugesichert worden, dass er ein Teil werden soll. Das wäre ein großer Erfolg. Der Schutz des Wattenmeeres wird zunehmend aufwendiger, je mehr das Wattenmeer in die Enge getrieben wird durch den steigenden Meeresspiegel. Wir müssen uns letztlich auch Gedanken machen um die gesamte Wirtschaftsregion, also die Bereiche hinter den Deichen, wie das alles besser miteinander integriert wird.
Schulz: Ein Problem ist auch der Umgang mit eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten. Das soll auch beraten werden. Was ist an denen denn so schlimm?
Reise: Darüber gibt es auch geteilte Meinungen. Es können natürlich Krankheitserreger mit dem Ballastwasser von Schiffen eingeschleppt werden, dann ist es völlig klar: Das ist eine unangenehme Sache. Aber wenn eine Alge oder ein Wurm eingeschleppt wird, dann fügt sich das meist in dieses etwas lockere Ökosystem, das wir hier an der Küste haben, ziemlich problemlos ein. Was uns Sorge bereitet ist, dass es zu einer Veränderungsbeschleunigung kommt, weil es ja auch gleichzeitig wärmer geworden ist und die meisten von den eingeschleppten Arten kommen aus wärmeren Meeren, sind in der Pool-Position und dadurch gerät das Nahrungsnetz dann vorübergehend auseinander. Wir haben so pazifische Austern, die haben eine viel zu dicke Schale, da kommen die hiesigen Vögel gar nicht gegen an. Das fällt dann als Nahrung weg. Aber sie selber, die Austern, nehmen natürlich Nahrung den anderen Arten weg. Also das gibt sehr viel Unruhe durch diese Globalisierung, wenn man so will, und wir sind gut beraten, stärkere Prävention zu leisten, den Schiffsverkehr mehr zu kontrollieren und auch nicht absichtlich, wie das bei der Auster passiert ist, sie hier auszusetzen.
Schulz: Sie haben die Bedrohungen jetzt beschrieben. Was entgeht denn denen, die noch nie eine Wattwanderung gemacht haben?
Reise: Ich glaube, es ist einfach ein Erlebnis, das wir sonst in Mitteleuropa so nirgendwo mehr haben können, eine weitgehend naturbelassene Fläche, die Kräfte einerseits von Gezeitenströmung und Wellen, aber andererseits dann auch die Gegenwehr, wie sich Muscheln-, wie sich Wurmriffe und Seegraswiesen darin behaupten, das richtig in Aktion zu sehen auf kurzer zeitlicher Spanne. Sonst wissen wir ja irgendwie so langsames Waldsterben und dann sieht man hier und da mal irgendwie etwas, aber hier passiert das alles viel schneller. Man kann unmittelbar sehen, was da passiert, und diese Erfahrung, so mit der Naturgewalt zu leben, das kriegt man auf einer Wattwanderung am besten im Wattenmeer mit.
Schulz: Welchen Wattbewohner finden Sie da am faszinierendsten?
Reise: Da bin ich vielleicht komisch. Da wo andere Igitt sagen, da sage ich Oh. Das ist der Wattwurm, so ein etwa fingerlanger dicker Wurm, weil er ist der Hauptakteur. Er wühlt den ganzen Boden um, und wenn er das nicht tun würde, dann würde ganz viel von dem Watt so verschlicken, dass wir bis über die Knie einsinken. Er ist der Ingenieur dieses Lebensraumes und schafft kleine Sauerstoffoasen in einem ansonsten sauerstoffarmen Boden und damit für eine ganze Lebensgemeinschaft von kleinsten Wesen. Das ist einfach faszinierend, wie sich da immer wieder neue Gefüge durch seine Aktivität einrichten können.
Schulz: Gibt es denn etwas, was wir lernen können vom Watt?
Reise: Ja. Das Watt passt sich tatsächlich, um an den Anfang des Gespräches zurückzukommen, an den steigenden Meeresspiegel an, kann dies aber nur, solange das in der Größenordnung von 15 Zentimeter im Jahrhundert liegt, und wir erwarten ja mehr so einen Meter pro Jahrhundert. Das schafft es nicht mehr. Man muss versuchen zu dosieren, man darf es nicht überstrapazieren. Es ist sehr flexibel, das Watt, aber jede Flexibilität, wie wir aus unserem eigenen Leben kennen, hat seine Grenzen und ich glaube, das können wir sehr gut direkt von der Natur absehen und lernen, wie man flexibel sein kann bis zur äußeren Grenze.
Schulz: Flexibel auch im Sinne der Gezeiten, die ja nun gerade alles andere sind als flexibel?
Reise: Die Gezeiten verändern sich ja sowieso von Tag zu Tag, aber auch je nachdem, wie der Wind nachschiebt oder dagegenschiebt. Jetzt haben wir hier oben an der Nordseeküste einen sehr kalten Winter gehabt mit dicken Packeisschollen, die den Wattboden durchgewühlt haben. Ich gehe gleich noch mit einer Delegation aus Korea ins Watt heraus. Wir werden da sehen, wie dieser natürliche Pflug die Verhältnisse verändert hat.
Schulz: Dann wollen wir Sie nicht aufhalten. – Der Leiter der Wattenmeerstation auf Sylt, Professor Karsten Reise, heute in den "Informationen am Morgen". Danke schön!
Reise: Bitte.
Karsten Reise: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Warum ist es überhaupt so wichtig, das Wattenmeer zu schützen?
Reise: Weil es so einmalig ist auf der Welt. Nirgendwo sonst gibt es so große zusammenhängende Wattflächen wie zwischen Dänemark, Deutschland und den Niederlanden mit zehn bis zwölf Millionen Küstenvögeln, die dort pro Jahr einfallen, um ihre Nahrung zu finden. Das ist ein fantastisches Schauspiel und damit auch eine Attraktion, die diese Küste darstellt, und Attraktionen sind ja zugleich auch eine wirtschaftliche Grundlage.
Schulz: Wie groß ist Ihre Sorge um dieses Naturschutzgebiet?
Reise: Durch den konsequenten Schutz so in den letzten 30 Jahren steht es sehr gut um das ökologische Gefüge des Wattenmeeres. Was uns Sorge bereitet ist eher die langfristige Perspektive, bedingt durch die globale Erwärmung. Das bedeutet hier an der Küste vor allen Dingen ansteigenden Meeresspiegel. Das geht zwar langsam, aber es geht auch unerbittlich, denn wir haben uns mit der stattgefundenen Erwärmung schon so viel eingebrockt und das Wattenmeer daran anzupassen, das wird schwierig.
Schulz: Wird es das Watt in 50 Jahren noch geben?
Reise: Ja, ich denke das schon. Wir rechnen damit, dass es so in der Größenordnung von ein Meter Meeresspiegelanstieg bis Ende unseres Jahrhunderts kommen wird. Das bedeutet großflächige Sedimentumlagerung, Strandverlagerung und natürlich auch höhere Wasserstände vor den Deichen. Wir brauchen einerseits diese weiten Wattflächen als ein Sicherheitspolster, damit die Wellen sich schon brechen können, bevor sie auf unsere Küstenschutzstrukturen treffen, aber eben auch wir wollen die ökonomische Grundlage dieses attraktiven Naturgebietes versuchen zu erhalten. Und wahrscheinlich müssen wir unsere gegenwärtigen Szenarien schon bald anfangen, nach und nach Sediment aus der Nordsee uns auszuborgen und damit dem Watt ein Mitwachsen zu ermöglichen.
Schulz: Sediment auszuborgen, das klingt danach, als würde man Schutzwälle errichten. Wäre es nicht richtig oder richtiger, der Natur da auch ihren Lauf zu lassen?
Reise: Ja, wir denken dabei an so einen Mittelweg. Man kann Sand aus der Nordsee in die Lebensadern, die tiefen Gezeitenrinnen des Wattenmeeres geben und es damit der Strömung und den Wellen selber überlassen, diesen Sand zu verteilen. Wir müssen jetzt nicht große Depots von Sand über Muschelbänke und Seegraswiesen schütten, das wäre ja wirklich ein Desaster, sondern können uns da die Naturprozesse zunutze machen.
Schulz: Wann wäre die Konferenz, die heute ja beginnt, aus Ihrer Sicht ein Erfolg?
Reise: Ein Erfolg ist sie sicherlich einmal von der politischen Seite her, wenn Dänemark einwilligt, auch dem Weltnaturerbe beizutreten, und der Hamburger Nationalpark. Da ist es ja schon zugesichert worden, dass er ein Teil werden soll. Das wäre ein großer Erfolg. Der Schutz des Wattenmeeres wird zunehmend aufwendiger, je mehr das Wattenmeer in die Enge getrieben wird durch den steigenden Meeresspiegel. Wir müssen uns letztlich auch Gedanken machen um die gesamte Wirtschaftsregion, also die Bereiche hinter den Deichen, wie das alles besser miteinander integriert wird.
Schulz: Ein Problem ist auch der Umgang mit eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten. Das soll auch beraten werden. Was ist an denen denn so schlimm?
Reise: Darüber gibt es auch geteilte Meinungen. Es können natürlich Krankheitserreger mit dem Ballastwasser von Schiffen eingeschleppt werden, dann ist es völlig klar: Das ist eine unangenehme Sache. Aber wenn eine Alge oder ein Wurm eingeschleppt wird, dann fügt sich das meist in dieses etwas lockere Ökosystem, das wir hier an der Küste haben, ziemlich problemlos ein. Was uns Sorge bereitet ist, dass es zu einer Veränderungsbeschleunigung kommt, weil es ja auch gleichzeitig wärmer geworden ist und die meisten von den eingeschleppten Arten kommen aus wärmeren Meeren, sind in der Pool-Position und dadurch gerät das Nahrungsnetz dann vorübergehend auseinander. Wir haben so pazifische Austern, die haben eine viel zu dicke Schale, da kommen die hiesigen Vögel gar nicht gegen an. Das fällt dann als Nahrung weg. Aber sie selber, die Austern, nehmen natürlich Nahrung den anderen Arten weg. Also das gibt sehr viel Unruhe durch diese Globalisierung, wenn man so will, und wir sind gut beraten, stärkere Prävention zu leisten, den Schiffsverkehr mehr zu kontrollieren und auch nicht absichtlich, wie das bei der Auster passiert ist, sie hier auszusetzen.
Schulz: Sie haben die Bedrohungen jetzt beschrieben. Was entgeht denn denen, die noch nie eine Wattwanderung gemacht haben?
Reise: Ich glaube, es ist einfach ein Erlebnis, das wir sonst in Mitteleuropa so nirgendwo mehr haben können, eine weitgehend naturbelassene Fläche, die Kräfte einerseits von Gezeitenströmung und Wellen, aber andererseits dann auch die Gegenwehr, wie sich Muscheln-, wie sich Wurmriffe und Seegraswiesen darin behaupten, das richtig in Aktion zu sehen auf kurzer zeitlicher Spanne. Sonst wissen wir ja irgendwie so langsames Waldsterben und dann sieht man hier und da mal irgendwie etwas, aber hier passiert das alles viel schneller. Man kann unmittelbar sehen, was da passiert, und diese Erfahrung, so mit der Naturgewalt zu leben, das kriegt man auf einer Wattwanderung am besten im Wattenmeer mit.
Schulz: Welchen Wattbewohner finden Sie da am faszinierendsten?
Reise: Da bin ich vielleicht komisch. Da wo andere Igitt sagen, da sage ich Oh. Das ist der Wattwurm, so ein etwa fingerlanger dicker Wurm, weil er ist der Hauptakteur. Er wühlt den ganzen Boden um, und wenn er das nicht tun würde, dann würde ganz viel von dem Watt so verschlicken, dass wir bis über die Knie einsinken. Er ist der Ingenieur dieses Lebensraumes und schafft kleine Sauerstoffoasen in einem ansonsten sauerstoffarmen Boden und damit für eine ganze Lebensgemeinschaft von kleinsten Wesen. Das ist einfach faszinierend, wie sich da immer wieder neue Gefüge durch seine Aktivität einrichten können.
Schulz: Gibt es denn etwas, was wir lernen können vom Watt?
Reise: Ja. Das Watt passt sich tatsächlich, um an den Anfang des Gespräches zurückzukommen, an den steigenden Meeresspiegel an, kann dies aber nur, solange das in der Größenordnung von 15 Zentimeter im Jahrhundert liegt, und wir erwarten ja mehr so einen Meter pro Jahrhundert. Das schafft es nicht mehr. Man muss versuchen zu dosieren, man darf es nicht überstrapazieren. Es ist sehr flexibel, das Watt, aber jede Flexibilität, wie wir aus unserem eigenen Leben kennen, hat seine Grenzen und ich glaube, das können wir sehr gut direkt von der Natur absehen und lernen, wie man flexibel sein kann bis zur äußeren Grenze.
Schulz: Flexibel auch im Sinne der Gezeiten, die ja nun gerade alles andere sind als flexibel?
Reise: Die Gezeiten verändern sich ja sowieso von Tag zu Tag, aber auch je nachdem, wie der Wind nachschiebt oder dagegenschiebt. Jetzt haben wir hier oben an der Nordseeküste einen sehr kalten Winter gehabt mit dicken Packeisschollen, die den Wattboden durchgewühlt haben. Ich gehe gleich noch mit einer Delegation aus Korea ins Watt heraus. Wir werden da sehen, wie dieser natürliche Pflug die Verhältnisse verändert hat.
Schulz: Dann wollen wir Sie nicht aufhalten. – Der Leiter der Wattenmeerstation auf Sylt, Professor Karsten Reise, heute in den "Informationen am Morgen". Danke schön!
Reise: Bitte.