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Gewerkschaften im Sport
In Deutschland noch Pionierarbeit

Sportgewerkschaften, die die Interessen von Sportlerinnen und Sportlern vertreten, gibt es in den USA schon seit den 60er-Jahren. In Deutschland ist eine breite Gewerkschaftsbewegung in nächster Zeit nicht absehbar. Dabei gab es im Sport noch nie so viel Haltung wie heute.

Von Jennifer Stange | 22.10.2022
Eine Sportlerin trainiert auf einer Laufbahn. Das Bild zeigt nur ihre Füße in Laufschuhen.
Eine Athletenvertretung gibt es in Deutschland seit 2017. Eine richtige Gewerkschaft fehlt aber. (dpa/Michael Kappeler)
Ein Image-Film von "EU Athletes", einem europäischen Multisportverband, der über 30 Spieler:innenverbände und -Gewerkschaften 25.000 Athlet:innen in 15 Ländern vereint und vertritt: Sportlerinnen und Sportler erklären in dem Spot, warum es für sie wichtig ist, organisiert zu sein.

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Ein Statement auf Deutsch fehlt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass keine deutsche Spielervertretung Partnerin von EU Athletes ist. Erstaunlich, denn Deutschland ist immerhin eines der bevölkerungsreichsten Ländern mit entsprechend vielen Athletinnen und Athleten.
Doch wer hier nach selbstorganisierten Sportlerinnen und Sportlern sucht, landet auf verwaisten Seiten von Basketball-Spielern, bei Telefonanschlüssen, die nie jemand abnimmt, oder füllt bei der Vereinigung der Eishockey-Spieler ein Kontaktformular aus und hört nie wieder was.

Deutsche Sportlerinnen und Sportler müssen Pionierarbeit leisten

Für Deutschland lässt sich Stand heute festhalten: Berufssportlerinnen und Berufssportler, die sich mit Kolleginnen und Kollegen organisieren wollen, müssen Pionierarbeit leisten. Denn abgesehen vom Fussball gibt es in Deutschland in keiner Disziplin eine funktionierende Selbstorganisation im Sinne einer klassischen Gewerkschaft.
Auch die Geschichte der „sports-union“ ist eine Geschichte des Scheiterns. Sie wurde 2001 von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di gegründet, als Solidargemeinschaft,  um Interessen gegenüber Vereinen, Ligen, Medien und Politik zu vertreten. Die „sports-union“ gibt es längst nicht mehr. Bei ver.di weiß kaum noch jemand, warum das Projekt gescheitert ist: an mangelndem Interesse, vermutet ein Pressesprecher von Ver.di.
Arbeitssoziologe Klaus Dörre forscht seit Jahrzehnten zu Fragen der Selbstorganisierung von Beschäftigten: "Der Breitensport, aber insbesondere der Leistungssport, ist natürlich individualisiert und konkurrenzbezogen. Selbst bei den Teamsportarten fängt ja der Selektionsprozess gewissermaßen schon im Jugendalter an. Und das macht es dann natürlich schwierig, wenn man immer sozusagen im Hinterkopf haben muss, besser zu sein, als der andere und das selbst im Teamsport. Das macht es natürlich schwierig, auf den Gedanken zu kommen, wir haben gemeinsame Interessen und die sollten wir auch gemeinsam durchsetzen."

"Sportler sowohl Produkt als auch Arbeit"

Der Australier Brendan Schwab sieht das ähnlich. Schwab ist weltweit einer der profiliertesten Arbeitsrechtler im Sport und hat vor allem im professionellen Mannschaftssport mehrfach Verhandlungen für Sportgewerkschaften geführt. Er vertritt die World Players Association, den globalen Dachverband von Athlet:innenvertretungen mit Hauptsitz in der Schweiz:

Wir versuchen, den Sportlern zu vermitteln, dass sie sowohl das Produkt als auch die Arbeit sind. Der Sport kann ohne sie nicht existieren. Das ist ein sehr großes Geschäft und sie sollten fair an den Einnahmen beteiligt werden, die nur durch die Leistung und das Opfer der Athleten erzielt werden können. Und wenn der Sport nicht bereit ist, diese Einnahmen mit ihnen zu teilen, dann handelt es sich um einen einfachen Fall von Ausbeutung, gegen die etwas unternommen werden muss. Und das geht am besten durch die Entwicklung eines gewerkschaftlichen Bewusstseins unter den Spielern, damit sie sich mit den Führungsgremien zusammensetzen und auf Augenhöhe verhandeln können.

Erste Sportgewerkschaften in den USA

Die Geschichte der Sportgewerkschaften beginnt in den sechziger Jahren. In den Vereinigten Staaten organisieren sich Basketball- und Baseballspieler. Auch in den großen Fußballländern wie England, Frankreich und Spanien erkämpfen sich Sportlerinnen und Sportler das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen.
Eine zweite Welle folgt Ende der Achtziger bis Mitte der 1990er Jahre, als es zu einer explosionsartigen Entwicklung des Profisports kommt. Getrieben durch eine massive mediale Vermarktung bestimmter Sportarten wird für viele das Hobby zur Arbeit. Damals - vergleichsweise spät - gründet sich 1987 die Vereinigung der Vertragsfußballspieler, kurz VDV. Die Interessenvertretung für Profi-Fußballspieler und auch Spielerinnen in Deutschland mit rund 1400 Mitgliedern.
Gegenwärtig erleben wir die dritte Welle von Gründungen im Sport. Heute geht vor allem um Gleichstellung, um die Autonomie von Sportlerinnen und Sportlern, um Meinungsfreiheit und Menschenrechte im Sport - vor allem auch in den olympischen Disziplinen. 2017 gründet sich hierzulande mit Athleten Deutschland die erste unabhängige Vertretung der Kaderathlet:innen, die laut Bundestagsbeschluss durch staatliche Gelder finanziert wird.
Geschäftsführer Johannes Herber: "Der große Unterschied zu den Spielergewerkschaften in den USA oder anderen in Europa besteht eigentlich darin, dass die in der Lage sind, Kollektivverträge auszuhandeln, in denen eigentlich alle Rahmenbedingungen, Gehälter, Mindestgehälter der Spielerinnen und Spieler geklärt werden. Das ist bei uns aber nicht der Fall. Die Athletinnen und Athleten sind angewiesen auf ein Regelwerk, dass oft von der Spitze der Sportpyramide vorgegeben wird, das sind so wie AGB’s auf einer Plattform."

Kulturwandel ist spürbar

Athleten Deutschland will diese Kartelle anfechten und neue sportpolitische Impulse setzen. Die Athletenvereinigung ist noch jung. Doch ein Kulturwandel ist bereits spürbar. Nie gab es mehr Haltung im Sport, auf internationaler und nationaler Ebene. Sportler und Sportlerinnen wollen viel selbstverständlicher mitreden bei Ihren Arbeitsbedingungen.
Als beim diesjährigen Marathon in München Temperaturen von über 37 Grad angekündigt sind, gehört Katharina Steinruck zu den mehr als 50 internationalen Athletinnen und Athleten, die in einem offenen Brief fordern, den Start in die Morgenstunden zu verlegen: "Wenn es am Ende an die Gesundheit geht, oder um Dinge die als Athlet nicht mehr tragbar sind, dann müssen wir uns natürlich dazu äußern."
Eine breite Gewerkschaftsbewegung, um wie in den USA Gehälter auszuhandeln und Sportlerinnen und Sportler zu unterstützen, die im Zweifelsfall auch streiken, scheint es aber auf absehbare Zeit in Deutschland nicht zu geben. Und das, obwohl Sportlerinnen und Sportler in den vergangenen Jahren gezeigt haben, dass sie gemeinsam schneller zu konsequenten Haltungen finden, als ihre Verbände.
Dieser Beitrag ist der Teil der Denkfabrik des Deutschlandfunks zum Thema „Von der Hand in den Mund – Wenn Arbeit kaum zum Leben reicht“. Weitere Beiträge finden Sie hier.