Donnerstag, 28. März 2024

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Der Fall Julian Assange
"Entwicklung der Pressefreiheit ohne Wikileaks nicht zu denken"

Wikileaks sei wichtig für die Pressefreiheit gewesen, habe heute jedoch keinen Heldenplattform-Status mehr, sagte Sven Herpig, Stiftung Neue Verantwortung, im Dlf. Daten im Internet zu leaken, ohne sie redaktionell aufzubereiten und zu bereinigen, sei problematisch.

Sven Herpig im Gespräch mit Peter Sawicki | 13.04.2019
Ein Transporter mit einem Aufdruck der Gesichter von Julian Assange und Chelsea Manning steht vor der Botschaft Ecuadors in London
Wikileaks-Gründer Julian Assange hat die Botschaft Ecuadors in London verlassen und sitzt nun in Haft (Imago/ Gustavo Valientees)
Peter Sawicki: Um Julian Assange und die von ihm gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks war es zuletzt ruhig geworden. Das änderte sich in dieser Woche. Assange wurde nach sieben Jahren im Exil in der ecuadorianischen Botschaft in London festgenommen, kurz darauf auch ein Mitstreiter von ihm in Ecuador selbst. Assange droht jetzt eine Auslieferung an die USA, wo er wegen Verschwörung angeklagt werden könnte. Die Festnahme des Australiers löst jetzt wieder eine Debatte über die Arbeit von Wikileaks aus und welche Folgen dieser Fall sogar für Enthüllungen und Pressefreiheit insgesamt haben könnte. Über all das können wir jetzt mit Sven Herpig sprechen. Er ist Experte für Cybersicherheitspolitik bei der Denkfabrik Stiftung Neue Verantwortung. Schönen guten Morgen, Herr Herpig!
Sven Herpig: Schönen guten Morgen!
Sawicki: Ist Julian Assange ein Held?
Herpig: Ich glaube, das ist schwer zu beurteilen an dieser Stelle. Wikileaks hat sich seit 2007, 2008 einen sehr guten Namen gemacht, den sie aber auch wieder sehr schnell verspielt haben. Das liegt vor allem daran, also zum einen natürlich gab es ja um Assange als Person sehr viele, auch negative Ungereimtheiten, es gab diese Anklage wegen Vergewaltigung in Schweden, aber was Wikileaks als Plattform wirklich geschadet hat, waren eigentlich zwei Sachen: zum einen, dass die Inhalte, die sie veröffentlicht haben, die haben sie nicht redigiert. Das heißt, da standen private Daten drin, da gab es große Probleme zum Beispiel bei der Veröffentlichung, bei der AKP, der Erdogan-Partei, waren auch Schadsoftwareinhalte drin, das heißt, die Leute, die sich dann da durchgeklickt haben, wurden dann eventuell ihre Computer mit Schadsoftware infiziert. Das war ein großes Problem. Dann zuletzt natürlich bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl, wo die E-Mails der demokratischen Partei von Hillary Clinton veröffentlicht worden sind, kann man Wikileaks natürlich vorwerfen, dass sie da parteiisch organisiert waren, dass sie aber auch der Trump-Kampagne geholfen haben und dass sie Russland nahestanden.
Wikileaks Leistungen als Enthüllungsplattform
Sawicki: Das sind jetzt sehr viele Punkte, die Sie angesprochen haben. Lassen Sie uns das noch mal ein bisschen sortieren. Also wenn Sie sagen, zunächst hatte Wikileaks einen guten Namen. Worin besteht denn sozusagen die Leistung dieser Enthüllungsplattform?
Herpig: Die Leistung der Enthüllungsplattform bestand darin, dass sie an Dokumente gekommen sind, das war zum Beispiel aus dem Irakkrieg, aber auch aus Afghanistan, Dokumente, die aufgezeigt haben, dass dort eventuell Kriegsverbrechen begangen worden sind von den Amerikanern und dass sie die veröffentlicht haben und der Welt geteilt haben, damit jeder sehen konnte, was dort passiert, ohne dass es einen externen Einfluss gab. Also man konnte die Daten dort hingeben. Als Whistleblower fühlte man sich dort sicher aufgehoben, Daten dort hinzugeben.
Sawicki: Das heißt also, war Wikileaks erst mal eine grundsätzlich sinnvolle Idee?
Herpig: Auf jeden Fall. Ich würde dem zustimmen. Es war eine gute Möglichkeit, um Daten, die man mit der Welt teilen wollte, die wichtig waren, auch dass sie gesehen werden, weil sie sonst vielleicht nicht ans Licht gekommen wären, zu veröffentlichen. Gleichzeitig war aber da schon natürlich die Diskrepanz, hat man in einem Land traditionelle Medien, an die man sowas geben kann, die das dann natürlich auch noch nach journalistischen Standards aufarbeiten, oder hat man nicht diese Möglichkeit, muss man die Angst haben, dass wenn man solche Dokumente hat und sie an die Medien weitergibt, dass sie nicht rauskommen. Dafür war Wikileaks natürlich eine sehr, sehr gute Alternative.
Sawicki: Und das heißt also, die Verdienste von Wikileaks für die Pressefreiheit, wie würden Sie die schildern?
Herpig: Also ich glaube schon, dass die Schaffung dieser Plattform und die ersten Jahre als auch Meilenstein definiert werden können. Wikileaks hat ja auch als Plattform sehr, sehr viele Preise gewonnen. Ich denke, die Entwicklung der Pressefreiheit ist ohne Wikileaks nicht zu denken, da muss man Wikileaks mitdenken. Aber wie gesagt, in den letzten Jahren hat sich da einiges zum Schlechten gewandelt und hat uns auch aufgezeigt, wo die Probleme sind und wo die Probleme sein können, wenn man einfach Daten, die man hat, einfach ins Internet leakt und sagt, guckt euch das durch, wir haben alles freigestellt, wir haben keine journalistische Arbeit reingesteckt, um es irgendwie zu redigieren, um private Sachen rauszunehmen oder schadbehaftete Inhalte.
Zwei Hauptfaktoren für Wikileaks Ende
Sawicki: Wurde das zu wenig kritisch betrachtet, dieses Konzept des Unredigierten, der reinen Dokumente, die ins Netz gestellt wurden mit diesen zum Teil persönlichen Daten, die Sie genannt haben?
Herpig: Ich glaube, das wurde ausreichend … Also es wurde von den Kritikern ausreichend betrachtet, und ich bin relativ stark der Meinung, dass das einer der zwei Hauptfaktoren war, die Wikileaks im Endeffekt auch zum Großteil das Genick gebrochen haben bei den Unterstützerinnen, von denen es ja auch zahlreiche hatte und auch noch hat. Ich glaube, das war eigentlich so der Knackpunkt, warum wir Wikileaks heute jetzt nicht mehr als Vorreiter und die Heldenplattform sehen, wie viele sie damals gesehen haben, sondern sehr viel kritischer betrachten und auch sehr viel kritischer im Bereich, was war da wirklich mit Trump und Russland, bei der Veröffentlichung der E-Mails über die demokratische Kampagne.
Sawicki: Also Genick gebrochen, würden Sie sagen, Wikileaks ist damit tot, also Wikileaks selbst, die Plattform.
Herpig: Die Plattform ist nicht tot. Ich habe gerade noch mal eben nachgeguckt. Die letzte Veröffentlichung ist aus dem Januar dieses Jahres.
Sawicki: Aber in der Wahrnehmung, in der öffentlichen.
Herpig: In der Wahrnehmung hat es sehr stark gelitten, ja. Die haben letztes Jahr noch mal einen relativ großen Coup gelandet. Da ging es um die Hackingtools der amerikanischen Nachrichtendienste, dieses "Vault 7" wurde es genannt, was noch mal sehr viele Wellen geschlagen hat. Aber ich glaube, Genick gebrochen, tot würde ich nicht sagen, aber schon sehr starken Schaden genommen, ja.
Sawicki: Kritiker sagen ja – Sie haben es auch schon angedeutet –, die kontroverse Rolle von Julian Assange bei dem US-Wahlkampf 2016, kann man sagen, dass er ein Handlanger Russlands ist?
Herpig: So weit würde ich nicht gehen. Also wenn überhaupt, dann unwillig, aber ihm musste klar sein, dass wenn er im Wahlkampf, in diesem heißen Wahlkampf, der sehr eng geführt worden ist, von einer Seite nur, in dem Fall der demokratischen, E-Mails ins Internet leakt, die nicht redigiert, dass er dort in der Trump-Kampagne hilft und dass er damit auch Russland hilft, muss ihm als intelligenten Menschen natürlich auch klar gewesen sein. Es gibt ja so den rumour, dass man mauschelt, dass es wohl auch so war, dass Wikileaks wohl auch E-Mails hatte von den Republikanern – das kann man bisher nicht bestätigen – und die nicht veröffentlicht hat. Was aber klar ist, ist, dass es eine Twitter-Kommunikation gab zwischen dem Wikileaks-Team und der Trump-Kampagne, und das ist natürlich als äußerst problematisch zu bewerten, weil er dann natürlich massiv politisch eingreift und das nicht irgendwie für die Freiheit, sondern einfach nur destabilisierend.
Wikileaks positives Verhältnis zur Trump-Kampagne
Sawicki: Und wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang dann jetzt die Forderung der USA, ihn auszuliefern zu lassen und die Anklageschrift gegen ihn?
Herpig: Die Anklageschrift, die beruht ja noch auf einen der ersten Veröffentlichen von Wikileaks, nämlich die Veröffentlichung von Chelsea Manning und welche Rolle Assange da gespielt hat und sie angestiftet hat, die Dokumente zu stehlen oder dabei unterstützt hat, irgendwelche Sicherheitsmechanismen in informationstechnischen Systemen zu überwinden. Ich glaube, das wird sehr interessant werden, vor allem, wenn man da mit bedenkt, was ich gerade sagte, dass er ja eigentlich, oder Wikileaks, ein relativ positives Verhältnis zur Trump-Kampagne hat. Trump hat 2016, als er gewählt war, aber noch nicht vereidigt war, gesagt, I love Wikileaks, also ich liebe Wikileaks. Von daher, glaube ich, könnte das ganz spannend werden, was wir da in den USA sehen.
Sawicki: Und heute will er nichts mehr von ihm wissen.
Herpig: Genau.
Sawicki: Glauben Sie, dass da jetzt noch was an die Oberfläche herauskommen kann?
Herpig: Also ich glaube, die Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben, und da werden wir bestimmt noch ein paar spannende Wendungen und Drehungen sehen.
Sawicki: Was für einen Einfluss könnte jetzt aber auch das Schicksal von Julian Assange haben auf Whistleblower, auf Informanten in Hinblick darauf, was er durchgegangen ist, diese sieben Jahre im Exil und jetzt möglicherweise die Auslieferung an die USA? Ist das ein abschreckendes Beispiel, trotz der Kritik an ihm?
Herpig: Also ich glaube, klar ist das natürlich in gewisser Weise ein abschreckendes Beispiel, aber ich glaube nicht, dass die Festnahme jetzt dabei irgendwas groß ändert. Ich meine, im Endeffekt müssen wir feststellen, dass er mehrere Jahre in dieser Botschaft in London festsaß, das, ich glaube, sechs Zimmer hatte oder so. Ich glaube, das war schon alles abschreckend genug, was bis hierher gelaufen ist. Eine etwaige Verurteilung in den USA, ich weiß nicht, ich glaube, nicht, dass das noch viel abschreckender werden kann. Also die, die sich schon haben abschrecken lassen, sind abgeschreckt, und die, die es nicht sind, die werden jetzt auch, glaube ich, nicht durch die Anklageschrift, oder was jetzt folgt, von ihrer Arbeit abgeschreckt werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.