Das „Podium“ kurz vor acht Uhr ist der Platz in der Morgenstrecke des Deutschlandfunks für längere Autorenstücke, Hintergründiges zu einem meist aktuellen Thema. Am 10. Februar kam hier der frühere Wehrmachtssoldat Joachim Höppner zu Wort. Der 96-Jährige hatte sich selbst an den Deutschlandfunk gewandt. Alexander Moritz, Sachsen-Korrespondent des Deutschlandradios, hat ihn daraufhin besucht.
Aus zweieinhalb Stunden Gespräch wurden gut sechs Minuten Beitrag, in denen abwechselnd der Autor und sein Interviewpartner zu hören sind. Höppner berichtet von seinen eigenen Kriegserfahrungen als junger Mann. Und spricht sich, auch als Folge dieser persönlichen Erlebnisse, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Er sagt: „Mit Waffen löst man kein Problem“. Und er wünscht sich Friedensgespräche mit „ehrlichen und klugen Leuten am Verhandlungstisch“.
Kritik von Twitter bis „Bild“
Autor Alexander Moritz selbst postet einen Hinweis auf sein Stück auf Twitter – und wird in der Folge massiv für seine Arbeit kritisiert. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Frage: Warum äußert sich ein früherer Wehrmachtssoldat zur Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine? Und warum erklärt der Beitrag nicht angemessen, welche Rolle deutsche Soldaten wie Höppner selbst im Zweiten Weltkrieg bei der Zerstörung der Ukraine gespielt haben?
„Wenn man schon - was ich für unangemessen halte - ausgerechnet einen Ex-Wehrmachtssoldaten, der die Ukraine nicht unterstützen will, prominent zu Russlands Krieg und deutsche Waffenlieferungen befragt, dann muss das sehr viel kritischer begleitet werden“, hält etwa die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies auf Twitter fest.
Zwei Tage später erscheint dann bei „Bild“ ein Artikel unter der Überschrift „Deutschlandfunk leistet sich Nazi-Patzer“. Auch hier lautet der zentrale Vorwurf: „Warum befragt der ‚Deutschlandfunk‘ ausgerechnet einen Wehrmacht-Soldaten?“.
Deutschlandfunk erklärt sich
Die Redaktion zitiert aus einer Antwort des Deutschlandfunks, das Gespräch sei „keine politische Aussage gegen Waffenlieferungen an die Ukraine“. In den Programmen von Deutschlandradio sei an anderer Stelle immer wieder thematisiert worden, „mit welchen Folgen die Ukraine rechnen muss, wenn sie keine geeigneten Waffen geliefert bekommt“, heißt es zudem.
Darüber hinaus veröffentlicht der Deutschlandfunk noch einen weiteren Beitrag im Internet, in dem unter anderem Beispiele für diese Berichterstattung geliefert werden.
Thema der aktuellen Ausgabe des Podcasts „Nach Redaktionsschluss“, die am selben Tag wie das umstrittene Stück erscheint, ist: „Panzer, nichts als Panzer: Berichten Medien tendenziös pro Waffenlieferungen an die Ukraine?“
In dieser gut halbstündigen Diskussion kommt unter anderem Friedbert Meurer zu Wort. Meurer leitet im Deutschlandfunk die Abteilung Aktuelles, die für die täglichen Informationssendungen verantwortlich ist.
Redaktionsleiter Meurer: Wunsch nach konstruktiver Kritik
Bereits in dem Podcast – also noch vor der öffentlichen Kritik – verweist Meurer auf den Beitrag mit dem früheren Wehrmachtssoldaten, den er beauftragt hat, „weil ich jetzt klar sehe, und immer klarer sehe, welche Gespenste, Horror-Visionen, Ängste bei uns Deutschen da sind“.
Keine Woche nach diesem Gespräch und vor dem Hintergrund der aktuellen Empörung ergänzt Meurer in einem zweiten Gespräch mit @mediasres, es sei nicht darum gegangen, mit einem 96-Jährigen das Für und Wider von Waffenlieferungen zu besprechen. Man habe stattdessen zeigen wollen, was dieser erlebt habe und wie er zum Pazifisten wurde.
Damit habe man auch auf den Vorwurf an den Deutschlandfunk reagiert, insgesamt zu einseitig positiv über Waffenlieferungen zu berichten und damit selbst zu einem „Kriegstreiber“ zu werden.
Die Diskussion über den Beitrag auf Twitter sieht der Journalist kritisch. Er habe auf der Plattform „teilweise Gehässigkeit“ und „schroffe Unterstellungen“ beobachtet, so Meurer. Als "konstruktiv" verstehe er, "wenn uns vorgehalten wird, wir hätten es ein bisschen mehr einbetten müssen, noch mehr kommentieren, ein bisschen mehr erklären müssen".
Autor Moritz: Als Zeitzeugeninterview verstehen
Was bleibt also? Die berechtigte Forderung nach mehr Einordnungen, aber auch fragwürdige Behauptungen, die zum Teil auf Twitter kursieren. So hat dort beispielsweise eine Userin ohne Beleg erklärt, Höppner sei Mitglied der SS gewesen. Auch heißt es auf der Plattform, Höppner habe auf dem Balkan Partisanen bekämpft.
Für beide Behauptungen habe er keine Anhaltspunkte gefunden, betont Sachsen-Korrespondent Alexander Moritz. „Mir ist es wichtig, dass das Interview als Zeitzeugeninterview mit allen damit einhergehenden Beschränkungen bzgl. Überprüfbarkeit und Glaubwürdigkeit verstanden wird“, erklärt er uns gegenüber.
Höppners Hoffnung auf Friedensverhandlungen könne er nachvollziehen, halte sie aber angesichts der Lage für naives Wunschdenken.