Geld, Glück, Gier
Die emotionale Seite des Kontostands

Geld nährt uns, kleidet uns, ermöglicht Genuss und Sicherheit. Es ist in unserer Welt lebensnotwendig. Doch Geld ist nicht nur Zahlungsmittel, es weckt auch starke Gefühle. Es kann beglücken, verführen, Neid, Gier, Hass und sogar Mordlust wecken.

Von Johanna Rubinroth |
1-Euro-Münzen fallen vom Himmel.
Manchen gilt Geld als ethisch bedenklich, andere feiern es als Glücksbringer. (IMAGO / IlluPics / IMAGO)
Manche schweigen über ihr Vermögen, andere protzen. Fehlt es, erzeugt es Scham: Für die abgetragenen Schuhe, das alte Handy, das verbeulte Auto, besonders wenn diese verbrauchten Gegenstände auf ihre neuen, glänzenden, teuren Gegenstücke treffen.
Es ersetzt Zuneigung – als Gefühlsattrappe für Kinder, Partnerinnen, sich selbst. Es wird zum Machtmittel, zum Symbol für Erfolg oder Scheitern. Der eigene Wert scheint oft untrennbar mit dem Geld verknüpft. Wer reich ist, hat es „verdient“? Wer arm ist – vielleicht ja wirklich nicht?
Es ist kein Zufall, dass immer mehr Coachings sich mit der „Beziehung zum Geld“ beschäftigen. Welche inneren Glaubenssätze verhindern deinen Reichtum? Warum bist du nicht bereit, dich für Fülle zu öffnen? Auf Youtube wird Reichtum durch positive Gedanken im Schlaf versprochen.
Der Gedanke an Geld lässt verzweifeln und Hoffnungen blühen – sichtbar beim Lotto-Spiel. Geld ist mehr als ein Zahlungsmittel. Es ist ein Spiegel unserer Ängste, Wünsche und Sehnsüchte. Und manchmal wird Geld magisch. Wer traut sich schon, einen Glückscent auf der Straße liegen zu lassen?
Johanna Rubinroth emigrierte 1983 als Schulkind von Polen nach West-Berlin, wo sie ihr Abitur absolvierte. Sie schloss die Drehbuchakademie der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin ab. Rubinroth lebt und arbeitet als Autorin in Berlin. Zu ihren jüngsten Werken gehören „BLIND DATE IN DELHI“, „Mein eigensinniges Gehirn“ und „Das Patent“.

Kalter Schweiß. Atemnot. Nebel im Kopf. Nach einem Blick auf meinen viel zu niedrigen Kontostand beschließe ich: Es muss etwas passieren. Die gängigen Ideen bringen keine Lösung. Was verkaufen? Ich wüsste nicht was. Mehr arbeiten? Ich wüsste nicht wann. Den Beruf wechseln - zu welchem? Was ausleihen - noch mehr? Dann kommt mir eine etwas abwegige Idee. Wenn mein Verhältnis zu Geld, oder besser - zu seinem Fehlen - so hochgradig emotional aufgeladen ist, warum nicht andere Frequenzen aktivieren und es mit einem Zauber probieren? Geld ist doch etwas Magisches. Mal ist es da, mal nicht. Es kommt und geht, taucht auf - und verschwindet, verschwindet mit bemerkenswerter Zuverlässigkeit - als folge es einem Naturgesetz. Bei anderen vermehrt es sich scheinbar aus dem Nichts. Es verwandelt sich in warme Schuhe. Oder in ein Monster, das Panik macht. Es lässt Menschen erhobenen Hauptes bei Chanel ein- und ausgehen oder gebückt herumschleichen und mit Taschenlampen Mülleimer durchleuchten. Geld kann retten oder ruinieren, verführen oder vertreiben. Man spricht nicht darüber - und doch regiert es so viel.
Und wie soll man etwas so Flüchtigem und so Mächtigem beikommen, wenn nicht mit Magie?
Zweifel regt sich: Das ist doch Unsinn. Woher kommt die Idee, in einer aufgeklärten, rationalen Welt Geld mit Magie anzuziehen? Wenn ich Hühnersuppe will, tanze ich ja auch nicht um einen alten Hühnerknochen, sondern überlege, wo ich das Huhn herbekomme.
Geld gehorcht ökonomischen Gesetzen - und doch umkreisen wir es wie ein Mysterium. Vielleicht, weil Geld mehr ist als nur ein Mittel zum Zweck. Magische Denkmuster finden sich weltweit: Glücksbringer, Symbole, die Wohlstand versprechen. Geldbäumchen. Schweinchen. Elefanten. Pyramiden. Winkekätzchen mit Münze in der Pfote. Hufeisen. Der Industriezweig des Geld-Anziehungs-Talisman-Tinnef wäre wahrscheinlich eine sichere ETF-Anlage.
Was ist denn dieses Geld überhaupt?
Der Philosoph Christoph Türcke sieht im Geld den Nachkommen des sakralen Opfers - eine Zahlung, um Schuld zu tilgen und göttliche Macht zu besänftigen. Immerhin wurden Tiere und Menschen irgendwann durch Edelmetalle ersetzt.
Profaner betrachtet ist Geld ein vereinbartes Tauschmittel - die Weiterentwicklung des klassischen Warentausches. Bezahlten wir immer noch mit Tee oder Salz, würden die DHL-, Lieferando- und Amazon-Boten unter der zusätzlichen Last der schweren Salzsäcke endgültig kollabieren. Geld in Form von Scheinen - oder als digitale Zahl - dient als funktionales, effizientes System.
Ganz gleich, ob man an Märkte glaubt oder an Schuldmechanismen: Sobald es um Geld geht, wird es… empfindlich. Wer würde nicht zusammenzucken, wenn er hört, dass laut Feng Shui seine Geldecke zugemüllt ist?
Vielleicht liegt die Verbreitung des irrationalen Denkens auch daran, dass dieses Geld für viele Menschen gar nicht zugänglich ist. Dass die Systeme, in denen es entsteht, nicht nur komplexes Wissen, sondern auch Kapital voraussetzen? So viel Haut hat ein arbeitender Mensch nicht, wie er zu Markte tragen müsste, wenn er auf einmal zusätzlich eine Summe mit mehr als vier Nullen benötigt. Wer keine kriminelle Energie besitzt und kein Vermögen, um mal eben zu investieren oder eine Hypothek aufzunehmen - dem bleibt am Ende vielleicht doch nur die Magie. Sie verspricht Handlungsmacht in einer Welt, in der Reichtum oft vererbt wird und Ungleichheit systemisch ist.
Magisches Denken über Geld entsteht also meist da, wo begehbare Wege fehlen. Aber es endet nicht dort. Auch wer versorgt ist, bleibt abergläubisch. Warum sonst würde sich die Wilmersdorfer oder Würzburger Witwe - die mit der guten Rente - trotz ihrer Hüftarthrose nach dem Glückscent bücken?
Einmal für Zauber entschieden, steht gleich die nächste Frage im Raum: Welchen nehme ich bloß? Den Daumen mit Gold einreiben? Eine Voodoo-Puppe beschwören? Oder einen afrikanischen Baum pflanzen und ihn mit Diamanten verzieren! Ein keltisches Nugget mit Kräutern und magischen Formeln behandeln? Oder vielleicht den Curandero, einen mexikanischen Heiler, anrufen. Die bieten auch Geldrituale an. Ich entscheide mich für den altehrwürdigen Kerzenzauber, auch candle magic genannt. Ich benötige: eine grüne Kerze für das Geld. Eine weiße für Klarheit. Feuerfeste Schalen. Ein Lorbeerblatt. Zimt. Und eine Schale mit Salz, zum Schutz.
Genauso wie ich Respekt vor Voodoo habe, habe ich Respekt davor, Geld zu zaubern. Wäre es Liebe - kein Problem. Aber Geld? Das ist doch irgendwie okkult, irgendwie verdächtig und dubios. Kommt dann nicht der Teufel und fordert meine Seele? Oder Rumpelstilzchen und will mein Kind?
Geld scheint zudem irgendwie schmutzig zu sein. Es ist ja geradezu ein kulturelles Narrativ, ein kollektives Skript: die Idee, dass es unrein erworben sein muss, dass es moralisch korrumpiert oder den Charakter verdirbt.
Warum sonst wäre das Einkommen ein so großes Tabu? Willst du jemanden auf der Party loswerden, frag ihn beim Smalltalk nach seinem Gehalt. Dass kaum jemand darüber spricht, erklärt Hans-Michael Klein, Vorsitzender der Knigge-Gesellschaft, mit der Gefahr von Neid und dem Unwillen der Arbeitgebenden, offene Gehaltsvergleiche zuzulassen. Wenn in Deutschland eine Arbeitnehmerin erfährt, dass ihr Kollege mehr verdient, könnte sie ja dasselbe fordern! Also ist es bequem, wenn Stillschweigen darüber herrscht - als wäre das Thema so privat wie die Menstruation oder ein Hämorrhoiden-Befund. Und damit es auch wirklich nicht durchsickert, wird im Arbeitsvertrag oft sogar ausdrücklich Vertraulichkeit verlangt.
Wenn sich das Einkommen aber nicht mehr verheimlichen lässt, kommen Männer mit fünfstelligem Monatseinkommen und Millionenvermögen mit Sätzen wie: „Ich empfinde mich nicht als reich.“ Oder: „Ich gehöre zur Mittelschicht.“. Schon klar, neben Oligarchen und Tech-Milliardären fühlt sich selbst der Millionär plötzlich wie der kleine Mann von nebenan. Und dass wir uns immer nach oben vergleichen, das wissen wir ja.
Aber wo kommt sie her, diese tief verankerte Vorstellung, dass Geld irgendwie gefährlich sei?
Bei der Fischersfrau im Märchen kitzeln die Dinge, die man mit Geld kaufen kann, die hässlichsten Charakterzüge hervor. Erst will sie nur ein größeres Haus, dann einen Palast - und dann kommt schon die Maßlosigkeit, die Unersättlichkeit, und - der für eine Frau sowieso ungehörige - Wunsch nicht nur nach politischer, sondern gleich nach spiritueller Allmacht. König Midas verwandelt seine eigene Tochter in ein Edelmetall, weil er gierig wird und für die Konsequenzen seines Handelns komplett blind. Und was Goethes Mephisto da mit dem Geld anstellt - das ist doch auch irgendwie höllisch verzinst.
Liegt die Antwort in der Religion? Gott hat in diesen Dingen so einige Cents dazuzugeben. In vielen Konfessionen wird Geld misstrauisch beäugt. Armutsgelübde werden abgelegt, um näher bei Gott zu sein, und Einkommensschwäche und Demut gelten als Tugenden. In der Bibel wird die Liebe zum Geld sogar ganz direkt als Wurzel allen Übels identifiziert. Und wer sich bildhaft vorstellt, wie ein schwer bepacktes Kamel auf Knien durch das enge Tor nach Jerusalem kriecht, sieht schnell ein: Der Reiche hat wenig Chancen aufs Himmelreich.
Im christlich geprägten Mittelalter Europas wurde übrigens eine scheinheilige Lösung gefunden, sich mit dem sündigen Geld die Hände nicht schmutzig zu machen: Man überließ die Finanzgeschäfte den Juden, verbot ihnen andere Berufe und beschimpfte sie hinterher als geldgierige Wucherer.
Wem nun trotz spiritueller Ideale das Geld zufliegt, dem reichen Religionen Regelwerke nach, wie damit umzugehen ist: Im Christentum verpflichtet Besitz zum Dienst an den Armen und am Gemeinwohl. Auch im Islam gilt: Wer Reichtum erhält, soll die sogenannte „Zakat” entrichten und 2,5 Prozent des Vermögens an Bedürftige abgeben. Und in der jüdischen Halacha wird ein Zehntel des Einkommens empfohlen. Wer weniger gibt, riskiert den bösen Blick. Und der ist mindestens so böse wie der Blick des Finanzamts auf die Steuererklärung. Religiös motiviertes Geben erfüllt mit Stolz und dient der Gemeinschaft - das Zahlen von Steuern hingegen, auch wenn es im Grunde genommen dem gleichen Zweck folgt, erzeugt Widerstand, Formularstress und Unbehagen. Da wirkt das religiöse Regelwerk doch gleich viel weniger streng.
Manche spirituellen Lehren bieten sogar konkrete Ansprechpartner-innen: Wie die hinduistische Lakshmi und die Daikokuten aus der japanischen Shintō-Religion - Göttinnen und Götter, die man ganz schamlos um Geld bitten darf. Aber Opfergaben an den afro-kubanischen Eleguá? Das ist dann schon Aberglaube. Das koloniale Raster entscheidet, was als Religion gilt - und was nicht.
Ob Geld als ethisch bedenklich gilt, hängt also stark vom Blickwinkel ab. Und vom Glaubenssystem, in dem es auftaucht.
Zuweilen verwandelt sich religiöser Eifer in wirtschaftlichen Antrieb. Der Soziologe Max Weber sah im Calvinismus einen entscheidenden Motor für den modernen Kapitalismus: Die Ungewissheit über das eigene Seelenheil führte dort zu strenger Disziplin und unermüdlichem Fleiß; beruflicher Erfolg und materieller Wohlstand galten zwar nicht als Ziel an sich, aber als mögliche Hinweise auf göttliche Auserwähltheit. So wurde wirtschaftliches Handeln zur religiös aufgeladenen Pflicht - und Geld zum Nebeneffekt von Frömmigkeit.
Doch warum sich mit Hinweisen zufriedengeben, wenn Gott auch gleich das Bankkonto füllen kann? Genau das verspricht das sogenannte Wohlstandsevangelium - eine Erfolgstheologie, die in den USA, Südkorea, Nigeria oder Brasilien in sogenannten „Mega-Churches“ verkündet wird, verstärkt durch Mikrofone und riesige Screens. Hier gelten Geld, Reichtum und materieller Wohlstand als direkter Beweis göttlicher Gunst.
Ein Songtext aus dem Prosperity Gospel bringt es ganz ungeniert auf den Punkt: „Weil Jesus Christus gestorben ist, damit ich reich werde, werde ich und alle nach mir immer finanziellen Wohlstand genießen.“
Bis nach Deutschland ist das Wohlstandsevangelium geschwappt. Einer seiner wichtigsten Vertreter, Siegfried Müller vom Missionswerk Karlsruhe, ehemaliger Hochbauunternehmer, soll in einer Predigt erklärt haben, man verunehre Gott, wenn man ein rostiges Auto fahre.
Reichtum kann also als Zeichen göttlicher Gunst gelten und sein Fehlen sogar als Gottesbeleidigung.
Irgendwann verschob sich der Fokus: Nicht Gott legitimiert Geld, sondern Geld legitimiert alles. Es ist zum neuen Glaubenssystem geworden. Es hat Macht über Leben und Tod, entscheidet über Existenzen. Menschen sterben, wenn ihnen das Geld für Nahrung fehlt, für Medikamente, für die Flucht vor der Katastrophe. Geld erzeugt Angst und Hoffnung zugleich. Es verlangt Opfer. Es erlöst.
Vielleicht ist es deshalb mit so vielen und so starken Gefühlen belegt - weil diese Allmacht immer mitschwingt?
Selbst der Markt bedient sich religiöser Sprache. Offenbarung und Offenbarungseid. Schuld und Schulden. Credo und Kredit. Erlös und Erlösung. Reiner Zufall?
Abseits seiner metaphysischen Dimension lässt sich Geld auch ganz irdisch betrachten: Als Machtinstrument und Werkzeug der Unterdrückung. So zumindest sieht es Karl Marx. Seiner Theorie zufolge verwandelt es Menschen in Waren, zerstört echte Beziehungen, trennt Klassen, verfestigt Ungleichheit, baut soziale Mauern. Aber liegt die Schuld wirklich im Geld selbst - oder wird es erst dann problematisch, wenn es ungerecht verteilt ist? Der Ferrari an sich ist ja auch nicht böse, nur weil ein Raser am Steuer sitzt, dem Menschenleben gleichgültig sind.
Womöglich ist Geld also weder gut noch schlecht. Dennoch: Wie soll es nicht schmutzig sein, wenn es zuweilen gewaschen werden muss? Spekulation mit Getreide, Wasser, Immobilien, Kriegsfinanzierung. Die globalen Märkte folgen nicht dem Wert, sondern dem Preis. Soziale Kriterien? Egal. Kapital wird Teil eines Systems, das Kriminalität verschleiert und absichert. Insiderhandel, Steuerhinterziehung, Börsenmanipulation…
Follow the money! Ist Habgier nicht der Klassiker unter den Motiven für Verbrechen? Verwandelt Geld nicht selbst die freundlichsten Menschen in Schurken? Jeder weiß doch, dass die vertrauensvollsten Beziehungen zerbrechen, sobald Geld ins Spiel kommt.
Ich bezahle die Kerze mit einem Schein - mit der Brücke nach oben - angeblich kommt das Geld dann zu mir zurück - wie mir neulich jemand erklärte… Seitdem weiß ich, dass auf jedem Euroschein eine Brücke abgebildet ist. Und so bin ich froh, nicht nur die Karte dabei zu haben, sondern auch Bares - die Magie ist noch nicht angekommen im kontaktlosen Bezahlen. Aber Moment - will ich das überhaupt? Um Geld bitten? Zauberei für Geld gebrauchen? Nicht lieber für Liebe oder Glück? Aber Geld ist doch Glück. Oder nicht?
So tief das Misstrauen gegen Geld auch verwurzelt ist - ebenso tief sitzt die Hoffnung, es könne glücklich machen.
Diese Gleichsetzung von Geld und Glück kommt nicht von ungefähr. Lange schien das die wirtschaftliche Logik zu sein. Glück wurde in vielen ökonomischen Konzepten stillschweigend mit materiellem Erfolg gleichgesetzt. Wenn das Bruttoinlandsprodukt wuchs, galt das als gutes Zeichen - für die Wirtschaft, das Land, die Menschen. Je mehr Wirtschaftswachstum, desto mehr Wohlstand, desto mehr Glück. Eine Gleichung, die bis heute in vielen Köpfen weiterlebt. Die Werbung hat die Formel perfektioniert. Sie versucht auf jedem erdenklichen Weg, uns davon zu überzeugen, dass Glück käuflich ist. Von Postwachstumsökonomie ist da selten die Rede.
Und da rollt sie schon an: die Einkommens-Glückskurve.
Sie gibt zu: Ja, mit steigendem Einkommen wächst das Glück.
Doch sofort folgt das „Aber!“ - nur bis zu einem bestimmten Punkt. Dann flacht die Kurve ab. Warum?
Weil gleich um die Ecke schon das Prinzip der hedonistischen Adaption lauert und hämisch grinst: Auch wenn du plötzlich zu Geld kommst - du bist nur kurz glücklich. Dann kehrst du zurück zu deinem gewohnten Grundniveau.
Sogleich kommt die Luxussättigung angeschlurft und verkündet gähnend: Ach was, daran gewöhnst du dich. Was am Anfang noch aufregend war, verliert schnell seinen Reiz.
Aber Geld bedeutet ja nicht nur Luxus. Es bedeutet auch: Freiheit. Schon rauscht das Freiheitsparadoxon heran und stellt klar: Mit der Fülle der Möglichkeiten wächst der Druck. Denn das Geld kommt ja nicht von einer guten Fee. Im Arbeitskontext heißt mehr Gehalt meist auch: mehr Verantwortung, höhere Erwartungen, weniger Zeit. Die Belohnung bringt neue Zwänge. Glück - schon wieder ade.
Und wie lautet doch gleich die alte Leier: Wirklich reich zu sein bedeutet, anzulegen, zu bewahren, zu verwalten, zu vermehren. Finanzberater, Anwälte, Banken. Nicht zu vergessen: Wer ein schönes Haus hat, muss es vor Einbruch schützen.
Mit dem Besitz wächst auch der Zweifel, denn woher weiß ich, ob die Ärztin mir nicht einfach nur eine Behandlung reindrückt, weil ich privat versichert bin? Und meine Familie? Sind sie nett, weil sie mich lieben - oder weil sie sich etwas von mir erhoffen? Wenn ich einem etwas gebe - ahnt der andere dann nicht sofort, ich hab ihn weniger lieb? Und die Frau, die da so schön lächelt, hat vielleicht zu viele Hollywood-Filme und Vorabendserien gesehen, in denen das Heiraten des Millionärs immer noch als ultimatives Traumziel verkauft wird.
Selbst wenn das Glück bleibt - das Verlustrisiko bleibt ebenso. Man kann Vermögen ja auch wieder verlieren. Das Ungeheuer Inflation fletscht schon die Zähne, und die Loss‑Aversion zeigt: Verluste - selbst bei gleicher Summe - schmerzen viel mehr als Gewinne erfreuen.
Die Welt ist voller Theorien, Studien, Narrative, die uns überzeugen wollen, dass wir mit Geld nicht glücklich werden können.
Vorsichtshalber kaufe ich noch eine gelbe Kerze für das Glück.
Es ist so weit. Wie sehr man mir auch einreden will: Geld macht nicht glücklich . es hat nichts genutzt. Ich will es. Ich will es unbedingt. Ich zünde eine Kerze an und spreche einen Zauberspruch, der den Geldfluss fördern soll. - Und?…Statt des großen Geldsegens kommt die Visa-Abrechnung.
Vielleicht sollte ich doch lieber einen Workshop mit erfahrenen Finanz-Coaches buchen. Da kriege ich wenigstens alles wissenschaftlich serviert, werde betreut und psychologisch abgeholt. Was, wenn zweifelhafte Glaubenssätze mein Denken bestimmen? Kann so eine brennende Kerze die ernsthaft löschen? Muss das nicht eher die Masterclass namens Money-Flow übernehmen? Meine Geldbeziehung aus der Krise holen, mein Money-Mindset verbessern? Ist das nicht alles viel besser - und vor allem seriöser - als hier im Vollmondschein Zimt zu zerreiben und vor mich hin zu murmeln?
So ein Coaching kann ja durchaus sinnvoll sein. Wenn hinter dem Geldproblem tatsächlich eine innere Zerrissenheit steckt. Wenn im Unterbewusstsein eine Stimme flüstert: „Ich hab kein Händchen für Geld.“ - „Ich darf nur verdienen, wenn ich dafür leide.“ - Oder der Totschlagglaubenssatz: „Ich bin doch glücklich in der Liebe - das mach ich mir mit Geld doch nicht kaputt.“
Dann macht Coaching Sinn. Denn laut Lehre sind genau solche Glaubenssätze in der Kindheit entstanden - durch Erziehung, durch Trauma. Sie sabotieren unser Handeln. Wer gelernt hat, sich kleinzumachen, weil der Vater ausrastete, als eine Frau mehr verdiente, wird sich später oft selbst zurückhalten. Wer in einem Klima voller Gier, Misstrauen oder verletzender Erbstreitigkeiten aufwuchs, hat möglicherweise tief im Inneren abgespeichert: Geld ist gefährlich.
Genau da setzt Coaching an. Wenn die faule Wurzel erst mal identifiziert ist, kann sie gezogen werden. Mit Tools wie mentaler Blockadenlösung, innerem Team. Die Gedanken werden transformiert und dann heißt es: Je mehr ich habe, desto mehr Gutes kann ich tun. Wohlstand ist mein natürlicher Zustand. Ich darf Fülle genießen - ohne Schuldgefühle. Und für die Spirituellen unter uns: Geld ist Energie.
Unter all dem liegt ein überzeugendes Versprechen. Das Gesetz der Anziehung: Worauf du dich fokussierst, das kommt. - Wer glaubt, kein Geld verdienen zu können, wird keinen Cent sehen. Du musst dich nur öffnen. Und dann kann Geld gar nicht anders, als zu dir zu fließen. Der Selbstwert wird auch gleich noch gepimpt.
Und die strukturellen Zwänge? Die sozialen Realitäten? Ach was. Nicht Nullsummen denken - Fülle denken! Finanzielle Probleme als Folge von Armut, Inflation oder ungerechter Bezahlung? Das ist nur bodennahes Gejammer der kleinen Leute. Denke groß. Grenzenlos. Es ist genug für alle da.
Beweise? Der Tellerwäscher hat’s doch auch geschafft! Und du kannst sogar Mist zu Gold machen. Irgendwo liegt immer Geld auf der Straße.
Und so spaziert sie, die Person, die arm, geplagt, gebeutelt kam, leichtfüßig hinaus. Der Kopf ein Visionboard. Martini trinkend an der Riviera. Aber: Wohlstand verteilend.
Was hier verkauft wird, ist nicht nur Hoffnung. Es ist die Umdeutung von struktureller Ungleichheit in ein persönliches Mindset-Problem.
Oh - gerade juckt meine linke Hand. Ich kratze mir freudig die Innenfläche. Hab ich nicht mal gelernt: Wenn die linke Hand juckt, gibts Geld. Oder juckt sie einfach von den parfümierten Inhaltsstoffen meiner neuen Zimtseife, die ich seit Neuestem benutze - weil es doch heißt: Wer sich mit Zimt die Hände wäscht, bringt den Geldfluss in Gang.
Aber auch die Seife hilft meinem Kontostand nicht. Die roten Zahlen drohen immer noch. Ich muss das Kerzenritual wiederholen! Vielleicht bei Neumond. Vielleicht hat es nicht gewirkt, weil ich zu viel darüber nachgedacht habe. Weil ich angefangen habe, diesen Essay zu schreiben. Man redet doch nicht über Magie, während sie wirkt. Kaltes Grauen überkommt mich. Die financial anxiety.
Studien zeigen: Ökonomische Unsicherheit löst im Körper ähnliche Reaktionen aus wie akute Lebensgefahr. Der Cortisolspiegel steigt, Schlafstörungen nehmen zu, die Sorge wird zur chronischen Belastung. Angstzustände, Depressionen - die sogenannte financial anxiety macht genau das, was schon im lateinischen Ursprung des Wortes steckt: angere - sie würgt.
Das Bedingungslose Grundeinkommen argumentiert genau damit: dass Menschen ihr Potenzial nur entfalten könnten, wenn sie sich nicht permanent mit Existenzängsten herumplagen müssten.
Franziska Gräfin zu Reventlow schrieb schon 1916: „Ich war mein Leben lang allen menschlichen und seelischen Konflikten gewachsen, nur den wirtschaftlichen nicht. Weder glückliche, noch unglückliche Liebe, weder Ehe noch Ehebruch, sondern ausschließlich Gläubiger, haben es dahin gebracht, mich psychisch zu zerrütten.“
Hinzu kommen Stigma und Scham. Denn Wohlstand gilt als Erfolg. Und Erfolg wird mit Wert verwechselt. Geld wird gelesen - tausendfach kann betont werden, dass es keine Rolle spielt. Das spürt die abgewetzte Jacke und die Person, die in ihr steckt. Wer arm ist, hat in den Augen vieler doch irgendwie selbst schuld. Hat versagt, war schwach, unvernünftig oder schlicht zu dumm.
Wenn dann noch Schulden dazukommen, steigt die Belastung weiter. Die Angst wirkt lähmend - vor jedem Brief, vor Gerichtsvollziehern, vor der gesamten Zukunft.
Denn es ist kaum damit zu rechnen, dass - wie im biblischen Buch der Könige - ein Wunder geschieht. Im echten Leben kommt statt der wundersamen Ölvermehrung das Inkasso.
Andererseits braucht ein Rechtssystem Mechanismen zur Durchsetzung von Verträgen, zur Sicherung der Rückzahlung. Der Gläubiger hat ein Recht darauf, das verliehene Geld zurückzubekommen. Ein Dilemma.
Und für einige: Der Anfang vom Ende. Ein Bericht der WHO zeigt, dass wirtschaftliche Not ein signifikanter Risikofaktor für Suizid ist.
Dabei gäbe es auch andere Konzepte. Doch das Prinzip des biblischen Schuldenerlasses im Sabbatjahr - also die Befreiung von Schulden alle sieben Jahre - hat es offenbar nicht in unser Justizsystem geschafft.
Eine andere, subtilere und gleichzeitig perfide Form der Schuldeneintreibung ist der Juju-Zauber. Viele nigerianische Frauen legen, bevor sie über Menschenhändler nach Europa geschleust werden, einen rituellen Schwur ab, ihren Kredit zurückzuzahlen. Kaum eine der Frauen wagt es, diesen Schwur zu brechen. Denn wer ihn bricht, so heißt es, riskiert Krankheit, Unglück oder sogar den Tod.
Am Ende sind es nicht die Schulden, die drohen - es ist die Angst.
Endlich Neumond. Vielleicht sollte ich diesmal einfach eine konkrete, große Summe fordern und den Gender-Pay-Gap gleich mit einpreisen. Aber - oh je - hoffentlich fordert die Kerze ihre Gabe nicht zurück.
Denn Geld wird nie einfach nur gegeben - es hat immer einen Subtext. In dem Moment, wo es ins Spiel kommt, verändert sich etwas. Laut dem Ethnologen Marcel Mauss ist Geben und Nehmen kein isolierter Akt, sondern ein zirkulärer Vertrag - eine soziale Bindung auf Zeit. Er zeigte das am Beispiel von Gabentausch in Melanesien zu Anfang des letzten Jahrtausends - doch das Prinzip wirkt bis heute: Heute heißt die Gabe oft Geld. Und diese Gabe ist besonders aufgeladen. Geld zu bekommen bindet. Es schafft Verhältnisse. Es schreibt sich ein in Beziehungen. Mit dem Geld kommt eine Erwartung: auf Gegenleistung, Dankbarkeit, Nähe. Wer gibt, schafft eine Verpflichtung. Wer nimmt, schuldet etwas. Geld macht abhängig. Die arme Verwandte weiß davon ein Lied zu singen.
Doch wird Geben selten als Macht, sondern meist als Tugend erzählt. In unserer Kultur gilt Großzügigkeit als Ausdruck eines edlen Charakters, eines selbstlosen Geistes. Man soll geben, ohne auf eine Gegenleistung zu hoffen.
Es scheint allerdings schwer auszuhalten, wenn Geben wirklich ohne Antwort bleibt. Warum wird im Märchen und im Film selbstloses Geben am Ende doch belohnt, und das arme Kind im Märchen Sterntaler bekommt Goldtaler.
Und dann ist da noch die performative Großzügigkeit. Die Hartz 4-Empfängerin, die ein zu hohes Trinkgeld gibt, dass sie sich gar nicht leisten kann, aus Angst, geizig zu wirken. Oder die Pastorengattin, die „Charity Porn“ betreibt, und sich dabei filmt, wie sie anderen Müttern hilft, indem sie Geldscheine im Supermarkt in Windeln versteckt.
Doch nicht nur das Geben ist aufgeladen - auch das Zeigen.
Es gibt jene, die Reichtum inszenieren. Logomania. Mit Swarovski und Diamanten besetzte Firmenzeichen. Zur Schau getragene Handtaschen, deren Preis dem Jahresgehalt einer Netto-Verkäuferin entspricht und plastische Chirurgie, bei der Lippen wie Schlauchboote und pralle Brüste wie Investmentobjekte vorgeführt werden, dass kein Zweifel bleibt: Hier hat Geld etwas geformt, das auch gesehen werden will.
Der Kontrapunkt dazu: Der stille Luxus. Für den diskreten und doch gezeigten Genuss. Coded Luxury. Der Look, den nur Eingeweihte erkennen. Wo die Naht, das Material, der Schnitt mehr sagen als jedes Logo.
Manche wollen also, dass man ihren Wohlstand sieht. Andere, dass man ihn nur ahnt.
Ja, dieses Zahlungsmittel ist schon eine komische Sache. Wie wir es drehen und wenden. Geld ist die Instanz, die Vernunft implodieren und Emotion explodieren lässt.
Aus lauter Gewohnheit, checke ich zwischendurch nochmal den Kontostand. Und sehe: Oh, das Honorar für den Essay ist da. Was für eine Magie! Ich bin begeistert. Das mache ich jetzt öfter. Einfach mal Kerzen anzünden und ein bisschen Zimt zerreiben…