Der Resonanzraum der Musik von Manuela Kerer ist Südtirol. Die Komponistin ist umgeben von den Klängen des Alpenraums – und kennt deren Potential.
Berg-Klänge
„i/o“ ist der lautmalerische Titel für ein Vokalstück über Hirtenrufe und Jodelklänge. Aber er hat noch eine andere Bedeutung, so Kerer. Ein jeder Ruf ist ein klanglicher Fingerabdruck.
"i/o ist eigentlich ein Begriff aus der Informatik und bedeutet ‚input/output‘. Und das sind praktisch Systeme, die mit ihrer Außenwelt kommunizieren. Und das fand ich sehr spannend, weil genau das ist das, was passiert, wenn man jodelt. Und eigentlich weiß man ja, dass das Jodeln sich entwickelt hat, um auf ganz große Distanzen zu kommunizieren. Und weil dieser Überschlag zwischen Brust- und Kopfstimme einfach sehr weit hörbar ist und natürlich in den Bergen extrem weit weg gehört werden kann.“
Gelebte Tradition
Kerers Affinität zur authentischen Volksmusik zeigt sich auch im Instrumentarium, das sie verwendet: Sie hat mehrere Stücke für Zither geschrieben. Mit Volksinstrumenten ist sie aufgewachsen, die Klänge lagen in der Familie: ihre Schwester spielt bis heute Zither, sie selbst Hackbrett.
„Ich hab als Vierjährige begonnen. Das heißt, Volksmusik ist für mich eine der schönsten Musiken, die es überhaupt gibt. Und es beschreibt auch das Leben. Und eigentlich ist ja Volksmusik das: Es nimmt Themen aus dem Leben auf und setzt es dann mit dem jeweiligen Instrumentarium um.“
Neue Musik für Volksinstrumentarium
Die Art und Weise, wie Kerer die Zither anfasst, hat phasenweise eine Nähe zur Attacke und Spieltechnik von Heavy Metal-Gitarristen. Die umwickelten Stahlsaiten werden gekratzt, geschabt. Dabei entstehen komplexe Obertongemische. Es gibt viele perkussive Elemente.
Ebenso komponiert sie Klangflächen und spielt mit Klangfarben. Alles weit weg von alpenländischer Dreiklangseligkeit.
Philosophie mit Alltag gekoppelt
Die Spannweite der Inspirationen von Manuela Kerer ist umwerfend. Sie vertont ihr Wissen um Psychologie und Neurowissenschaften, in ihre Kompositionen fließen Gedanken aus der Antike, Philosophie und Jura ein.
Aber jenseits der intellektuellen Sphären macht sie auch Alltagsklänge und Naturbeobachtungen zu Musik: Kerer hat ein Streichquartett über das Werden und Vergehen von Gletschern geschrieben. Bei ihr wird sogar der Klang elektrischer Zahnbürsten zu Kunst.
Rachenraum als Resonanzkörper
Es schwingt etwas Heiteres, Verspieltes mit, wenn Kerer ein Stück für vier elektrische Zahnbürsten schreibt und das Ganze dann „Impos II“ nennt; abgeleitet von „impossibile“: Musik für ein unmögliches Instrumentarium. Aber die Komposition ist kein Gag. Die Akteure stellen die" Instrumente", brummend und rotierend auf einen Tisch.
Die eigentliche Musik beginnt, wenn sie sich die Bürsten in den Mund stecken. Je nach Position der Bürstenköpfe im Rachenraum, je nach Lippenstellung, Mundöffnung und Lage der Zunge entstehen unterschiedliche Obertöne und Formanten, also verschiedene Ausprägungen von Vokalen.