Donnerstag, 28. März 2024

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Diskussion um Lockdown-Lockerungen
Epidemiologe: "RKI-Stufenplan hat sehr viele Vorteile"

Der Epidemiologe Gérard Krause empfiehlt die Control-Covid-Strategie des Robert Koch Instituts als Bezugspunkt für weitere Entscheidungen in der Corona-Pandemie. Der Stufenplan berücksichtige neben den Fallzahlen weitere Indikatoren und den Aspekt, schnell reagieren zu können.

Gérard Krause im Gespräch mit Ralf Krauter | 03.03.2021
Gerard Krause, Abteilungsleiter Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung HZI Braunschweig
Schnelltests seinen in der aktuellen Lage ein Riesengewinn, bergen allerdings auch Gefahren, sagt der Epidemiologe Gérard Krause (dpa/Julian Stratenschulte)
In den vergangenen Wochen wurde die Rufe nach einer Lockerung des Lockdowns und Öffnungen bestimmer Bereiche lauter. Gleichzeitig sind offenbar ansteckendere Virusvarianten auf dem Vormarsch und die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt wieder.

"Die Lage ist schwer einzuschätzen"

Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk warnte Gérard Krause, Epidemiologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, angesichts der schwer einschätzbaren Lage vor leichtsinnigen Rücknahmen von Infektionsschutzmaßnamen. Diese müssten inhaltlich, epidemiologisch und infektiologisch begründet sein. Das sei für deren Akzeptanz wichtig. Als Grundlage für weitere Entscheidungen empfiehlt Krause der Politik den neuen Stufen-Plan des Robert Koch Instituts (RKI).
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Der Druck auf Bund und Länder ist hoch, die Forderungen nach einem Plan für mögliche Corona-Lockerungen mehren sich. Das Robert Koch-Institut hat dazu einen Vier-Stufen-Plan entworfen.
Ralf Krauter: Lässt das aktuelle Infektionsgeschehen mit einem R-Wert um 1 und Virusmutanten auf dem Vormarsch überhaupt Spielraum für Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen?
Gérard Krause: Die Lage ist schwer einzuschätzen, insbesondere die Lage, in der sich die Entscheidungsträger jetzt befinden, ist natürlich nicht beneidenswert, weil die Einschränkungen jetzt schon sehr lange gefordert sind. Und gleichzeitig hat man Schwierigkeiten, die Einschränkungen im großen Rahmen zurückzunehmen, weil wir beobachten, dass die Fallzahlen jetzt wieder zunehmen und auch die Erkrankungszahlen zunehmen – und vor allen Dingen nicht so schnell sinken, wie wir eigentlich gehofft haben.
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Wir glauben, dass es damit zu tun hat, dass die Verbreitung der neuen Mutationen dazu beiträgt, dass die Übertragbarkeit schneller und besser ist und deswegen die Maßnahmen, die wir jetzt haben, zwar wirken, aber nicht so gut wirken, wie sie bei der Ursprungsvariante gewirkt haben.

"Wir können uns noch nicht sicher fühlen"

Krauter: Und wie hoch bewerten Sie das Risiko, dass die Dinge aus dem Ruder laufen, wenn man jetzt zu freizügig ist?
Krause: Wenn wir zu leichtsinnig Maßnahmen zurücknehmen – gerade in der jetzigen Phase –, könnten wir das stark bereuen, weil wir eben noch nicht in einer Lage sind, wo die Fälle wirklich regelmäßig runtergehen, wo die Erkrankungen deutlich runtergehen. Zum Glück ist die Belastung der Krankenhäuser jetzt doch entspannter als vorher, aber wir sind noch nicht einer Lage, wo wir uns so sicher fühlen können, dass wir sagen könnten, es kann jetzt alles wieder zurückgenommen werden. Das sehe ich noch nicht.
Krauter: Nun sind die Regierungsvertreter in der schwierigen Lage, sie werden wahrscheinlich nicht umhin kommen, kluge Lockerungsstrategien zu verkünden, vielleicht kurz-, vor allem aber erst mittelfristig. Wo würde das Sinn machen und wie müsste man so etwas begleiten, wenn man jetzt in bestimmten Feldern die Zügel wieder lockerer lässt?
Krause: Ich denke, die Herausforderung und gleichzeitig die Forderung muss darin liegen, dass man sehr differenziert wirklich nach den hygienischen Konstellationen die Bereiche identifiziert, in denen wir weiter sehr streng und stringent sein müssen und dann im Gegenzug die Bereiche, in denen wir uns erlauben können, bestimmte Einschränkungen wieder zurückzunehmen. Das darf also nicht danach gehen: Wo ist der größte Druck aus der Gesellschaft oder wo fühlen sich die Leute am unwohlsten? Das ist sicherlich auch eine Komponente, die zu berücksichtigen ist. Aber viel wichtiger ist, dass man es inhaltlich begründen kann.
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Ich nehme mal das Beispiel, das Verzehren von Speisen ist eben eine Tätigkeit, wo man in der Regel eng zusammensitzt, also ist das leider eine Tätigkeit, wo man kaum zuerst lockern würde, weil dort die Übertragbarkeit gegeben ist. Umgekehrt sind Tätigkeiten, die unter freiem Himmel stattfinden, wo bestimmte Abstände eingehalten werden können, wahrscheinlich die Aktivitäten und Tätigkeiten, die man dann eher wieder zulassen kann, weil dort die Übertragungsrisiken entsprechend gering sind. Und entlang dieser Argumentation müssen die Begründungen auch geführt werden. Ich glaube, es ist sehr wichtig für die Akzeptanz, dass – was auch immer entschieden wird – inhaltlich, epidemiologisch, infektiologisch begründet wird und nicht aufgrund von, sagen wir, Akzeptanzüberlegungen.

"RKI-Stufenplan ist eine deutliche Verbesserung"

Krauter: Wichtig für die Akzeptanz wird ja auch sein, dass man klare Spielregeln festlegt, welche Infektionsschutzmaßnahmen unter welchen Umständen wieder gelockert werden können oder vielleicht wieder verschärft werden müssen. Bisher waren da die Sieben-Tage-Inzidenz und der R-Wert immer ausschlaggebend. Das Robert-Koch-Institut plädiert in seiner Control-Covid-Strategie dafür, künftig auch den Anteil intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Patienten zu berücksichtigen, außerdem die Inzidenz hospitalisierter Patienten über 60 und den Anteil an Kontaktpersonen, die die Gesundheitsämter noch nachverfolgen können. Wären das zielführende zusätzliche Indikatoren?
Krause: Unbedingt, ich finde diesen Stufenplan vom Robert-Koch-Institut eine deutliche Verbesserung, einen sehr, sehr guten Beitrag zur aktuellen Diskussion. Ich könnte mir vorstellen, dass man noch differenzierter rangeht, was die Nutzung von Indikatoren betrifft, aber das Grundkonzept von diesem RKI-Stufenplan hat sehr viele Vorteile gegenüber dem, was sonst jetzt vielfach diskutiert wird. Zum einen, dass eben nicht nur die Fallzahlen berücksichtigt werden, sondern eben auch so relevante Indikatoren wie die Belegung in den Intensivstationen oder auch die Fähigkeit, Infektionsketten zurückzuverfolgen.
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Ein anderer interessanter Aspekt ist, dass hier klar kommuniziert wird: Man soll schnell eskalieren können, das heißt, wenn die Situation es erfordert, muss man schnell die Maßnahmen wieder einführen oder ausweiten. Und umgekehrt sollte man beim Lockern der Maßnahmen eher vorsichtig sein, damit man es nicht gleich wieder bereut und es wieder rückgängig machen muss.

"Schnelltests können Risiko für Infektionen punktuell erhöhen"

Krauter: Kommen wir auf einen anderen wichtigen Punkt zu sprechen: die Teststrategie. Da war jetzt in den vergangenen Wochen viel von Schnelltests die Rede, auf die viele große Hoffnungen setzen. Welche Rolle könnten die künftig spielen bei kontrollierten Lockerungen des Lockdowns in bestimmten Bereichen?
Krause: Es ist zumindest schon mal ein Riesengewinn, dass jetzt diese Technologien verfügbar sind und offensichtlich bald auch in großer Menge verfügbar sein werden. Gleichzeitig dürfen wir aber ein paar grundlegende Dinge nicht vergessen: Das eine ist, dass diese Antigentests nicht dazu da sind, eine Diagnose zu stellen oder zu verwerfen. Dafür müssen wir weiterhin die klassischen PCR-Tests einsetzen, die wirklich auch ein richtiges Labor benötigen. Das ist ein wichtiger Punkt, den man nicht vergessen darf.
Der andere Punkt ist, dass die Präzision dieser Antigen-Nachweise, dieser sogenannten Schnelltests, deutlich niedriger ist als bei den PCR-Tests, sodass wir immer auch berücksichtigen müssen, es misst mehr oder weniger gut, ob jemand wirklich relevante Mengen von Viren ausscheidet, das ist insofern schon mal eine ganz wichtige Information. Denn wenn man das weiß, kann man eben dafür sorgen, dass man sich fernhält von anderen Menschen.
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Dann gibt es ja noch die Unterscheidung, nicht jeder Schnelltest wird ja als Selbsttest durchgeführt. Und beim Selbstdurchführen von Tests von Personen, die Laien sind, kann es schon bei der Entnahme oder der Durchführung verschiedene Fehler geben, die dann noch mal das Risiko für falsch positive, aber insbesondere für falsch negative Nachweise nach sich zieht, sodass man also möglicherweise eine falsche Sicherheit hat, man sei nicht infektiös. Und das könnte dann natürlich auch punktuell zu einer Erhöhung von Risiko führen.
Gleichwohl ist trotzdem aus meiner Sicht auch das Selbstdurchführen von Tests ein Gewinn, wenn man richtig damit umgeht und wenn man es richtig interpretiert. Das bedeutet auch, dass wenn der Test positiv ausfällt, man dafür sorgen sollte, dass er bestätigt wird durch einen regulären Labornachweis. Und das bedeutet auch, dass wenn der Test negativ ausfällt, dass man deswegen nicht sämtliche anderen hygienischen Maßnahmen jetzt aufgeben kann. Wenn man das beherzigt, dann kann das Testen eine große Unterstützung bei der Bekämpfung leisten.
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Wenn wir jetzt noch zu den Veranstaltungen kommen, wenn man das als Basis für den Zutritt zu bestimmten Aktivitäten nimmt. Nehmen wir mal an, ich will ins Kino gehen und es wird in Zukunft verlangt, dass ich einen negativen Test habe, bevor ich ins Kino darf, dann habe ich ja ein eigenes Interesse daran, dass der Test negativ ausfällt. Das heißt, dann fallen mir bestimmte Ideen ein, den Test so auszuführen, dass er eben negativ ausfällt. Das heißt, in solchen Situationen würde man dann doch die Durchführung des Tests durch fachkundiges Personal fordern.
Krauter: Was sollte idealerweise unter dem Strich herauskommen bei den Verhandlungen von Bund und Ländern?
Krause: Ich würde mir wünschen, dass stärker Bezug genommen wird auf den RKI-Stufenplan, dass eine gewisse Einheitlichkeit in der Systematik entsteht, dass man ermöglicht, dass man lokal unterschiedlich handelt, aber dass die Grundprinzipien des Handelns und die Regeln und die Indikatoren dieselben sind, sodass in der Bevölkerung auch das Ganze nachvollzogen werden kann. Das wären, glaube ich, die beiden wichtigsten Punkte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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