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"The rest is politics"
Erfolgspodcast mit jeder Menge britischer Interna

Alastair Campbell war Tony Blairs Kommunikationschef, Rory Stewart wurde bei den Konservativen als Premierminister gehandelt. Jetzt machen beide gemeinsam einen Podcast. Dabei setzen sie vor allem auf Politik-Anekdoten. Ein Konzept, das gut ankommt.

Von Christine Heuer | 19.01.2023
Das Profilbild des Podcasts "The rest is politics" in einem Smartphone
Nach mehr 100 Folgen in bald einem Jahr: Der Podcast "The rest is politics" gehört inzwischen zu den meistgehörten in Großbritannien (Deutschlandfunk/Michael Borgers)
Das Intro von „The Rest is Politics“, Britanniens erfolgreichstem Podcast. Die beiden kennt im Königreich jeder: Alastair Campbell war Tony Blairs Kommunikationschef und Spin-Doctor, Rory Stewart Minister in der konservativen Regierung.
Ein Labour- und ein Tory-Mann diskutieren über aktuelle politische Themen: Grundidee und Konzept des Podcasts mit zwei bis drei Episoden wöchentlich. Sogar während der Fußball-WM wurde er 6,5 Millionen-mal heruntergeladen.
Zum Live-Podcast in der Royal Albert Hall sind 5.500 Zuschauer gekommen. Dabei hatte Campbell gar keine Lust, als die Produktionsfirma von Ex-Fußballer Gary Lineker erstmals bei ihm anklopfte. Sie überzeugten ihn und schlugen Boris Johnsons Ex-Berater Dominic Cummings als Gegenspieler vor. „Das“, scherzt Rory Stewart beim Live-Podcast in der Royal Albert Hall, hätte „anderthalb Folgen lang gehalten“. Dann, bestätigt Campbell, wäre Gewalt ausgebrochen.

Zwei, die Blair, Johnson und Co. persönlich kennen

Cummings war Spiritus Rector der Vote-Leave-Kampagne. Stewart und Campbell kämpften leidenschaftlich gegen den Brexit und verloren darüber beide ihr Parteibuch. Sie funktionieren gut als seltsames Paar. Der eine ist 65, der andere gerade 50 geworden. Der eine von Haus aus Journalist, der andere Diplomat. Der eine hat Tony Blair geholfen, Premierminister zu werden, der andere ist allein durch Afghanistan gewandert und hat darüber einen Bestseller geschrieben.

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Beide kommentieren Politik, haben aber auch selbst welche gemacht. Sie kennen die Politiker, über die sie reden, persönlich und wissen, wie es hinter den Kulissen zugeht. „Das unterscheidet uns von anderen Podcasts“, sagt Alastair Campbell, der gut Deutsch spricht, im Interview mit dem Deutschlandfunk.
„Wir versuchen, zu erklären: Warum hat Johnson das gemacht? Warum hat Liz Truss das gesagt? Was kennen wir aus unserer Erfahrung in der Politik? Wie können wir den Leuten helfen, zu verstehen, was passiert?  Sehr, sehr einfach.“     

Ein neuer Debattenstil

„The Rest is Politics“ ist ein hörenswerter Spagat, immer erhellend, oft lustig, überwiegend respektvoll. Seine Debatte hat das Podcast-Duo unter das Motto „to disagree agreeably“ gestellt: sich verträglich zu streiten. Alastair Campbell ist berühmt-berüchtigt dafür, ordentlich hinzulangen in der politischen Debatte. Mit Rory Stewart macht er das bewusst nicht.
11. Juni 2019 - London, England, Großbritannien - Entwicklungshilfeminister Rory Stewart verlässt Downing Street 10
Rory Stewart: 2019 kandidierte er für die Nachfolge von Theresa May, Boris Johnson setzte sich damals durch (imago / ZUMA Press / Wiktor Szymanowicz)
Ich habe ein bisschen meinen Debattenstil verändert. Normalerweise finde ich den schwachen Punkt im Argument von jemandem und dann gehe ich – bäng-bäng-bäng – auf ihn los. Ich habe das verändert. Ich kann mir sagen: Nein, jetzt geht das Blut ein bisschen heiß, ich muss mich beruhigen. Ich glaube, das Publikum hat genug gehabt von diesem alten Stil der politischen Debatte.“
Die Leute, glaubt Alastair Campbell, haben auch genug von der Hau-drauf-Mentalität in weiten Teilen der britischen Medienlandschaft. Für wen machen er und Rory Stewart ihren Podcast? Ihr idealer Hörer, sagt Campbell, ist eine Frau: 30, 35 Jahre alt, arbeitet, schaut selten TV-Nachrichten, liest selten die Zeitungen, aber will informiert sein.“

Anekdoten aus dem eigenen Leben als Politiker

Zum Erfolgsrezept von „The Rest is Politics“ gehören die Anekdoten der Podcaster aus ihrem Leben als Politiker. Etwa, wenn sich Rory daran erinnert, wie Boris Johnson typischerweise die Morgenlage eröffnete, als er Außenminister und Stewart sein Staatssekretär war.

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Alastair Campbell hat viele Geschichten mit Tony Blair auf Lager. Die erste Begegnung des jungen Labour-Premiers mit Wladimir Putin etwa, bei der Putin zeitweilig sehr aggressiv war. Und Blair bemerkenswert gutgläubig. „Wenn Sie jemals Tony Blair über den Weg laufen“, rät Campbell dem Publikum beim Live-Podcast, „fragen Sie ihn, ob es stimmt, dass er nach dem allerersten Treffen mit Putin zu Alastair Campbell gesagt hat: Ich denke, der Typ ist ganz in Ordnung.“

Und am Ende geht es auch um Spaß

Das Publikum mitspielen zu lassen: Auch das ist fester Bestandteil von „The Rest is Politics“. Es gibt Episoden, in denen die beiden miteinander diskutieren, Interview-Ausgaben mit illustren Gästen und Sendungen, in denen sie ausschließlich Hörerfragen beantworten. Im Live-Podcast kommen die Fragen aus dem Publikum.
Eine davon: „Wenn Ihr eine Zeitmaschine hättet, was würdet Ihr ungeschehen machen?“ „Den Tag des Brexit-Referendums“, sagt Alastair Campbell. „Aber was würdest Du tun“, fragt Rory Stewart. „Na, ganz einfach: Ich würde mir David Cameron schnappen und ihn fragen, was zum Teufel er da treibt?“    
Briten wollen immer auch Spaß haben, bei allem Ernst der Lage gut unterhalten werden. Stewart und Campbell wissen und bedienen das. Am Ende gibt es in der Albert Hall ein Geburtstagsständchen für Zuschauerin Clair im Publikum. Alastair Campbell bläst persönlich den Dudelsack.