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Finanzspritze aus Übersee?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihren Notfallplan für Griechenland offenbar ohne Abstriche durchgesetzt – allerdings, indem sie den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit einbezieht. Ein vernünftiger Kompromiss, aber kein Grund für Triumphgeheul, sagt Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Abgeordneter im Europaparlament.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jochen Spengler | 26.03.2010
    Jochen Spengler: Gestern im Deutschen Bundestag: Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum unmittelbar bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel und über die möglichen finanziellen Hilfen für das hoch verschuldete Griechenland.

    O-Ton Angela Merkel: Die Bundesregierung wird sich bei dem Rat dafür einsetzen, dass im Notfall solche Hilfen als Kombination von IWF und gemeinsamen bilateralen Hilfen in der Euro-Zone gewährt werden müssten, aber ich sage noch einmal: als ultima ratio. Ich werde entschieden dafür eintreten, dass eine solche Entscheidung, IWF + bilaterale Hilfen, auch gelingt.

    Spengler: Heute wissen wir: genau das, was die Kanzlerin morgens in Berlin angekündigt hat, ist Stunden später auf der EU-Bühne in Brüssel beschlossen worden. Sie hat ihren Notfallplan für Griechenland offenbar ohne Abstriche durchgesetzt. Am Telefon begrüße ich den liberalen Europaabgeordneten Alexander Graf Lambsdorff. Guten Morgen!

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Ein uneingeschränkter Erfolg der Kanzlerin, ein Triumph?

    Graf Lambsdorff: Nein. Brüssel ist ja nicht ein guter Ort für Triumphgeheul. Das war ein Kompromiss, ein vernünftiger Kompromiss, aber er besteht aus zwei Teilen: zum einen der harten Linie, die ja den IWF betrifft – das ist ja im Vorfeld abgelehnt worden von vielen Partnern -, aber es enthält eben auch dieser Kompromiss einen Teil, der bilaterale europäische Hilfen in den Blick nimmt für den Fall, dass diese nötig werden sollten. Das war das, was die anderen Länder in den Vordergrund gestellt hatten. Insofern ein vernünftiger Kompromiss, aber kein Grund für Triumphgeheul.

    Spengler: Sie haben den IWF schon angesprochen. Es gab viele, die eigentlich etwas anderes wollten, die Griechenland direkt Geld geben wollten, Grüne, Sozialdemokraten, Regierungen in Italien, in Spanien. Viele wollten vor allem nicht, dass der IWF, der Internationale Währungsfonds in Washington um Hilfe gebeten wird, sie wollten eine innereuropäische Lösung, zu der es nun nicht kommt. Gestern etwa hat Luxemburgs Außenminister Asselborn hier im Deutschlandfunk folgendes gesagt:

    O-Ton Jean Asselborn: Wir würden mit dem Internationalen Währungsfonds psychologisch etwas tun, was dem Euro und der Euro-Zone unheimlich schaden würde, aber was auch dem Bild der ganzen Europäischen Union nicht gut zu Gesicht stünde.

    Spengler: Und so genau kommt es jetzt. Auch Bundesfinanzminister Schäuble hat ähnlich argumentiert wie Herr Asselborn. Steht das, was da gestern beschlossen wurde, der EU vielleicht doch nicht so gut zu Gesicht?

    Graf Lambsdorff: Ich glaube, dahinter steht eine Vorstellung vom IWF als einer amerikanisch dominierten Institution. Wir vergessen dabei immer, dass der IWF traditionell immer von einem Europäer geführt wird. Im Moment ist das ein Franzose, Herr Strauss-Kahn – zum einen. Und zum anderen: wenn man die Mitgliedsländer der Euro-Zone nimmt, die im IWF vertreten sind, oder gar die Mitglieder der Europäischen Union, dann stellt man fest, dass der Internationale Währungsfonds vom Gewicht her eher europäisch als amerikanisch ist. Ich habe das nie verstanden, warum man sich so gegen den IWF gewehrt hat. Das ist eine Organisation, die Erfahrung damit hat, Krisen wie die in Griechenland zu bewältigen. Ich habe darin auch keinen Gesichtsverlust gesehen. Man kann darüber nachdenken, ob man vielleicht einen anderen Mechanismus aufbaut, der dem Stabilitäts- und Wachstumspakt endlich zur Geltung verhilft, aber das aktuelle System tut das eben nicht und da finde ich den Gang zum IWF völlig nachvollziehbar und vernünftig.

    Spengler: Was, wenn auch Portugal, Spanien oder Italien in Schwierigkeiten kommen?

    Graf Lambsdorff: Nun, in Portugal gibt es ja erste Anzeichen für Schwierigkeiten, aber eines ist wichtig: kein einziges dieser Länder hat einen so hohen Schuldenstand als Ausgangsposition wie Griechenland. Das große Problem bei Griechenland ist ja, dass sich diese ganze Krise vor dem Hintergrund eines Schuldenstandes von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abspielt. Das ist bei keinem anderen dieser Länder so. Etwas Sorge mache ich mir bei Spanien. Spanien ist eine große Volkswirtschaft, die gerade wirklich in einer ziemlich schweren Krise ist, aber ich denke, dass auch da es gelingen muss, Stabilität wieder hereinzubringen. Ich sehe da nicht solche Befürchtungen wie bei Griechenland im Moment.

    Spengler: Kommen wir mal auf den ganzen Stil zu sprechen. Europa kannte ein solches Deutschland noch nicht: hart, unsentimental, machtbewusst, die eigenen Interessen werden durchgedrückt. Wie hoch ist der außenpolitische Flurschaden?

    Graf Lambsdorff: Das ist eine Sache, von der ich nicht sicher bin, ob die tatsächlich, wenn sich hier ein bisschen der Staub gelegt hat, immer noch so gesehen wird. Wir haben hier eine Krise des Euro, und das ist die erste Krise dieser Art. Das heißt, das ist auch ein wirklich neuartiges Problem. In dieser Frage ist nicht Deutschland isoliert gewesen, nach meinem Dafürhalten, sondern da war jedes Land isoliert, das Deutschland nicht auf seiner Seite hat. Wir sind nun mal die größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union, wir sind das größte und wichtigste Land im Euro. Das heißt, wenn Deutschland hier den Ton angibt oder die Richtung vorgibt, dann halte ich das für vernünftig und ich glaube, dass mancher, ich sage mal, etwas schrille Ton der letzten Tage und Wochen, der da aus anderen Hauptstädten zu hören war, vielleicht im Nachhinein auch bedauert werden wird. Ich will aber auch sagen, die eine oder andere Äußerung aus Deutschland in Bezug auf Griechenland fand ich auch nicht besonders erfreulich, oder den einen oder anderen Magazintitel. Ich denke da an den "Focus". Das sind so Dinge, die natürlich wirklich nicht hilfreich sind. Aber ich glaube, dass, wenn man die Lage nüchtern betrachtet, der Flurschaden gar keiner ist.

    Spengler: Sie finden, wer die Musik in Europa bezahlt bestimmt, was gespielt wird?

    Graf Lambsdorff: Nein, das gilt nicht grundsätzlich, und ich habe ja am Anfang gesagt, dass auch die jetzige Entscheidung wieder ein Kompromiss ist zwischen den Interessen und Absichten mehrerer Mitgliedsstaaten, also praktisch der gesamten Euro-Zone. Es ist ja auch kein Zufall, dass zunächst mal Präsident Sarkozy zugestimmt hat, dass dann die Griechen gesagt haben, wir finden dieses Vorgehen vernünftig. Ich glaube, dass aber in der Frage der Euro-Zone wir als Bundesrepublik eine besondere Verantwortung haben. Das ist nun mal so aufgrund unseres Gewichts. Das sehen übrigens die anderen ganz genauso. Von daher kommt der deutschen Position da eine besondere Rolle zu. Die müssen wir dann verantwortlich für ganz Europa auch wahrnehmen.

    Spengler: Stört es Sie nicht, dass wir mit zweierlei Maß messen? Auch Deutschlands Finanzpolitik ist alles andere als solide, wir haben uns auch nicht an den Stabilitätspakt gehalten, wir haben nur Glück, dass wir eben der wirtschaftsstärkste Staat in Europa sind und für uns gelten offenbar andere Maßstäbe.

    Graf Lambsdorff: Na ja, das Glück ist ein bisschen das Glück des Tüchtigen. Es ist ja nicht so, als ob uns das in den Schoß gefallen wäre mit der wirtschaftlichen Stärke. Sie haben völlig Recht, ich bin auch der Meinung, dass der Stabilitätspakt von Deutschland hätte besser eingehalten werden müssen. Aber das ist unter der letzten Regierung gemeinsam damals mit den Franzosen eben nicht geschehen, er ist aufgeweicht worden. Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir eine wirklich einzigartige Krise haben, und wir haben festgestellt – und das ist von der Bundeskanzlerin mit sehr drastischen Worten im Bundestag ja beschrieben worden -, dass die Durchsetzungsmechanismen des Stabilitätspakts einfach nicht greifen. Darin steht ja, wenn ein Land quasi zahlungsunfähig ist, dass es noch mehr zahlen muss an Strafe an die europäische Kommission. Dass dieser Mechanismus nicht funktioniert und dass die Überwachung durch die Finanzminister auch nicht funktioniert, das ist eine der Lektionen jetzt aus der Krise und ich glaube, dass deswegen der nächste Schritt sein muss, in Europa einen Mechanismus zu finden, mit dem wir wirklich den Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder einhalten können.

    Spengler: Ist das die viel beschworene gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik?

    Graf Lambsdorff: Es kann eine bessere Abstimmung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik sein, die ja auch auf dem Rat diskutiert wird, aber ich glaube, dass man, auch wenn man jetzt vielleicht den Begriff des europäischen Währungsfonds nicht benutzen möchte, Mechanismen, eine Methodik nimmt, wie sie der IWF anwendet, den ich ja in seiner Anwendung durchaus begrüße, dass man so etwas für die Euro-Zone schafft. Das kann man ansiedeln bei der EZB, das kann man ansiedeln bei der Kommission, darüber muss man reden, wie wir es hinbekommen, dass wir eine Stabilisierung Europas innerhalb Europas auch sicherstellen können, und dazu brauchen wir wirklich neue Regeln.

    Spengler: Letzte Frage, Herr Lambsdorff. Angela Merkel gilt als "eiserne Kanzlerin" inzwischen. Ist das ein zweifelhaftes Kompliment?

    Graf Lambsdorff: Nein, ich würde das nicht als zweifelhaftes Kompliment sehen. Hier in dieser Frage ging es um die Stabilität des Euro, und da finde ich, sagen wir mal, ein eisenhartes Vorgehen im Vorfeld des Gipfels wohlgemerkt und dann Kompromissbereitschaft auf dem Gipfel selber ganz vernünftig. Eisen ist ja durchaus flexibel, wenn man es vergleicht mit anderen Metallen. Insofern finde ich das kein zweifelhaftes Kompliment.

    Spengler: Alexander Graf Lambsdorff, für die FDP Abgeordneter im Europaparlament. Danke für das Gespräch.

    Graf Lambsdorff: Ich danke auch.