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Frankreich übernimmt EU-Ratspräsidentschaft
Macron als Taktgeber für Europa

Mit Frankreich übernimmt am 1. Januar ein europäisches Schwergewicht die Ratspräsidentschaft in der EU. Für seine dezidiert proeuropäische Haltung ist Emmanuel Macron bekannt. Er selbst muss sich aber auch innenpolitisch in Stellung bringen, denn im April wird in Frankreich gewählt.

31.12.2021
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Pressekonferenz in Brüssel im Dezember 2021
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Pressekonferenz in Brüssel im Dezember 2021. Er sitzt vor einer blauen EU-Fahne (picture alliance / abaca / Alexey Vitvitsky)
Für den französischen Präsidenten ist die Übernahme der Ratspräsidentschaft ein Höhepunkt seiner europäischen Ambitionen. Macrons Leitmotiv ist ein "souveränes Europa". In der Rolle des Vermittlers, des Impulsgebers und des Vorsitzes der großen EU-Ereignisse kann er dies für ein halbes Jahr aktiv gestalten. "Wir müssen von einem Europa der internen Zusammenarbeit zu einem mächtigen Europa in der Welt kommen", sagte Macron beispielsweise mit Blick auf die sich zurückziehenden USA und das aufstrebende China.
Die Liste der Vorhaben ist lang, sie reicht von der Reform des Schengenraums über flexiblere Haushaltsregeln bis zur CO2-Steuer und Initiativen zur Digitalisierung. Es sind alles Themen, die ohnehin schon intensiv in der EU debattiert werden. Wichtig wird für Macron sein, dass er greifbare Ergebnisse bis Anfang April vorweisen kann – gerade mit Blick auf die Präsidentschaftswahl.

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„Wir müssen zu einem Europa kommen, das stark ist in der Welt, voll souverän, frei in seiner Wahl und Meister seines Schicksals“, sagt der der französische Präsident.
Für Emmanuel Macron bedeutet das:

  • die EU-Außengrenzen stärker schützen,
  • Migration besser regulieren,
  • die europäische Verteidigung ausbauen,
  • für Arbeitsplätze sorgen,
  • die Macht großer Digital-Konzerne begrenzen
  • die Bürgerinnen und Bürger mehr einbinden.
Der Politikwissenschaftler Olivier Costa nennt Macrons Pläne ambitioniert. „Ich höre schon die Leute in Brüssel sagen: Macron hat nicht verstanden, dass er nur die Präsidentschaft des Rates übernimmt und nicht der gesamten EU und dass diese Präsidentschaft nur sechs Monate dauern wird und nicht drei Jahre.“

Aber Macron hat schon in seiner Kampagne zur Präsidentschaftswahl 2017 einen Schwerpunkt auf Europa gelegt. Von den Reform-Vorschlägen zu Beginn seiner Amtszeit konnte er Vieles allerdings nicht umsetzen -  aus Mangel an Partnern.

„Die EU-Ratspräsidentschaft ist seine letzte Chance, in seiner Ära als französischer Präsident in europäischen Fragen Spuren zu hinterlassen.“

Reform des Schengen-Raums auch Botschaft an rechte Wähler

Frankreichs Staatschef wird die europäische Bühne für den Präsidentschaftswahlkampf nutzen. Es ist auch eine Botschaft an rechte Wähler, dass er den Schengen-Raum reformieren will mit regelmäßigen Treffen der dafür zuständigen Minister. Im Fall einer Krise soll laut Macron dem betroffenen Land mehr Unterstützung durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex und durch Polizei aus anderen EU-Mitgliedsstaaten zukommen. Olivier Costa analysiert:

„Wenn die Leute sagen, dass die EU Schuld ist an der Flüchtlings-Krise, weil die Grenzen nicht mehr kontrolliert werden, setzt Macron dem entgegen: Nein, die EU schützt. Sie ist die Lösung.“
Dover: Eine Gruppe von Menschen, bei denen es sich vermutlich um Migranten handelt, wird nach einem Zwischenfall mit einem kleinen Boot im Ärmelkanal an Bord des Dover-Rettungsboots nach Dover in Kent gebracht.
Nach dem Kentern von Migranten, die von Frankreich aus nach Großbritannien wollten, rief Präsident Macron dazu auf, den Ärmelkanal nicht (PA Wire/Gareth Fuller)

CO2-Grenzsteuer könnte kommen


Manche Pläne haben gute Chancen, während der französischen Ratspräsidentschaft konkret zu werden, andere werden wohl lediglich angestoßen. In den kommenden sechs Monaten könnten die EU-Mitgliedsstaaten einen Beschluss zur bereits weit entwickelten Idee der CO2-Grenzsteuer fassen. Für Macron ist sie ein wichtiges Instrument beim Klimaschutz und dem Schutz der europäischen Wirtschaft:

„Wir korrigieren, dass wir von unseren Unternehmen verlangen, CO2 zu reduzieren, aber Güter importieren aus Regionen, die nicht die gleichen Anstrengungen dazu unternehmen. Wir kompensieren also an unseren Grenzen den Unterschied.“

Vorantreiben will die französische Regierung die Frage, ob die Mitgliedsländer sich stärker verschulden dürfen. Macron warnt angesichts der nötigen Investitionen für den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft:

„Wir schaffen diesen Übergang nur, wenn wir unsere Budget- und Finanzregeln anpassen.“

Für diese Debatte sei nun ein guter Moment, findet Politikwissenschaftler Costa. „Alle Länder mussten die Regeln wegen der Pandemie in Frage stellen. Außerdem gibt es in Deutschland eine andere Regierungskoalition. Was Macrons sagt, bedeutet eigentlich: Es wird lächerlich, die Budget-Regeln zu respektieren während wir auf den finalen Klima-Kollaps zulaufen.“

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Europaweiter Mindestlohn


Macron will auch Pläne für einen EU-weiten Mindestlohn auf den Tisch bringen. Die Menschen stärker einbinden soll die Konferenz für die Zukunft Europas. Dort debattieren Bürgerinnen und Bürger aller Mitgliedsländer, wie sie sich das Bündnis der 27 in Zukunft vorstellen. Macron verspricht: die Ergebnisse werden ab Mai mit den EU-Institutionen, den Regierungen und der Zivilgesellschaft diskutiert.

„Wir brauchen einen neuen Gründungs-Elan, bei dem wir wieder an die humanistische Bestimmung Europas denken. Ein effizienteres Europa, das näher an unseren Bürgern ist. Dieser Elan wird vielleicht zu einer Überarbeitung unserer Verträge führen“

Wegen interner Streitigkeiten und der Pandemie wurde die Konferenz aber um ein Jahr verkürzt. Ihre Ergebnisse könnten nun lediglich vorläufige sein, sagt der Politologe Costa. Aber: „Es gibt mit der Konferenz eine gute Einrichtung für Beratungen. Alles ist gut organisiert. Man darf also hoffen, dass etwas dabei rauskommt.“