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Gleichberechtigung in der Wissenschaft
Professorin: "Frauen brauchen Vorbilder"

Die Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft geschehe nicht durch Misogynie oder Sexismus, sagte die Professorin Antje Flüchter im Dlf. Sondern aufgrund institutioneller und mentaler Strukturen. Es benötige mehr "role models", nach denen sich junge Forscherinnen ausrichten können. Dazu seien auch Quoten und Richtwerte nötig.

Antje Flüchter im Gespräch mit Martin Schütz | 11.02.2022
Dr. Kornelia Freitag, Professorin für Amerikanistik, hält am Montag (17.10.2011) in einem Hörsaal der Ruhr-Universität in Bochum eine Vorlesung der Amerikanistik. Foto: Fabian Stratenschulte dpa/lnw | Verwendung weltweit
Es benötigt mehr Frauen in Führungspositionen in der Wissenschaft, sagt Antje Flüchter (Symbolbild) (picture alliance/dpa)
Am internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft (11.02.22) sind die Zahlen eher ernüchternd. Der Frauenanteil an der Professorenschaft liegt in Deutschland nur bei rund 20 Prozent, bei den Promotionen bei rund 30 Prozent - das besagen Zahlen der Gewerkschaft GEW. 
Dabei machen Frauen mittlerweile häufiger das Abitur als Männer und sind auch in vielen Studiengängen mindestens zu 50 Prozent vertreten. Die Professorin Antje Flüchter, Historikerin an der Uni Bielefeld, sieht für die aktuelle Situation vor allem strukturelle Gründe. "Sobald von einer Gruppe eine gewisse Zahl da ist, kann sie sich besser vertreten", so Flüchter. Vor allem aber fehlte es Frauen an Vorbildern.
"Männer hatten immer sehr viele 'role models’ an so einem Institut und konnten sich überlegen, welcher Führungsstil, welcher Wissenschaftsauftrittsstil passt für mich. Frauen hatten – auch noch, als ich angefangen habe – sehr wenige." Flüchter spricht sich deshalb für Quoten aus. Diese könne man aber nie komplett durchsetzen. Das sehe man etwa am Fach Physik. "Ich würde es nie erzwingen, weil es muss schon in der einzelnen Berufung, in der einzelnen Mitarbeiter*innen-Auswahl geschaut werden, wen man haben will."

Das Interview im Wortlaut

Martin Schütz: Bei den niedrigen Zahlen, kann man sagen: Herzlichen Glückwünsch, dass Sie es zur Professorin geschafft haben.
Antje Flüchter: Ja, ich würde dazu sagen, ja, also erst mal ja, weil das war kein einfacher Weg, ich würde aber auch sagen, ich glaube generell nicht an Fortschritt in der gesellschaftlich-moralischen Ebene, aber ich komme aus Zeiten, da waren die Professorinnen einstellig. Insofern finde ich, dass wir bei 22 Prozent angekommen sind, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Schütz: Sie haben es geschafft, Sie sind Professorin, Sie sind Sprecherin eines Sonderforschungsbereichs an der Uni Bielefeld. Sie sind auch beim Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands engagiert. Was läuft denn in den Institutionen aus Ihrer Sicht immer noch falsch?
Flüchter: Mittlerweile ist das ja keine beabsichtigte Misogynie oder Sexismus mehr. Es sind eben Strukturen, institutionell, aber auch mental. Ganz wichtig war, wenn ich einen Blick in die Vergangenheit werfen darf, dass wir einfach mittlerweile mehr Frauen an den Institutionen sind. Das ist ja dieses, sobald von einer Gruppe eine gewisse Zahl da ist, kann sie sich besser vertreten. Und ich erinnere mich, und ich glaube, das passiert teilweise heute auch noch, Männer und Frauen kommunizieren verschieden, und es wird auch verschieden wahrgenommen. Frauen sind oft eher so ein bisschen vorsichtiger – alles natürlich Durchschnittszahlen. Das heißt, sobald mehr Frauen in Berufungskommissionen sitzen, ist es auch einfacher, dass es wieder um Leistung geht und nicht um männliches Verhalten, um die Stelle zu bekommen.
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Nicht mehr Autorität durch laute Stimme

Schütz: Das heißt, es ist letztlich eine Frage der Arithmetik und gar nicht eine Frage, welche Prioritäten Hochschulen setzen?
Flüchter: Jein. Ich bin ja jetzt in Bielefeld, und ich würde sagen, Bielefeld hat ja verschiedene Preise gewonnen, auch für ihre Gleichberechtigung, ihre Frauenförderung, und das ist zu Recht, das geht, aber ich hab’s auch anders erlebt. Es hat was mit Institutionen zu tun, es hat was mit Intention, aber nicht nur – ändert sich langsam, das kann man nicht nur über Intention machen. Ich denke, was für Frauen ganz wichtig ist, um diesen Weg zu gehen, ist, dass sie auch Vorbilder haben, dass sie Rollen-Models haben, nach denen sie sich ausrichten können. Männer hatten immer sehr viele Role Models an so einem Institut und konnten sich überlegen, welcher Führungsstil, welcher Wissenschaftsauftrittsstil passt für mich. Frauen hatten – auch noch, als ich angefangen hab – sehr wenig, und wenn das dann nicht passte, wusste man nicht, wie man’s tun soll, weil ich kann mich als Frau nicht wie die Männer benehmen. Ich kann auch keine Autorität ausüben, indem ich die Stimme hebe. Bei einem Mann wirkt das dann, „jetzt kommt was Wichtiges“, bei einer Frau kommt das schnell als hysterisch rüber. Da müssen wir uns alle erst dran gewöhnen. Wenn dann mehr Frauen in Führungspositionen waren, müssen die auch nicht mehr in tiefer Stimme etwas sagen. Das ist, glaube ich, ganz viel auch strukturell. Es hilft aber – ich bin eine Vertreterin davon, dass man versucht, die Gleichstellung, die ganzen Kommissionen paritätisch zu besetzen, was den Nachteil hat, dass Frauen übermäßig belastet sind mit der Selbstverwaltung. Ich bin auch dafür, dass man über manche Quoten nachdenkt, die man aber nie voll durchsetzen kann.
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Schütz: Welche Quote wäre denn für Sie eine, über die Sie diskutieren wollen würden? 50 Prozent, oder würden Sie sagen, man kann auch eine niedriger angesetzte Quote nehmen, weil es dann einfach ein Zeitfaktor ist, wie Sie es eingangs schon sagten.
Flüchter: Ich bin für Richtwerte, und ich würde es nie erzwingen, weil es muss in der einzelnen Berufung, in der einzelnen Mitarbeiter*innen-Auswahl schon geschaut werden, wen man haben will. Aber wenn es einen Richtwert gibt, hilft das. Ich finde das Kaskadenmodell sehr gut, dass man eben sagt, so viele Studentinnen und Studenten – und das muss sich widerspiegeln. Ich finde, dass in einem Fach wie Physik, die immer noch sehr viele Probleme haben bei allen Bemühungen, Student*innen zu bekommen, genügend, da kann man nicht die gleichen 50 Prozent ansetzen. Ich finde das Kaskadenmodell in die Zeit hinein wichtig.

"An die Top-Stelle kommen Sie in keinem Unternehmen, wenn Sie den Mund nicht aufmachen"

Schütz: Wenn Sie jetzt auf Ihre Studentinnen blicken oder auf junge Wissenschaftlerinnen, welche Potenziale nutzen die denn auch nicht? Wenn man sagt, okay, die Rahmenbedingungen sind da, aber was müssten die vielleicht auch mehr tun, um stärker sichtbar zu sein, um stärker in diese Position reinzukommen?
Flüchter: Wir müssen die mehr fördern und fordern. Es ist besser geworden, aber es ist nach wie vor so, dass die Studentinnen die stilleren sind, die sich weniger zutrauen, die weniger von sich aus sagen, ich kann das. Wir haben in Bielefeld bei uns in der Abteilung, in der Geschichtswissenschaft, für Bachelor-Studierende ein Programm, das heißt „Blickpunkte“, wo man spezifisch mit jungen Frauen, mit Bachelor-Studentinnen, weil das noch ganz am Anfang ist, darüber redet. Sie müssen halt sich besser darstellen, sie müssen mehr zeigen, was sie können. Und man kann auch nicht erwarten, wenn sie es nicht zeigen, dass man es nicht sieht, aber auch sie müssen es lernen, und wir als Dozentinnen müssen halt einfach die jungen, stillen Mädchen, auch die jungen, stillen Männer und von Diversität im Sinne von „kein Deutsch als Erstsprache“, „Akademiker erste Generation“, wir müssen da viel sensibler werden, diese Leute aufzufordern, diese Studierenden, und zu sagen, was meint ihr denn, und genauer gucken. Jetzt ist es oft so, wenn man die Hausarbeiten am Ende liest, denkt man plötzlich, Mensch, was für eine schöne Hausarbeit, aber den Namen hab ich noch nie gehört.
Schütz: Also Sie sagen, zur Spitzenposition in der Wissenschaft gehört auch ein guter Teil Selbstmarketing?
Flüchter: Na ja, zu Spitzenpositionen gehört immer Selbstmarketing. Sie werden ja auch nicht Vorstandsvorsitzender von Porsche, ohne dass Sie ein Selbstmarketing machen. Ich glaube, manchmal ist die Idee, in der Wissenschaft geht alles um Wahrheit und es geht nur darum, was man geleistet hat. Die Uni ist natürlich ein Arbeitsbetrieb wie andere auch, und ich habe auch bei „Ich bin Hannah“ und ähnlichen Problemen – und ich stimme dem völlig zu, wie schwierig das ist – gesagt, das Problem an der deutschen Uni ist, dass wir fast nur Professoren haben, und das ist eben die Top-Stelle. Und an die Top-Stelle kommen Sie in keinem Unternehmen, wenn Sie den Mund nicht aufmachen und wenn Sie nicht den anderen sagen, was Sie tun. Das kann man so oder so sehen, aber die Uni ist ja kein besonders edler und hehrer Arbeitsort.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.