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"Für den Lernprozess müssen wir uns nicht schelten lassen"

Man wolle die Kernpunkte der Hartz-Reformen nicht über Bord werfen, sondern weiterentwickeln, verteidigt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck die Pläne der SPD. Manche Maßnahmen der Agenda 2010 stünden dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen derart stark entgegen, dass die Politik reagieren müsse.

Kurt Beck im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: "Fairness auf dem Arbeitsmarkt", so ist das Papier überschrieben, das die Sozialdemokraten Anfang der Woche vorgestellt haben. Darin umreißt die SPD-Parteiführung ihre Vorstellung für eine Korrektur der Hartz-Reformen, auch wenn die Sozialdemokraten von Weiterentwicklung sprechen. Zumindest in Teilen ist es eine Abkehr der Agenda-Politik von Gerhard Schröder. Danach soll unter anderem der Anspruch auf Arbeitslosengeld I verlängert werden, auf in der Regel zwei Jahre von bisher in der Regel einem Jahr, wenn sich Arbeitssuchende weiter qualifizieren. Außerdem sollen Hartz-IV-Empfänger ihr gesamtes Vermögen künftig behalten dürfen. Verbunden hat der SPD-Parteichef Gabriel diese Ankündigung mit dem Eingeständnis, viele Menschen hätten die Reformen als unfair empfunden. Die Partei zieht damit die Konsequenz aus den Wahlniederlagen im vergangenen Jahr und vor den wichtigen Wahlen in Nordrhein-Westfalen die Notbremse.
    Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen, mit einem Sozialdemokraten, der schon vor Jahren für Korrekturen der Agenda-Politik gestritten hat. Am Telefon ist der rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Guten Morgen, Kurt Beck.

    Kurt Beck: Schönen guten Morgen!

    Schulz: Was wäre der Partei erspart geblieben, wenn man früher auf Sie gehört hätte?

    Beck: Eine müßige Diskussion, dies jetzt noch einmal rückblickend zu betrachten. Ich bin froh darüber, dass man diese Reformschritte jetzt gegangen hat, weil die Kerngehalte der Agenda-Politik damit nicht über Bord geworfen werden, aber eine notwendige Weiterentwicklung vollzogen wird.

    Schulz: Sie sprechen auch von einer Weiterentwicklung. Es ist aber schon auch eine Abkehr von der Agenda-Politik, oder?

    Beck: Es ist die Erkenntnis, dass wir in einigen Punkten sicher an der Empfindungslage der Menschen vorbeiagiert haben - in dem Sinne, dass man eben beispielsweise, wenn man sehr lange gearbeitet hat, dann seine Arbeit verloren hat, eben nicht einsehen kann als normal denkender Mensch, dass man nur genauso lange Ansprüche auf Arbeitslosengeld I hat wie jemand, der nur ganz kurzfristig gearbeitet hat. Deshalb diese Korrekturen, deshalb dieses Eingehen auf die Gefühlslage und es verbinden mit sinnvollen Weiterentwicklungen in der Weiterbildung, um neue Chancen für Arbeit zu schaffen.

    Schulz: Um das noch mal klarzustellen: Ist der Grund für diese Korrektur denn jetzt, dass die Regelungen arbeitsmarktpolitisch falsch waren, oder - und so deute ich es bei Ihnen gerade -, dass sie gefühlt von vielen einfach nicht gemocht wurden?

    Beck: Ich glaube, wenn etwas sehr tief gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen spricht, dann muss man sagen, das ist mehr als nur die allgemeine Ablehnung von schmerzhaften Korrekturen. Dort muss man hinschauen, ob man richtig agiert hat. Man hat systemkonform gehandelt, aber systemkonform war nicht menschengerecht, und deshalb sind diese Korrekturen jetzt auch richtig.

    Schulz: Und wenn wir über die Vorschläge im einzelnen sprechen: die Vermögensprüfung soll gestrichen werden. Ist das die richtige Entscheidung?

    Beck: Ja, weil es sich gezeigt hat, es sind nur ganz, ganz wenige Fälle, mehrere hundert nur unter zig Tausenden, wo Beanstandungen vorgenommen worden sind gegenüber der freiwilligen Meldung der Leute, also ein Riesen Aufwand und eine gewisse Diskriminierung im Sinne von Hinterfragen der Angaben von Menschen, und wenn das so im Missverhältnis steht, wenige hundert Beanstandungen gegenüber zig Tausenden von Überprüfungen, dann lohnt weder die Bürokratie, noch diese Misstrauenssituation. Ich glaube, das ist richtig, und wenn Menschen sich für das Alter etwas Vermögen angesammelt haben, dann muss dies auch unangetastet bleiben.

    Schulz: Jetzt steht ja die Anzahl der Fälle nicht immer im direkten Verhältnis auch zum Gerechtigkeitsgefühl. Warum soll, wer Hartz IV beantragen will, sich nicht um die Frage kümmern müssen, ob er drei oder vier Häuser hat?

    Beck: Das ist sehr unterschiedlich behandelt in dem Konzept. Ob jemand eine Rücklage macht und ob jemand Vermögen hat und Vermögenswerte einbringen kann, das wird ausdrücklich differenziert betrachtet.

    Schulz: Jetzt ist das Papier überschrieben mit "Fairness auf dem Arbeitsmarkt". Die Korrektur von Fehlern, auch dieses Eingeständnis von Fehlern von Sigmar Gabriel, wie glaubwürdig ist das alles zusammengenommen, wenn einer der Architekten der Agenda-Politik, Frank-Walter Steinmeier, die SPD-Fraktion im Bundestag führt?

    Beck: Wer nicht bereit ist zu lernen und aus Erfahrungen heraus dann auch Korrekturen vorzunehmen, der ist, glaube ich, in der Politik fehl am Platze, wie in anderen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft auch. Also man darf uns schon abnehmen, dass wir nach den Erfahrungen auch der Europawahl, auch der Bundestagswahl natürlich einen Lernprozess eingeleitet haben. Sicher: er war schmerzhaft ausgelöst, aber für den Lernprozess, glaube ich, müssen wir uns nicht schelten lassen.

    Schulz: Aber trotzdem fällt auf, dass der Werbefeldzug jetzt eher in den Händen Sigmar Gabriels liegt. Kann es sein, dass Steinmeier sich auch deswegen zurückhält, weil er vielleicht von all dem gar nicht so überzeugt ist?

    Beck: Nein, das ist sicher nicht der Punkt. Das ist ein Konzept der Partei und die Fraktion und diejenigen, die handeln können - das gilt auch für uns als Länder -, wir werden das uns vornehmen und versuchen, daraus Initiativen zu machen. Aber zunächst einmal ist diese programmatische Weiterentwicklung eine Sache der Partei.

    Schulz: Und gehen die Korrekturen auch weit genug? Die Rente mit 67 sorgt ja auch bei vielen Menschen für Unmut.

    Beck: Das ist ein Punkt, über den wird ja auch parallel dazu nachgedacht, auch nicht im Sinne des Zurückdrehens, sondern im Sinne von mehr Flexibilität für Menschen, die eben nicht einfach bis 67 ihre Aufgabe wahrnehmen können. Darüber wird nachgedacht, aber da muss man auch die notwendigen Fakten und die Lösungsansätze noch sorgfältig miteinander in Einklang bringen.

    Schulz: Nachgedacht heißt übersetzt, die Rente mit 67 wird auch aufgeweicht?

    Beck: Nein, die wird nicht aufgeweicht, sondern sie wird im Sinne dessen, was ich schon einmal vorgeschlagen habe, überdacht, nämlich ob für bestimmte Berufe, wo man mit Sicherheit eben so lange nicht arbeiten kann, dann entsprechende Flexibilitäten eingebaut werden. Das kann genauso gut auch anders herum sein, weil es gibt Menschen, die sind noch fit und die wollen und die können dann auch etwas länger arbeiten, und darauf einzugehen ist ebenfalls eine vernünftige Überlegung.

    Schulz: Und wie soll das alles zu vereinbaren sein auch mit der demografischen Entwicklung? Wer soll das alles erwirtschaften? Es ist ja jetzt schon so, dass die Löhne im Schnitt sinken und die Renten nur wegen dieser Rentengarantie nicht sinken.

    Beck: Na ja, dass die Löhne sinken, hat weltwirtschaftliche Gründe und das hat Gründe, die weiß Gott nicht die Arbeitnehmer oder die Sozialleistungen verursacht haben, sondern das hat Gründe in dieser Weltfinanzkrise und der Gier von Managern, die da unterwegs sind, und so weit wäre es natürlich jetzt geradezu verheerend unter konjunkturellen Gesichtspunkten, wenn jetzt die Rente auch noch gekürzt worden wäre. Ich will daran erinnern: ohne die Sozialdemokraten, die heftig dafür beschimpft worden sind, hätten wir in diesem und wahrscheinlich im nächsten Jahr Rentenkürzungen, und ich stehe ausdrücklich dazu, das wäre auch konjunkturell, sozial ohnehin eine Fehlentwicklung und eine kontraproduktive Entwicklung.

    Schulz: Herr Beck, wenn wir jetzt diese Entwicklungen, diese Diskussion bilanzieren, dann stimmt der Eindruck schon, dann sind die Erwartungen schon eingetroffen, dass sich die SPD nach links bewegt?

    Beck: Das ist, glaube ich, entschuldigen Sie, wirklich eine Betrachtung, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, denn da geht es nicht um rechts oder links, da geht es darum, auf die Lebenssituation der Menschen, auf die Situation der Sozialversicherungen, auf die Situation des Arbeitsmarktes mit angemessenen Antworten einzugehen, und das ist der Versuch. Also das ist keine Rechts-Links-Frage, weiß Gott nicht.

    Schulz: Aber dass Sie Stimmen zurückzugewinnen versuchen wollen, die Sie an die Partei Die Linke verloren haben, das haben wir schon richtig verstanden?

    Beck: Das ist ja auch legitim, und es geht nicht nur um Die Linke, es geht um das Verstehen, unsere Kernwählerschaft für unsere Politik, das Zurückgewinnen für unsere Politik ganz ohne Frage. Aber es geht eben auch darum, eine Teilentwicklung, die so in ihren Folgen von mir zumindest und vielen anderen nicht gewollt war, zu korrigieren, ohne die Grundansätze, beispielsweise dass eben die beiden großen Systeme Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe auf der einen, Sozialhilfe auf der anderen, zusammengeführt worden sind, all diese ganz zentralen Fragen der Korrekturen werden ja nicht zurückgenommen, sondern vorsichtig und menschengerecht korrigiert.

    Schulz: Und ist mit dieser Entwicklung, die Sie skizzieren, eine Zusammenarbeit im Bund mit der Partei Die Linke auch nach dem Rückzug Oskar Lafontaines eher vorstellbar geworden?

    Beck: Das sehe ich überhaupt nicht. Da müssen die sich noch sehr, sehr viel bewegen und ich glaube, dann wären sie Sozialdemokraten, dann hätten sie bei uns wieder ihren Platz. Also darum kann es überhaupt nicht gehen. Es geht um eine Zielbestimmung und um eine Korrektur in einzelnen Schritten der sozialdemokratischen Politik und Vorstellungen, und ich hoffe, dass wir möglichst viel davon durchsetzen. Die Bremser sind im Moment eher bei der Union und bei der FDP zu suchen und es hat keinen Sinn, in andere Richtungen zu schauen.

    Schulz: Kurt Beck, SPD, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, heute in den "Informationen am Morgen". Danke!

    Beck: Danke auch.