Montag, 29. April 2024

Fußball-Europameisterschaft
Warum ein chinesischer Autobauer die EM in Deutschland sponsert

Ein Hauptsponsor der Fußball-EM 2024 steht fest: Es ist der chinesische Autobauer BYD. Offensichtlich überließ die deutsche Autoindustrie der asiatischen Konkurrenz aber bereitwillig das Feld. Die Gründe erklärt "SZ"-Journalist Thomas Kistner im Dlf.

Thomas Kistner im Gespräch mit Astrid Rawohl | 13.01.2024
Das Logo der Fußball-Europameisterschaft 2024, die in Deutschland stattfindet
Die Fußball-Europameisterschaft ist immer auch eine Bühne für internationale Großfirmen, sich als Sponsoren zu präsentieren. Im Sommer 2024 wird in Deutschland allerdings nicht Volkswagen oder Mercedes der Top-Sponsor sein, sondern der chinesische Autohersteller BYD. (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
Verwunderung macht sich breit im Automobilindustrie-Land Deutschland. Denn wenn im Sommer 2024 die Fußball-Europameisterschaft in der Bundesrepublik ausgetragen wird, ist einer der Hauptsponsoren nicht etwa ein deutscher, sondern ein chinesischer Wagenhersteller. Der europäische Fußballverband (UEFA) hat jüngst bekanntgegeben, dass BYD, spezialisiert auf erschwingliche Elektroautos, Top-Sponsor für das EM-Turnier wird.

Werbeplattform für BYD bei Fußball-EM ein "Sechser im Lotto"

Thomas Kistner, Journalist der "Süddeutschen Zeitung", misst dieser Tatsache eine besondere Tragweite bei, wirtschaftlich wie politisch. Im Dlf-Interview erklärt Kistner: "Für den chinesischen Autobauer ist diese Werbeplattform im Kernland der europäischen Fahrzeugkonkurrenz und in einem der Kernländer des westlichen Lieblingssports Fußball natürlich ein Sechser im Lotto."
Schließlich habe BYD noch im Jahr 2023 einen laut Kistner "lächerlichen Marktanteil von 0,1 Prozent auf deutschen Straßen" gehabt, "die haben gerade mal so an die 4.000 Autos verkauft". Als Top-Sponsor hat BYD nun die Möglichkeit, die eigene Bedeutungslosigkeit in Deutschland zum Positiven zu verändern.
Denn durch die vertraglichen Vorzüge als Top-Sponsor des UEFA-Turniers kann der Autobauer aus China eben darauf bauen, dass die eigenen Fahrzeuge über viele Wochen lang in Deutschland vor allem eines sind: sichtbar. Die BYD-Fabrikate werden an den Spielstätten zu sehen sein, dazu auch auf Werbebanden und in zahlreichen TV-Spots.

"UEFA geschockt": Deutsche Autobauer winkten wohl ab

Was zunächst nach einem Kampfangebot des chinesischen Konzerns im Wettstreit um den Status als Top-Sponsor bei der Fußball-EM 2024 klingt, entpuppt sich laut "SZ"-Journalist Kistner aber als ein Agreement ohne große Gegenwehr der deutschen Autobauer. Diese signalisierten offenbar gar kein ernsthaftes Interesse: "In UEFA-Kreisen heißt es, die deutschen Autobauer hätten schon bei den ersten Kontakten sofort abgewunken. Es sei nicht einmal ernsthaft über Preise geredet worden."
Kistner führt aus: "Bei der UEFA sind sie jetzt völlig ratlos, manche sagen geschockt, dass es keine Kooperation mit der deutschen Autoindustrie gibt, die war nämlich durchaus erwünscht. Es gab übrigens auch keine Vorgabe für eine Elektroauto-Lösung. Es ging schlicht um die Werbekategorie Autos – und da hätte natürlich alles gepasst."
Was beim ersten Anschein also wie eine Ohrfeige für die deutsche Automobilindustrie aussieht, lässt Raum für Spekulationen darüber, wieso beispielsweise Volkswagen als Hauptsponsor der Nationalelf oder Mercedes, Audi oder BMW kein Interesse an einem Sponsoring hatten.
Kistner sieht zwei denkbare Aspekte: "Der eine ist der finanzielle. Es ist kaum anzunehmen, dass sich einer oder alle deutschen Autobauer die Chance entgehen ließen, mit einem Engagement als offizieller Fahrzeugausrüster bei der Fußball-Euro in Deutschland eine solche Werbebühne nicht zu nutzen, wenn sich das auch wirtschaftlich halbwegs rechnet. Ist also der Preis zu hoch gewesen? Höchstwahrscheinlich nicht, es wurde ja nichtmal richtig verhandelt."

Kistner sieht Risikofaktoren für Sponsoring der EM

Aus UEFA-Kreisen heiße es, beim Vertragsabschluss mit BYD sei man sogar hinter den eigenen finanziellen Erwartungen zurückgeblieben. Der "SZ"-Journalist fährt fort: "Wenn es also keine reinen Kostenbedenken waren, muss ja etwas anderes mitgespielt haben, wenn eine ganze Branche sofort und kollektiv abwinkt."
Was könnte also die deutsche Autoindustrie abgeschreckt haben? Kistner kann sich vorstellen, dass ein sozialpolitischer Aspekt ausschlaggebend war: "Gerade in Deutschland ist die Nationalmannschaft ein höchst sensibles Thema. Mit ihren Erfolgen hat sie dem Land immer wieder eine neue Identifikation verschafft. 1954 in Bern bis zum WM-Sieg in Brasilien. In so einem sensiblen Umfeld kann man aber auch eine ganze Menge verlieren, zumal, wenn das Turnier zu Hause unter dem gesellschaftspolitischen Brennglas stattfindet."
Und mehrere "gewaltige Risikofaktoren" für eine Enttäuschung bestehen laut Kistner durchaus: "Das bisher permanent schwache Auftreten der Nationalmannschaft samt der Turbulenzen drumherum, dazu ein DFB, der seit Jahren mit sich selbst beschäftigt ist, von Strafermittlung verfolgt wird und in der Verbandsführung, sagen wir es schmeichelhaft, ein konsequent amateurhaftes Bild abgibt. Da lauern gewaltige Untiefen für Werbepartner, zum Beispiel: Wie ist die Stimmung, wenn die DFB-Auswahl im eigenen Land schon in der Vorrunde rausfliegen sollte?"

Fußball-EM in aufgewühlten Zeiten als zu heißes Eisen

Zudem diagnostizierte Kistner ein aufgewühltes politisches Klima in Deutschland, es deute nichts darauf hin, dass sich die politische Lage abkühlen könnte: "Da bieten sich ideale Abspielflächen auch für zweifelhafte Interessen. Insofern ist dieses EM-Turnier offensichtlich auch eine zu heiße Kartoffel – ausgerechnet für die Vorzeigebranche des Industriestandorts Deutschland – geworden."
Was die Zukunft des Sponsorings von Automobilherstellern im Fußball angeht, werde es in Zukunft ohnehin spannend, glaubt Kistner. Denn nach der EM läuft der Sponsoringvertrag des Deutschen Fußball-Bundes mit Volkswagen aus. Die Wolfsburger fahren einen Sparkus, wollen wohl deutlich weniger als die bisherigen 25 Millionen Euro im Jahr bezahlen. Was für den DFB zum Problem werden könnte.