Freitag, 17. Mai 2024

USA und Mexiko
Die fußballerische Rivalität zweier WM-Partner

Die Gastgeber der WM 2026, die USA und Mexiko, bilden seit langem einen gemeinsamen und umkämpften Fußballmarkt. Ihre Verbände konkurrieren um Sponsoren, Medien und Jugendspieler mit doppelter Staatsbürgerschaft.

Von Ronny Blaschke | 14.10.2023
Mexikos Fußball-Nationalspieler Jorge Sanchez (2.v.l.) geht US-Akteur Weston McKennie (r.), dessen Trikot zerrissen ist, an.
In Länderspielen zwischen den USA und Mexiko wird es auch mal hitzig. Die beiden Länder richten zwar gemeinsam mit Kanada die WM 2026 aus, aber die Rivalität ist sonst auf und abseits des Platzes groß. (picture alliance / firo Sportphoto / Mexsport / David LEAH)
Ein Besuch in der Rose Bowl in Pasadena Anfang Juli, in einem der größten Stadien der USA. In wenigen Stunden beginnt hier das Derby zwischen den beiden Fußball-Erstligisten aus Los Angeles, zwischen LA Galaxy und dem LAFC. An den Imbissständen preisen viele Verkäufer ihre Produkte auf Spanisch an, einige von ihnen tragen das grüne Trikot des mexikanischen Nationalteams.
In der Metropolregion Los Angeles leben rund 18 Millionen Menschen, mehr als dreißig Prozent sind mexikanischer Herkunft. Beim ausverkauften Derby von LA wird deutlich, wie sehr der Fußball der USA von den „Latinos“ geprägt wird. Davon möchte auch der mexikanische Fußballverband profitieren.

Fußball bietet Mexikanern in USA emotionalen Raum

„Die mexikanische Nationalmannschaft bestreitet mehr Freundschaftsspiele in den USA als im eigenen Land. Häufig sind die Stadien ausverkauft. Der mexikanische Verband kann in den USA höhere Einnahmen erzielen“, sagt der Journalist Mike Woitalla von der Internetplattform „Soccer America“, der seit Jahren über gesellschaftliche Themen des Fußballs schreibt:

Oft kommen mexikanische Einwanderer in die USA, weil sie sich bessere Arbeitsbedingen erhoffen. Sie fühlen sich weiter mit ihrer Heimat verbunden. Im Fußball können sie diese Emotionen ausleben. Auch deshalb ist die mexikanische Profiliga wohl die meistgesehene Fußballliga im US-Fernsehen.

Journalist Mike Woitalla über die mexikanische Profiliga im US-Markt

Bezahlen, um zu spielen

Auch die Fußballindustrie der USA wirbt um Latinos. US-Medien erweitern ihre Angebote auf Spanisch. Klubs der Major League Soccer verkaufen mitunter Fanartikel in den mexikanischen Landesfarben. Sie laden mexikanische Influencer zu Spielen ein oder organisieren Autogrammstunden in Stadtvierteln mit hoher Latino-Bevölkerung.
Doch viele mexikanische Amerikaner wollen sich nicht auf die Rolle der Konsumenten reduzieren lassen. Sie wollen mitspielen und mitgestalten.
„Bei der Entwicklung von Spielern und Trainern hat sich der US-Fußball lange an England orientiert, manchmal an Deutschland. Aber man schaute nicht südlich der eigenen Grenze, man schaute nicht nach Lateinamerika“, sagt Paul Cuadros. Der Autor und Jugendtrainer befasst sich seit langem mit der Teilhabe von Latinos im US-Fußball.

Bezahlen, um zu spielen: Unter diesem Motto sind in den USA private Fußballklubs entstanden. Mitgliedsgebühren, Reisekosten, Ausrüstung: Für die Eltern von Jugendspielern entstehen hohe Kosten. Latinos, die ein geringeres Durchschnittseinkommen haben, können sich das oft nicht leisten.

Paul Cuadros, Autor und Jugendtrainer, über private US-Fußballklubs

Die Führungsetagen bleiben verschlossen

Erhebungen zeigen, dass Nachwuchsleistungszentren im US-Fußball eher in einkommensstarken und mehrheitlich weißen Gemeinden beheimatet sind. Die Folge: 1994, bei der heimischen WM, stehen fünf Latinos im Kader der USA. Fast 30 Jahre später, bei der WM 2022, sind es nur drei.
Noch geringer ist die Teilhabe auf Entscheidungsebene: Laut dem Antidiskriminierungsnetzwerk Fare geht die Beteiligung von Latinos in Führungsgremien und Trainerstäben kaum über einstellige Prozentpunkte hinaus.
Eine strukturelle Ausgrenzung, die den Fußball seit den Anfängen begleitet, berichtet der Migrationsforscher José Alamillo: „Rassismus gehörte zum Alltag. Die ersten Fußballligen in Los Angeles wollten nur wenige Latinos aufnehmen.“

Nordeuropäische Einwanderer prägen US-Fußball

Bereits in den 1880er Jahren brachten britische Einwanderer den Fußball in die USA. Bei der ersten Weltmeisterschaft 1930 in Uruguay erreichte die ausnahmslos weiße US-Mannschaft das Halbfinale. Auf Jahre hinaus prägen nordeuropäische Einwanderer den Fußball.
Latinos waren im offiziellen Spielbetrieb nicht willkommen und gründeten ab den 1950er Jahren eigene lokale Ligen, erzählt José Alamillo. Er hat diese Entwicklung in seinem Buch „Deportes“ über „die Entstehung einer sportlichen mexikanischen Diaspora“ nachgezeichnet: „Der Sport bot den Einwanderern einen Raum, um sich heimisch zu fühlen. Beim Fußball konnten Mexikaner Freundschaften schließen und Kontakte für Jobs oder Wohnungen knüpfen.“

Gemeinsame Klubwettbewerbe

Heute sind die Fußballverbände aus den USA und Mexiko Partner und Gegner zugleich. Sie organisieren mit Kanada die WM 2026 und sie entwickeln gemeinsame Klubwettbewerbe wie den jährlichen „Leagues Cup“. Zum anderen konkurrieren sie um Fans, Sponsoren und Jugendspieler mit doppelter Staatsbürgerschaft. 
Mehrfach haben die Teams der USA und Mexikos in Los Angeles gegeneinander gespielt. Das Publikum hat meist die mexikanischen Spieler bejubelt. Um mehr Unterstützung für die eigene Mannschaft zu erhalten, verlegt der US-Fußballverband wichtige Heimspiele gegen Mexiko in Städte, wo wenige Latinos leben. Meist in den Bundesstaat Ohio, 2.400 Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt.