Wahlverhalten der "Gen Z"
Wie groß ist der Gender Gap tatsächlich?

Jüngere Frauen und Männer scheinen bei den politischen Einstellungen auseinanderzudriften. Das zeigen Wahlanalysen. Ein genauerer Blick zeigt ein weniger eindeutiges Bild.

    Fridays for Future Demo am 20. September in der deutschen Hauptstadt Berlin
    Wählerinnen der sogenannten Gen Z machen Wahlentscheidungen eher von Themen als von Parteien abhängig, zeigen Studien. (IMAGO / Pond5 Images )
    Die Wahlen in diesem Jahr haben es gezeigt: Junge Frauen und junge Männer driften politisch offenbar in unterschiedliche Richtungen. Während sich jüngere Frauen häufiger einem linkeren, progressiveren Spektrum zuordnen, wählen Männer stärker rechts oder rechtsaußen. Bei der AfD ist die Dominanz männlicher Wähler übergreifend am größten. Doch schaut man genauer hin, ist das Bild deutlich durchmischter.

    Inhalt

    Wie haben Frauen und Männer der "Gen Z" gewählt?

    Bei der Landtagswahl in Sachsen haben 33 Prozent der Frauen unter 25 Jahren Parteien des linken Spektrums - Linke, SPD oder Grüne - gewählt. Bei den jungen Männern stimmten hingegen nur 22 Prozent für diese Parteien. Dafür machten 40 Prozent von ihnen ihr Kreuz bei der AfD, aber nur 21 Prozent der jungen Frauen. Das zeigen Nachwahlbefragungen von Infratest dimap.
    Auch in Thüringen und Brandenburg gibt es laut dem Wahlforscher Roberto Heinrich von Infratest dimap einen knappen Vorsprung des linken Parteiangebots bei jungen Frauen und einen deutlichen Vorsprung bei Parteien aus dem Mitte-Rechts- und extrem rechten Spektrum bei jungen Männern. Das scheint auf einen klaren Links-Rechts-Drift zwischen Männern und Frauen hinzuweisen.

    Warum wählen Frauen und Männer unterschiedlich?

    Veränderte Einstellungen machen beim Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien in Europa offenbar nur einen „sehr, sehr kleinen Teil“ aus, zeigt eine Studie. Und bei den Einstellungen etwa zu Migration oder Umverteilung sähen wir auch keine riesigen Unterschiede zwischen Frauen und Männern, sagt Ansgar Hudde von der Universität Köln. Warum unterscheidet sich dann das Wahlverhalten zwischen den jungen Wählerinnen und den jungen Wählern?
    Die Generation Z knüpft ihre Wahlentscheidung tendenziell eher an Einzelthemen, die den Wählerinnen und Wählern in der aktuellen Situation wichtig sind. Sie wählen dann die Parteien, denen es gelingt, diese Themen zu besetzen, auch wenn sie ansonsten nicht mit der Parteilinie übereinstimmen. Dazu passt auch, dass Jüngere viele kleinere Parteien gewählt haben – bei den Europawahlen in Deutschland ist es etwa jede und jeder Vierte. Welche dieser Einzelthemen für die Wahlentscheidung ausschlaggebend sind - darin unterscheiden sich junge Frauen und junge Männer aber anscheinend oftmals.

    Ergebnisse der Europawahlen bei Jüngeren

    Grafik zeigt das männliche und weibliche Wahlverhalten der GenZ bei der Europawahl 2024 in Sachsen, NRW und Deutschland.
    Stimmabgabe der jüngeren Wählerinnen und Wähler bei den Europawahlen 2024 in Sachsen und NRW sowie ganz Deutschland (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)

    Bei welchen Themen liegen Frauen und Männer auseinander?

    Junge Frauen und Männer setzen bei ihren Wahlentscheidungen also unterschiedliche Prioritäten, was ganz konkrete Themen angeht. Anders als ältere Generationen, wo sich eher Angleichungen zwischen den Geschlechtern abzeichnen. Das zeigt auch ein Blick in die USA: Dort wünschen sich junge Frauen laut einer Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Gallup mehr Umweltschutz, das Recht auf Abtreibung und schärfere Waffengesetze – und wählen deshalb eher links. Ihre gleichaltrigen Geschlechtsgenossen sehen das zwar ähnlich, ziehen aber nicht so stark mit. Für sie mögen deswegen andere Einzelthemen darüber entscheiden, wo sie ihr Kreuz machen.
    In Deutschland zeigt sich das beispielsweise beim Thema Feminismus: Gleichberechtigung ist jüngeren Wählerinnen deutlich wichtiger als ihren gleichaltrigen Geschlechtsgenossen, etwa wenn es um gleiche Bezahlung oder Abtreibung geht, zeigt die Shell-Jugendstudie vom Oktober 2024. Sie wählen deshalb eher Parteien des linken Spektrums. Doch auch hier lohnt ein zweiter Blick: Schaut man nämlich hinter das Schlagwort Feminismus, liegen junge Männer und Frauen, was ihre Einstellungen angeht, gar nicht so weit auseinander. Beispielsweise bei ihrer Haltung zur Kinderbetreuung – auch ein feministisches Thema: Beide wollen, dass man sich die Kindererziehung fair teilt. Doch mögen sich diese Einstellungen nicht unbedingt in einer ähnlichen Wahlentscheidung widerspiegeln.
    Eindeutiger sieht es beim Thema Rechtsextremismus aus: Männer zeigen bei fast allen Merkmalen des Rechtsextremismus, wie zum Beispiel Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus oder Verharmlosung des Nationalsozialismus, deutlich höhere Zustimmungswerte als Frauen. Das zeigt auch die Leipziger Autoritarismus-Studie. Laut der Studie wählen die meisten Leute mit rechtsextremen Weltbild nach eigenem Bekunden die AfD.

    Warum sind die Wahlergebnisse doch nicht so eindeutig?

    Generelle Aussagen über das Wahlverhalten junger Männer und Frauen greifen oft zu kurz. Das zeigt auch ein Blick auf die Ergebnisse der Europawahl 2024. Damals haben etwas über 20 Prozent der jungen Männer in Deutschland die AfD gewählt. Das sind zwar im Vergleich zu den jungen Frauen fast doppelt so viele.
    Trotzdem darf man nicht übersehen: Knapp 80 Prozent der jungen Männer haben ihr Kreuz woanders gemacht. Darauf verweist der Soziologe Ansgar Hudde von der Universität Köln. Unter den knapp 80 Prozent seien viele Männer mit sehr progressiven Einstellungen. Auf eine ähnliche Tendenz deuten auch die Ergebnisse der Shell Jugendstudie hin: Neben dem Rechtsdrift versteht sich ein anderer Teil junger Männer als dezidiert links.
    Auch bei den jungen Wählerinnen lohnt sich ein genauerer Blick auf das Ergebnis der Europawahl: Zwar haben im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen weniger die AfD gewählt. Trotzdem hat die rechtspopulistische Partei auch bei den Wählerinnen unter 25 deutlich zugelegt. Das werde gern übersehen, sagt Hudde. So stimmten bei der Europawahl 2019 noch 3,8 Prozent für die AfD, 2024 waren es laut Infratest elf Prozent. Das Wählen von AfD oder anderen rechtsradikalen Parteien sei „alles andere als ein reines Männerphänomen“, betont der Soziologe.

    Landtagswahlen 2024 anhand der Nachwahlbefragung

    Grafik zeigt das männliche und weibliche Wahlverhalten der GenZ bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.
    Die AfD hat nicht nur bei männlichen, sondern auch bei weiblichen Wählern deutlich zugelegt. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann / picture-alliance / Patrick Pleul / Chromeorange / Udo Herrmann)
    Auch die Ergebnisse der Landtagswahlen zeigen, dass Aussagen zum Gender Gap in der "Gen Z" nicht so ohne Weiteres getroffen werden können. Allein schon, weil das Parteienspektrum sich nicht mehr eindeutig in rechts und links einteilen lässt: beispielsweise das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das bei jungen Wählerinnen besonders gut ankam. „Experten würden sagen: Wirtschaftspolitisch eher Mitte-links, gesellschaftspolitisch eher in der Mitte bis Mitte-rechts und außenpolitisch noch einmal ganz anders“, sagt Soziologe Ansgar Hudde. Junge Frauen scheinen also nicht in dem Maß nach links zu tendieren wie angenommen. Und junge Männer lassen sich nicht alle auf den Nenner AfD-Wähler bringen.

    Welche Rolle spielt das Parteienangebot?

    Junge Wählerinnen und Wähler scheinen dynamischer in ihrem Wahlverhalten zu sein als ältere Generationen. Mit einem erweiterten neuen Angebot auf dem Parteienmarkt finden bestimmte Einstellungen eine andere Heimat.
    Der AfD und dem BSW als (relativ) neuen Parteien ist es gelungen, Einzelthemen zu besetzen, die offenbar auch junge Wählerinnen und Wähler ansprechen. Das kann sich aber auch wieder ändern, sagt der Soziologe Ansgar Hudde. Denn "wir leben in politisch sehr, sehr volatilen Zeiten". Die Muster könnten in ein paar Jahren wieder ganz anders aussehen.

    tha