Studie zum Wahlverhalten
Wo „typisch deutsch“ gewählt wird

Das Wahlverhalten in Deutschland wird meist in Stadt versus Land eingeteilt. Diese Sicht ist zu ungenau. Der Soziologe Ansgar Hudde hat erstmals flächendeckend analysiert, wie in Deutschlands kleinsten Wahleinheiten, den Stimmbezirken, gewählt wird.

    Ein Turm steht umgeben von grünen Hügeln, im Hintergrund ist eine kleine Stadt zu sehen.
    Welche Orte und Wahlbezirke kommen dem Wahlergebnis auf Bundesebene besonders nah? Meist sind es Klein- und Mittelstädte. (picture alliance / imageBroker/ Manuel Kamuf)
    Wo soll man hinblicken, wenn man politischen Trends und Entwicklungen auf die Spur kommen möchte: Sollte man sich in Großstädten oder lieber auf dem Land umhören? Gibt es überhaupt Orte in Deutschland, die „typisch deutsch“ sind – in denen sich also in ziemlich verlässlicher Regelmäßigkeit das gesamte bundesdeutsche Wahlverhalten widerspiegelt? Hängt unser Wahlverhalten wirklich so sehr vom Wohnort ab? Erstaunlicherweise: ja.

    Inhalt

    In welchen Orten wird ähnlich dem bundesdeutschen Trend gewählt?

    Der Soziologe Ansgar Hudde hat untersucht, welche Orte und Wahlbezirke dem Wahlergebnis auf Bundesebene besonders nah kommen – und welche diesem besonders fern sind. Das Ergebnis: Es sind Klein- und Mittelstädte, die beim Wahlverhalten als „typisch deutsch“ gelten können. Orte, die in Stadt-Land-Debatten oft untergehen. Viele liegen in Westdeutschland, im Rhein-Main-Gebiet. Beispielsweise Maintal bei Frankfurt. Häufig findet sich das Wahlmuster aber auch in den Randgebieten großer Städte, in den Pendlervororten.
    Etwa zwei Drittel der Wählerschaft lebt in solchen Orten. Die dortige Bevölkerung gilt als relativ durchschnittlich, was Alter, Einkommen und Bildung angeht. Hier wird mit erstaunlicher Konstanz entsprechend dem bundesdeutschen Trend gewählt, während andere Orte mit großer Regelmäßigkeit stark vom bundesdeutschen Trend abweichen.

    Wo wird in Deutschland wie gewählt und welche Wahlmuster gibt es?

    Der Soziologe Ansgar Hudde hat in seinem Buch "Wo wir wie wählen" vier Wahlmuster identifiziert: Zum einen Nachbarschaften, die dem bundesdeutschen Trend entsprechen. Diese nennt der Soziologe „Typischdeutschland“. Außerdem gibt es Orte, in denen sowohl AfD als auch Linkspartei sehr stark sind. Dann Regionen mit konservativem Wahlmuster und Regionen mit Links-Grün-Wahlmuster.
    Das links-grüne Wahlmuster findet man eher in zentrumsnahen Gebieten von Großstädten. Beispielsweise in zwei Stadtteilen in Leipzig oder in Freiburg, im Stadtteil Vauban. Dort liegen die Grünen allein bei über 60 Prozent. Aber auch in kleineren Städten wie Tübingen lässt sich ein solches Wahlmuster erkennen. Entscheidend ist: Die Orte haben eine Universität.
    Das konservative Wahlmuster findet sich vor allem in Bayern, wo CSU und die Freien Wähler sehr stark sind und wo sich die Leute – laut Hudde – gern bodenständig oder heimatverbunden nennen.
    Das AfD-trifft-Linke-Wahlmuster findet sich in Ostdeutschland, im Saarland und im Ruhrgebiet. Bezeichnend ist, dass die AfD hier jeweils sehr dominant ist. Demgegenüber steht Die Linke mit einem relativ starken Ergebnis. Charakteristisch für viele dieser Orte ist, dass die Bewohnerschaft vergleichsweise alt ist. Es gibt weniger Akademiker und die Einkommen sind niedriger.

    Wie konstant sind lokale Muster von Wahlergebnissen?

    Auf dem Land wird eher konservativ gewählt, in Universitäts-Städten eher links-grün: Diese Wahlmuster scheinen wenig überraschend. Was hingegen schon erstaunlich ist: Auch wenn sich bundesdeutsche Wahlergebnisse extrem verschieben und es immer mehr Wechselwählerinnen gibt. Eines bleibt sehr konstant:
    Orte, in denen heute stark entsprechend dem bundesdeutschen Wahlergebnis gewählt wird, wählten bereits vor 20 Jahren nahe am Bundestrend. Und Orte, die stark von den bundesweiten Wahlergebnissen abweichen, tun dies ebenfalls relativ konstant immer wieder, über Jahrzehnte hinweg. Die geografische Lage von politischen Milieus verändert sich also kaum – trotz Parteineugründungen wie AfD oder BSW.
    Insofern lohnt es sich, den Randbezirken und Kleinstädten mehr Aufmerksamkeit zu schenken, wenn man wissen möchte, was bundesweit gerade bewegt.
    Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass Wählerinnen und Wähler mancher Regionen sich bei Bundestagswahlen immer wieder nicht wirklich repräsentiert sehen. Das könne auch zu Frustration führen, sagt der Soziologe Hudde. „Ich war in Gera unterwegs und bei der letzten Bundestagswahl haben dort AfD und BSW zusammen über 50 Prozent der Stimmen erhalten. Das bedeutet auch: Egal, welche Koalition am Ende rausgekommen wäre, in Gera wird die nie eine Mehrheit hinter sich haben.“ Ein solches Gefühl mangelnder Repräsentation kann das Vertrauen in die Demokratie erschüttern.

    Wie sinnvoll ist der Begriff „Typischdeutschland“?

    Auch wenn die Studie einiges über den Zusammenhang von Wohnort und Wahlverhalten offenbart, warnt die Soziologin Katrin Großmann vor einer pauschalen Einteilung in „Typischdeutschland“ und vermeintliche Abweichungen davon. Vor allem die Betonung, das typische Deutschland liege im Westen, sieht sie kritisch.
    Damit würden Menschen mit Ostbiografie als „Ausreißer“ und Abweichung von einer Norm gelten. Sie nehme als Soziologin eher andere Fragen in den Blick: „Wo sitzt die Gestaltungsmacht? Was sind Verteilungsproblematiken?“ Gerade kleine Kommunen würden in Finanzproblemen stecken. Deswegen fordert sie eine Staatsreform, die den Kommunen wieder mehr Handlungsfähigkeit und mehr Selbstbestimmung ermöglicht.

    Welche Daten hat der Soziologe Ansgar Hudde für sein Buch „Wo wir wie wählen“ untersucht?

    Für die Studie wurde das Wahlverhalten sehr kleinteilig, auf der Ebene der Stimmbezirke untersucht. Davon gibt es etwa 94.000. Das sind mitunter nur ein paar Straßenzüge, man könnte auch Nachbarschaften sagen.
    Hudde hat sich dabei auf die Wahl 2021 konzentriert, zum Vergleich aber auch ein paar Jahrzehnte zurückgeschaut und die Ergebnisse der Neuwahlen im Februar 2025 einbezogen. Zusätzlich hat er für einige Nachbarschaften noch Bevölkerungsstatistiken ausgewertet: Alter, Bildung, Einkommen.

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