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Wind auf See
Wie die Bundesregierung den Offshore-Ausbau beschleunigen will

Bis 2030 will die Bundesregierung die Offshore-Windenergie in Deutschland vervierfachen - ein riesiges politisches und wirtschaftliches Großprojekt. Kann das so schnell gelingen?

Von Ann-Kathrin Büüsker und Axel Schröder |
Windenergie - Offshore-Windpark
Viel Hoffnung ist auch mit der Offshore-Windkraftnutzung auf See verbunden: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll in nur acht Jahren, also bis 2030, zu 80 Prozent den deutschen Strombedarf decken. (pa/Zoonar)
„Und das ist doppelt bedruckt. 600 Seiten Gesetze haben wir heute vorgelegt. Es dürfte sich damit um das größte energiepolitische Gesamtpaket der letzten zwei Jahrzehnte handeln.“
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck am 6. April 2022 bei der Vorstellung des sogenannten "Osterpakets" der Bundesregierung.
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck am 6. April 2022 bei der Vorstellung des sogenannten "Osterpakets" der Bundesregierung. (pa/AP/Michael Sohn)
Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hatte im April einen dicken Papierstapel mit in die Bundespressekonferenz gebracht, um sein sogenanntes Osterpaket vorzustellen. Mit verschiedenen Gesetzen soll der Ausbau der Erneuerbaren Energien vorangebracht werden – sodass diese in nur acht Jahren, also 2030, zu 80 Prozent den deutschen Strombedarf decken. Während über die Gesetze zum Windkraftausbau an Land seitdem umfangreich diskutiert wurde, bleibt eine zentrale Säule bislang weitgehend unbeachtet: der Ausbau der Windkraft auf See.

„Für Offshore sind die Zahlen so, dass wir 2030 30 Gigawatt erreichen wollen, 2035 40 Gigawatt und 2045 70 Gigawatt. Um das hinzukriegen, greifen wir auch im Offshore-Bereich zu unkonventionellen Mitteln. Wir schreiben auch noch nicht erschlossene Flächen aus, sodass die Firmen selbst sie dann entwickeln können“, kündigte Habeck im April an.

Vervierfachung der Offshore-Windenergie

Das wäre ein enormer Zuwachs in der deutschen See, der sich vor allem auf die Nordsee konzentrieren würde. Aktuell sind nach Angaben des Bundesverbandes der Windparkbetreiber Offshore 7,8 Gigawatt in Deutschlands ausschließlicher Wirtschaftszone installiert. Wenn es gelingt, bis 2030 die 30 angepeilten Gigawatt zu erreichen, wäre das fast eine Vervierfachung der Offshore-Windenergie.
Katrin Uhlig, Bündnis 90/Die Grünen, bei einer Rede im Rahmen der Debatte zur Absenkung der Kostenbelastungen durch die EEG-Umlage im Bundestag 17.03.2022.
Eine Vervierfachung der Offshore-Windenergie bis 2030 hält Grünen-Politikerin Katrin Uhlig für möglich, sofern die Vorbereitung und Begleitung gut läuft. (pa/photothek)
Ambitioniert, sagt auch Grünen-Politikerin Katrin Uhlig, die die Verhandlungen über das Gesetz auf Fraktionsebene geführt hat: „Ich denke, dass sie erreicht werden können. Wir müssen einiges dafür tun und müssen natürlich den Prozess gut begleiten, um gegebenenfalls nachsteuern zu können.“

Michael Kruse, Uhligs Pendant auf FDP-Seite, ist in seiner Kommunikation etwas selbstbewusster: „Das ist das beste Offshore-Gesetz, das Deutschland je gesehen hat.“
Die Statistik zeigt den Anteil der einzelnen Energieträger an der Nettostromerzeugung in Deutschland im Jahr 2020.
Die Nettostromerzeugung beschreibt die insgesamt erzeugte Strommenge abzüglich des Eigenenergiebedarfs der Kraftwerke. Im Jahr 2020 wurden rund 17 Prozent des in Deutschland erzeugten Nettostroms aus dem fossilen Energieträger Erdgas gewonnen. (Deutschlandfunk / Andrea Kampmann)
Gerade die hohe Verfügbarkeit der Windenergie auf hoher See kann aus seiner Sicht einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaneutralität im Energiesektor leisten.

„Offshore-Wind kann damit dafür sorgen, dass es nicht nur im Bereich des Stroms für Verbraucher eine wichtige Grundlage darstellt, sondern es ist eben auch das Rückgrat der Energiewende für die produzierende Industrie und für die energieintensive Industrie in Deutschland.“
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Schneller werden bei der Energiewende

Die FDP hatte sich deshalb dafür stark gemacht, einen sogenannten Industriestrompreis einzuführen, der Unternehmen den direkten und garantierten Bezug grüner Energie aus Offshore-Anlagen ermöglicht. Der Industriestrompreis wird bei der Vergabe von voruntersuchten Flächen angewendet, also den Flächen, die vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie geprüft und als für den Ausbau geeignet festgestellt wurden.
FDP-Politiker Michael Kruse spricht im Bundestag zum Ausbau erneuerbarer Energien und zum Energiewirtschaftsrecht.
Der FDP-Politiker Michael Kruse sagt: "Offshore-Wind ist das Rückgrat der Energiewende für die produzierende Industrie und für die energieintensive Industrie in Deutschland". (picture alliance / Flashpic)
Künftig werden aber auch nicht voruntersuchte Flächen ausgeschrieben – ein Beitrag zur Beschleunigung des Verfahrens, sagt Grünen-Politikerin Uhlig: „Wir müssen einfach schneller werden insgesamt bei der Energiewende, das war in den letzten Jahren viel zu langsam.“

Bei diesen Flächen müssen die Unternehmen selbst den Baugrund prüfen. Erst danach beginnen die Behörden mit den regulären Genehmigungsverfahren. Das biete durchaus den Vorteil, dass es schneller gehe, sagt Simon Müller, Leiter des Thinktanks Agora Energiewende: „Der Nachteil ist, die Projektentwickler kaufen so ein bisschen die Katze im Sack. Die müssen also selber schauen, was ist denn da in Bezug auf die Umweltbedingungen, den Naturschutz los. Und entsprechend ist es dann mehr oder weniger einfach, diese Projekte auch umzusetzen.“
Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer: Offshore-Windanlagen zwischen Neuharlingersiel und Spiekeroog.
Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer: Offshore-Windanlagen zwischen Neuharlingersiel und Spiekeroog. (pa/dpa)
Ausgeschrieben werden die Flächen ab 2023, zu Gebotsterminen im Juni beziehungsweise August. Wie viel ein Unternehmen zu zahlen bereit ist, entscheidet dabei in hohem Maße darüber, wer am Ende den Zuschlag bekommt. Diskussionen gab es in der Ampel-Koalition in den parlamentarischen Beratungen darüber, wie sehr der Staat den Unternehmen bestimmte Risiken abnehmen soll – durch sogenannte Differenzverträge. Hier garantiert der Staat einen bestimmten Preis pro erzeugter Kilowattstunde Windenergie für die Unternehmen.

Interessen von Unternehmen, Staat und Verbrauchern

Wegen des Widerstands der FDP wurde dieses Instrument aus dem Gesetz gestrichen – dabei wäre es aus Sicht von Energieexperte Simon Müller ein gutes Instrument gewesen, die Risiken für die Investitionen zu minimieren: „Da wird eine Ausschreibung gemacht und die Leute, die sich auf die Ausschreibung bewerben, sagen, alles klar, ich möchte gerne dieses Einkommen haben pro Kilowattstunden, die ich erzeuge, das ist genug, dass ich meine Kosten decke. Wenn der Markterlös niedriger ist, bekomme ich die Differenz ausgezahlt, dann krieg ich Geld vom Staat. Andersherum, wenn die Strompreise höher sind, wie jetzt zum Beispiel, muss ich das Geld dem Staat zurückgeben.“

Doch genau darin sieht Energiepolitiker Kruse von der FDP das Problem. Er ist der Ansicht, „dass diese Differenzverträge in unterschiedlichen Konstellationen entweder große Gewinne produzieren können beim Staat. Aber sie können eben auch dazu führen, dass der Staat zusätzliche Kosten zu tragen hat. Und das steht diametral entgegen dem übergeordneten Ziel, nämlich, dass die Erneuerbaren Stück für Stück in den Wettbewerb entlassen werden.“
Monteure verankern eine 18 Meter hohe Anlage mit schwimmenden Windrädern im Greifswalder Bodden. Bisher sind Off-Shore-Anlagen fest auf Stahlgestellen im Meeresgrund verankert. Im späteren Regelbetrieb auf dem Meer sollen die Windräder eine Höhe von 180 Metern aufweisen.
Monteure verankern eine 18 Meter hohe Anlage mit schwimmenden Windrädern im Greifswalder Bodden. Bisher sind Off-Shore-Anlagen fest auf Stahlgestellen im Meeresgrund verankert. Im späteren Regelbetrieb auf dem Meer sollen die Windräder eine Höhe von 180 Metern aufweisen. (pa/dpa-Zentralbild)
Wettbewerb ist ein maßgebliches Stichwort des neuen Wind-auf-See-Gesetzes. So werden etwa Erschließungskosten für neue Offshore-Gebiete, die vorher die Allgemeinheit getragen hatte, durch das neue Gebotsverfahren künftig von den Energiekonzernen übernommen, erklärt Grünenpolitikerin Katrin Uhlig. Es gibt also keine Deckelung der Gebote, wie von den Konzernen gewünscht: „Es ist so, dass bei der Offshore-Windenergie die Gesellschaft sehr in Vorleistung geht, die Flächen voruntersucht, Netzanschlüsse bereitstellt, investiert, damit dann Offshore-Windparks angeschlossen werden können. Und es hat sich gezeigt, dass diese Flächen dann durchaus den Unternehmen auch etwas wert sind, weil wir ja quasi die Infrastruktur als Gesellschaft bereitstellen und dafür sollen dann auch die Unternehmen etwas zahlen, die dann hinterher den Offshore-Windpark dort bauen und natürlich auch Profite haben.“

Harte Gesetzes-Kost

Die so eingenommenen Gelder fließen anteilig in Maßnahmen für Naturschutz, umweltschonende Fischerei und die Senkung der Offshore-Netzumlage. Diejenigen, die die ambitionierten deutschen Offshore-Pläne umsetzen sollen, sind trotz aller Euphorie der Ampelkoalition nur verhalten optimistisch, dass diese Pläne aufgehen werden.

Aber immerhin gebe es nun das versprochene „Wind-auf-See-Gesetz“, sagt Jörg Kubitza, Deutschlandchef des Offshore-Wind-Weltmarktführers Ørsted: „Das ist doch positiv! Und das in der Zeit, in der es versprochen worden ist. Die Industrie kann nach vorne gucken und die Industrie darf sich auf einen blühenden deutschen Offshore-Markt einstellen. Denn nächstes Jahr sollen acht Gigawatt ausgeschrieben werden. Das finden wir positiv!“

Allerdings seien das neue Gesetz und die Vielzahl der darin enthaltenen, oft komplexen Neuerungen selbst für Profis wie Jörg Kubitza harte Kost. Absatz für Absatz wird das „Wind-auf-See-Gesetz“ nun von den juristischen Abteilungen der Offshore-Unternehmen unter die Lupe genommen.

Bei den Gebotsverfahren für Windparkflächen auf Nord- und Ostsee geht es für die Unternehmen um langfristige und milliardenschwere Investitionen. Trotz der Komplexität des „Wind-auf-See-Gesetzes“ sei aber schon heute klar: die Regularien für die Auktionsverfahren würden die Offshore-Unternehmen finanziell massiv belasten.
Ein Arbeitsschiff steht auf Stelzen zwischen Windrädern, die in der Ostsee zwischen den Inseln Rügen und Bornholm errichtet wurden - im Vordergrund der Windpark "Arkona" etwa 35 Kilometer nordöstlich von Rügen mit einer Leistung von 385 Megawatt.
Ein Arbeitsschiff steht auf Stelzen zwischen Windrädern, die in der Ostsee zwischen den Inseln Rügen und Bornholm errichtet wurden - im Vordergrund der Windpark "Arkona" etwa 35 Kilometer nordöstlich von Rügen mit einer Leistung von 385 Megawatt. (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
„Sicherlich sind die Gebotselemente, ein ‚Uncapped Concession Payment‘, also ein Konzessionshandel, der nach oben nicht limitiert ist, ein Problem in jedem Business-Case. Weil sie nicht wissen, wie vernünftig oder unvernünftig mathematisch, spieltheoretisch die anderen Mitbewerber bieten werden.“

Auch in anderen Ländern werden Offshore-Windflächen versteigert. Häufig aber mit einem Unterschied. In den Niederlanden zu Beispiel, gebe es eine Höchstgrenze für die Gebote. In Deutschland gibt es dieses Limit nicht.

„Es hat ja nichts damit zu tun, wie der wahre Wert der Fläche ist. Sondern es hat etwas damit zu tun, wie sehr der einzelne Bieter die Fläche braucht, für wie wertvoll er die Fläche für sich einschätzt. Es hat mit Wirtschaftlichkeit nichts zu tun. Da sehe ich eine große Gefahr.“

Am Ende, so der Offshore-Wind-Manager Jörg Kubitza, würden die Mehrausgaben, die schon beim Erwerb der Flächen anfallen, die Gesamtkosten für die Windparks und damit auch für den Strom vom Meer künstlich erhöhen. Für diese Mehrkosten müssten am Ende die Verbraucherinnen und Verbraucher oder Industriekunden aufkommen. Dennoch entscheidet nicht allein der Preis darüber, wer den Zuschlag für eine Offshore-Windfläche bekommt.
Fundamente für Offshore-Windanlagen im Seehafen von Rotterdam: Auf diesen Rohren, die im Seeboden in bis zu 60 Metern Wassertiefe verbaut werden, werden Windkraftanlagen montiert.
Fundamente für Offshore-Windanlagen im Seehafen von Rotterdam: Auf diesen Rohren, die im Seeboden in bis zu 60 Metern Wassertiefe verbaut werden, werden Windkraftanlagen montiert. (pa/Jochen Tack)
Wer nachweisen kann, dass die Zulieferfirmen für den Offshore-Windpark besonders nachhaltig, z.B. CO2-frei produzieren, hat bessere Chancen. An sich sei das einen gute Idee. Einfacher werde die auf Jahre angelegte Planung der Windparks dadurch nicht, glaubt Catrin Jung, Leiterin des Bereichs Offshore-Windkraft bei Vattenfall: „Da müssen wir natürlich, wenn wir teilnehmen wollen an der Auktion, auf die Hersteller zugehen, was sie denn im Moment für eine Verwendung von Grünstrom oder grünem Wasserstoff haben und, was sie vorhaben in 2027, wenn dann der Windpark in den Bau geht. Und daraufhin müssen wir uns dann in den qualitativen Kriterien verpflichten, um eine bestimmte Punktanzahl zu bekommen.“

Bevor das „Wind-auf-See-Gesetz“ verabschiedet wurde, hatten Catrin Jung von Vattenfall und der Ørsted-Manager Jörg Kubitza ihre Bedenken in Berlin vorgebracht. Durchgedrungen sind sie nicht.

Der deutsche Markt und die Konkurrenz

Vor allem die FDP hätte am Höchstgebotsverfahren festhalten wollen, heißt es. Zumindest Vattenfall, einer der größten Player im Offshore-Windgeschäft, werde sein Engagement auf dem deutschen Markt nun eher zurückfahren als ausbauen, meint Vattenfall-Managerin Jung: „Ich würde im Moment Vorteile in den regulatorischen Bedingungen in anderen Ländern sehen. Zum Beispiel in den Niederlanden. Wir werden uns auch verstärkt in Richtung der nordischen Märkte orientieren, die unsere Heimatmärkte sind, insbesondere auch Schweden, wo wir uns freier bewegen können und uns auch freier Flächen suchen können. Der deutsche Markt ist für uns damit um einiges schwieriger geworden.“

Ganz ausschließen will Catrin Jung aber nicht, dass sich auch Vattenfall um Flächen in der deutschen Nord- und Ostsee bemühen wird. Wenn die Auktionen losgehen, wird Ørsted aus Dänemark auf jeden Fall dabei sein, sagt Deutschland-Chef Jörg Kubitza. Trotzdem bleibt er skeptisch, ob das Ziel, bis 2030 Offshore-Windparks mit einer Leistung von 30 Gigawatt zu errichten, wirklich erreicht wird.

Er fürchtet, nicht alle verfügbaren Flächen könnten tatsächlich verkauft werden: „Ich hoffe nicht, dass der Markt nächstes Jahr so unattraktiv ist, dass wir nicht alle bieten. Und das wir dann plötzlich mit drei, vier, fünf Gigawatt nicht verauktionierten Flächen dastehen. Denn dann wird es am Ende bis 2030 richtig eng. Dann kriegen es bestimmt nicht mehr hin, die Energietransformation und die Versorgungssicherheit durch Offshore-Wind herzustellen.“
Doch vom Klagen der Energiekonzerne will sich FDP-Energiepolitiker Michael Kruse nicht beirren lassen: „Nein, ich glaube der deutsche Markt ist ein sehr attraktiver Markt, weil er sehr gute Rahmenbedingungen liefert, dadurch dass wir einen konstanten Absatzmarkt haben, dadurch dass es sehr große Nachfrage nach dem erneuerbaren Strom gibt und insbesondere nach dem Offshore-Strom, insofern habe ich keine Sorge, dass wir den Ausbau nicht hinbekommen würden, ganz im Gegenteil.“

Sicherheit darüber wird es allerdings erst im kommenden Jahr geben, wenn sich zeigt, ob Unternehmen bei den Auktionen um Offshore-Flächen mitbieten oder nicht.

Wo und unter welchen Rahmenbedingungen Windparks auf Nord- und Ostsee gebaut werden dürfen, entscheidet das BSH. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie erstellt die Raumordnungspläne auf dem Meer und überwacht auch die Bauarbeiten. So müssen beispielsweise bei jeder sogenannten Rammung eines Windradfundaments umfangreiche Schutzmaßnahmen für Schweinswale getroffen werden.
Schweinswale für Forschung auf Schneidetisch gespült
Untersuchung der Todesursache eines angespülten Schweinswals. Die Tiere wurden im Spätsommer 2021 massenhaft auf den Watteninseln angespült. (pa/ANP/Robin van Lonkhuijsen)
Kollisionsrisiko für Schiffe

Die BSH-Abteilung M5 „Ordnung der Meere“ leitet Nico Nolte. Bisher hat seine Abteilung Flächen für Windparks mit einer Leistung von 57,5 Gigawatt ausgewiesen. Zur Erinnerung: Bislang sind nur 7,8 Gigawatt installiert. Soll das Ziel der Bundesregierung – 70 Gigawatt Offshore-Windstrom bis 2045 – erreicht werden, müssten auch Meeresgebiete genutzt werden, die bis zu 300 Kilometer von der Küste entfernt liegen.

Dann brauche es Vorkehrungen, um einen sicheren Schiffsverkehr in deutschen Gewässern zu gewährleisten, so Nico Nolte: „Wenn das Kollisionsrisiko deutlich hochgesetzt wird, ordnet das BSH an, dass der Betreiber eines Windparks einen privaten Not-Schlepper zur Verfügung halten muss, damit eben driftende Fahrzeuge, die manövrierunfähig sind, nicht mit dem Windpark kollidieren.“

Das könnte teuer für die Unternehmen werden – oder für den Bund. Denn völlig offen ist bislang, wer die Kosten für diese Notfall-Infrastruktur übernehmen muss.


Umweltverbände sind alarmiert

Klar ist dagegen: Ab 2030 wird es langsam eng auf Nord- und Ostsee. Und wenn bis 2045 tatsächlich Offshore-Windparks mit einer Leistung von 70 Gigawatt entstehen sollen, müssen auch Kabeltrassen durch den Nationalpark Wattenmeer verlegt werden, so Nico Nolte vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie: „Ein anderer Bereich, der mit einem Gutachten zu prüfen ist, ist die Frage, ob in dem Naturschutzgebiet ‚Doggerbank‘, ganz weit entfernt von der Küste, zukünftig eine Bebauung mit Offshore-Windenergie naturschutzrechtlich und naturschutzfachlich möglich ist. Aber das muss wirklich sehr intensiv geprüft werden.“
BUND-Aktion gegen Müll am Strand mit Meeresschutzexpertin Nadja Ziebarth
Meeresschutzgebiete in die Offshore-Planung einzubeziehen, hält Meeresschutzexpertin Nadja Ziebarth vom BUND angesichts des Zustands der Meere für völlig inakzeptabel. (pa/dpa/Jens Büttner)
Theoretisch macht es das Wind-auf-See-Gesetz möglich, auch Meeresschutzgebiete in die Offshore-Planung einzubeziehen. Als allerletzte Option, wie Katrin Uhlig von den Grünen betont. Dennoch: Umweltverbände sind alarmiert.

„Das ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel. Ein Schutzgebiet kann kein Offshore-Windparkgebiet sein“, sagt Nadja Ziebarth, Leiterin des BUND-Meeresschutzbüros in Bremen. „Also aus unserer Sicht, des BUND, ist das Ausbauziel mit dem Zustand der Meere, der Nord- und Ostsee nicht vereinbar“, erklärt Ziebarth mit Verweis auf den ohnehin schlechten Zustand der Meere.

Der BUND hält einen Ausbau von maximal 15 Gigawatt Offshore-Leistung für naturschutzverträglich. Kabeltrassen durch das Wattenmeer könnten aus Ziebarths Sicht zu einer erheblichen Schädigung des Ökosystems führen, mit Auswirkungen etwa auf dort rastende Zugvögel. „Das Wattenmeer ist ein UNESCO Weltnaturerbe und es ist sowieso ein Gebiet, dass durch den Klimawandel stark ich sag mal beansprucht ist.“
Tatsächlich könnte die Nutzung von Schutzgebieten für den Offshore-Ausbau auch rechtlich problematisch werden. Die Doggerbank etwa unterliegt als Fauna-Flora-Habitat auch europäischen Naturschutz-Richtlinien.

Obwohl im neuen Gesetz festgeschrieben ist, dass Erneuerbare Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen, könnte es hier zu rechtlichen Konflikten kommen, die Standorte für Investoren weniger attraktiv machen könnten. Dennoch – die Sorge um die Schutzgebiete ist groß. Dass ein Teil der Einnahmen aus den Flächenauktionen des Bundes dem Naturschutz zugutekommen soll, ist für Umweltschützerin Nadja Ziebarth vom BUND überhaupt kein Trost: „Das hilft uns nichts, wenn keine Natur mehr da ist, wo wir auch sinnvolle Naturschutzmaßnahmen anwenden können.“
2016 besuchte der damalige Schleswig-Holsteins Umweltminister von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, die Forschungsplattform FINO3 zum Bau und Betrieb von Windkraftanlagen in der Nordsee.
2016 besuchte der damalige Umweltminister Schleswig-Holsteins, Grünen-Politiker Robert Habeck, die Forschungsplattform FINO3 zum Bau und Betrieb von Windkraftanlagen in der Nordsee. (pa/dpa/Daniel Reinhardt)
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Grünen-Politikerin Katrin Uhlig ist dennoch überzeugt, dass der Ausbau der Offshore-Windkraft in der Abwägung zwischen Natur- und Klimaschutz die richtige Entscheidung ist: „Es gibt keine Energieversorgung, die nicht in Umwelt und Natur eingreifen würde. Es ist einfach wichtig, dass wir es im Blick haben, dass wir die Auswirkungen so weit wie möglich reduzieren.“

Hinzu kommt bei dem Ausbau ein Problem, das längst nicht nur die Offshore-Windbranche erfasst: der Material- und Fachkräftemangel. Verschärft wird dieser Engpass noch dadurch, dass die Offshore-Windbranche mittlerweile global aktiv ist.

Noch vor zehn Jahren galt der deutsche Markt als Wachstumstreiber. Dann wurden unter der Ägide des einstigen Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier die Vergütungs- und Fördersysteme verschärft. Die Industrie wanderte ab, Tausende von Arbeitsplätzen gingen verloren.

Politisches und wirtschaftliches Großprojekt

Diese Auswirkung würden die Unternehmen beim Ausbau nun zu spüren bekommen, glaubt Reinhard Lüken vom Verband für Schiffbau und Meerestechnik in Hamburg: „Dann brauchen sie natürlich noch Errichterschiffe. Kranschiffe, um das Ganze aufzubauen. Sie brauchen Kabelleger und so weiter und so fort. Es ist ein Riesenbedarf an allen möglichen Gerätschaften.“

Neben den Spezialkabeln, die rund um den Globus nachgefragt werden, müssten dann auch noch die Transportschiffe für Rotorblätter, Fundamente und die viele hundert Tonnen schweren Maschinenhäuser der Windkraftanlagen bereitstehen. Insgesamt seien die Ziele in dem neuen Gesetz zum Offshore-Ausbau ein riesiges politisches und wirtschaftliches Großprojekt, fasst Lüken zusammen: „Das, was wir vorhaben, ist, glaube ich, die meisten Leuten ist das gar nicht klar. Wir wollen ja das, was in den letzten 20 Jahren geschafft haben innerhalb von acht Jahren vervierfachen! Das ist irre, was da auf dem Programm steht!“