Dienstag, 23. April 2024

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Debatte um Windparks
Architekt: „Wir tun uns schwer mit der Ästhetik“

Windräder seien ein erheblicher Eingriff in das Landschaftsgefüge, sagte der Architekt Gerhard Matzig im Dlf. Und sie seien bisher „ohne ästhetischen Hintersinn geplant worden, einfach nach rein funktionalen oder rein wirtschaftlichen Kriterien“. Das habe der Akzeptanz geschadet. Es gehe aber auch anders.

Gerhard Matzig im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 15.01.2022
Zwei Windenergieanlagen stehen auf einem Feld, während sich daneben ein Regenbogen vor dunklen Himmel abzeichnet.
Irgendwann könnte sich die Gesellschaft an den Anblick der Windparks gewöhnen, meint der Architekt Gerhard Matzig (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Patrick Pleul)
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen die erneuerbaren Energien in Deutschland massiv ausgebaut werden. Das bedeutet auch, dass künftig deutlich mehr Windparks in Landschaften entstehen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür ist allerdings eher gering. „Wir tun uns schwer mit der Ästhetik, weil sie doch ein erheblicher Eingriff in ein Landschaftsgefüge ist, das kulturell gewachsen ist, und weil diese Dynamik sehr schnell voranschreitet“, erklärte der Architekt Gerhard Matzig im Deutschlandfunk. Bisher seien die Windräder auch nur nach funktionalen und wirtschaftlichen Kriterien errichtet worden. Die Ästhetik hätte keine Rolle gespielt.
Gerhard Matzig (Architektur-Journalist) in der ARD-Talkshow hart aber fair am 23.10.2017 in Berlin
Ein kollektives Schönheitsempfinden bilde sich über gewisse Zeiträume hinaus - und könne künftig auch Windanlagen umfassen, meint Architekt und Autor Gerhard Matzig (picture alliance / Eventpress | Eventpress Roland)
Dabei gebe es durchaus Möglichkeiten, die großen Geräte so zu positionieren, dass sie sich besser in die Umgebung einfügten. „Ich glaube schon, dass Windräder als Park wie Landschaftsarchitektur sein kann, wie Land-Art letztlich, das kann schön sein“, zeigte sich Matzig überzeugt.
Auch könnten sie in Zukunft anders gebaut werden. Zwar seien gewisse Eigenschaften wichtig, etwa die großen Rotoren oder die Höhe. Aber man könnte sie auch in Städte integrieren: „Auf Hochhäusern zum Beispiel, könnte man auch Turbinen installieren. Das gibt es zum Teil auch schon. Es gibt ein Windrad, das zugleich bewohnbar ist in Rotterdam als Studie und als Projekt.“

Das Interview in voller Länge:

Tobias Armbrüster: Deutschland steht am Anfang eines einschneidenden Jahrzehnts, der neue Klimaminister, Robert Habeck, hat in dieser Woche skizziert, wie sehr sich das Land in den kommenden Jahren ändern muss, wenn es die Klimaziele tatsächlich erreichen will. Dazu, zu diesen Plänen, gehören auch massenweise Solarparks in der Landschaft und vor allem Windräder. Hubert Aiwanger, der Wirtschaftsminister in Bayern, sieht da einiges auf uns zukommen, das hat er uns gestern morgen hier an dieser Stelle erklärt.
O-Ton Aiwanger: „Ja, natürlich, wenn man jetzt durch Süddeutschland nach Norden fährt und fährt durch Windparks mit 50 bis 100 Windrädern, dann zuckt man schon mal zusammen. Aber wenn man diese Dinge nicht direkt vor der Haustür hat und nicht eben 50 bis 100, sondern zwei, drei, vier Windräder an einer Stelle, gerne noch im Wald versteckt, ich bin auch dafür, vermehrt in die Wälder die Dinger reinzustellen, da sieht man sie nicht.“
Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger will Abstandsregel für Windräder überdenken
Armbrüster: Bei uns am Telefon ist jetzt Gerhard Matzig, er ist Architekt, Buchautor und Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Herr Matzig, soll man Windräder tatsächlich im Wald verstecken?
Gerhard Matzig: Bei allem Respekt für Hubert Aiwanger, ich halte diese Idee für offensichtlichen Unsinn, denn Windräder sind dort sinnvoll, wo es viel Wind gibt. Und das Schöne an Wäldern, wenn man sich hineinbegibt, ist, dass man dort relativ windgeschützt oft sein kann. Also man kann Windräder nicht wirklich verstecken. Und dieses Verstecken-Wollen ist, glaube ich, ein Hinweis darauf, dass wir uns mit der Ästhetik sehr schwertun.

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„Es gibt keine unberührten Landschaften mehr“

Armbrüster: Warum tun wir uns damit so schwer?
Matzig: Wir tun uns schwer mit der Ästhetik, weil sie doch ein erheblicher Eingriff in ein Landschaftsgefüge ist, das kulturell gewachsen ist, und weil diese Dynamik sehr schnell voranschreitet. Der Umbau zu Solarparks und Windparks, der geht in einem schnellen Tempo vonstatten, vielleicht schneller, als wir das gewohnt sind. Wobei man auch mit dem Unsinn aufräumen muss, dass es überhaupt unberührte Landschaft gibt, die gibt es seit vielen Jahrhunderten nicht mehr. Denken Sie an Kohleabbau, denken Sie an die Bewirtschaftung, Felder, Äcker, Forstwirtschaft, denken Sie auch an Atommeiler, Infrastrukturen, Straßen, Brücken, Siedlungen, Gewerbe, all diese Dinge berühren Landschaft. Der Mensch, bald viele Milliarden in zweistelliger Höhe, der lebt auf diesem Planeten und natürlich prägt der auch diesen Planeten – einfach durch sein Siedlungswesen.
Dunkle Wolken ziehen über den Windenergiepark «Odervorland» im Osten des Landes Brandenburg.
Bisher seien Windparks eher nach funktionalen Kriterien errichtet worden, weniger nach ästhetischen, so Matzig (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Patrick Pleul)
Armbrüster: Das heißt, können Sie sich vorstellen, dass wir uns ästhetisch an diese weißen Windräder, die da möglicherweise massenweise irgendwo auf freien Feldern, auf freien Wiesen stehen, dass wir uns an diesen Anblick so gewöhnen können wie irgendwann an ein Fabrikgebäude aus Backstein aus dem 19. Jahrhundert?
Matzig: Ja, ich glaube schon. Oder nehmen Sie die Windmühlen in europäischen Landschaften, nicht nur in den Niederlanden. Das war auch sehr Landschafts-dominierend einmal. Ich glaube, es ist die Frage, wie gut man solche Anlagen plant. Da kommt die Landschaftsarchitektur eben ins Spiel. Bisher sind solche Anlagen häufig ohne ästhetischen Hintersinn geplant worden, einfach nach rein funktionalen oder rein wirtschaftlichen Kriterien. Ich glaube, das hat der Akzeptanz auch nicht gutgetan, weil man kann solche Parks richtig anlegen und man kann sie falsch anlegen.
Armbrüster: Das müssen Sie uns vielleicht als Architekt etwas genauer erklären: Was kann man da genau richtig und falsch machen?
Matzig: Sie können zum Beispiel die Landschaft falsch deuten. Wenn Sie eine großmaßstäbliche Morphologie haben, das heißt ein Bild der Natur, sagen wir große Waldstrukturen, in einer großen Dimension, Waldzüge. Wenn Sie dort plötzlich kleinteilig kleine Anlagen bauen, ist das seltsam – und umgekehrt, wenn Sie eine kleinteilige Morphologie haben, also sagen wir eine Abfolge von vielen Feldern, von vielen kleinen Bachläufen, von vielen kleinen, die Felder begrenzenden Heckenanlagen und dergleichen, wenn Sie da plötzlich mit großen Anlagen hineingehen, dann verändern Sie auch wieder den Maßstab.
Ästhetik hat sehr viel oft mit Proportionallehre zu tun und mit Maßstäblichkeit und mit einer Verträglichkeit. Wie harmonisch fügt man etwas, was man neu baut, in das Bestehende hinein? Das gilt für unsere Städte, Sie können dort ein Haus bauen, das Sie als schön und angenehm empfinden, und Sie können das Haus auch so bauen, dass es als störend und belästigend und hässlich wahrgenommen wird. Das gilt auch für die Landschaft.

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Armbrüster: Jetzt ist mein Eindruck immer, dass sich so etwas im Laufe der Zeit immer sehr deutlich verändert. Welche Rolle spielt das denn, sozusagen der Gewöhnungseffekt und dass wir möglicherweise mit einer bestimmten Form auch eine bestimmte Zeit immer verbinden – und diese Zeit vielleicht auch idealisieren?
Matzig: Das spielt eine große Rolle, denn unser Schönheitsbegriff besteht sozusagen aus zwei Teilen: Das eine ist natürlich, Schönheit entsteht im Auge des Betrachters, sagt man, also Geschmäcker sind unterschiedlich, man empfindet unterschiedliche Dinge als unterschiedlich schön. Aber es gibt daneben eben – und noch wichtiger – einen kulturell geprägten Schönheitsbegriff, den man durchaus definieren kann.
Ein Windrad am blauen Himmel
Windräder könnten für unsere Zeit stehen, meint Gerhard Matzig (picture alliance / dpa / blickwinkel)
Das sehen Sie zum Beispiel an den idealen Körperbildern. Seit den 50er-Jahren hat sich da doch etwas getan, in den 50er-Jahren wurde der ideale Männer- oder Frauenkörper in der Werbung anders definiert als heute. Nehmen Sie die Venus von Willendorf, eine sehr alte, kleine Skulptur, die eine ganz andere Ästhetik formuliert, als wir das heute annehmen würden. Das heißt, es gibt schon ein kollektives Schönheitsempfinden, das bildet sich über gewisse Zeiträume heraus – und das kann auch Windanlagen umfassen, natürlich. Das kann für unsere Zeit stehen.

„Auf Hochhäusern könnte man auch Turbinen installieren“

Armbrüster: Wie sieht das denn aus mit den Windanlagen, die wir jetzt kennen? Ich habe das schon gesagt, das sind eigentlich fast immer diese weißen Geräte, Hunderte Meter hoch, immer mit der gleichen Ästhetik. Könnte man daran etwas ändern?
Matzig: Ja, in Details ja. Ein Windrad besteht aus Rotoren, die müssen beweglich sein, um sie vom Wind antreiben zu lassen, dadurch wird die Energie erzeugt. Diese Rotoren müssen in einer gewissen Höhe sein, Sie werden also immer ein Windrad als etwas Vertikales erleben, wobei man auch mal darüber nachdenken kann, wenn unsere Städte in Zukunft vielleicht höher werden, dass man auch den Raum in den Städten, auf Hochhäusern zum Beispiel, könnte man auch Turbinen installieren. Das gibt es zum Teil auch schon.
Es gibt ein Windrad, das zugleich bewohnbar ist in Rotterdam als Studie und als Projekt. Also, da tut sich etwas, aber das Prinzip Windrad wird natürlich immer das Gleiche sein. Aber wie Sie das Windrad in der Landschaft positionieren, das hat erhebliche Auswirkungen auf die Frage, ob man das dann positiv oder negativ wahrnimmt. Ich glaube schon, dass Windräder als Park wie Landschaftsarchitektur sein kann, wie Land-Art letztlich, das kann schön sein.
Wenn der Herr Aiwanger sagt, er zuckt da immer zusammen, das würde ich so undifferenziert nicht teilen wollen. Wenn ich Parkanlagen sehe, sehe ich manchmal sehr, sehr schöne Ensembles von Windrädern, die klug in die Landschaft geplant sind und auch ästhetisch für mich einen großen Reiz haben. Und es gibt vereinzelt Windräder, die ich sehe in der Landschaft, die mich auch stören. Man muss es vielleicht differenzieren und man muss die Fachleute zu Hilfe holen. Das bin jetzt in diesem Fall nicht ich, sondern das sind Landschaftsarchitekten, die können so etwas.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.