Dienstag, 07. Mai 2024

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Integration
Münch: CSU muss Balanceakt fahren

Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch sieht die CSU in der Pflicht, auf Ängste in der Bevölkerung einzugehen. Die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing sagte im Deutschlandfunk, die Partei müsse zugleich unberechtigte Ängste beim Thema Integration ausräumen. Eine Mitschuld der CSU für Ressentiments sieht sie nicht.

Ursula Münch im Gespräch mit Bettina Klein | 13.12.2014
    SPD und Grüne hatten den Vorwurf erhoben, die CSU habe gezündelt und mit dazu beigetragen, dass am Freitag ein Anschlag auf ein künftiges Flüchtlingsheim in Vorra bei Nürnberg verübt wurde. Die CSU greife Ressentiments gegen Ausländer auf und schüre Ängste. "Das ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt", sagte Ursula Münch im Deutschlandfunk.
    Politiker und Parteien müssten einen Balanceakt meistern: Als politisch Verantwortliche müsse man auf Befürchtungen in der Bevölkerung reagieren, aber auch deutlich machen, dass Asylbewerber Anspruch auf ein geregeltes Verfahren und eine anständige Unterbringung haben. Angesprochen auf die Pegida-Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten in den letzten Wochen, sagte Münch: "Man muss schauen, gibt´s berechtige Befürchtungen, und was setzt man dem entgegen?" Die verunsicherten Bürger müssten informiert werden, um irrationale Ängste zu enttarnen. Dazu müssten auch Asylbewerber dezentral untergebracht werden, um Befürchtungen von zu großer Zuwanderung zu zerstreuen.
    Die CSU hatte mit einem Antrag für den Parteitag in Nürnberg von sich reden gemacht, in dem zunächst gefordert wurde, dass Migranten auch in ihren Familien zu Hause deutsch sprechen sollten. Das hatte für viel Spott gesorgt. Die Diskussion darüber steht nach Münchs Ansicht nicht im Zusammenhang mit den Anschlägen in Vorra. Münch sagte aber auch, die CSU habe früher einräumen sollen, dass es sich um eine Fehlformulierung gehandelt habe.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Nach dem Brandanschlag auf fast fertige Flüchtlingsunterkünfte in Vorra bei Nürnberg suchen die Ermittler nun fieberhaft nach den Tätern. Wir arbeiten so schnell wie möglich und sehr penibel, so meinte Bayerns Innenminister Herrmann am Rande des CSU-Parteitages in Nürnberg und warnte davor, mit allzu raschen Ergebnissen zu rechnen. Und mitgehört hat die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Sie ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, schönen guten Tag, Frau Münch!
    Ursula Münch: Guten Tag, Frau Klein!
    Klein: Sie haben die Ereignisse und die Diskussion der vergangenen Tage auf dem CSU-Parteitag und am Rande verfolgt. Schauen wir noch mal zunächst auf den Anschlag oder die Anschläge in der Nähe, in Vorra: Noch ist ja nicht klar, von wem die verübt wurden, von wem sie ausgingen, aber von einigen Seiten, teils auch von SPD und Grünen, wird jetzt bereits der Vorwurf erhoben, die CSU habe gezündelt und das sei in gewisser Weise auch ein Ergebnis der CSU-Politik, Ressentiments gegen Ausländer aufzugreifen oder gar zu bedienen, so die Vorwürfe. Ist das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?
    Münch: Das ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt. Ich meine, was tatsächlich ein Problem ist, das ist immer ein Balanceakt, den man fahren muss, dass man einerseits als Politik, als politisch Verantwortliche darauf reagiert, auf Befürchtungen in der Bevölkerung, dass man aber gleichzeitig aber auch deutlich machen muss, Asylbewerber haben das Recht auf ein anständiges Verfahren und auf ordentliche und menschenwürdige Unterbringung. Das ist tatsächlich ein Balanceakt. Ich erkenne jetzt aber nicht, dass diese Diskussion um Deutsch zu Hause sprechen, dass das jetzt in irgendeinem inhaltlichen Zusammenhang steht, weil man gleichzeitig auch feststellen kann – ich verfolge die Diskussion gerade um die Flüchtlinge schon länger –, dass sich da auch in Bayern, auch in der CSU in den letzten Jahren einiges verändert hat. Unter anderem aufgrund der Wahrnehmung des demografischen Wandels ist man auch in der CSU inzwischen deutlich bereiter und deutlich offener gegenüber Flüchtlingen, vor allem gegenüber jungen Flüchtlingen. Da sagt man aber, die müssen relativ schnell Deutsch lernen, und da will man auch relativ viel dafür tun. Insofern, ich finde schon, dass sich da die Diskussion innerhalb der CSU spürbar und wahrnehmbar verändert hat.
    Klein: Aber stimmt dennoch die Maxime, dass die CSU die Strategie fährt: Rechts neben uns darf kein Platz sein?
    Münch: Diese Strategie verfolgt man, dazu bekennt man sich auch offen, weil man sagt, es gehört zu den Aufgaben einer Volkspartei, tatsächlich keine demokratische Partei rechts neben sich zu haben. Und man verfolgt tatsächlich die Linie, sich so zu positionieren, dass im Grunde die AfD nicht zum Ausweichbecken wird für enttäuschte Wählerinnen und Wähler, die bis jetzt Unionsparteien gewählt haben.
    Klein: Und der Vorstoß um die Sprache, den würden Sie aber nicht dazu zählen? Was denn dann?
    "Da ist man zu spät zurückgerudert"
    Münch: Der Vorstoß um die Sprache, ich meine, da war man sich im Grunde ... Man hat sich da aus dem Fenster rausgelehnt und hat offensichtlich also nun wirklich eine Strategie sprachlich verfolgt, dass man eben im Grunde versucht hat, die Leute dazu zu motivieren, nicht nur zu motivieren, so heißt es jetzt inzwischen, sondern dass man im Grunde dazu Anlass gegeben hat, na ja, wie soll das überhaupt kontrolliert werden, was zu Hause gesprochen wird. Da ist man zu spät zurückgerudert, da gibt es auch innerhalb der CSU Stimmen, die sagen, da hätten wir früher sagen sollen, das ist Quatsch, das war eine Fehlformulierung. Es gibt unterschiedliche Interpretationen, war das tatsächlich so ein gewisses Zeichen, das man nach außen geben will, und nur ist schlicht und ergreifend einen Schritt zu weit gegangen, oder war es von vornherein im Grunde auch eine falsche Formulierung, die man gewählt hat? Da gibt es unterschiedliche Interpretationen auch innerhalb der CSU. Nicht zuletzt, man hat sich aber jetzt auf eine ganz andere Formulierung oder auf eine deutlich andere zurückgezogen und gestern beim Parteitag war das auch in diesem Forum, das sich damit beschäftigt hat, ein ganz klares Bekenntnis zu sagen: Ja, Deutsch muss selbstverständlich, ist eine Integrationsvoraussetzung, wir werden aber einen Teufel tun und das kontrollieren, das geht uns nichts an, was die Familien intern tun.
    Klein: Was abgesehen davon zählen Sie noch oder zählen Sie zu dieser Strategie, rechts von uns darf kein Platz sein?
    Münch: Na ja, ich meine, dazu gehört nicht nur Ausländer- und Aufnahmepolitik, dazu gehört im Grunde dann auch diese Frage, wie geht man, welche Anforderungen stellt man insgesamt in Sachen Bildung. Da geht es aber auch, der Länderfinanzausgleich, auch das ist ein Thema, dass man sagt, wir sind wirtschaftlich die Stärkeren, wir wollen nicht ständig für die anderen bezahlen. Aber nicht ... Auch diese ganzen Wirtschaftsthemen spielen eine Rolle mit Blick auf diese Wählerschaft, aber sicherlich ist dieses Integrationsthema, das Ausländerthema, Migrationsthema ist in der Hinsicht mit das wichtigste.
    Klein: Nun ist aber da offenbar schon ein Vakuum entstanden, siehe Erfolge der AfD und eine Bewegung auf der Straße namens PEGIDA, wie heterogen auch immer die zusammengesetzt ist. Sollen die anderen Parteien, soll die CSU sich also davon nicht abgrenzen, sondern auf deren Wünsche eingehen und sich deren Ziele teils zu eigen machen?
    "Völlig übertriebene Sorgen zum Teil"
    Münch: Das ist wieder diese Balance, dass man sagt: Man muss schauen, gibt es berechtigte Befürchtungen, und was setzt man dem entgegen? Dem muss man vor allem – und das war auch das Thema auf dem Parteitag –, dem muss man entgegensetzen, dass man die Leute informiert, dass man diese irrationalen Ängste dann auch wieder versucht zu enttarnen, dass es tatsächlich völlig übertriebene Sorgen zum Teil sind. Man muss aber gleichzeitig auch dafür sorgen, dass eben nicht Asylbewerber in großen Unterkünften untergebracht werden, auch da hat man in Bayern in letzter Zeit einiges gelernt. Inzwischen ist auch hier die Devise, dezentral unterzubringen, um auch da nicht unnötig große ... diese Befürchtungen von wegen einer zu großen Zuwanderung in der Bevölkerung zu schüren. Also, auch da hat man in gewisser Weise reagiert. Aber diese Balance ist schwierig und sicherlich nicht jedem Vertreter der CSU gelingt es, diese Balance immer wirklich geschickt zu führen. Und auch die Bevölkerung muss natürlich ... Mancher hört natürlich immer nur das, was er hören möchte. Aber ...
    Klein: Eben, Frau Münch. Wie weit kann sich eine Partei wie die CSU nach rechts lehnen, ohne dass es eben teilweise wirklich brandgefährlich wird, brandgefährlich für Flüchtlinge und Asylbewerber zum Beispiel?
    Münch: Na ja, ich meine ... Man muss immer fragen, ja, was passiert, wenn sie es nicht tut? Dieses Potenzial gibt es. Was man nicht tun darf – und dann wäre es wirklich brandgefährlich –, wenn man in einer Weise das zusätzlich schürt. Wenn man Sorgen und irrationale Ängste in der Bevölkerung weiter schürt, das darf man nicht tun, dann wird es tatsächlich brandgefährlich. Aber noch schlimmer wäre es, das Vakuum anderen zu überlassen, die diese Balance nicht führen müssen, weil sie das andere Publikum nicht ansprechen wollen, das in der Mitte, das würde ich noch für gefährlicher halten.
    Klein: Sprechen wir noch mal ein bisschen allgemeiner kurz über die CSU: Sie hat eine Menge Hohn und Spott zu hören bekommen von anderen Parteien, von den Medien, unter anderem jetzt wegen dieses Vorstoßes, Migranten sollen zu Hause Deutsch sprechen, darüber haben wir gerade schon geredet. In Berlin habe die CSU eh nicht mehr viel zu sagen, hört man mitunter, die Schwesterpartei CDU verfolge eh vor allen Dingen – abgesehen von der Maut – sozialdemokratische Ziele. Ist das also so nach Ihrer Beobachtung, verschwindet die CSU im Bundesmaßstab tatsächlich in der Bedeutungslosigkeit?
    Münch: Große Koalitionen sind für die CSU immer ein Problem, da stellt man weniger Minister, und dieses Mal hat man noch das Problem, dass man im Grunde Ministerien besetzt, die in Zeiten internationaler Krisen, in denen wir gerade sind, keine allzu große Rolle spielen. Also, wenn man Verteidigungs-, Außenminister stellt oder auch den Finanzminister, hat man einfach eine andere Aufmerksamkeit, die hat die CSU zurzeit nicht. Darunter leidet sie. Und nicht zuletzt deshalb müssen wir uns diese ... die Maut dann eben auch miterleben und mit anhören und von einer Wichtigkeit die wahrnehmen lassen. Wenn das Thema abgeräumt ist, tut sich die CSU ein bisschen schwer, die Digitalisierung allein wird es nicht, diese Präsenz, diese öffentliche Wahrnehmung nicht bringen.
    Klein: Und abschließend ein Wort zu Horst Seehofer, den haben wir auch gerade hören können, unser Korrespondent hat das so ein bisschen eingeordnet, das war eben keine Bierzeltrede, sondern sehr gemäßigt und eher sachlich vergleichsweise im Ton: Welche Rolle spielt er im Augenblick und wird er in der Zukunft noch spielen?
    Münch: Also, er spielt jetzt sicherlich in der laufenden Legislaturperiode weiterhin eine wichtige Rolle. Aber nichtsdestotrotz, die Leute scharen sich, seine potenziellen Nachfolger scharen sich, sind jetzt aber meines Erachtens eher, nachdem das in den letzten paar Monaten durchaus ein Thema war, wer wird's, im Augenblick ist man eher im Arbeitsmodus und jetzt müssen alle zunächst einmal ihre Hausaufgaben machen. Und dann wird man in ein, zwei Jahren dann tatsächlich die Nachfolgedebatte um Seehofer intensiv betreiben.
    Klein: Ursula Münch heute Mittag im Deutschlandfunk, sie ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Vielen Dank, Frau Münch, für diese Einschätzungen heute Mittag bei uns!
    Münch: Gern geschehen, Frau Klein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.