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Vor 100 Jahren
Der Tiefseeforscher Jacques Piccard geboren

Jacques Piccard tauchte zum tiefsten Punkt der Welt, den je ein Mensch erreicht hat: 10.912 Meter sank sein Tauchboot "Trieste" in den Marianengraben. Erst 2019 brach der US-Abenteurer Victor Vescovo den Rekord und tauchte 16 Meter tiefer. Doch Piccard blieb vor allem als Ozeanograf und Umweltschützer in Erinnerung.

Von Dagmar Röhrlich | 28.07.2022
Der Schweizer Tiefseeforscher Jacques Piccard mit seiner Tochter Maria Louise nach dem Besuch des Unterseeboots Ben Franklin in Riviera Beach, Florida, am 14. Juli 1969.
Der Schweizer Tiefseeforscher Jacques Piccard mit seiner Tochter Maria Louise nach dem Besuch des Unterseeboots Ben Franklin in Riviera Beach, Florida, am 14. Juli 1969. (pa/AP Images)
Samstag, 23. Januar 1960. Der Tag, der Jacques Piccard weltberühmt machen wird. Um 13.06 Uhr setzen der 37-Jährige und sein Co-Pilot, Navy-Offizier Don Walsh, mit dem Tiefseetauchboot "Trieste" im Marianengraben auf: 10.912 Meter - der tiefste, damals bekannte Punkt der Erde. Im Scheinwerferlicht sehen sie die weite zimtfarbene Fläche des Meeresgrunds. Eine kleine rote Garnele, die sich wie in Zeitlupe bewegt – und noch etwas:

„Wir haben einen Fisch gesehen. Das heißt, im Wasser gibt es auch Sauerstoff. Das heißt, dass es unter Wasser Strömungen gibt. Das wusste man so ungefähr früher auch. Aber das ist eine sehr wichtige Bestätigung.“

Anfang der 1960er-Jahre warf man Atommüll ins Meer

Eine Bestätigung von politischem Gewicht, wie Piccard, der nicht nur Konstrukteur war und Tiefseepionier, sondern auch Ozeanograf und vor allem Umweltschützer, durchaus bewusst war. Denn Anfang der 1960er Jahre erschien es als gute Idee, den Atommüll in der Tiefsee loszuwerden:

Das heißt, es könnte sehr gefährlich sein, atomare Abfälle ins Meer zu werfen.“

Piccards Vater schwebte als erster Mensch in die Stratosphäre

Geboren wurde Jacques Piccard am 28. Juli 1922 in Brüssel. Er stammte aus einer illustren Familie von Wissenschaftlern, Erfindern und Abenteurern. Als er neun Jahre alt war, stieg sein Vater Auguste Piccard als erster Mensch mit einem Ballon in die Stratosphäre auf. Sein Vater war es auch, der die Trieste konstruierte, mit der Jacques in den Marianengraben sinken sollte. 1960 beschrieb Auguste Piccard die Funktionsweise des Bathyskaphen – des Tiefenschiffs – auf einer Ingenieurstagung in Karlsruhe:

Sie wissen, in der Stratosphäre kann man nicht leben, weil der Luftdruck zu gering ist. Und in der Tiefsee kann man nicht leben, weil der Druck zu groß ist. Beide Male muss man geschützt werden. In der Stratosphäre durch eine Kabine mit Innendruck. Diese Kabine ist schwerer als Luft und wird getragen durch einen Ballon, der gefüllt ist mit einem leichten Gas, mit Wasserstoff. Und um die Tiefsee zu gehen, müssen wir eine Kabine haben, die schwer ist, die sehr fest ist. Also die Kabine wird befestigt an einen Schwimmkörper, der sie trägt, und der Schwimmkorpus entspricht dem Ballon. Nur dass er statt Gas Benzin als Füllung hat und statt Stoffhülle, Tuchhülle, gummiert, hat er Eisenblech, starkes Eisenblech.“

300 Meter tief ohne eigenen Antrieb im Golfstrom

Jacques Piccard hatte seinem Vater nach einem Wirtschafts- und Geschichtsstudium bei der Konstruktion der Trieste geholfen – als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Später sollte er selbst diverse andere Unterseeboote entwickeln. Etwa die "Auguste Piccard", mit der mehr als 30.000 Menschen die Unterwasserwelt des Genfer Sees mit eigenen Augen entdecken konnten. Und in der Ben Franklin gingen er und sein Team vor der Ostküste der USA auf eine 30-tägige Forschungsfahrt im Golfstrom.
Das Projekt war wissenschaftlich spektakulär: im damals größten und modernsten Forschungs-U-Boot ließ sich die Crew mit dem Golfstrom treiben, meistens etwa 300 Meter tief unter der Meeresoberfläche, ohne eigenen Antrieb. Es war das erste Mal, dass Wissenschaftler so die Tiefsee erkundeten, doch die Fahrt der Ben Franklin erregte wenig Aufsehen, denn sie war zwei Tage vor dem Start der Apollo 11 in See gestochen.

Sohn Bertrand umrundete die Welt als erster Mensch per Ballon

Jacques Piccard hatte drei Kinder, und sein Sohn Bertrand setzte die Familientradition fort. Er war der erste Mensch, der die Welt nonstop mit einem Ballon umrundete. Sein Vater, so erklärte Bertrand Piccard, sei mutig gewesen, idealistisch und ökologisch. Deshalb gründete er eine Stiftung zur Erforschung und zum Schutz der Meere und Seen.
„Mehr Technik hat man, mehr Luxus und so weiter. Das Leben scheint, aber es scheint nur, besser zu sein. Aber natürlich, man fabriziert so viel, und alles, was man einmal fabriziert, wird einmal Abfall sein. Und alles das kommt endlich in die Luft oder in die See und manchmal zuerst in die Luft und dann in die See. Man sieht, das wird ein furchtbares Problem für die Erde und für die Menschheit.“

Piccard: Zukunftsaussichten der Menschheit düster

Die Zukunftsaussichten der Menschheit beurteilte Jacques Piccard düster: Wenn alles so weiterlaufe wie bisher, dann würde es in den 2030er Jahren einen drastischen Rückgang der Weltbevölkerung um etwa zwei Drittel geben, erklärte er 1972.
Der engagierte Umweltschützer Jacques Piccard starb im November 2008 im Alter von 86 Jahren in der Schweiz. Noch mit 82 Jahren hatte er an einer Tiefsee-Expedition teilgenommen.