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Vor zehn Jahren
Bertrand Piccard und der erste Interkontinentalflug mit Solarenergie

Allein mit der Kraft der Sonne von einem Kontinent zum anderen zu fliegen, galt lange als unmöglich. Doch mit seiner „Solar Impulse“ gelang dem Abenteurer Bertrand Piccard 2012 ein spektakulärer Flug - 830 Kilometer von Madrid ins marokkanische Rabat in 20 Stunden.

Von Frank Grotelüschen | 06.06.2022
Das Solarflugzeug Solar Impluse“ hebt am 21. Juni 2012 wieder vom Flughafen Rabat ab. Drei Wochen zuvor war Pilot Bertrand Piccard der erste Interkontinentalflug eines Solarflieger gelungen
Bertrand Piccard 2012 mit der "Solar Impulse" über dem Flughafen Rabat (picture alliance / dpa)
„Das Ziel war sehr schwierig. Wir wussten nicht, ob es ein Totalerfolg würde oder nicht. Wir waren sehr konzentriert, das Gewicht auf der Schulter war schwer.“
Es ist der 6. Juni 2012, Bertrand Piccard ist ziemlich erleichtert. Gerade hat der Schweizer Abenteurer eine Pioniertat vollbracht: der erste Interkontinentalflug mit einem Fluggerät, das durch Solarenergie in der Luft gehalten wird. 830 Kilometer hat sein mit Tausenden von Solarzellen bestückter Flieger bewältigt, von Madrid bis nach Rabat in Marokko: „20 Stunden ohne Treibstoff von einem Kontinent zum anderen. Und dieses Willkommen hier, von den Leuten in Marokko, das war absolut unglaublich.“

Die Rekord-Abenteurer-Dynastie Piccard

Es ist nicht der erste Coup von Piccard: 1999 hatte er als erster die Erde nonstop in einem Ballon umkreist – und war damit in die Fußstapfen seines Großvaters Auguste getreten. Der war 1931 erstmals per Ballon in die Stratosphäre aufgestiegen, mehr als
15 Kilometer hoch. Auch Piccards Vater Jacques hatte sich als Pionier betätigt – allerdings in die umgekehrte Richtung:
„Die Menschheit will das ganze Weltall erforschen. Und die Tiefsee ist eines der letzten Gebiete, das man noch nicht erforscht hat. Also habe ich versucht, ein Instrument zu bauen, das dem Forscher erlaubt abzusteigen auf die größten Tiefen des Meeres, um dort ganz speziell die Tiere zu beobachten, die Fauna.“

Mehr über die Abenteuer der Piccards

1960 tauchte Jacques mit einem Unterseeboot fast 11.000 Meter tief in den Westpazifik – ein Weltrekord. Sein Sohn Bertrand war damals keine zwei Jahre alt, hatte aber offenbar die Pionier-Gene seiner Vorfahren: Schon mit 16 flog er Hängegleiter, später überquerte er mit einem Ultraleichtflugzeug die Alpen. Nach seiner geglückten Ballon-Weltumrundung 1999 wandte sich der gelernte Psychiater dem nächsten Abenteuer zu – der Fliegerei per Sonnenenergie. Bereits 1981 war einem Prototyp namens Solar Challenger der Hüpfer über den Ärmelkanal gelungen.
Danach hatte sich die Solartechnik rasant weiterentwickelt, so dass nun ein größeres Ziel in Reichweite schien – ein Interkontinentalflug. Gemeinsam mit seinem Team entwarf Piccard den bis dato größten Solarflieger der Welt – die "Solar Impulse 1":
„Solar Impulse ist ein menschliches, technologisches und soziales Abenteuer. Das Flugzeug transportiert 200 Quadratmeter Sonnenkollektoren. Es ist so breit wie ein Jumbojet, aber nur so schwer wie ein PKW. Es verbraucht keine Energie. Im Gegenteil, es produziert Energie.“

11.600 Solarzellen und vier kleine Motoren

Der riesige, aber grazile Flieger hatte eine Spannweite von 63 Metern, wog aber nur gut anderthalb Tonnen. Bestückt mit vier jeweils zehn PS starken Elektromotoren und 11.600 Solarzellen startete er 2009 zu seinem Jungfernflug. Es folgten weitere Tests, bis Piccard am 5. Juni 2012 von Madrid aus zu seinem Interkontinental-Trip aufbrach – im engen Cockpit kauernd, ausgerüstet mit Trinkschläuchen, Fallschirm und Sauerstoffmaske.
Weil der Flug über Nacht ging, hatte die Maschine Akkus an Bord, tagsüber aufgeladen von den Solarzellen. Und dann kam, erzählte Piccard: „Der schönste Moment, unglaubliche Moment, das war natürlich Gibraltar. Von einem Kontinent zu einem anderen Kontinent.“
Kaum war Piccard in der Nacht zum 6. Juni in Marokko gelandet, sprach er bereits von seinem nächsten Coup:  „Ich glaube jetzt, unser Team ist total bereit für die Weltumrundung. Es fehlt nur das zweite Flugzeug, das ist jetzt in Konstruktion. Und es wird bald bereit sein.“
Die "Solar Impulse 2" war größer, stabiler und leistungsstärker als die erste Version. Im März 2015 startete sie von Abu Dhabi aus zu ihrer Weltreise in 17 Etappen. Aufgrund technischer Probleme dauerte der Trip mehr als 15 Monate. Doch dann, am 26. Juli 2016, setzte Piccard seine Maschine wieder auf der Landebahn von Abu Dhabi auf – und rief: „We made it!“- ein globales Medienereignis.
Der Schweizer Pilot Bertrand Piccard (1. v. l.) bei seiner Ankunft in Abu Dhabi mit André Borschberg (3. v. r.) und Prinz Albert II. von Monaco (4. v. r.)
Der Schweizer Pilot Bertrand Piccard (1. v. l.) bei seiner Ankunft in Abu Dhabi mit André Borschberg (3. v. r.) und Prinz Albert II. von Monaco (4. v. r.) (picture alliance / dpa / Peter Klaunzer)

Doch trotz dieses Erfolgs: Dass Solarflugzeuge eines Tages Passagiere befördern, daran hatte Bertrand Piccard eigentlich nie gedacht. Stattdessen sah er in seinen Abenteuern vor allem eine medienwirksame Werbung für eine nachhaltige Energieversorgung der Menschheit:
„Es geht nicht so sehr um ein Flugzeug mit Sonnenenergie, sondern um ein neues Denken. 'Solar Impulse' ist ein Symbol. Es beweist, dass es möglich ist, auf die Verbrennung fossiler Rohstoffe zu verzichten. Dafür brauchen wir das Abenteuer, um für alle sichtbar zu machen, dass es geht.“