Staatliche Hilfen, Zuschüsse, Kreditbürgschaften: Es gibt kaum eine Branche, die nicht auch ein Hilfsprogramm der Bundesregierung fordert. Denn tatsächlich haben überall im Land Hunderttausende von Unternehmen mit den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu kämpfen. So auch die Autohersteller.
Sie fordern inzwischen staatliche Kaufprämien, um den Autoverkauf nach dem wochenlangen Shutdown wieder in Gang zu kriegen. Da der Interessenverband der Auto-Branche, der Verband der Automobilindustrie (VDA), als sehr mächtige Lobbyorganisation gilt, gehen viele davon aus, dass Autohersteller sich bei der Politik Gehör verschaffen werden. Hildegard Müller ist VDA-Präsidentin.
Tobias Armbrüster: Frau Müller, warum brauchen die Autobauer das Geld der Steuerzahler?
Müller: Erst einmal haben Sie, glaube ich, sehr richtig beschrieben, dass wir in der Tat eine Schlüsselbranche sind. Über 830.000 Beschäftigte. Das hat zu einer Steuereinnahme im letzten Jahr von 93 Milliarden Euro für Bund und Länder geführt. Und über 38 Prozent der gesamten F- und E-Aufwendungen, für Forschung und Entwicklung in der deutschen Wirtschaft kommen aus der Automobilindustrie.
Wir haben jetzt eine besondere Zeit, natürlich wie in vielen anderen Branchen auch. Es ist mehr oder weniger zu einem kompletten Erliegen der Branche gekommen. Wir versuchen jetzt, unter Beachtung des Gesundheitsschutzes schrittweise wieder hochzufahren, die internationalen Lieferketten wieder in Gang zu bringen. Wir sind ja auch eine sehr europäische, eine sehr internationale Industrie.
Zum Dritten ist dafür natürlich aber auch wichtig, dass es wieder Käufervertrauen gibt, dass der Absatz in Gang kommt. Ansonsten ist es gar nicht möglich, so viel zu produzieren, weil es nicht abgesetzt werden kann.
"Noch kein großes Käufervertrauen"
Armbrüster: Deshalb wollen Sie jetzt, dass die Bundesregierung, dass der Staat aus dem Steuersäckel Geld zuschießt für jeden, der sich ein neues Auto kauft?
Müller: Erst einmal sind, glaube ich, insgesamt die Maßnahmen bisher sehr hilfreich gewesen in der Politik, die zuerst der Liquiditätssicherung auch gedient haben. Das war ein ganz wesentlicher Punkt. Auch die Maßnahmen mit der Stundung der Sozialversicherungsbeiträge, Kurzarbeitergeld und andere Punkte.
Jetzt sind wir, glaube ich, in einer Phase, wo wir alle wieder überlegen müssen, wie können wir uns schrittweise wieder an einen Hochlauf der Industrie, der Wirtschaft insgesamt und damit auch des Wohlstandes des Landes herantasten. Das wird nur gehen, wenn wir auch den Verbraucher wieder mit ins Spiel bekommen, wenn er Mut hat, in Geschäfte zu gehen. Nach allem, was wir hören, ist zwar ein hohes Besichtigungsinteresse in vielen Geschäften, übrigens nicht nur in der Automobilindustrie, auch im Einzelhandel, aber noch kein großes Käufervertrauen. Das hat damit zu tun, dass die Menschen unsicher sind über ihre eigenen Arbeitsplätze, über ihre Zukunft, und hier bedarf es auch staatlicher Impulse, und es ist dann besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit.
Armbrüster: Nur um das noch mal klarzustellen. Sie wollen staatliche Impulse, also Kaufprämien? Die wollen Sie gerne haben für Autokäufe?
Müller: Ich glaube, es geht nicht nur um Kaufprämien. Es gibt für Nutzfahrzeuge zum Beispiel die Möglichkeit von Sonderabschreibungen. Das hilft vielen in Handel, Handwerk und Gewerbe. Aber auch ja, Prämien sind etwas Wichtiges. Wir brauchen eine Neustartprämie sicherlich auch. Über die Ausgestaltung, darüber muss man jetzt vernünftig miteinander reden.
"Von den Einnahmen des letzten Jahres sind auch Steuern bezahlt worden"
Armbrüster: Auf jeden Fall eine Förderung der Bundesregierung. Wenn ich das jetzt richtig gelesen habe, Frau Müller, dann wollen alle Autohersteller in Deutschland in diesem Jahr eine Dividende zahlen, Gewinne ausschütten. Warum sollen sie das tun und nicht stattdessen lieber das Geld selber dafür ausgeben, dass die Autos billiger werden?
Müller: Es ist ja erst einmal so, dass von den Einnahmen des letzten Jahres ganz viel auch an Steuern bezahlt worden ist, dass die Mitarbeiter auch davon profitieren. Das ist auch richtig in einer Industrie, die davon abhängig ist, dass die Beschäftigten sich wohl fühlen.
Armbrüster: Steuern zahlt jeder in Deutschland, der Geld verdient.
Müller: Herr Armbrüster, lassen Sie es mich kurz ausführen. Ich weiß, das ist eine sehr emotionale Debatte, und ich rate wirklich auch allen Seiten: Die Unternehmer müssen dort seriös und verantwortungsvoll vorgehen, aber ich glaube, auch kurze Schlüsse sind nicht zulässig.
"Es ist wichtig, Aktionäre an Bord zu halten"
Armbrüster: Frau Müller, aber die Frage bleibt ja: Dividende ausschütten, geht das, wenn man gleichzeitig staatliche Unterstützung fordert?
Müller: Herr Armbrüster, lassen Sie es mich kurz ausführen. Ich plädiere wirklich dafür. Erst einmal geht das Gros der Einnahmen des letzten Jahres in Forschung und Entwicklung, in Investitionen für die Zukunft. Aber es ist auch wichtig, glaube ich, Aktionäre an Bord zu halten, Kleinaktionäre an Bord zu halten. Es ist ja ein ganz wichtiges Thema, auch hier Verbrauchervertrauen zu haben. Es ist wichtig, für die Refinanzierung der Unternehmen am Kapitalmarkt auch als seriöser Partner dort zu gelten. Insofern muss eine Mischung gefunden werden, natürlich in diesen Zeiten verantwortungsvoll mit dem Thema Dividende umzugehen. Die Unternehmen prüfen diese Schritte ja auch. Aber auf der anderen Seite jetzt so zu tun, einfach nur keine Dividende zu zahlen, ist sicherlich auch nicht der richtige Schritt.
Armbrüster: Das habe ich nicht ganz verstanden. Warum kann das nicht der richtige Schritt sein in so einem Ausnahmejahr, wenn tatsächlich Umsätze so dermaßen einbrechen in so einer Krise, wie wir sie noch nicht erlebt haben seit Jahrzehnten?
Müller: Weil es auch wichtig ist für die deutsche Industrie, dass die Aktionäre an Bord bleiben. Wir haben viele Versuche von Unternehmen einzusteigen in die Unternehmen der deutschen Wirtschaft. Ich glaube, dass es deshalb wichtig ist, Aktionäre an Bord zu halten. Es ist wichtig für die Refinanzierung am Kapitalmarkt, dass hier Verbrauchervertrauen, das heißt Aktionärsvertrauen auch in Unternehmen ist. Deshalb ist es eine Mischung zu sagen, was ist wichtig mit Blick auf die Verantwortung der Unternehmen bei diesem Teil, aber auch wo ist es wichtig, dass von deutscher Seite etwas getan wird, um die Unternehmen zu stabilisieren.
"Es geht nicht darum, dass der Aktienkurs weiter in die Höhe klettert"
Armbrüster: Das heißt, Sie wollen tatsächlich, dass der Bund Geld ausgibt, damit Aktienkurse stabil bleiben?
Müller: Ich möchte erst einmal, dass der Verbraucher wieder Vertrauen fasst, und das führt ja auch zu erheblichen Mehreinnahmen. Ich habe gesagt und bereits ausgeführt am Anfang des Interviews, dass im letzten Jahr über 93 Milliarden Steuereinnahmen gekommen sind. Das heißt, wenn die Wirtschaft wieder in Gang kommt, wenn der Absatz wieder in Gang kommt, dann kommt auch das Verbrauchervertrauen in Gang, dann kommen auch wieder Steuereinnahmen. Insofern ist das für beide Seiten gut investiertes Geld, wenn wir jetzt überlegen, wie wir den Verbraucher auch motivieren, wieder zum Kauf von Pkw und Nutzfahrzeugen zu kommen.
Armbrüster: Ich habe nur immer noch nicht ganz verstanden, wieso der Verbraucher davon profitieren soll, wenn der Aktienkurs eines Autounternehmens weiter in die Höhe klettert.
Müller: Es geht nicht darum, dass der Aktienkurs weiter in die Höhe klettert, sondern es geht darum, dass wir jetzt, glaube ich, eine Partnerschaft aus Industrie, aus Politik und Gesellschaft finden müssen, um die Wirtschaft wieder hochlaufen zu lassen. Die Forderung etwas verkürzt: Wir wollen Dividenden natürlich nicht jetzt ohne Maß und Verantwortung zahlen. Viele Unternehmen prüfen, wie sie hier verantwortungsvoll mit dieser Frage umgehen können. Aber einfach nur zu sagen, auf Dividende zu verzichten, greift zu kurz. Die Unternehmen zahlen Steuern in erheblichem Maße, und um dieses Steuerthema auch wieder in Gang zu bringen, um Absatz wieder in Gang zu bringen, um Arbeitsplätze wieder zu stabilisieren, ich glaube, dafür brauchen wir diese neue Partnerschaft.
"Wir reden hier nicht nur über hohe Manager-Boni"
Armbrüster: Frau Müller! Ich verstehe es tatsächlich immer noch nicht, wie da der Zusammenhang ist zwischen Aktienkurs und Arbeitsplätzen.
Müller: Herr Armbrüster, es ist, glaube ich, ganz wichtig, dass wir auch in den Unternehmen stabile Verhältnisse am Kapitalmarkt haben. Ich glaube, wir müssen sehr sorgsam darauf achten, dass wir die Unternehmen auch davor schützen, dass es Übernahmen aus dem Ausland gibt. Und noch mal: Es ist wichtig auch für Refinanzierung am Kapitalmarkt, für die Ratings und die anderen Möglichkeiten für die Unternehmen, sich Kapital zu beschaffen, dass wir diesen Punkt auch haben, dass wir stabile Aktienkurse und stabile Entwicklungen haben in diesem Schritt. Mir ist es nur wirklich jetzt sehr verkürzt, wenn wir diese Frage, diesen großen Hochlauf, den wir gerade diskutieren müssen in der deutschen Wirtschaft, darauf jetzt reduzieren, ob wir Dividenden zahlen oder nicht Dividenden zahlen.
Armbrüster: Gut! Dann lassen Sie uns wegkommen von den Dividenden. Lassen Sie uns auf die Manager-Boni schauen. Es ist ja auch ein weiteres Gehaltsinstrument bei den Autoherstellern, in der Autoindustrie. Können Sie sich vorstellen, dass Sie Ihre Mitglieder dazu auffordern, darauf zu verzichten?
Müller: Erst einmal ist es, glaube ich, nicht Sache des Verbandes der Automobilindustrie, sondern Sache auch hier der Partnerschaft in den Unternehmen. Die Leistung, die ausgezahlt worden ist, Herr Armbrüster, auch an die Unternehmen, ist zu allererst einmal eine Unterstützung der Mitarbeiter in dieser Situation. Wir reden hier nicht nur über hohe Manager-Boni, sondern wir reden gerade in der Automobilindustrie über eine breite Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg.
Armbrüster: Das heißt, auf solche Signale möchten Sie verzichten?
Müller: Ich als Verband der Automobilindustrie kann diese Signale sowieso nicht senden. Das ist eine Aufgabe, die die Unternehmen jetzt auch zu besprechen haben mit ihren Arbeitnehmern. Aber es gibt auch hier eine feste Sozialpartnerschaft, auch diese Punkte zu übernehmen, und es wird verantwortlich, Herr Armbrüster, mit diesem Instrument umgegangen.
Armbrüster: Dann lassen Sie uns noch einmal schauen auf die Kaufprämien. Was schwebt Ihnen denn da vor? Welche Art von Auto soll dort gefördert werden?
Müller: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass natürlich diese Prämien jetzt zum einen schnell erfolgen. Es ist wichtig, dass sie auch eine Wirkung für Umwelt und Klima haben, und neue Autos, die jetzt in den Markt kommen, würden einen erheblichen weiteren Beitrag auch dazu leisten, dass die CO2-Werte sich verbessern. Das gilt für alle Motoren. Ich weiß, dass die Frage gleich kommen wird. Ich glaube, das gilt nicht nur für Elektrofahrzeuge und Hybrid, sondern das gilt auch für moderne Verbrenner. Das gilt für moderne Diesel und andere Autos. Deshalb ist es, glaube ich, jetzt sehr wichtig, dass wir diesen Impuls in der Breite auch bekommen, dass die Verbraucher Vertrauen fassen und auch wieder zu Käufen kommen.
"Wir verpflichten uns ausdrücklich zu den Pariser Klimaschutzzielen"
Armbrüster: Ich muss diese Frage tatsächlich stellen, Frau Müller. Das heißt, auch die Dieselmotoren möchten Sie tatsächlich ebenfalls fördern mit einer Kaufprämie?
Müller: Ja, auch die modernen Dieseltraktoren und Motoren sind ein erheblicher Beitrag für Umwelt- und Klimaschutz.
Armbrüster: Was sagen Sie all denen, die sagen, das geht doch völlig in die falsche Richtung, wir sind doch seit Jahren dabei, unseren Autoverkehr, den Straßenverkehr umzugestalten, wir sind mitten in einer Verkehrswende, warum sollten wir jetzt ausgerechnet auch noch mit einer Kaufprämie dafür sorgen, dass wir den Dieselmotor weiter fördern?
Müller: Wir sind natürlich in der Transformation, die auch engagiert von den deutschen Automobilherstellern unterstützt wird. Wir verpflichten uns ausdrücklich zu den Pariser Klimaschutzzielen. Wir verpflichten uns auch zu den Flottengrenzwerten. Es ist ein erheblicher Beitrag in Forschung und Entwicklung. Über 50 Milliarden Euro wird in den nächsten Jahren allein in das Thema Elektromobilität investiert werden. Aber es ist auch mehr dazu nötig. Wir brauchen eine Infrastruktur, eine flächendeckende Infrastruktur, die auch für Ladeeinrichtungen da ist. Nur Elektroautos und Plug-in-Hybride in der jetzigen Zeit abzusetzen, ist unrealistisch, und deshalb sind auch gerade die neuen und modernen Verbrennermotoren ein Beitrag zur Lösung der Klimaschutzziele, die wir haben. Deshalb plädieren wir wirklich auch dafür, diese Verbrennungsmotoren in die Förderung mit hineinzunehmen.
Armbrüster: Oder kann es vielleicht ganz einfach sein, dass die deutschen Autohersteller noch nicht so weit sind mit den Elektroautos?
Müller: Nein, das ist nicht richtig. Wir haben über 50 Modelle am Markt. In den nächsten zwei Jahren werden über 100 weitere Modelle hinzukommen. Aber der Hochlauf in der Elektromobilität hängt von vielen Faktoren ab. Er hängt davon ab, dass der Verbraucher Vertrauen zum Thema Elektrofahrzeug hat, dass wir eine funktionierende Infrastruktur für dieses Thema bekommen, und wir haben viele Verbraucher, die die Nutzungsmöglichkeiten von Elektromotoren bisher noch nicht voll umfänglich bedienen können. Denken Sie an die, die lange Strecken zurückzulegen haben. Deshalb sind die modernen Verbrenner ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz und sollten aus unserer Sicht auch genauso weiter entwickelt, unterstützt und gefördert werden.
"Lieferketten müssen mühsam wieder aufgebaut werden"
Armbrüster: Frau Müller! Wir haben jetzt viel über die Verbraucher und den Autoabsatz gesprochen und welche Modelle, welche Autos, wie der Autokauf jetzt generell gefördert werden sollte, Ihrer Meinung nach. Jetzt gibt es natürlich viele, die sagen, die Probleme, die die Autoindustrie gerade hat, das sind eigentlich gar keine Nachfrageprobleme, gar keine Absatzprobleme, sondern das ist vor allen Dingen auch ein Problem der Produktion, weil gerade in den letzten Wochen und Monaten die weltweiten Lieferketten durchbrochen wurden, weil die nicht mehr laufen. Kann die Autoproduktion denn inzwischen eigentlich wieder einwandfrei laufen?
Müller: Wir müssen uns schrittweise an die Situation, glaube ich, wie in vielen Branchen herantasten. Wichtig ist zuerst einmal der Gesundheitsschutz für die Mitarbeiter. Hier haben wir in Deutschland Standards entwickelt, die wir auch inzwischen weltweit teilen, um zu garantieren, dass der Hochlauf einhergeht mit dem Gesundheitsschutz für die Mitarbeiter.
Das zweite ist, dass wir offene Grenzen brauchen. Natürlich gab es keine staatliche Verordnung zum Schließen von Werken, aber die Verantwortung für die Mitarbeiter und das Zusammenbrechen auch der Situation an den Grenzen, gerade in Europa finde ich das sehr betrüblich, dass wir kein gemeinsames Vorgehen gefunden haben. Das hat ja zum kompletten Shutdown geführt. Deshalb ist es jetzt auch sehr wichtig, was auf der europäischen Ebene beschlossen worden ist, dass wir gemeinsam überlegen, wie wir den Hochlauf in Europa wieder starten können, dass die Werke in Norditalien genauso wieder anfangen können wie in anderen Ländern und dass ganz schlichtweg die Grenzen auch wieder offen sind. Wir haben sicherlich alle noch die Bilder der großen Staus zum Beispiel an den polnischen Grenzen mit über 100 Kilometer in Erinnerung. All das hat dazu geführt, dass diese Lieferkette zusammengebrochen ist und jetzt mühsam wieder aufgebaut werden soll.
Armbrüster: Schwierige Zeiten für die Autoindustrie.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
[*] Anmerkung der Redaktion: Die Funktionsbezeichnung des Interviewpartners wurde korrigiert.