Kommentar zur AfD
Ein Parteiverbot käme der Kapitulation des Politischen gleich

Die Politik muss ihre Hausaufgaben machen. Sonst wird der Staat als Versager wahrgenommen und die AfD erhält weiterhin Zulauf, kommentiert Henry Bernhard. Ein Parteiverbot wäre genau das Falsche.

Ein Kommentar von Henry Bernhard | 03.01.2024
Bei einer Demonstration trägt ein Teilnehmer eine Fahne des niedersächsischen Landesverbandes der Partei AfD.
Die AfD hat erfolgreich Wählergruppen erschlossen, die sich vorher nicht von Parteien repräsentiert sahen. (picture alliance / dpa / Christophe Gateau)
Die AfD verbieten? Man ist geneigt zu sagen: Natürlich! Eine Partei, die sich immer weiter radikalisiert, die umso mehr Zuspruch erhält, je weiter sie nach Rechtsaußen rückt. Eine Partei, die vom Verfassungsschutz in drei ostdeutschen Bundesländern als „gesichert extremistisch“ eingestuft ist. Mit einem Verbot wären wir die schlecht gelaunten Pöbler in den Parlamenten los und die etablierten Parteien könnten wieder in Ruhe debattieren und nach den besten Lösungen streben. So die Illusion mancher.

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Aber so leicht ist es nicht. Die AfD hat enorm schnell und erfolgreich Gruppen von Wählern erschlossen, die vorher noch nie oder lange nicht mehr wählen waren. Sie hat eine Repräsentationslücke geschlossen, auf die Soziologen wie Politikwissenschaftler schon seit langer Zeit vergeblich hingewiesen haben. Auch noch, als in den westeuropäischen Ländern ringsum die Rechtspopulisten aufstiegen und die Traditionsparteien untergingen. Im Osten sind die Parteien nach der Wiedervereinigung kaum in der Fläche außerhalb der Städte angekommen.
Das Ganze ist aber kein ostdeutsches Phänomen: Auch im Westen verlieren Parteien an Bindungskraft und Deutungsmacht. Der Osten ist – wie so oft – Avantgarde, auch wenn es rückwärtsgeht.

Einfache Lösungen für komplexe Themen

Und genau da setzt die AfD an: Spricht lang ignorierte Probleme an, bietet einfache Lösungen für komplexe Probleme, verspricht, dass alles wieder so schön wird, wie es in Wirklichkeit nie war. Sie mixt dabei schamlos neoliberale mit völkischen Elementen, setzt auf Klischees, auf Ressentiments, auch auf Hass.
Ja, eine demokratisch verfasste Gesellschaft muss alles Erdenkliche tun, um diese Partei von der Macht fernzuhalten: die Partei, die Deutschland aus dem westlichen Wertesystem, aus der EU und der NATO herauslösen und sich Diktaturen wie Russland als Bettvorleger andienen will.

Ein Parteiverbot ist die falsche Antwort

Aber ein Parteiverbot ist darauf die falsche Antwort. Es käme einer Kapitulation des Politischen gleich. Die AfD-Wähler wären noch da, würden ihren Unmut auf die Straße und vielleicht nicht nur dorthin tragen. Die Vernetzung der blau-braunen Partei ins militante und waffenliebende Reichsbürger-Milieu sei da nur am Rande erwähnt. Die Politik, die Gesellschaft müssen auf diese Herausforderungen antworten, nicht aber die große Keule des Parteiverbotsverfahrens, die auch zurückschlagen kann – etwa, wenn sie scheitert.
Und doch kann man ein bislang ungenutztes Mittel ins Auge fassen: den Artikel 18 des Grundgesetzes, der demjenigen Grundrechte wie die Vereinigungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit entziehen kann, der diese zum Kampf gegen die Demokratie missbraucht. Dieser bislang ungenutzte Verfassungsartikel scheint für radikale Hetzer wie Thüringer AfD-Chef und Partei-Rechtsaußen Björn Höcke wie gemacht. Zuständig auch hier: das Bundesverfassungsgericht.
Bis dahin aber muss die Politik ihre Hausaufgaben machen und die Ursachen dafür angehen, dass der Staat zunehmend als Versager wahrgenommen wird. Das würde der AfD eine Menge Nahrung entziehen.
Porträt: Henry Bernhard
Henry Bernhard wurde 1969 geboren und wuchs in Weimar auf. Er studierte Politik, Publizistik, VWL und Völkerrecht in Göttingen. Seit 1990 arbeitete er fürs Radio, davon 20 Jahre ausschließlich an langen Radiofeatures. Sein Schwerpunkt lag dabei auf historischen Themen – Geschichten aus dem geteilten Deutschland und aus dem "Dritten Reich", von gescheiterten Kommunisten und zurückgekehrten Juden, von Überlebenden und Verlierern der Geschichte. Nach einem Ausflug zum Fernsehen ist er seit 2013 Landeskorrespondent von Deutschlandradio in Thüringen.