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Lärm schädigt die Gesundheit

Lärm kann krank machen. Daher hat die EU-Kommission neue Vorschriften angestoßen, die die Motorengeräusche neuer Autos und Lkws deutlich leiser machen sollen. Die Fahrzeughersteller halten davon wenig.

Von Mirjam Stöckel | 04.02.2013
    Die Bundesstraße 1 in Dortmund. Sechs Spuren, etwa 100 000 Fahrzeuge pro Tag. Entlang der Straße Gewerbegebiet, aber auch Wohnhäuser. Von seinem Garten aus sieht Volker Kreibich die Ampel, an der sich gerade der Verkehr staut. Der emeritierte Professor für Raumplanung lebt seit 18 Jahren mit dem Lärm.

    "Nachts ist der Effekt noch viel deutlicher – das Anfahren und Bremsen an der Ampel. Das ist dann doch so laut, dass man selbst bei geschlossenem Fenster manchmal aufwacht."
    Trotz spezieller Schallschutzfenster, wohlgemerkt.

    Und genau davor warnen Gesundheitsexperten: Verkehrslärm raubt den Schlaf, verschlechtert Konzentration und Lernfähigkeit und verursacht Stressreaktionen. Blutdruck, Herzfrequenz und auch das Herzinfarktrisiko können steigen. Die EU-Kommission hat deshalb vorgeschlagen, den aktuellen Maximalpegel für Fahrzeuge zu senken: um vier Dezibel für neue Autotypen und um drei Dezibel für neue Lkw-Typen. Solche Fahrzeuge wären für das menschliche Ohr dann etwa 20 bis 25 Prozent leiser. In zwei Etappen soll der Lärm gedrosselt werden – in einem Zeitraum von fünf Jahren.

    Die Fahrzeughersteller halten davon wenig. Sie wollen, dass der Lärm auch außerhalb der Fahrzeuge gesenkt wird – etwa durch moderne, leise Straßenbeläge oder Schallschutzwände. Der Verband der Automobilindustrie äußert sich vor dem Mikrofon nicht, teilt uns zu den Drosselungsvorschlägen der EU-Kommission aber schriftlich mit:

    "Diese starke Reduzierung ist in so kurzer Zeit technisch nicht machbar, da sich die Fahrzeugmodelle zu einem großen Teil in laufender Produktion befinden. Eine solch scharfe Grenzwertsenkung ignoriert die in der Automobilindustrie notwendigen Entwicklungs- und Produktionszyklen und hätte zur Folge, dass jeder dritte Pkw in Europa innerhalb von zwei Jahren überarbeitet werde müsste – also noch während des bestehenden Produktionszyklus."

    Und eine Überarbeitung während der Entwicklung würde hohe Extrakosten bedeuten, die die Autohersteller gerne vermeiden möchten.

    Was den einen an Grenzwert zu viel ist, ist den anderen zu wenig: Umwelt- und Gesundheitsschützer verlangen noch schärfere Lärm-Grenzwerte als von der EU-Kommission vorgeschlagen. Cécile Toubeau vom europäischen Umweltlobby-Dachverband "Transport and Environment".

    "Wir fordern eine Verringerung um insgesamt sechs Dezibel in den nächsten zehn Jahren. Etwa 25 Prozent der Autos und 30 Prozent der LWK erreichen die neuen Standards ja schon heute. Wir verlangen doch nicht von der Industrie, dass sie Veränderungen über Nacht vornimmt. Aber eine schrittweise Lärmverringerung über die nächsten zehn Jahre, das wäre erreichbar."
    Und außerdem, sagt Cécile Toubeau, sei es am effektivsten, den Lärm direkt dort zu drosseln, wo er entsteht.

    "Es ist über 100 Mal billiger, ein Auto leiser zu machen als ein Haus durch Schallschutzbarrieren leiser zu machen. Den Lärm an der Quelle zu verringern ist also der günstigste Weg, das Problem anzugehen."

    Doch im Moment scheint es so, als folge die Politik eher den Argumenten der Industrie als jenen der Umweltschützer. Voraussichtlich wird sich das EU-Parlament dafür aussprechen, den Herstellern mehr Zeit zu geben, um die strengeren Lärmgrenzwerte umzusetzen. Konservative Parlamentarier wollen außerdem eine Sonderregel für Sportwagen durchsetzen: Sie dürften dann lauter sein als andere Autos. Und auch die Bundesregierung gilt in Brüssel als Befürworter weniger strenger Grenzwerte.

    Schon Mitte des Jahres könnte definitiv klar sein, ab wann und wie sehr der Verkehrslärm künftig gedrosselt wird. Denn bis wollen sich die 27 EU-Staaten mit dem EU-Parlament einen Kompromiss einigen.

    Auf der B1 in Dortmund donnert der Verkehr weiter an Volker Kreibich vorbei. Kreibich ist gespannt, was die Verhandlungen in Brüssel bringen werden.