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Vor 30 Jahren verhaftet
Als Totò Riina, der "Boss der Bosse", ins Netz ging

In einem Mammutprozess konnte 1986 Italiens Justiz erstmals hunderte sizilianische Mafiosi anklagen und verurteilen. Mafia-Oberhaupt Totò Riina antwortete mit einem Krieg gegen den Staat. Dem bot sich 1993 eine lang ersehnte Gelegenheit.

Von Henning Klüver |
Palermo 1995: Mafia-Boss Salvatore „Totò“ Riina  wird dem Haftrichter vorgeführt.
Palermo 1995: Mafia-Boss Totò Riina wird dem Haftrichter vorgeführt. (picture alliance / ROPI / Battaglia / Giacomino / ROPI)
Wenn die Cosa Nostra, die sizilianische Mafia, je ein Hauch von Romantik wie in dem Film „Der Pate“ umweht hat, verflog der spätestens mit den 1980er-Jahren. Einer Gruppe von Outsidern aus dem kleinen Ort Corleone im Hinterland von Palermo war es im Verlauf eines blutigen Bandenkrieges gelungen, die bislang in Palermo führenden Familien der damals größten Verbrecherorganisation Europas auszuschalten. Umberto Santino, in Palermo Leiter eines Studienzentrums zum Phänomen Mafia, schrieb in einem Buch über die Geschichte der Cosa Nostra:

„Es ging um die Macht innerhalb der Mafia und um die Kontrolle der Aktivitäten, vor allem des immer stärker werdenden Drogenhandels. Der Krieg endete mit dem Sieg der Corleonesi unter ihrem Boss Totò Riina, die der weitgehend dezimierten Organisation eine nahezu diktatorische Kommandostruktur aufzwangen.“

Palermos Bürgermeister: „Riina hat ein Gehirn in Form einer Pistole.“



Salvatore „Totò“ Riina wurde 1930 in Corleone geboren. Hier hatte das Kind einer armen Bauernfamilie früh Unterschlupf in der lokalen Mafia gefunden. Seine Gewaltstrategie richtete sich auch gegen Vertreter der Staatsorgane. Zu seinen Opfern gehörte neben vielen anderen der Carabinieri-General und Präfekt von Palermo Carlo Alberto dalla Chiesa. Sein Sohn, der Soziologe Nando dalla Chiesa, nennt Totò Riina „ein wildes Tier“:


„Der damalige Bürgermeister von Palermo, Vito Ciancimino, hatte gesagt, Riina habe ein Gehirn in Form einer Pistole. Und der war immerhin sein Komplize, auch er gehörte zur Cosa Nostra.“

Ein Schrei der Wut hallte durch Italien

Anfang der 1990er-Jahre kam es als Reaktion auf Prozesse, bei denen viele Hundert Mafiosi verurteilt wurden, zu einer Welle von brutalen Mordanschlägen. Die richteten sich gegen angebliche Verräter in der Politik, aber auch gegen die inzwischen in ganz Italien bekannten Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Sie kamen im Frühjahr 1992 zusammen mit ihren Leibwächtern bei zwei spektakulären Bombenattentaten in Palermo ums Leben.

 
Ein Schrei der Wut hallte durch Italien. Der Staat verstärkte die auf Sizilien stationierten Armee-Einheiten. Immer mehr Mafiosi der unteren Ränge fühlten sich nicht mehr sicher und nahmen Angebote zur Zusammenarbeit mit den Justizbehörden an. Die wiederum verstärkten ihre Anstrengungen, den Boss der Bosse Totò Riina, der seit 25 Jahren flüchtig vom Untergrund aus agierte, endlich dingfest zu machen.
Nach Hinweisen aus Mafiakreisen überwachten Carabinieri eine Villa in Palermo. Als am Morgen des 15. Januar 1993 ein unauffälliger graugrüner Citroën mit Riina auf dem Beifahrersitz das Grundstück verließ, schlug ein Verhaftungskommando zu. Im Fernsehen gab bald darauf Mario Mori, der Kommandeur der Carabinieri-Einheit, stolz bekannt: „Riina Salvatore è stato ist heute Vormittag von den Carabinieri in Palermo verhaftet worden.“

 
Während Riina schwer bewacht auf die Vollstreckung alter Urteile und die Verhandlung neuer Prozesse wartete, nahm sein Schwager Leoluca Bagarella, einer der brutalsten Killer der Corleonesi, seinen Platz ein. Und er wollte ganz Italien den Krieg erklären. Bomben explodierten vor öffentlichen Einrichtungen in Rom, Florenz, Mailand.

Der neue „Pate“

Auch Bagarella konnte kurz darauf von der Polizei festgenommen werden. Jetzt übernahm Riinas alter Mitstreiter Bernardo Provenzano die Rolle des Padrino, des Paten. Provenzano beendete sofort die Strategie der Gewalt und richtete die Organisation wieder ganz aufs Geschäftemachen aus. Er wurde erst 2006, 13 Jahre später, verhaftet. Gerüchte, dass es zwischen der Mafia und den Staatsorganen Absprachen gegeben haben könnte, sind bis heute nicht verstummt, so  Nando dalla Chiesa glaubt, „dass Provenzano Riina an den Staat verkauft hat, anders erklärt sich sein langes ungestörtes Schalten aus dem Untergrund nicht.“
Es wurde still um die Mafia. Totò Riina, mehrfach zu lebenslanger Haft verurteilt, verschwand in den Sicherheitstrakten verschiedener italienischer Gefängnisse. Er starb 2017, einen Tag nach seinem 87. Geburtstag, in einem Krankenhaus in Parma.