Wir haben ein Problem in unserer Demokratie. Endlich kann ich das so in einer Radiokolumne sagen, ohne dass es dreißig Minuten Erklärung braucht. Es ist allen offensichtlich. Aber worin genau liegt das Problem?
Ich würde zunächst mal eine Repräsentations- und Vertrauenskrise unterstellen. Teil dieser Krise ist, dass politische Kommunikation nicht offen und ehrlich ist. „Politikerphrasen“ sagt man dann. Wo Menschen Lösungen für echte Probleme wollen, bekommen sie gestelzte Sätze, die am Ende nichts sagen. Magere Reformen, die keine Ursachen bekämpfen.
Hohle Politikerphrasen - kein individuelles Problem
Jetzt wäre es leicht, dafür „den Politikern“ die Schuld dafür zu geben. Aber es wäre naiv zu denken, dass das nur ein Problem von möglicherweise ungeschickten einzelnen Menschen wäre. Nein, das Problem ist ein systemisches. Ein Teil dieses Systems, das zu hohlen Politikerphrasen führt, sind die Massenmedien.
Das habe ich in meiner Zeit als Geschäftsführerin der Piratenpartei gelernt. Ich ging in den Job mit der naiven Annahme, dass ich interessante Dinge aus unserem Programm erzählen würde und die Medien sie wiedergeben und mit anderen Parteiprogrammen kontrastieren würden. Aber nein. Ich lernte: Es muss tagesaktuell sein. Es muss sich auf den Aufreger der Woche beziehen. Es muss persönlich sein. Und jeder meiner Halbsätze konnte als dramatische Überschrift benutzt werden.
Mediales Lauern auf Drama
Immer wieder wurden mir Fragen gestellt, die mir nahelegten, die Parteiführung zu kritisieren. Oder den Antisemitismus in der Partei. Oder was man sonst gerade brauchte. Da war ein Lauern auf einen Fehltritt, auf persönlichen Konflikt, auf Drama.
Ich begann also, vorsichtiger zu sprechen. Weniger von der Nase weg. Das System hatte mich verändert.
Mir ist klar, dass Zeitungen sich verkaufen müssen. Dass Sendungen Quoten brauchen. Aber es schadet der Demokratie. Warum entsteht politische Kommunikation in diesem Antagonismusfeld?
Das Thema verschwindet hinter den subjektiven Interessen
Der Interviewer sitzt da und denkt: Wie kann ich die Politikerin jetzt auf eine Aussage festnageln? Wie lande ich einen Coup? Und die Politikerin denkt: Wie kann ich meine vom Ressort geplante Message platzieren? Wie kann ich vermeiden, dass aus irgendeinem Nebensatz eine Sensation gemacht wird?
Und was kaum in dieser Situation gedacht wird: Was ist eigentlich gerade die Lage? Was müssen die Leute verstehen? Welche Grundlagen haben wir für unsere Entscheidungen?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte nicht, dass Journalisten und Politiker gemeinsame Sache machen und die Presse keine kritischen Fragen stellt. Aber es ist wichtig, dass beide Seiten den Anspruch haben, Entscheidungsgrundlagen zu kommunizieren. In dem Wissen, dass der Politiker oder die Politikerin eine subjektive Sicht der Welt hat und eine bestimmte politische Vision, die der Journalist oder die Journalistin nicht unbedingt teilt. Das habe ich in sehr guten Interviews auch schon oft erlebt.
Journalisten und Politiker: Fokus auf gemeinsame Ziele
Es ist also keine Vermischung von Journalismus und Politik, auf die ich hinauswill. Aber genau wie Regierung und Opposition gemeinsame Ziele haben sollten (wie die Erhaltung der Demokratie, das Abwenden von Problemen fürs Land etc.) so sollten auch Medienschaffende und Politiker sich manchmal auf gemeinsame Ziele konzentrieren.
Zum Beispiel dieses: Eine Demokratie ist nur mit einer aufgeklärten Gesellschaft möglich. Dafür muss ehrlich und offen kommuniziert werden.
Marina Weisband, 1987 in der Ukraine geboren, ist Beteiligungspädagogin, Publizistin, Diplom-Psychologin, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und hat am Grundsatzprogramm der Partei mitgewirkt. Sie schreibt zu Themen wie Medien und politischer Partizipation und leitet seit 2014 das Schülerbeteiligungsprojekt aula.