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Meinungsforscher Güllner (Forsa)
"Schulz muss die zufriedene Mitte ansprechen"

Ob Martin Schulz die SPD wieder nach oben führen kann, hängt für den Meinungsforscher Manfred Güllner von der Ausrichtung der Partei auf die Mitte ab. "Die SPD hat dort die meisten Wähler verloren - das wird wahlentscheidend", sagte er im Deutschlandfunk.

Manfred Güllner im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 25.01.2017
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    Sigmar Gabriels Erkenntnis, dass er mit seinen schlechten Umfragewerten eher eine Belastung für die SPD sei, sei nicht falsch, sagte Güllner, der für das Meinungsforschungsinstitut Forsa arbeitet. "Es gab keine Bewegung nach oben. Er ist nicht alleine Schuld, aber er hat es auch nicht vermocht, Impulse zu geben." Durch die Kernwählerschaft und die Mitgliederschaft der SPD werde "ein Aufatmen" gehen. "Denn die waren nicht zufrieden mit Gabriel. Die Mitglieder haben nicht geglaubt, dass sie mit ihm als Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl eine Chance gehabt hätten. Das wird sich mit Schulz ändern, die Zuversicht wird ansteigen."
    Schulz habe bessere Umfragewerte als Gabriel. "Ob das trägt, muss man abwarten", sagte Güllner. Denn Schulz sei nur als Präsident des Europaparlaments bekannt. In Deutschland habe er noch kein Profil. Wichtig sei, ob Schulz die vielen Wähler, die die SPD in der Mitte verloren habe, wieder ansprechen könne. Unter Gerhard Schröder habe die SPD 20 Millionen Wähler gehabt, zuletzt seien es nur noch zehn gewesen. "Es wird wahlentscheidend sein, ob Schulz diese Wähler zurückgewinnen kann oder nicht."
    Eine Gerechtigkeitsdebatte würde der SPD nicht viel nützen. "Die große Mehrheit fühlt sich nicht ungerecht behandelt, sie ist zufrieden. Es geht um die zufriedene Mitte, die sich nicht vertreten fühlt. Die Abgehängten haben nie SPD gewählt." Olaf Scholz habe als Erster Bürgermeister in Hamburg Wähler zurückgewonnen.

    Büüsker: Hat sich Sigmar Gabriel aus Ihrer Sicht von den Umfragewerten einschüchtern lassen?
    Güllner: Nun, ich kann nicht in den Kopf von Sigmar Gabriel gucken. Aber es ist ja klar, dass seit Monaten, seit Jahren fast, seit 2013 die Werte für Herrn Gabriel, die persönlichen Werte sehr schlecht sind, dass es überhaupt keine Bewegung nach oben gab, und dass gleichzeitig die SPD unter das Niveau, was sie bei der Bundestagswahl 2013 hatte, mit 25,7 Prozent gefallen ist an die 20-Prozent-Marke und nur knapp über dieser 20-Prozent-Marke liegt. Das ist nicht allein Gabriels Schuld, aber er hat es auch nicht vermocht, der Partei Impulse zu geben und vor allen Dingen der Partei die politische Kompetenz in den Augen der Menschen zurückzugeben, die sie mal gehabt hat, aber nun seit Jahren nicht mehr hat. Insofern ist die Erkenntnis, die Gabriel hat, dass er nun vielleicht eine Belastung für seine Partei ist, sicherlich nicht falsch.
    Büüsker: Sie haben eben angesprochen, wir kennen diese Beliebtheitswerte von Sigmar Gabriel seit Monaten, wenn nicht gar seit Jahren. Warum hat er sich dann trotzdem so lange Zeit mit dieser Entscheidung gelassen?
    Güllner: Ja das kann ich natürlich auch nicht beantworten.
    Büüsker: Aber Sie werden wahrscheinlich eine Vermutung haben.
    Güllner: Eigentlich wäre es sicherlich besser gewesen, denn die Erkenntnis kann ja nicht neu sein, auch für ihn nicht, und von daher wäre es besser gewesen, daraus schon im letzten Sommer vielleicht die Konsequenzen zu ziehen, um jemand anderem die Chance zu geben, die SPD wieder etwas nach oben zu bewegen. Denn es gibt ja sehr viele, die mal SPD gewählt haben und sie auch wieder wählen möchten, aber durch den Zustand der SPD, den Gabriel mit zu verantworten hatte, daran gehindert wurden.
    "Die Siegesgewissheit der SPD, die Zuversicht wird ansteigen"
    Büüsker: Hat Martin Schulz denn jetzt das Potenzial, als Retter der SPD zu agieren? Was glauben Sie?
    Güllner: Zunächst mal wird es ein gewisses Aufatmen geben, auch innerhalb der SPD-Kernwählerschaft und innerhalb der SPD-Mitgliedschaft. Denn wir haben ja auch bei Befragungen von SPD-Mitgliedern gesehen, dass sie mit Gabriel nicht sehr zufrieden waren, und vor allen Dingen, dass die große Mehrheit der SPD-Mitglieder, nicht nur der Wähler nicht geglaubt hat, dass die SPD mit ihm als Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl, die bevorsteht, eine Chance hat. Das wird zunächst mal mit Schulz sich ändern. Die Siegesgewissheit der SPD, die Zuversicht wird ansteigen und Schulz wird ein gewisses Wohlwollen zunächst bekommen. Wir haben ja auch schon bei der Kanzlerpräferenz, wenn man fragt, für wen würde man sich entscheiden, Merkel oder Gabriel oder Merkel oder Schulz, nach Schulz gefragt, und da hatte er deutlich bessere Werte als Gabriel. Ob das dann trägt, das muss man abwarten.
    "Schulz hat noch kein politisches Profil"
    Büüsker: Nun haben wir heute Morgen hier im Deutschlandfunk schon mit zahlreichen Politikerinnen und Politikern insbesondere der anderen Parteien gesprochen. Die haben alle darauf verwiesen, dass zum derzeitigen Zeitpunkt noch gar nicht richtig klar ist, wofür Martin Schulz eigentlich politisch steht, gerade mit Blick auf die Innenpolitik, die ja bei der Bundestagswahl eine große Rolle spielen wird. Ist das ein großer Nachteil von Martin Schulz?
    Güllner: Er hat sicherlich kein politisches Profil generell. Er ist ja bekannt geworden durch seine Funktion als Präsident des Europaparlaments, aber mehr weiß man von ihm nicht, und selbst das war ja auch im letzten Europawahlkampf 2014 vielen gar nicht bekannt. Wir haben damals ja auch nach dem Spitzenkandidaten für die Europawahl gefragt und da kannten ihn nur 40 Prozent. Das lag aber auch daran, dass es ja keine richtige Europawahl war, sondern in 10 von 16 Bundesländern ja Kommunalwahlen stattgefunden haben, die die Europawahl überlagert haben. Schulz hat noch kein Profil, wobei ich glaube, wahlentscheidend wird sein, ob er die vielen Wähler, die die SPD in der Mitte verloren hat, ansprechen kann. Denn man darf ja nicht vergessen: Zwischen 1998, als Schröder Kandidat war und die SPD über 20 Millionen Wähler gehabt hat, und 2009, ohne Schröder, wo die SPD noch nicht mal zehn Millionen Wähler gehabt hat, zehn Millionen Wähler hat sie verloren und die sind nicht nach links gedriftet, höchstens zu einem ganz kleinen Teil, sondern die sind in der Mitte, verharren dort, möchten die SPD wählen, und das wird wahlentscheidend sein, ob Schulz diese Mitte-Wähler wieder zurückgewinnen kann oder nicht.
    Büüsker: Sie haben jetzt argumentiert, dass man derzeit noch nicht viel über Martin Schulz weiß, und trotzdem sind seine Umfragewerte ja gut. Wie groß ist jetzt das Risiko, dass die Umfragewerte zurückgehen, wenn er sich klar positioniert?
    Güllner: Ja, das Risiko ist da. Wenn wir mal an den letzten Bundestagswahlkampf denken, wo Herr Steinbrück ja auch mit einem gewissen Wohlwollen versehen wurde, als er Kanzlerkandidat wurde, das aber nicht zuletzt durch eigene Schuld sehr schnell verspielt hat und dann doch wiederum keine großen Chancen hatte. Die Gefahr ist durchaus da. Oder denken Sie noch eine Wahl zurück: 1994 Rudolf Scharping. Der sah Anfang des Jahres '94 wie der sichere Kanzler aus. Auch Ihre Kollegen in der Journalistenzunft gingen davon aus, dass Kohl im Oktober '94 nicht mehr Kanzler wird. Wir wissen, dass Kohl Kanzler geblieben ist, weil Scharping sehr schnell das Anfangsvertrauen verspielt hat. Die Gefahr ist da.
    Auf der anderen Seite gibt es natürlich eine Chance. Wenn Schulz es schafft, ein Profil zu gewinnen, das vor allen Dingen auch für die verlorenen Mitte-Wähler attraktiv ist und die dazu bewegt, doch zur SPD zurückzukehren, dann hat er eine Chance, die SPD nach oben zu bringen.
    "Es geht um die zufriedene Mitte, die sich nicht mehr vertreten fühlt"
    Büüsker: Und wie müsste dieses Profil aus Ihrer Sicht dann aussehen?
    Güllner: Zumindest ist die Annahme, dass die soziale Gerechtigkeit das zentrale Thema sein wird und dass die Gesellschaft so auseinanderdriftet, wie Schulz das ja gerade auch erklärt hat, meiner Ansicht nach falsch. Es geht darum, dass die große Mehrheit nicht sich sozial ungerecht behandelt fühlt, dass die große Mehrheit zufrieden ist mit dem eigenen Arbeitsplatz, zufrieden ist mit dem eigenen Arbeitgeber. Es geht um die zufriedene Mitte, die sich nicht mehr vertreten fühlt. Es geht nicht um die Abgehängten. Die haben nie SPD gewählt. Der alte Wilhelm Liebknecht, einer der Gründer der Sozialdemokratie in Deutschland, der hat immer von Lupenproletariat gesprochen, die man nicht haben will. Man will die Arbeiter-Aristokratie haben. Und jetzt so zu tun, als ob es ein paar Abgehängte gäbe, die man zurückgewinnen müsste, dann hätte man die Wahl gewonnen; nein, die SPD muss die klassische Kernwählerschaft, die natürlich immer mehr schrumpft, die Arbeiterschaft, aber auch bürgerliche Wähler, gewinnen, denn nur so hat sie in der Vergangenheit Wahlen gewonnen.
    Büüsker: Aber wie kann die SPD die denn tatsächlich gewinnen? Machen wir es mal ganz konkret. Was muss Schulz tun?
    Güllner: Schulz muss diese große Gruppe der arbeitenden Klasse im weitesten Sinne ansprechen mit den Themen, die sie interessieren. Das ist nicht das Thema Gerechtigkeit; das sind alles Dinge, die etwa die solidaren Sicherungssysteme anbelangen. Es muss auch eine gewisse Wirtschaftsfreundlichkeit da sein. Denken Sie an Scholz in Hamburg, der ja mit einem klaren Kurs - das ist ja ein Vorbild, an dem man sich orientieren kann - Wähler zurückgewonnen hat für die SPD bei den letzten beiden Bürgerschaftswahlen, wo er ja mehr Stimmen bekommen hat als die SPD bei der jeweils vorausgegangenen Bundestagswahl. Hier ist ja ein Modell da. Man muss sich auch abgrenzen klar gegen die Grünen, die nun für die besserverdienenden Postmaterialisten da sind. Er muss dieses klassische sozialdemokratische Profil wieder schärfen.
    Büüsker: Es kommt also viel Arbeit auf Martin Schulz zu. Manfred Güllner war das, Geschäftsführer des FORSA-Instituts, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Güllner.
    Güllner: Ja, bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.